Es war einmal ein Notenbankchef, der die Punch Bowle den Banken und Anlegern genau dann wegnehmen wollte, als das Fest am schönsten war. Die Bowle – das waren günstige Zinsen, viel flüssiges Geld und dadurch steigende Börsenkurse. Der mutige Zentralbanker hieß William McChesney Martin, Chef der US-Notenbank FED, und er drohte mit diesem Entzug in einer Rede vor den amerikanischen Bankiers im Jahre 1955. Der Zweck war klar: Exzesse sollten vermieden werden, die Notenbank fühlte sich dafür verantwortlich.
Die Party muss weitergehen, koste es was es wolle
Was aber sagen wir zu einem der Chefs der FED heute, zu Charles Evans, der am 7. Januar, auf dem höchsten je erreichten Stand der Börsen, und der Schuldensause dank Billiggeld, an einer Bankiers-Runde versprach, «es wird wohl 2024 werden, bevor wir die Zinssätze steigen sehen».
Der Präsident der US-Notenbank, Jerome Powell doppelte eine Woche später nach, hatte aber schon vorher gesagt, der Verschuldungsstand der USA «ist nicht derart hoch, wie es im historischen Vergleich scheinen mag», denn die realen Zinskosten für diese Staatsschulden seien ja niedrig. Doch diese Zinskosten hatte er selbst seit Jahren unter null gedrückt.
Das heißt: In einem Moment da Ökonomen, mehrere Großbanken, angesehene Großinvestoren warnen, die Kurse seien auf extremem Niveau, verspricht die Notenbank, die Bowle zum weitern Besäufnis für vier Jahre stehen zu lassen! The show must go on. Denn wie an dieser Stelle schon wiederholt dargelegt, haben die amerikanische und europäische Notenbank seit der Finanzkrise die bereits damals überschuldeten Staaten geschont, deren Schuldpapiere in unerhörten Mengen aufgekauft und die Zinsen gegen null und darunter gedrückt. Die Politiker wurden von Budgetverantwortung und Sparen dispensiert. Noch folgenreicher – die Anleger, Pensionskassen, Banken, Versicherungen sahen keine Zinserträge mehr, wurden aber auf die deshalb explodierenden Börsenkurse verwiesen. So sollten sie ihre Renditen finden.
Die Notenbanken können nie wieder zurück. Sie müssen das Gelddrucken und die Nullzinsen weiter führen. Und deshalb herrscht in ihren Etagen Panik.
Das hat insofern geklappt, als alle, die Wertpapiere hatten, mit enormen Wertsteigerungen gesegnet wurden (die Habenichtse allerdings gingen leer aus, auch Zinsen auf dem Sparkonto gab es keine). Doch Zinsen schlagen sich in normalen Zeiten auf das Kapital, vermehren es und bleiben dort. Eine Pensionskasse hätte damit allein seit 2013 etwa 30% mehr Vermögen für die Rentner, auf sicher. Doch Kurssteigerungen wie heute, so üppig sie ausfallen mögen, sind reversibel. Steigende Zinsen und das Ende der Geldsause durch Schuldenaufkäufe der Notenbanken werden die Kurse wieder auf «normale Maße» drücken. Diese wären, gemäß den Erhebungen des Nobelpreisträgers Robert Shiller ungefähr die Hälfte des heutigen Standes («Shiller-Index»).
Der Schluss ist einfach: Die Notenbanken können nie wieder zurück. Sie müssen das Gelddrucken und die Nullzinsen weiter führen. Und deshalb herrscht in ihren Etagen Panik: Die Notenbankchefs müssen fast wöchentlich versichern, dass sie weitermachen. Eben auf mindestens vier Jahre hinaus. Diese Zeitfenster bilden übrigens seit 2013 einen stets erneuerten, rollenden Garantie-Horizont.
Die Notenbanker – Gefangene ihrer eigenen Politik
Denn 2013 geschah fast der GAU, der größte anzunehmende Unfall dieser frivolen Geldabsicherung. Der damalige Notenbankchef schien sich der Punch Bowle erinnert zu haben, die unbewacht in der Party stand, schon damals zu stark steigenden Börsenkursen und drastisch steigenden Neuverschuldungen. Er deutete das Ende an. Darauf brachen die Börsen deutlich ein – und sofort verlor er den Schneid, alles wurde zurückgerufen. Und man erfand die rollende Garantie. Das Gleiche geschah im September 2018, und nochmals im Dezember 2019, in abgeschwächter Form. Denn alle hatten die Erfahrungskurve gemacht – die Notenbanker korrigierten noch schneller ihre Andeutungen, die Anleger ließen sich gar nicht mehr so stark schrecken, die Garantie war ja nicht mehr zurückzudrehen.
