
Ohne Sparen geht es nicht mehr. Das ist die bittere Einsicht der letzten Monate. Sie führte in Deutschland zum Ende der Ampelregierung und zu Neuwahlen und sie beherrscht in Österreich die Regierungsbildung. Auch die Franzosen können ein Lied davon singen, ihr (gegenwärtiger) Premierminister befindet sich wegen der noch größeren Staatverschuldung und dem weit größeren Budgetdefizit in Geiselhaft wechselnder Mehrheiten, die nur eines verbindet: nicht Sparen wollen. Neben vielen anderen erleben den Druck der Überschuldung auch die Italiener, die sich darüber allerdings keine größeren Sorgen zu machen scheinen. Immerhin haben sie eine recht stabile Regierung.
Was heißt Sparen?
Nicht ganz im Klaren ist man sich allerdings darüber, was mit „Sparen“ eigentlich gemeint ist. Heißt es, auf bestimmte Ausgaben verzichten und das nicht ausgegebene Geld auf die Seite legen, wie wir das alle – aus ganz verschiedenen Gründen – immer wieder tun (oder tun sollten)? Oder heißt sparen einfach weniger ausgeben, weniger verbrauchen, haushälterisch mit den eigenen Mitteln umgehen (so wie die vielzitierte schwäbische Hausfrau)?
Politisch geschaffene systemische Zwänge – man denke an das Pensionssystem – und externe Faktoren treiben die Politik dazu, immer mehr auszugeben. Die Statistiken sprechen eine eindeutige Sprache.
In unserem Fall funktioniert beides nicht. Der Staat wird nichts „Erspartes“ auf die Seite legen können. Könnte er es, würde er es nicht wollen, denn der politische Druck, immer mehr staatlichen Wohltaten zu verteilen, ist zu groß. Geld, das der Staat einmal hat, wird verteilt bzw. ausgegeben. Aus dem gleichen Grund wird er auch nicht haushälterisch mit seinen Mitteln umgehen, also weniger ausgeben, weniger verbrauchen. Denn politisch geschaffene systemische Zwänge – man denke an das Pensionssystem – und externe Faktoren treiben die Politik dazu, immer mehr auszugeben. Die Statistiken sprechen da eine eindeutige Sprache.
Wie der Wiener Think Tank Agenda Austria berechnet hat, werde man durch die nun geplanten Einsparungen das EU-Defizitverfahren gegen Österreich wohl erst einmal abwenden können. Doch kann das allein nichts daran ändern, dass die Verschuldung und auch das Budget-Defizit stetig weiter ansteigen werden. Mit den geplanten Einsparungen lässt sich die Tendenz zur stetigen Ausweitung der Staatsausgaben also nicht eindämmen.
Das Gesetz der wachsenden Staatsausgaben
Ein stetiges, im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt überproportionales Anwachsen der Staatsausgaben wurde 1890 von dem Ökonomen Adolph Wagner diagnostiziert, einem sogenannten Kathedersozialisten – so wurden die sozialpolitisch bewegten Vertreter der „Historischen Schule der Nationalökonomie“ genannt. Wagner kritisierte diesen Prozess der wachsenden Staatsausgaben keineswegs, sondern feierte ihn geradezu als unausweichliches Gesetz des modernen Staates und des mit ihm einhergehenden wirtschaftlichen und kulturellen Fortschritts. Die Kathedersozialisten, allen voran Gustav Schmoller, plädierten dafür, durch staatliche Eingriffe wie Umverteilung und Sozialversicherungssysteme von oben, durch staatlichen Interventionismus also, zu erreichen, was die Sozialisten und damaligen Sozialdemokraten, die sich zum Marxismus bekannten, durch die revolutionäre Abschaffung des Kapitalismus anstrebten. Sie nannten das „Sozialpolitik“.
Die Kathedersozialisten anerkannten zwar das Fortschritts- und Produktivitätssteigerungspotential des modernen Kapitalismus, waren aber der Meinung, damit seine Früchte auch den breiten Arbeitermassen zukämen, müsse der Staat sozialpolitisch eingreifen. Sozialpolitisch begründet wurde von ihnen auch die Schutzzollpolitik und die staatliche Errichtung bzw. der rechtliche Schutz von Kartellen und Staatmonopolen (Kartelle seien Deutschlands Stolz, verkündete Schmoller). Was im Deutschen Kaiserreich begonnen hatte, wurde in der Weimarer Republik weitergetrieben.
