Mit Wählertäuschung schaltet Deutschland auf Schuldenturbo

Nur noch „eine letzte Patrone“ habe Deutschland, um die Demokratie vor einer rechtsextremen Machtübernahme zu schützen. Mit nicht weniger als dem Showdown aus dem Wilden Westen beschwor Markus Söder unmittelbar nach der Wahl zum Bundestag die Kurskorrekturen von CDU/CSU nach stramm links. Plötzlich galt dem bayerischen Ministerpräsidenten ein bislang verpöntes schwarz-rotes Regierungsbündnis als einziger Garant für einen „grundlegenden Richtungswechsel, damit das Land nicht weiter nach rechts außen schlingert“

Nicht der angekündigte Kassensturz steht nun am Anfang einer neuen Regierung, sondern das Füllhorn. Die Schuldenbremse, die das schwarze Duo im Wahlkampf eisern verteidigt hatte, wird zum Schuldenturbo umfunktioniert.

Doch diese letzte Patrone hat sich leider als Querschläger entpuppt: Niedergestreckt wurde auch die Glaubwürdigkeit von CDU und CSU. Söder und Kanzlerkandidat Friedrich Merz vollzogen so hurtig 180-Grad-Wenden, dass zwischen Ostsee und Zugspitze ein politisches Schwindeltrauma als neue Volkskrankheit diagnostiziert werden könnte. Nicht der angekündigte Kassensturz steht nun am Anfang einer neuen Regierung, sondern das Füllhorn. Die Schuldenbremse, die das schwarze Duo im Wahlkampf eisern verteidigt hatte, wird zum Schuldenturbo umfunktioniert. „Sondervermögen“ von bis zu 1500 Milliarden Euro werden in den nächsten zehn Jahren über Kreditermächtigungen aus dem Nichts geschaffen.

Die rot-grüne Linke wird weiterhin die Politik der CDU diktieren

Selbst die Schuldenbremsen von zwölf Bundesländern werden mit einem Federstrich ausgehebelt – sogar die per Volksabstimmung beschlossenen wie in Hessen und Bayern. Damit werden alle finanzpolitischen Grundsätze der Solidität, mit der sich die Union von den „linken Schuldenmachern“ abgrenzte, im Hauruck-Verfahren über den Haufen geworfen. Not kennt kein Gebot, sagen sie zur Rechtfertigung. Gerade so, als habe sich US-Präsident Trump urplötzlich von Europa abgewandt und seien Brücken und Schulen von heute auf morgen vom Verfall bedroht. Auch Russlands Vernichtungskrieg gegen die Ukraine geht bereits ins dritte Jahr.

Wider besseres Wissen haben Merz und Söder im Wahlkampf so getan, als ließen sich die gewaltigen Investitionen in Verteidigung und Infrastruktur ohne neue Schulden und höhere Steuern finanzieren. Ein paar Einschnitte beim Bürgergeld und eine deutliche Begrenzung der (irregulären) Migration würden schon reichen. Der Rest würde durch den Aufschwung bezahlt, den das konservative Reformpaket initiieren werde. Dass dies allein schon deshalb Luftbuchungen sind, weil der einzig realistische Koalitionspartner SPD kaum seine eigene Agenda rückgängig machen wird, prangert nicht nur die politische Konkurrenz an. Doch derlei berechtigte Einwände bügeln Merz und Söder selbstgefällig ab.

Der Bruch von Wahlversprechen hat Tradition

Das hat in der Union Tradition. Helmut Kohl versprach im Wende-Wahlkampf 1990, die Deutsche Einheit ohne Steuererhöhungen bewerkstelligen zu können. Wenig später folgte der Solidaritätszuschlag, der in Teilen bis heute kassiert wird. Angela Merkel billigte 2005 eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um drei statt um zwei Punkte auf 19 Prozent, um ein Bündnis mit der SPD zu ebnen. Jetzt also eine Erhöhung der Schuldenquote von 63,7 auf langfristig über 90 Prozent des Bruttosozialprodukts – entgegen allen anderslautenden Versprechen. Sogar die Klimaneutralität bis 2045 wird in der Verfassung verankert, um sich die Zustimmung der Grünen zur notwendigen Änderung des Grundgesetzes zu erkaufen. Damit legt sich ein Kanzler Merz Fesseln an, die er vor der Wahl nie und nimmer zu tragen bereit war.

