Die USA in der Dekadenz? Warnlichter sind nicht zu übersehen

Die USA weisen heute Merkmale der Dekadenz auf, welche von Historikern für den Untergang oder den Machtverlust früherer Imperien als maßgeblich betrachtet wurden. Das Urteil der Geschichte steht noch aus, doch die Zeichen zu beachten kann heilsam sein – auch für die USA selbst, deren Heilung eigentlich im Interesse aller, zuvorderst Europas liegt.

Demographische Warnzeichen: Zunehmende Sterblichkeitsrate

Ein außerordentlich „synthetisches“ Merkmal findet sich in der Demographie. In den USA steigt die Sterblichkeit der Männer an, die Kinder- und Müttersterblichkeit ist deutlich höher als in anderen entwickelten Staaten. Die Sterblichkeit der Männer der weißen Unterschicht lag 1999 unter jener der Schwarzen, heute liegt sie klar darüber. Alle diese demographischen Zeichen fassen, synthetisch, viele andere Fakten zusammen: die Gesundheitsversorgung breiter Schichten, die Versicherung dazu, die Armut, den Bildungsstand, den Drogen- und Medikamentenmissbrauch, den Alkoholismus. Die Studien, die Statistiken dazu sind bekannt und weisen alle in die gleiche Richtung: zunehmend.

Der französische Demograph und Historiker Emmanuel Todd hat 1976 („La chute finale“) den Untergang der Sowjetunion wegen zunehmender Sterblichkeitsraten vorausgesagt. Seither stellte er viele andere Verläufe der Dekadenz auf, unter anderem auch für die USA, die eher umstritten sind, aber immerhin hat er für die Sowjetunion Recht bekommen.

Sinkende Erwerbsquote und Bildungsmanko

Mit der Demographie teilweise verbunden folgt eine wirtschaftlich bedenkliche Entwicklung. Seit dem Jahre 2000 fielen die aktiv Beschäftigten um 11 Millionen Personen, obwohl die Gesamtbevölkerung zunahm, und nicht nur die Älteren. Deshalb fiel die Erwerbsquote, also der Anteil der Arbeitenden unter den 16- bis 64-Jährigen auf noch ca. 63%, schon vor der Coronakrise, also unter das Niveau der dysfunktionalen Arbeitsmärkte Südeuropas. Die Schweiz, Norwegen zeigen Erwerbsbeteiligungen von 84%, Deutschland von knapp 80%, Österreich von 77%. Das sind Welten an Unterschied, denn mit 80% Erwerbstätigen gibt es vier Aktive, die eine inaktive Person, privat oder über Sozialversicherungen, durchtragen, bei 63% aber müssen zwei Aktive für eine inaktive Person sorgen.

Viele Imperien sind zugrunde gegangen, wenn sie große Teile der Einwohner nicht mehr mitnahmen, nicht beteiligten.

Diese Zahlen aus dem US-Arbeitsmarkt sind aber eine ganz schlechte Nachricht – der Arbeitsmarkt hat seine integrierende Funktion verloren. Zudem sind offensichtlich viele Einwohner im erwerbsfähigen Alter gar nicht erwerbsfähig – die Opioid-Seuche, massives Übergewicht, krass mangelnde Bildung infolge oft schlechter öffentlicher Schulen, häufigen Schulabbruchs und des Kampfes der Lehrergewerkschaft gegen öffentliche Charter Schools, sowie das bedauerliche Defizit an Berufsbildung sind die Ursachen.

Die amerikanische Gesellschaft integriert nicht mehr

Die letzte Zahlengruppe muss gar nicht erst im Detail ausgebreitet werden, es ist aus zahllosen Erhebungen bekannt, wie die Reichen, und zwar die reichsten Reichen, immer reicher werden, und wie große Teile der ehemaligen Mittelschicht abgestürzt sind, und wie aussichtslos die Unterschicht den „American Dream“ des Aufstiegs verpasst.

Der Schluss ist der Gleiche wie im Arbeitsmarkt: die amerikanische Gesellschaft integriert nicht mehr, sie desintegriert. Damit kommen wir auf die historische Analyse – viele Imperien sind zugrunde gegangen, wenn sie große Teile der Einwohner nicht mehr mitnahmen, nicht beteiligten. Das ist das Thema der Autoren Daron Acemoglu und James Robinson („Warum Nationen scheitern“) – nur „inclusive nations“ dauern an. Die Spannungen zwischen oben und unten entluden sich sonst in Revolutionen, oder, in den USA heute, in einem Abfallen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Man kauft in Asien, und bezahlt mit  Dollarpapieren.

Überschuldung des Staates, Zombifizierung der Wirtschaft – das Ende des Dollarimperiums?

Dieses Papiergeld streift ein anderes Dekadenz-Merkmal, wie die Autoren Glenn Hubbard und Tim Kane es vorbringen („Balance. The Economics of Great Powers“). Ein wesentlicher Anstoß zum Verfall waren immer die Staatsausgaben und die Staatsschulden, die aus dem Ruder liefen. Das ist nun in den USA markant der Fall. Ende des Budgetjahrs im September 2020 wurden 55% der Bundesausgaben von der Notenpresse „finanziert“ – indem der Staat riesige Ankurbelungen ausgab, die Notenbank diese aufkauft und das Geld dazu druckt. Bereits winselt die Wall Street würdelos um neue „Stimuli“, und die Demokraten werden nur allzu gerne willfahren. Man spricht von erneuten 1000 Milliarden schuldenfinanzierten Ausgaben. Im bisherigen Paket war auch erstmals in der westlichen Welt ein bedingungsloses Einkommen von 1200 Dollar gestreut worden. Aus liberaler Sicht sind alle Dämme gebrochen. Außerdem geben alle Ökonomen (außer jene der Notenbank) zu, dass die Geldsause seit der Finanzkrise erstens die privaten wie öffentlichen Schulden zu vervielfachen erlaubte, und dass die damit auch verursachte Kursexplosion der Aktien und Obligationen maßgeblich die Vermögensverteilung verzerrte. Auch die künftige Leistungsfähigkeit der US-Firmen ist endgültig beeinträchtigt, wenn gemäß der Agentur Bloomberg nun die Zombie-Firmen schon ein Fünftel der börsenkotierten Firmen ausmachen. Das Kriterium dafür – ihr Bruttogewinn reicht nicht einmal mehr für die Zinszahlungen. Nur ein Weiterwälzen der Kreditsause kann sie auf den Märkten halten, trotz offensichtlicher Ineffizienz.