Auch heute wollen Politiker „gestalten“, sie wollen ihren Wählern Erfolge zeigen und Wohltaten erweisen. In einer Demokratie gilt es, Wahlen zu gewinnen. Politiker verfolgen – wie alle Menschen – ihre Interessen.
In einem gewissen Sinne war natürlich das „Wagnersche Gesetz“ geradezu prophetisch. Es wollte allerdings nichts prophezeien, auch keine Prognose anbieten, sondern eben eine unabänderliche Gesetzmäßigkeit feststellen. Es handelt sich dabei aber nicht um eine Gesetzmäßigkeit ökonomischer, sondern politischer Art. Das wiederum war typisch für die Historische Schule, der Wagner entstammte; denn so etwas wie „ökonomische Gesetze“ wurde von ihr nicht anerkannt. Wohl aber hatten die Kathedersozialisten in ihrer Staatsgläubigkeit ein feines Gespür für die Gesetzmäßigkeiten der Politik.
Auch heute wollen Politiker „gestalten“, sie wollen ihren Wählern Erfolge zeigen und Wohltaten erweisen. In einer Demokratie gilt es, Wahlen zu gewinnen. Politiker verfolgen – wie alle Menschen – ihre Interessen, das hat uns die Public Choice Schule gelehrt. Ein Politiker, der der Meinung ist, man müsse eine ökonomische Krise einfach aussitzen und die Marktkräfte spielen lassen – wenn auch gleichzeitig die sozialen Härten marktwirtschaftlicher Anpassungsprozesse durch staatliche Maßnahmen abfedern, nicht aber verhindern –, begeht politischen Selbstmord, verliert sein Mandat, seinen Status, seine Privilegien und oft auch das Einkommen, mit dem er sich und seine Familie ernährt. Das ökonomisch Richtige zu tun, kann deshalb oft gar nicht in seinem Interesse liegen. Das ist menschlich, es ist nicht unbedingt „böse“. Auch die Ansprüche der Bürger wachsen mit zunehmendem Wohlstand. Das Problem des stets wachsenden Staates ist auch ein Problem einer Demokratie mit ökonomisch unaufgeklärten Wählern und von ihren Einkünften und Apanagen existentiell abhängigen Politikern.
Mantra „Soziale Marktwirtschaft“
Die Menschen generell, insbesondere jedoch Wirtschaftsvertreter und Unternehmer, erwarten von der Politik, dass sie „Krisen“, die allerdings oft äußerst heilsame Anpassungsprozesse sind, verhindert, „glättet“ und, falls der Wirtschaftsmotor stottert, diesen wieder „ankurbelt“, dass dafür von den Zentralbanken neues Geld geschaffen wird und die Zinsen künstlich niedrig gehalten werden, so dass möglichst niemand zu spüren bekommt, dass eigentlich alles gerade schief läuft. In Wirklichkeit wären schmerzhafte Kuren angebracht. Doch welcher Politiker, welche politische Partei würde für so etwas einstehen wollen? Deshalb lieben sie es, sich zur Sozialen Marktwirtschaft zu bekennen, im deutschen Sprachraum das Mantra des sich als anständig, weil sozial, betrachtenden Politikers.
Was hat es mit dem Zauberwort „Soziale Marktwirtschaft“ auf sich? Ein Blick in seine Entstehung vermag Aufklärung zu bieten.
Auf dem Hintergrund der Erfahrungen der nach 1929 einsetzenden Weltwirtschaftskrise, die man einem angeblich ungebändigten Kapitalismus in die Schuhe schob, entwarfen liberal, aber auch sozial denkende Ökonomen bereits während des Zweiten Weltkrieges, vor allem aber nach 1945, ein neues, damals als „neoliberal“ – im Sinne von reformliberal – verstandenes Konzept der Marktwirtschaft: die „Soziale Marktwirtschaft“. Sozial sollte sie sein, weil man behauptete, die Kräfte des freien Marktes, sind sie nicht vom Staat geordnet, gezügelt und gelenkt, würden automatisch zur Kartellbildung und Monopolisierung führen – eine ursprünglich marxistische These – und damit Marktwirtschaft und Wohlstand zerstören.
