Millionenerbin Engelhorn: „Besteuert mich!“ Das ist gut gemeint, aber falsch gedacht

Ein Erbe kann man verschleudern, man kann es nutzen, oder man kann es dem Staat schenken. Das Letztere will Marlene Engelhorn tun, die in Wien lebende Urururenkelin des Gründers des Chemieriesen BASF. Der glückliche Staat soll die Republik Österreich sein, und zwar sozusagen „zur Strafe“, weil diese keine Erbschaftssteuer erhebt. „Besteuert mich“, ruft denn auch die 30-jährige Germanistikstudentin Engelhorn.

Wenn auch viele diese Rebellion bewundern, und wenn Liberale natürlich zugestehen, dass man mit seinem Vermögen und Erbe machen kann, was man will, so gäbe es doch Gescheiteres.

Im Buch „Geld“ von Marlene Engelhorn erscheint der Staat durchgehend als Sachwalter alles Guten und Schönen. Wie bei den meisten deutschen Sichtweisen hallt der unfassbare Satz Georg W. F. Hegels ungebremst nach, „der Staat ist die Wirklichkeit der sittlichen Idee“. Das würde kaum ein Angelsachse, kaum ein Schweizer unterschreiben, da kam die Aufklärung dazwischen.

Gefräßiger und umverteilender Staat, dennoch gleiche Vermögensungleichheit wie 1914

Da ist mal der österreichische Staat – er nimmt sich bereits jedes Jahr 56 Prozent des von seinen neun Millionen Einwohnern erarbeiteten Sozialprodukts – mehr als die Hälfte, eigentlich eine Unverschämtheit. Mit einer Erbschaftssteuer würde er sich noch mehr über die nationale Wertschöpfung stülpen. Schlimmer – kein einziger Staat, der Erben besteuert, gibt dieses Geld an die Armen als Vermögen weiter. Allein dies, also Aktien, Grundbucheinträge, Immobilienanteile von den Erben an die Ärmeren weiterzuleiten, würde die Vermögenskonzentration senken. Natürlich wäre das verfassungswidrig und gemeinwohlschädigend – deshalb tut dies ein demokratischer Rechtsstaat auch nicht.

Der Steuerstaat fällt jedenfalls allgemein durch, wenn es um die Vermögensverteilung geht: Kapitalismus-Kritiker Thomas Piketty zeigt mit seinen Zahlen, dass die Vermögen 1914 und heute etwa gleich konzentriert sind – jedoch vor hundert Jahren nahm der Steuerstaat den Bürgern weit unter zehn Prozent des Sozialprodukts weg, heute wie erwähnt oft mehr als die Hälfte. Dadurch wurden die Ärmeren aber nicht vermögender. Nur der Staat, der Reichste, wurde reicher.

Im Buch „Geld“ von Marlene Engelhorn erscheint der Staat durchgehend als Sachwalter alles Guten und Schönen. Wie bei den meisten deutschen Sichtweisen hallt der unfassbare Satz Georg W. F. Hegels ungebremst nach, „der Staat ist die Wirklichkeit der sittlichen Idee“. Das würde kaum ein Angelsachse, kaum ein Schweizer unterschreiben, da kam die Aufklärung dazwischen.

Heißt Demokratie auch immer „Rasenmäher-Verteilung“ beim Vermögen?

Engelhorn verwendet auch „Demokratie“ und „gleichere Verteilung“ weitgehend synonym, und je gleicher die Menschen sind, desto gerechter  sind für sie die Verhältnisse. Die politische, die republikanische Gleichheit ist aber eine der westlichen Mechaniken, um Macht zu zerteilen, und der Markt in der Volkswirtschaft ist die andere Mechanik. Der Rechtsstaat ist Garant von Grundrechten, darunter des Eigentumsrechts in der anderen „Mechanik“ der Wirtschaft. Freie Wirtschaftsbürger aber können den Überanspruch der Politik ihrerseits kontrollieren, wenn Staaten verschiedene Steuerregimes etwa anbieten und um sie werben. Oder wenn die Märkte den Übergriff einer Liz Truss in England mit Kursstürzen ausbremsen.

Die gewaltenteilige Politik des demokratischen Rechtsstaats teilt schließlich den Gewinnern Status, Macht, Verfügungsrechte zu, der Markt auf seiner Seite ebenso. Unterschiede, Ungleichheiten, sind in der demokratischen, wie in der marktwirtschaftlichen Mechanik erwünscht, sie belohnen, sie leiten an, sie schaffen Vorbilder und Anreize und damit überhaupt erst Handlungsfähigkeit, hüben wie drüben.

Status, Macht und Hierarchien lehnt jedoch Engelhorn überhaupt ab, alles ist falsch, und „das Geld“ überspitze dies alles noch. In Engelhorns Sicht schaffen Meritokratien lediglich fragwürdige Hierarchien –. Kurz: Der Tüchtige, der Kenntnisreiche, der Fleißige darf sich nicht belohnt sehen. Das würde wohl den meisten Arbeitern, Angestellten nicht einleuchten, und es klingt ein bisschen nach den universitären Protesten der 70er Jahre gegen Noten, Prüfungen, Professuren.

Denn eine Gesellschaft ohne Status, Macht, Hierarchien, Meritokratie wäre unstrukturiert, niemand darf anfassen, lenken, verantworten. Oder aber man müsste Funktionäre installieren, die sagen dürfen, was Wert hat, und wer ihn zugeteilt bekommt. Funktionäre, die reine Mönche ohne Status, Macht, Meriten und Geld wären. Doch genau das alles hätten sie, alleine, und das staatliche Machtmonopol, die Gewalt, dazu. Der Marktwettbewerb zerteilt Macht, die Funktionäre bündeln sie.