Doch bis auf wenige Aufrechte haben die Abgeordneten von CDU und CSU (28,5 Prozent) auch für diesem Kniefall vor den Wahlverlierern SPD (16,4 Prozent) und Grünen (11,6 Prozent) die Hand gehoben. So wie sie 16 Jahre lang Angela Merkel bei ihren falschen Weichenstellungen in der Energie-, Migrations-, Verteidigungs- und Sozialpolitik unterstützt haben, so billigen sie nun die teuren Kehrtwenden von Merz und Söder. Das unterscheidet die deutschen Christdemokraten von der politischen Konkurrenz. SPD, Grüne, FDP, Linke und sogar die AfD sind Programmparteien, die um ihren Kurs hart ringen. Auch in jeweiligen Regierungen kämpfen sie erbittert dafür, möglichst viel davon umzusetzen. Die CDU versteht sich hingegen als Kanzlerpartei. Hauptsache regieren – egal wie und mit wem. Solange die AfD hinter der Brandmauer gefangen bleibt. Nicht der verstorbene Finanzminister Wolfgang Schäuble, der die Partei stets zu einer seriösen Haushaltspolitik ermahnt hat, und den Merz als Vorbild preist, ist ihr Fixstern; sondern Konrad Adenauer, allerdings nur noch auf das Bonmot reduziert: „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?“.

Dabei war Adenauer ein wahrhaft großer Kanzler (1949-1963), der den Deutschen mit der gegen heftige Widerstände verfochtenen Westbindung Wohlstand und Sicherheit ermöglicht hat. Merz hingegen knickt schon bei geringstem Widerstand ein und gibt ohne Gegenleistung grundlegende Positionen preis, um endlich Regierungschef zu werden. Getreu dem Motto: Erst die Person, dann die Partei und dann das Land. Verkündet wird allerdings gerade von CDU-Politikern die gegenteilige Reihenfolge. Aber auch daran glaubt nunmehr niemand mehr. Schon gar nicht, wenn sie behaupten, nicht weniger als das Wohl der künftigen Generationen im Sinn zu haben.

Belastung der künftigen Generationen: Fehlende Debatte

Denn ihnen werden die XXL-Schulden aufgebürdet. Sie werden zu den steigenden Sozialabgaben, die heute schon die bedrohliche 40-Prozent-Marke überschreiten, auch noch ein Vielfaches an Zinsen und Tilgung (derzeit 40 Milliarden Euro) aufbringen müssen. Derweil die wachsende Zahl der Rentner nicht nur vor Einschnitten geschützt wird, sondern mit Pensionssteigerungen über der Inflationsrate und mehr Mütterrente bei Laune gehalten wird. So sichern sich die Seniorenparteien CDU und SPD ihre treuesten Wähler. Doch merkwürdig: Von den Jugendorganisationen kommt kaum Widerspruch. Die Grüne Jugend schweigt und die Jungsozialisten fordern sogar noch mehr Schulden. Einzig aus der Jungen Union kommt verhaltener Protest. Die längst überfällige Debatte über die mangelnde Nachhaltigkeit zu Lasten der nachfolgenden Generation findet in Deutschland nicht statt.

Doch die FDP, die für die Schuldenbremse und Reformen ihre parlamentarische Existenz aufs Spiel gesetzt hat, wird nicht einmal von den künftigen Lastenträgern gewählt. Die votieren stattdessen für Grüne und Linkspartei, die dem paternalistischen Staat huldigen, der im Zweifel mehr nimmt als gibt. Allerdings zeitlich versetzt. Doch um dies zu begreifen, fehlt es den Jungen an ökonomischem Bewusstsein. Dass es nichts umsonst gibt und alles seinen Preis hat, werden sie in ein paar Jahren bitter lernen müssen. Derweil die Boomer, die zunehmend als Beitragszahler ausfallen und stattdessen die Renten- und Sozialkosten in die Höhe treiben, renitent auf mögliche Kürzungen reagieren.

Statt Blankochecks wären Politiker mit Mut gefragt

Um diese Spannungen auszugleichen, bräuchte es mutige Politiker, die auch den bisherigen Wohlstandsgewinnern einen Lastenbeitrag zumuten. Doch ist zu befürchten, dass in den 16 Arbeitsgruppen, die mit jeweils 16 Mitgliedern einen Koalitionsvertrag aushandeln sollen, ein gigantisches Wünsch-Dir-Was-Programm herauskommt. Schließlich wollen die neuen vielen Milliarden unters jeweilige Klientel-Volk gebracht werden. Auch hier agiert Söder besonders dreist, indem er Gastronomen, Bauern und alte Mütter besonders bedient.