Mit der von Müller-Armack als „sozial“ verkauften „gelenkten Marktwirtschaft“ traten nun plötzlich Staat und Politik als Gestalter von Markt und Wettbewerb auf.
Deshalb sollte die „Soziale Marktwirtschaft“, wie der führende Begründer des Konzepts und Erfinder seines Namens, Alfred Müller-Armack, 1946 schrieb, eine „bewusst gesteuerte, und zwar sozial gesteuerte Marktwirtschaft sein“. Zunächst wollte der spätere Weggenosse Ludwig Erhards sein Konzept „gelenkte Marktwirtschaft“ nennen, doch sozusagen in letzter Minute vor Drucklegung seines Buches „Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft“ (1946) habe er, wie berichtet wird, „gelenkt“ mit einem große geschriebenen „Sozial“ ersetzt – eine strategische Meisterleistung des vor 1945 im Dienste der NS-Regierung stehenden und damals deren Vollbeschäftigungspolitik unterstützenden ehemaligen NSDAP-Mitglieds.
Mit der von Müller-Armack als „sozial“ verkauften „gelenkten Marktwirtschaft“ traten nun plötzlich Staat und Politik als Gestalter von Markt und Wettbewerb auf. Wie die späteren Verfechter des Konzepts, insbesondere die Ordoliberalen der Freiburger Schule – ihr Begründer war der den Nazis gegenüber stets ablehnende Walter Eucken – meinten, brauche es, um die Marktwirtschaft vor ihrer Degeneration zu bewahren, einen starken Staat. Nicht einen großen, sondern einen starken Staat, der entgegen dem Druck der Einzelinteressen und der Masse eine Wettbewerbsordnung und präventive Anti-Monopolpolitik durchzusetzen weiß, die erst sicherstellt, dass sich die Marktkräfte zum allgemeinen Wohl entfalten.
Unglückliche Liaison von Ordoliberalismus und Sozialer Marktwirtschaft
Die Idee war bahnbrechend und zumindest in der Theorie durchaus einleuchtend: Der starke, über den Gruppeninteressen und Einflüssen der Lobbyisten stehende Staat, sollte ein glasklares, intellektuell allerdings anspruchsvolles wettbewerbspolitisches Konzept durchsetzen und zum „Hüter des Wettbewerbs“ werden. Zudem sollte er ein Staat sein, der nur solche sozialpolitische Steuerungselemente einsetzt, die „marktkonform“ sind, also die Mechanismen des Marktes nicht ersetzen oder in diese eingreifen, sondern nur deren Rahmenbedingungen ändern, ansonsten aber die Marktkräfte frei spielen lassen. Er sollte also ein Staat sein, der von ökonomischer Fachkompetenz und Freiheitsliebe nur so strotzt, gleichzeitig aber für „sozialen Ausgleich“ sorgt.
So vernünftig und im Grundprinzip zustimmungsfähig das ordnungspolitische Konzept der Freiburger war, so verhängnisvoll wurde seine Verbindung mit jenem der „Sozialen Marktwirtschaft“ Müller-Armacks.
Doch war von Anfang an unklar, welches denn die Kriterien und Ziel dieses „sozialen Ausgleichs“ sind: Materielle Gleichheit? Chancengleichheit im Sinne der Gleichheit der sozio-ökonomischen Ausgangspositionen? Der ideologische Streit darüber zwischen den Parteien und in ihnen sollte nur allzu bald entbrennen. So vernünftig und im Grundprinzip zustimmungsfähig das ordnungspolitische Konzept der Freiburger war, so verhängnisvoll wurde seine Verbindung mit jenem der „Sozialen Marktwirtschaft“ Müller-Armacks.