Mit individualistischer Gesinnungsethik gegen Fakten und Realitäten

Engelhorns Weltsicht ist auf weite Strecke eben keine Sicht auf die weitere Welt, sondern nur  individualistische Gesinnungsethik: „Ich tue nichts Falsches.“ „Ich will keine Macht.“ „Ich habe nicht für das Erbe gearbeitet“: das muss für die Ablehnung reichen.

Eine nicht so individualistische, nämlich gesellschaftlich, gemeinwohlbezogene Sicht geht hingegen näher auf die Abläufe in der Wertschöpfung ein: beteiligt sind Arbeitende, Leitende, Kapitaleinleger, Wissenschaftler. Insbesondere die Kapitaleinleger „tun nicht nichts“: Vielmehr stellen sie Kapital für die Arbeitenden – Lohnempfänger – für die Firmen bereit, auch wenn sie nicht in dessen tägliche Verwendung eingreifen.  Vor allem essen sie es schon mal nicht auf, sondern legen es an.

Doch entscheiden sie, etwa mit Aktien, wo, wann, wie was produziert wird. Sie üben eine wirtschaftliche Funktion aus, und das müssen nicht immer Muskeln sein. Dank solcher Einlage der Vorfahren Engelhorns arbeiten 111’000 Menschen bei BASF, und 18’000 arbeiteten bei Boehringer, als die Engelhorns auch diese Firma selbst hochgezogen hatten und dann verkauften. Das erwähnte „Gescheitere“ mit einem Erbe geht also solche Wege, nicht jenen in die rein konsumtive Staatskasse. Das erfordert Verantwortungsethik – was sind die Folgen nachher, auf weite Sicht, in der Welt? Theodor Storm sagte es poetisch: „Der eine fragt: Was kommt danach? / Der andere fragt nur: Ist es recht? / Und also unterscheidet sich / der Freie von dem Knecht.“

„Geld“ ist nicht gleich „Kapital“: In dieser Differenz liegt unser Wohlstand begründet

Das Buch „Geld“ trägt übrigens seinen Titel zu Recht – es bietet nur eine oberflächliche Sicht von Wert. Doch müssen „Geld“, „Kapital“ und „Vermögen“ auseinander gehalten werden. Engelhorn gelingt dies nicht, sie verfällt einem Zitat des oberflächlichen Amerikaners Daniel Graeber, Kapitalismus verwende Geld dafür, mehr Geld zu bekommen. Da war ihr Karl Marx 150 Jahre voraus, denn er kritisierte eine solche Sicht als „Geldschleier“ vor den Augen, und der Titel seines Hauptwerkes ging zur Sache: „Das Kapital“!

Vermögen bildet sich aus gesparten Löhnen, Gewinnen. Damit wird auch klar, dass Vermögen für die große Mehrheit aus dem Wirtschaftsprozess und mit Anlagekapital gebildet werden kann und soll, nicht über den Steuerstaat.

Sodann schweift sie von der Buchgeldschöpfung der Banken zur seltsamen Definition über, der Kapitalismus sei „ein System aus Schulden“. Seltsam. Denn Geld ist bloßes Transaktionsmittel, das Schmiermittel der Volkswirtschaft. Und bloßes Geld kann nicht Junge machen, Kapital hingegen steckt in realen Anlagen, mit denen neue Werte und damit Wohlstand erarbeitet werden.

Vermögen schließlich bildet sich aus gesparten Löhnen, Gewinnen. Damit wird auch klar, dass Vermögen für die große Mehrheit aus dem Wirtschaftsprozess und mit Anlagekapital gebildet werden kann und soll, nicht über den Steuerstaat. In den USA hat die Stiftung ESOP (Employee Stock Ownership Program) Tausenden von Belegschaften mit Beratung, Krediten geholfen, die eigene Firma zu übernehmen. 14 Millionen Beschäftigte sind allein dadurch Miteigentümer geworden (jeder neunte der 126 Millionen US-Privatarbeitenden!). Gerade im Erbfall und als Nachfolgelösungen sind dies kreative, gescheitere Verwendungen von Kapital, wenn Vermögen gestreut werden sollen.

Und dass man sich um die vielen kümmert, die Vermögen bekommen sollen, anstatt an den wenigen großen Erben herumzunörgeln, dürfte auch zielführender sein. Denn ein weiterer Trugschluss, vom Stammtisch bis zu Engelhorn, meint, was der Reiche, der Erbe besitze, sei anderen eins-zu-eins abgegangen. Doch der volkswirtschaftliche Kreislauf ist dynamisch, alle können sich mit wertschaffenden Instrumenten, mit Aktien, Anteilen, in Genossenschaften, Partnerschaften einklinken, und die Wertschöpfung, der Gesamtreichtum können dadurch größer sein. Jedenfalls wird der nationale Reichtum durch den Staat als Erben nicht größer.

Ein Satz im Buch Marlene Engelhorns geht von rechtem Grundsatz zu linker Parole über. Diese besagt, „dass mein freier Umgang mit meinem Vermögen automatisch politische Arbeit ist“. Der Liberale freut sich über diesen wohl unbeabsichtigten Anspruch auf die volle private Vermögensverfügung. Der BASF-Arbeiter wird sich aber wundern, was denn nun alles automatisch Arbeit sei.

Der Autor diskutierte mit Marlene Engelhorn Im „Kaufleuten“ Zürich am 9. Januar 2023 auf der Podiumsveranstaltung „Geld, Geiz, Gerechtigkeit. Warum sind die einen arm und die anderen reich?“.

Die beiden Diskutanten schrieben:

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