Heute weiß jeder Anlagechef einer Bank, eines Hedgefonds, der großen Vermögensverwalter, dass die Notenbanken Gefangene ihrer eigenen Politik sind. Und die Notenbanken wissen, dass die andern das wissen und jede Abweichung eine Katastrophe brächte. Die Budgetpolitiker wissen ihrerseits, dass alle dies wissen, und die Wall Street weiß, dass diese Politiker es wissen und immer neue «Stimuli» ausgeben müssen, um den Horizont rollend zu halten. Die neue Regierung Joe Bidens hat das bestens begriffen und fügt den im Dezember beschlossenen 900 Milliarden Dollar Stimulierung den Vorschlag weiterer 1.900 Milliarden hinzu, mit der Aussicht, dass im Frühjahr ein weiteres Infrastrukturpaket folgen werde.
Die FED hat am 23. März 2020 ja bereits öffentlich versprochen, solche Pakete unbeschränkt aufzukaufen und mit neuem Geld zu unterlegen. Bereits werden so von den gesamten Staatsausgaben der USA 4424 Milliarden, oder 55% durch Gelddrucken finanziert, Tendenz nun stark zunehmend. In der EU hat die EZB dies ebenfalls am 15. März versprochen, der Ministerrat handelte sofort und beschloss am 21. Juli das 1.750-Milliardenpaket aus Krediten an die Mitgliedsländer und zur Deckung künftig höherer EU-Budgetdefizite.
Die Glaubwürdigkeit der Notenbanker, die wissen, aber nicht handeln, schwindet – sie verdrängen, sie drücken sich vor ihrer Verantwortung.
Die spektakuläre Kurshausse der Alternativwährung Bitcoin nährt sich bestimmt aus der Sorge vieler Beobachter, diese Bowle werde zwar nicht weggenommen, aber die gescheiteren Anleger würden aus den Notenbankblasen gelegentlich aus- und umsteigen. Und mit sicherem Instinkt warnte denn auch die EZB-Chefin Christine Lagarde anfangs 2021 sofort, im Bitcoin tummelten sich dubiose Leute – ein Warnschuss der Panik vor dem Verlust an Glaubwürdigkeit der Notenbank selbst. Die Glaubwürdigkeit der Notenbanker, die wissen, aber nicht handeln, schwindet – sie verdrängen, sie drücken sich vor ihrer Verantwortung.
Die Notenbankchefs haben aber noch nie Warnschüsse gegen die viel dramatischeren Kurssteigerungen etwa der Tesla-Aktien abgegeben, wo der Aktienpreis dem Anleger erst in 1.600 Jahren über den Gewinn das Geld wieder einspielen wird.
Erneute Erfindung des finanziellen Perpetuum Mobile?
Dass dieser bare Unsinn sich selbst am Schopfe hält, wie Münchhausen seinerzeit, wie in der Südsee-Blase vor genau 300 Jahren, zeigt der Analyst John Murphy der Bank of America. Wenn Tesla soeben 12 Milliarden aus einer Kapitalerhöhung, also aus dem Verkauf ihrer aufgedrehten Papiere, einnehmen könne, so könne sie sich aufs Billigste finanzieren, und deshalb bezahlten die Anleger wiederum höhere Aktienpreise. Das finanzielle Perpetuum mobile ist erneut erfunden, die Notenbanker garantieren den rollenden Horizont dazu – auf vier Jahre hinaus bereits.
Dieses Perpetuum mobile ist nun auch wissenschaftlich erwiesen, zwei Ökonominnen, Anna Cieslak und Annette Vissing-Jorgensen («The Economics of the Fed Put», CEPR Discussion Paper No. DP14685) belegten, dass seit den 90er Jahren die US-Notenbank auf die Börse schielt, um ihre Politik festzulegen. Denn in einem ultra-simplen Modell, öffentlich damals vorgetragen durch den Präsidenten Alan Greenspan, denke sie, wenn die Aktienkurse um 10% zurück gingen, falle das Inlandprodukt um 1%. Das ist simpel, und der Umkehrschluss ist noch simpler – wenn man also die Aktienkurse um 10% befeuert, steigt das Inlandprodukt…
Sodann haben die beiden Autorinnen noch festgehalten, dass diese Geldausgabe für höhere Kurse nur wirkt, wenn die Akteure überrascht würden. Nun aber wissen alle, dass alle wissen, was alle wissen, und dass die Notenbank nicht mehr anders kann. Ein griechisches Drama. Leider sind wir der Chor, der es klagend kommentiert, und die Zuschauer sind die Opfer, die dann einmal zu Kasse gebeten werden.