Denn es scheint klar: Bei der „Sozialen Marktwirtschaft“ zählen nicht, die Ergebnisse wettbewerblicher Marktprozesse, sondern Vorstellungen über eine gerechte Gesellschaft, die die Politik eben „sozial ausgleichend“ zu verwirklichen hat. War diese Idee einmal in den Köpfen, so wurde sie zum Fass ohne Boden. Der Staat entwickelte sich zur Großveranstaltung eines „sozialen Ausgleichs“ und schließlich zu einer Organisation sozialer Absicherung aller Lebensrisiken bis hin zur staatlich – aus Steuergeldern – subventionierten freiwilligen Arbeitslosigkeit („Bürgergeld“). Sozialleistungen aller Art und für immer wieder neue Anspruchsgruppen, die zugleich auch die erhofften Wähler von den sie umsorgenden Politikern sind, verschlingen dabei so viel Geld, dass für die eigentlichen, unverzichtbaren Staatsaufgaben nichts mehr übrig bleibt: Wir können uns nicht mehr verteidigen, die innere Sicherheit ist vielerorts gefährdet, die Infrastruktur bröckelt, das (staatliche) Bildungssystem gerät in bedrohliche Schieflage, und anderes mehr.
Inkonsistente Begründung der „Sozialen Marktwirtschaft“
Das Problem, das der Entwicklung der Sozialen Marktwirtschaft zur Großveranstaltung des „sozialen Ausgleichs“ zugrunde lag, war von Anfang an das Narrativ, das ihr zugrunde lag, eine Geschichte, die man bis heute erzählt: Nicht der Staat, sondern der freie Markt sei eigentlich das Problem. Das Erstaunliche daran ist, dass nicht nur Müller-Armack, sondern just auch die Neo- und Ordoliberalen der ersten Stunde sich in dieser Hinsicht in eklatante Widersprüche verfingen.
Es waren die Widersprüche und Inkonsistenzen jener, die die Notwendigkeit einer „Sozialen Marktwirtschaft“ mit den von ihnen gebetsmühlenartig vorgetragenen Schuldzuweisungen an den früheren Wirtschaftsliberalismus rechtfertigten, weil sie die Meinung vertraten, liberales „Laissez faire“ hätte zu den schädlichen, den Wettbewerb zersetzenden Monopolen und Kartellen und zu immer neuen, auch sozial verheerenden Wirtschaftskrisen geführt.
Erstaunlicherweise behaupteten dieselben Autoren jedoch, im Widerspruch mit sich selbst, auch just das Gegenteil. So beispielsweise Müller-Armack in seinem Buch „Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft“ von 1946: „Es wurde von der wissenschaftlichen Forschung nachgewiesen, dass die Hauptursachen für das Versagen der liberalen Marktwirtschaft gar nicht so sehr in ihr selbst liegen, als in einer Verzerrung, der sie durch den von außen kommenden Interventionismus seit dem Ende des vergangenen Jahrhunderts zunehmend unterlag.“
Ebenso Alexander Rüstow, ein anderer prominenter „Neoliberaler“ der ersten Stunde in einer mit dem Titel „Das Versagen des Wirtschaftsliberalismus“ betitelten Schrift von 1945: Es sei offensichtlich, schrieb er, dass „die letzte und entscheidende Entartung der Marktwirtschaft direkt und indirekt durch gehäufte subventionistische, protektionistische und monopolfördernde Maßnahme des Staates herbeigeführt worden war, d.h. aber durch einen flagranten Verstoß gegen die Grundmaxime des Liberalismus: Laisser-Faire, Laissez Passer […]. Die entscheidende und katastrophale Selbstruinierung der kapitalistischen Wirtschaft ist nicht in Ausführung des liberalen Wirtschaftsprogramms, sondern in flagranter Zuwiderhandlung gegen die Grundvorschrift dieses Programms zustande gekommen“.
Heute sind die Ordoliberalen – zu Recht und verdienstvollerweise – die größten Kritiker des interventionistischen Staates bzw. der real existierenden „Sozialen Marktwirtschaft“, ohne allerdings von ihren unrealistischen, ja irrealen theoretischen Grundpositionen abzuweichen.