Das ist die eigentliche Zeitenwende – für Deutschland und Europa: Schuldenbremsen und Stabilitätspakte waren gestern. Das größte Land, das längst keine Wirtschaftsmacht mehr ist, hat das Tor zur Schuldenpandemie geöffnet. Da ist kein tugendhafter Wolfgang Schäuble mehr, der Pumpstaaten wie Griechenland erfolgreich zu Reformen drängt („Isch over!“). Jetzt herrscht die Merz‘sche Losung: Whatever it takes! Wenn die Erfinder des Stabilitätspaktes die vereinbarten Schuldengrenzen mit Wonne reißen, warum sollen sich dann Länder wie Frankreich, Italien oder Griechenland noch konfliktreiche Reformprogramme auferlegen? Und wie lange werden dann die sparsamen Skandinavier und Balten ihren Kurs noch durchhalten, wenn selbst aus Brüssel das Signal kommt, dass man die Schuldengrenzen dann doch nicht so eng sehen müsse? Auch die neue Dreier-Koalition in Wien wird die Zeichen zu deuten wissen. Mit den Ausgaben für Verteidigung fängt man an – und dann kommt das Klima, die Gesundheit, Bildung etc.

Die „Verteidigungsfähigkeit“, die plötzliche als Blankoscheck für eine Schuldenorgie unkalkulierbaren Ausmaßes herhalten muss, ist ein gutes Beispiel, dass Reformen am Anfang stehen müssten – und dann erst die Geldfrage zu klären ist. So ist in Deutschland bislang nicht zu sehen, dass das „Sondervermögen“ von 100 Milliarden Euro, das noch die abgewählte Ampelkoalition durchgepaukt hat, zu mehr „Kriegstauglichkeit“ der Bundeswehr geführt hätte. Es gibt keinen Wandel im bürokratischen Beschaffungswesen, kein Nein zu amerikanischen F35-Jagdflugzeugen, die nicht nur viel zu teuer sind, sondern die Abhängigkeit von den USA erhöhen, statt zu senken. Stattdessen schraubt sich jedes europäische Nato-Mitglied sein eigenes Militärgerät zusammen, möglichst als Unikat und im Goldstandard. Deutschland hat bald mehr Generäle als einsatzfähige Soldaten. Das Land könnte sich nicht einmal gegen Luxemburg verteidigen, so blank ist die Armee. Nicht einmal die allgemeine Wehrpflicht könnte kurzfristig eingeführt werden, denn dazu fehlen schlicht die Kasernen und sonstige Strukturen. Neue Brücken brauchen Jahrzehnte Planungszeit. Das Gesundheitswesen ist teuer und ineffizient. Bei bald 1000 Milliarden an Steuereinnahmen fehlt es auch nicht am Geld.

Die wahre Gefahr für die Demokratie: Aushebelung der liberal-marktwirtschaftlichen Ordnung

Wuchernde Staatsbürokratie, geringe Innovationskraft und sinkende Wettbewerbsfähigkeit, expansive Sozialkosten: Das sind die Strukturprobleme, die nicht allein mit noch so viel Geld zu beseitigen sind. Im Gegenteil: Die neuen Finanzschwemmen senken den Reformdruck. Und darin besteht die eigentliche Gefahr für die Demokratie. Wenn der Wohlstandstanker Deutschland, dessen Passagiere gerade mit Freibier für alle bei Laune gehalten werden, tatsächlich sinkt, wie der Wettbewerbsökonom Justus Haucamp warnt, dann wenden sich die Wähler von der selbst ernannten „demokratischen Mitte“ ab und den Extremen zur Linken und zur Rechten zu.

Gelingt einem Kanzler Merz – ganz abgesehen von der nun für sein politisches Überleben entscheidenden Migrationswende – die versprochene „umfassende Modernisierung unseres Staates“ nicht, hat selbst CSU-Chef Söder keine Patrone mehr, um die liberal-marktwirtschaftliche Demokratie in seiner jetzigen Form zu schützen. Nach einer aktuellen Forsa-Umfrage liegt die rechts-nationale AfD nur noch vier Prozentpunkte hinter der Union. Will der CDU-Vorsitzende Merz den Vertrauensverlust in sich, die Partei und die demokratische Mitte stoppen, muss er mit seiner Reform-Agenda 2030 wirklich „all in“ gehen. Sonst endet er wie „Hans im Glück“ in Grimms Märchen, der die goldene Gans in Form von Kreditermächtigungen in einen gewaltigen Mühlstein aus Zins- und Tilgungslasten getauscht hat. Der reißt dann nicht nur ihn in den Abgrund.

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