Das alles heißt: die US-Notenbank kann nicht mehr aufhören, Geld zu drucken, sonst droht der Ruin dieser Firmen, der sofortige Ruin des Staates, der Crash der Börse.

Alles wird vor Gerichten ausgetragen, eine Klagewirtschaft ohnegleichen beherrscht die Entscheide von Firmen und Privaten.

Die irgendwann daraus möglicherweise entstehende Inflation, entsprechend steigende Importpreise und schließlich ein steigendes allgemeines Preisniveau müssten außerdem den Dollarkurs fallen lassen. Dies wiederum könnte mit der Zeit die Fundamente des Imperiums erschüttern – das Clearing. Allabendlich saldieren die großen Banken der Welt in New York ihre Transaktionen. Wer davon ausgeschlossen wird, wegen eines Verstoßes, wegen Sanktionen, kann den Konkurs anmelden. Dies stützt die Macht der USA in der Welt, das tun nicht nur die Flugzeugträger. Wenn das Clearing nach Europa oder Asien abwandert – Ende der Macht.

„Rule of lawyers“, Bildungsprivilegien, Studienschulden

Qualitative, weniger zu quantifizierende Beobachtungen kommen schließlich dazu. Alles wird vor Gerichten ausgetragen, eine Klagewirtschaft ohnegleichen beherrscht die Entscheide von Firmen und Privaten. Der Historiker Niall Ferguson sieht den Übergang von der „rule of law“ zur „rule of lawyers“ vollzogen („The Great Degeneration“, dt. „Der Niedergang des Westens“). Den größten Teil der Aufwände vieler Ärzte machen die Haftpflicht-Prämien aus, nicht Medikamente… Die US-Gerichte sprechen nicht nur Wiedergutmachung von Schäden aus, was normal ist, sondern „Schmerzensgelder“ (tort justice“) in Phantasiehöhen, und die Anwälte dürfen die Hälfte davon selbst behalten. Die Unterschicht ist massiv in Gefängnissen übervertreten, zu Millionen, weil kumulative Urteile gesprochen werden. Wer im Warenhaus stiehlt und den Polizisten wegschubst, kann Jahre an Haft bekommen wegen Diebstahl plus Hausfriedensbruch plus Widerstand gegen die Polizei.

Ebenfalls gegen „inclusion“, gegen den „American Dream“ läuft die privilegierte Aufnahme der Kinder ehemaliger Absolventen und der Angestellten der Elite-Universitäten („legacy admission“).

Ebenso diskriminierend wirken die entsetzlichen Kosten, die zu ebenso entsetzlichen, jahrelang abzutragenden Studienschulden führen. Die Demokraten diskutieren im Moment deren Streichung, aber nicht einen freien Zugang zur Bildung wie in Europa. Die Demokraten haben auch nichts gegen die Verrechtlichung, gegen die Klagewirtschaft unternommen, nichts gegen die kumulativen Verurteilungen. Ihre Unterlassungen kombinieren sich mit den Vorteilen, welche die Republikaner den Reichen zuschanzen – zum Nachteil der USA.

Abtauchen der US-Wirtschaft auf Ramschniveau?

Den Reichen nützt auch die Wettbewerbsbehörde, welche die Großen stützt, unbehelligt von den Demokraten wiederum. Denn wie die junge Juristin Lina Khan 2017 in einem viel beachteten Aufsatz analysierte, lassen die „Wettbewerbshüter“ alle Fusionen und Konzentrationen durch, wenn nur die Produkte billiger werden. Sie verteidigen nicht die Vielfalt der Marktteilnehmer und akzeptieren damit das Ende der gewerblichen Mittelklasse, etwa durch Amazon. Amerikas Wirtschaft droht auf Ramschniveau abzutauchen – auch so ist sie nicht mehr konkurrenzfähig. Die vermachteten Fast-Monopolisten aller „Märkte“ kosten wegen der gegenüber Europa höheren Preise, Gebühren jeden Mittelschicht-Haushalt um die 5000 $ im Jahr, schätzt Thomas Philippon von der New York University („The Great Reversal“).

Kurz, die USA brauchen für ihre eigene Nachhaltigkeit an Macht und Wohlstand einen New Deal, aber nicht mit einfach noch mehr Staatsinterventionen und Umverteilung wie seit 1934. Ruiniert ist der Staat nun schon und überlebt nur noch dank der globalen Dollarvormacht. Nötig sind neue Regeln in Schulwesen, Strafrecht, Wettbewerbsrecht, und ein Ende der Geldverteilung an die Reichen via Notenbank und Druckerpresse, einer entsprechend blasengetriebenen Börse, hochgetriebener Aktienkurse und von Steuersenkungen, nur das kann noch helfen.

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