Man muss sich solche – durchaus richtigen – Aussagen zuerst einmal auf der Zunge zergehen lassen und sich dabei über die Inkonsistenz ihrer Verfechter wundern. Doch ganz abgesehen davon: Wie ist es möglich, dass der interventionistische Staat der Vergangenheit nun plötzlich zum „Hüter des Wettbewerbs“ werden soll? Es ist klar, dass die Ordoliberalen mit der Zeit auf der ganzen Linie verlieren mussten. Denn ihr schlanker, aber starker Staat, ist in einer Parteiendemokratie schlicht eine Illusion.
Heute sind die Ordoliberalen – zu Recht und verdienstvollerweise – die größten Kritiker des interventionistischen Staates bzw. der real existierenden „Sozialen Marktwirtschaft“, ohne allerdings von ihren unrealistischen, ja irrealen theoretischen Grundpositionen abzuweichen und ohne das Mantra von der „Sozialen Marktwirtschaft“ als das zu entlarven, was es ist: eine Selbsttäuschung der Wirtschaftsliberalen.
Erhard: Das Soziale an der Marktwirtschaft ist der Wettbewerb
Ludwig Erhard, der nicht der ordoliberalen Schule entstammte, sondern ein Schüler Franz Oppenheimers war, ist dieser Täuschung nie verfallen. Auch er war überzeugt, dass es eine gegen Monopole und Kartelle gerichtete Politik brauche. Abgesehen davon jedoch, seien, gerade was die Verteilungsergebnisse betrifft, die Ergebnisse des Marktes zu akzeptieren. Erhard schrieb „soziale Marktwirtschaft“ mit kleinem s und rechtfertigte das Adjektiv sozial mit der Aussage: Das Soziale an der sozialen Marktwirtschaft sei gerade der Wettbewerb, der dazu führe, das jeder das erhält, was seinen Talenten und seiner Leistung entspricht. „Sozial“ sei eine Marktwirtschaft, so Erhard 1957, wenn sie den „wirtschaftlichen Fortschritt, die höhere Leistungsergiebigkeit und die steigende Produktivität dem Verbraucher schlechthin zugutekommen lässt“.
Nur was den Wettbewerb verzerrt und deshalb dem Konsumenten schadet, sei zu beseitigen – Monopole und vor allem Kartelle. Natürlich beginnen bereits hier, auch bei Erhard, die Probleme: Denn was eigentlich stört den Wettbewerb wirklich? Ja mehr noch: Wann herrscht Wettbewerb, und wann nicht? Wann ist ein Monopol, ein Kartell wettbewerbsschädlich? Und: Ist es nicht der Markt, der Wettbewerb selbst, der am Ende Monopole und Kartelle von allein zerstört?
Innovative Monopolisten, sofern sie das aus eigener wirtschaftlicher Leistung sind, sind, wie die Wirtschaftsgeschichte zeigt, enorm wohlstandsfördernd.
Bereits Franz Oppenheimer, von dem Erhard die Aversion gegen Monopole und Kartelle übernahm, war der Meinung, diese würden sich in einer echten Marktwirtschaft von selbst erledigen, und zwar aufgrund der – immer bestehenden – bloßen Möglichkeit von Wettbewerb. Früher oder später würden Monopole fallen, weil Konkurrenten mit besseren Produkten auf den Markt kommen. Der wirkliche Feind des Monopols ist, so erkannte er, die Innovation – es sei denn diese Innovation werde von ihm selbst geschaffen, also gerade durch Monopolgewinne und deren Investierung in Forschung und Entwicklung sowie die sich daraus ergebende Marktmacht ermöglicht. Dann kann man nur sagen: Umso besser! Innovative Monopolisten, sofern sie das aus eigener wirtschaftlicher Leistung sind, sind, wie die Wirtschaftsgeschichte zeigt, enorm wohlstandsfördernd.
Nicht Marktmacht ist es also, was den Wettbewerb zerstört, sondern der staatliche Interventionismus, der durch Regulierungen, Privilegien, Subventionen Markteintrittsbarrieren und Schutzzölle erst ökonomisch ungerechtfertigte Marktmacht schafft, politisch zementiert und damit mehr Wohlstand verhindert oder den bestehenden vermindert.
Oppenheimers Betrachtungsweise war dynamisch, er sah die Wirtschaft als einen Prozess. In dieser Hinsicht stand er der Österreichischen Schule und auch Joseph Schumpeter nahe. Der Ordoliberalismus hingegen ist – wie der Mainstream der Neoklassik generell – die Theorie einer Wirtschaft ohne Dynamik – einer Wirtschaft im Gleichgewicht – und deshalb ohne Innovation. Diese ist eine Wirtschaft der „vollständigen Konkurrenz“, in der kein Unternehmen führend ist oder Einfluss auf die Preisbildung nehmen kann – also niemand „Marktmacht“ besitzt. Es ist die Theorie einer im Gleichgewicht ruhenden, statischen und durch keine Innovatoren und Marktführer gestörten Welt. Auch wenn Erhard kein Ordoliberaler war, so war er doch durch diese Idee der „vollständigen Konkurrenz“ als normative Leitidee beeinflusst und argumentierte auf ihrer Grundlage (obwohl er sich, hierin natürlich ebenfalls inkonsistent, aber – im Unterschied zu Eucken – weise, weigerte, die marktmächtigen deutschen Großkonzerne aufzulösen und nur noch kleine Unternehmen zuzulassen).
Die angebliche Idealwelt des staatlich veranstalteten Wettbewerbs
In dieser Welt der vollständigen Konkurrenz – die Idealwelt von Walter Eucken und der Ordoliberalen – gibt es allerdings typischerweise „Marktversagen“, gleichsam Schönheitsfehler, die dem Idealbild der Theoriewelt nicht entsprechen, weil sie das ideale Gleichgewicht stören und damit, gemäß der Theorie, für die Konsumenten schädlich sind. Beispiele für solches „Marktversagen“ sind etwa Monopolgewinne oder Informationsasymmetrie (das Problem externer Kosten sind ein anderes Thema, das gesondert zu betrachten wäre).
Sogenanntes Marktversagen soll, so verlangt es die Theorie, durch staatliche Maßnahmen kuriert bzw. ausgeglichen werden. Hier wird übersehen, dass in einer freien und deshalb wettbewerblichen Marktwirtschaft es gerade die Funktion des innovativen Unternehmers ist, in solchen, fälschlich als Versagen des Marktes bezeichneten Ungleichgewichten Gewinnchancen und profitable Geschäftsmodelle zu entdecken, deren Realisierung zu Innovationen führt, die ohne die vorherigen Ungleichgewichte oder infolge ihrer „Berichtigung“ durch staatliche Eingriffe so nicht zustande kommen könnten.
Gerade der freie Markt ist es, der das „Marktversagen“, das ja in Wirklichkeit gar kein Versagen ist, kuriert, also auf immer wieder neue Gleichgewichte hin steuert, ohne je im Gleichgewicht zu verbleiben. Wird der Markt nicht durch wettbewerbsfeindliche Eingriffe behindert, ist er intrinsisch wettbewerblich.
Genau aus diesem Grund kann der Wettbewerb nicht, wie es der Ordoliberalismus will, eine staatliche Veranstaltung sein, auch nicht auf der Ebene des Ordnungsrahmens auf dessen Grundlage Verzerrungen des Wettbewerbs durch vermeintlich allzu marktmächtige Akteure verhindert oder unterbunden wird. Vielmehr ist der Wettbewerb ein unternehmerisches „Entdeckungsverfahren“ (F.A. Hayek), das nicht den Staat als „Hüter des Wettbewerbs“, wohl aber die Durchsetzung für alle geltender Regeln und ansonsten ein Höchstmaß an unternehmerischer Freiheit benötigt. Gerade der freie Markt ist es, der das „Marktversagen“, das ja in Wirklichkeit gar kein Versagen ist, kuriert, also auf immer wieder neue Gleichgewichte hin steuert, ohne je im Gleichgewicht zu verbleiben. Wird der Markt nicht durch wettbewerbsfeindliche Eingriffe behindert, ist er intrinsisch wettbewerblich. Der staatliche Interventionismus in die Marktkräfte ist es, der Innovation und damit auch die immer wieder neuen wettbewerblichen Angriffe auf Monopole und Kartelle durch den Markt selbst verhindert. Was alles dieser unter dem Mantel von Wettbewerbs-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik fortschreitende Interventionismus verhindert und in welchem Ausmaß er das tut, können wir nie wissen, weil die Innovation, an der sich das messen ließe, ja nicht geschieht.
So ist schwer zu sagen, wie groß der Schaden ist, den die genannte, generell in den Universitäten gelehrte Theorie – die neoklassische Theorie des Marktversagens – und gewisse Theoreme der Wohlfahrtsökonomik in Wirklichkeit anrichten. Nicht nur, weil sie zu wirtschaftlich suboptimalen Ergebnissen führt – optimal sind sie nur in den bekannten Diagrammen der ökonomischen Lehrbücher mit ihren schraffierten Flächen zwischen den Kurven –, sondern vor allem, weil sie ein Einfallstor für den Staat und die Politik sind, für Politiker, die „gestalten“ wollen, die sich zu profilieren suchen, um Wahlen gewinnen zu können, deshalb immer mehr ausgeben und den Staat zu einem Bürokratiemonster werden lassen, das Unternehmertum und Innovation behindert. Dieser Staat schafft immer weniger Wachstum, verursacht aber immer mehr Kosten, auch und gerade durch Sozialpolitik. So funktioniert in Wirklichkeit das Gesetz der wachsenden Staatsausgaben, das eben kein ökonomisches Gesetz, sondern ein Gesetz der Politik und der Bürokratie ist.
Inklusive Natur der Marktwirtschaft – wenn man sie den lässt
Erhard saht eine solche Entwicklung kommen und warnte früh vor der Entstehung des „sozialen Untertans“ durch eine umverteilende Sozialpolitik, dem „übermächtigen Ruf nach kollektiver Sicherheit“ und damit verbundener „Flucht vor der Eigenverantwortung“, die zu einer gesellschaftlichen Ordnung führt, „in der jeder die Hand in der Tasche des anderen hat“. Er sah auch, dass das den Staat auch finanziell überfordern würde. Deshalb war er auch gegen die Einführung eines umlagefinanzierten Pensionssystems, er plädierte für ein kapitalgestütztes, also auf Sparen beruhendes Modell (Sparen heißt hier Kapitalbildung und damit auch Investitionen). Doch Bundeskanzler Konrad Adenauer meinte damals bekanntlich, Kinder würden die Leute immer haben. Heute wissen wir, wie sehr er Unrecht hatte.
Die Weichen wurden also früh gestellt und sie wurden auf theoretischer Ebene letztlich von Leuten wie Müller-Armack gestellt, die zwar viel über Ökonomie wussten, das Wesen und die Wirkweise der Marktwirtschaft und des Preissystems letztlich aber nicht wirklich verstanden, womit ihnen – dies im Unterschied zu Eucken und Ehrhard – auch die intrinsisch soziale Dimension der Marktwirtschaft und damit ihre „Moral“ verborgen blieben. Müller-Armack verglich in seinem Buch von 1946 die Marktwirtschaft mit einer „Maschine“, die man nicht sich selbst überlassen könne, sondern der Lenkung und Steuerung bedürfe; nur durch ein „vernünftiges Spiel von Schaltung und Sicherung“ könne man in einer Marktwirtschaft zu einem „vernünftigen Ergebnis kommen“ – gemeint war ein sozial verträgliches und damit moralisch akzeptables Ergebnis.
Wie gesagt, war Müller-Armacks Konzept einer „Sozialen Marktwirtschaft“ in Wahrheit das einer „gelenkten Marktwirtschaft“ mit der Absicht des sogenannten sozialen Ausgleichs. Diese Idee des „sozialen Ausgleichs“ als Korrektur der Ergebnisse des freien Marktes stammt nicht von Eucken oder Ehrhard, sondern allein von Müller-Armack. Sie wurde zum Einfallstor für die Verformung der „Sozialen Marktwirtschaft“ zum überbordenden, leistungsfeindlichen und finanziell untragbaren Wohlfahrtsstaat.
.Die „Soziale Marktwirtschaft“ wurde – den Intentionen Erhards entgegen – in den Händen der Politik zunehmend „sozialdemokratisiert“, woran später in Deutschland auch die CDU und die CSU, in Österreich die Christlichsozialen in der ÖVP kräftig mitbeteiligt waren.
Auch andere Vertreter von Müller-Armacks Konzept verstanden nicht, dass der Marktwirtschaft bereits in sich eine durchaus inklusive Dynamik der Wohlstandsschaffung eignet, also für alle sozialen Schichten den Wohlstand, aber auch die persönlichen Voraussetzungen für die Wahrnehmung von Chancen und Aufstieg ermöglicht. Die „Soziale Marktwirtschaft“ wurde – den Intentionen Erhards entgegen – in den Händen der Politik zunehmend „sozialdemokratisiert“, woran später in Deutschland auch die CDU und die CSU, in Österreich die Christlichsozialen in der ÖVP kräftig mitbeteiligt waren.
Damit wurde sie einer staatlichen Veranstaltung der Korrektur einer Marktwirtschaft, der man nicht zutraute, sozialverträgliche Ergebnisse hervorzubringen. In dieser Sozialen Marktwirtschaft lebte es sich an sich gut, sie war wirtschaftlich und sozial erfolgreich und inklusiv. Folge der sich daraus entwickelnden Sozialstaates ist jedoch, dass die Staaten überschuldet sind, für ihre Kernaufgaben keine Mittel mehr haben und mit ihrer Wirtschaftspolitik Wachstum verhindern. Kurz: Die Soziale Marktwirtschaft ist nicht nachhaltig, denn sie nagt an ihren eigenen ökonomischen Fundamenten.
„Sparen“ genügt nicht, wir brauchen ein neues Verständnis von Politik
Wirtschafts- und Sozialpolitik wurden im Laufe der Jahrzehnte zum Tummelfeld ehrgeiziger und auf kurzfristige Wahlerfolge ausgerichteter Politiker, die in ihrem Leben zumeist nichts anderes gelernt hatten, als eben Politik zu machen – heute ist das zunehmend so: Ein abgeschlossenes Studium, eine Berufslehre oder berufliche Erfahrung sind nicht nötig, um in die Politik einzusteigen und dort Karriere zu machen. Ja, um Regierungsverantwortung zu übernehmen, genügt es, sich in einer Partei hochgearbeitet zu haben, entsprechend gut vernetzt zu sein und ideologisch richtig zu ticken. Das war nicht immer so und ist auch heute gottseidank noch nicht überall der Fall.
Fazit: Was wir brauchen, sind nicht Budgetanpassungen, Kürzungen und Einsparungen hier und dort, sondern ein fundamentales Umdenken, ein Umdenken auch darüber, was eigentlich die Aufgabe von „Politik“ ist . Dazu bedarf es der Einsicht in die segensreiche Wirkung einer freien, rechtlich geordneten unternehmerischen und kapitalistischen Marktwirtschaft und ein konsequentes Zurechtstutzen des Sozialstaates im Dienste jener, die sich selbst nicht helfen können.
Geschärft werden sollte gleichzeitig das öffentliche Bewusstsein der Gefährlichkeit von Politikern, die mit Hilfe der staatlichen Zwangsgewalt ihre oft rein ideologischen Agenden vorantreiben, damit aber, weil sie die wirtschaftlichen Sachzwänge nicht beachten oder schlicht ökonomisch inkompetent sind, zwar viel versprechen, danach aber ein Trümmerfeld des Scheiterns hinterlassen – woran dann natürlich Marktwirtschaft, Kapitalismus und „Neoliberalismus“ schuld sind, so dass am Ende erneut die Politik als Retterin in der Not um Hilfe gerufen wird. Haben wir deshalb Mut – und Demut – zu weniger Politik und mehr Freiheit!
Dieser Artikel ist zunächst unter dem gleichen Titel in zwei Teilen am 20. und am 21. Februar 2025 im österreichischen online Wirtschaftsmedium „Selektiv“ erschienen.
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