Ein Europa, das sich rechnet, keine Schuldenunion

In seinem unlängst veröffentlichten Buch „Europa muss sich rechnen“ wagt Gabriel Felbermayr, Direktor des WIFO und Professor an der WU Wien, eine Diagnose über den alten Kontinent. Anstelle sich einer Resignation hinzugeben, werden die Vorteile der europäischen Staatengemeinschaft benannt, ohne den Blick auf die Schwächen außen vor zu lassen. So zeigt Gabriel Felbermayr die mannigfaltigen Entwicklungspotenziale auf, die es zu entfalten gilt.

``Die Mitgliedsstaaten müssen bereit sein, noch stärker zusammenzuarbeiten; umgekehrt sollte manches, was heute in Brüssel entschieden und verwaltet wird, wieder stärker in die Verantwortung der Mitgliedsstaaten gehen.``

Europa als globaler Akteur

Europa, das im Buch mehrheitlich mit der Europäischen Union gleichgesetzt wird, muss sich, so der Autor, seiner Rolle als globaler Akteur wieder bewusster in Erinnerung rufen, statt sich in nationalem Aktionismus zu verlieren. Die Annahme etwa, dass die Republik Österreich das Weltklima beeinflussen oder retten könne, ist illusorisch. Ebenso verdeutlicht der Blick auf den deutschen Nachbarn, dass dieser im Vergleich zu Österreich zwar ein Schwergewicht ist, aber in weltweiter Perspektive ebenfalls nur von marginaler in Bedeutung ist. Deutschland vereint rund 1 % der Weltbevölkerung, kann immerhin circa 4 % der globalen Bruttowertschöpfung sein eigen nennen und verbucht einen anteiligen CO2-Ausstoß von ungefähr zwei Prozent. Europa muss deshalb, so Felbermayr, seine Organisationsstruktur noch effizienter und effektiver gestalten. Gerade wirtschaftliche und politische Stabilität erweisen sich krisenresistent. Dies wird umso bedeutsamer für die Europäische Union, je länger der gegenwärtig raue Wind in der Geopolitik und an den Weltmärkten bestehen bleibt.

Der Euro als Gemeinschaftswährung

In einem Rückblick zeigt der Autor: Die europäische Wirtschaftsgeschichte war vor Einführung des Euros geprägt durch teils massive Wechselkursschwankungen der nationalen Währungen. Gewissen Konstruktionsfehlern der Eurozone zum Trotz offenbart sich der Mehrwert der gemeinsamen Währung vor allem in den gesunken Transaktionskosten für den bilateralen Handel und dem Wohlstandszuwachs der privaten Haushalte. Sofern die Mitgliedsstaaten gewillt wären, die Fiskalpolitik auf die europäische Ebene auszuweiten, würde die Gemeinschaftswährung eine weitere „Normalisierung“ erfahren. Mehr Austerität – vor allem in den Ländern der südeuropäischen Peripherie – wären ein wesentlicher Mosaikstein, um die Währung nachhaltig zu stabilisieren. So unpopulär dies scheint, sind eine hohe Inflationsrate, geringeres Wachstum sowie internationaler Ansehensverlust der zu zahlende Preis für Untätigkeit.

„Die Konstruktionsfehler der Eurozone sind nicht nur ein makroökonomisches Thema. Denn der Euro ist auch für das Funktionieren des Binnenmarktes ein wichtiges Schmiermittel.“

Reformen und Budget

Die Europäische Union sollte, so Felbermayr, dadurch global sichtbarer agieren. Andererseits wäre eine wesentliche Maßnahme, Schritte und Projekte zu verfolgen, die vor allem den Bürgern innerhalb der Union den Mehrwert darlegen. Ein Blick auf die größten Anteile des Budgets offenbart, dass dort Chancen verborgen liegen. So fallen in die Top 3 die Kohäsionspolitik, der Agrarsektor (in Form von Direktzahlungen) sowie die Investitionen in die ländliche Entwicklung. Die Mitgliedsstaaten könnten ein höheres EU-Budget anstreben, um den Gestaltungsraum zu erweitern. Wohlgemerkt beinhaltet dies keinesfalls die Aufforderung zur Umgestaltung in eine Schuldenunion.

Im Gegenteil: Die Schlagformel könnte lauten, dass europäisches Geld für öffentliche europäische Güter bereitgestellt wird. Der Binnenmarkt sollte als essenzieller geoökonomischer Trumpf durch den Ausbau transeuropäischer Infrastrukturnetzwerke gestärkt, produktiver und innovativer gemacht werden. Nur dann, so Felbermayr, sind vermehrte Budgetmittel auf europäischer Ebene zu befürworten´. Würden sie für konsumtive Zwecke verwendet und damit nur die Schuldenlast vermehren, wären sie abzulehnen.

In weiterer Folge ließen sich durch eine solche Stärkung des Binnenmarktes geopolitische Risiken abfedern. Durch eine verbesserte Vernetzung des europäischen Handels können etwa Abhängigkeiten gegenüber Drittstaaten wie etwa China erheblich reduziert werden. Der Schutz der Außengrenzen stellt indes ein weiteres Projekt dar, bei welchem die Union aufzeigen kann, dass sie proaktiv gestalten will. Eine gezielte Investition und Förderung der Spitzenforschung sind weitere Möglichkeiten, um im internationalen Wettstreit um die besten Talente zu bestehen. Die Europäische Union tritt damit als globaler Akteur sichtbarer in Erscheinung kann aber eine nahbare und spürbare Politik ihren Bürgern vermitteln.

``Das sollten die Europäerinnen und Europäer von ihrem politischen Personal einfordern. Europa muss sich für seine Bürgerinnen und Bürger rechnen – sonst wird es scheitern.``

Das Buch empfiehlt sich für all jene, die nebst einer Bestandsanalyse wesentliche Impulse zur Anregung in diesem europäischen Wahljahr haben möchten. Die klar marktwirtschaftliche Ausrichtung des Autors, aber auch seine Befürchtungen hinsichtlich des Abgleitens der EU in eine Schuldenunion zeugen von einem klaren Profil und von Realismus. Die Frage bleibt allerdings, ob Felbermayrs Hoffnung auf ein marktwirtschaftliches Europa, das sich rechnet und deshalb allen mehr Wohlstand bringt, nicht schon jetzt durch die aktuellen Tendenzen zu einem Europa der Schulden und Problemverschiebung auf künftige Generationen wie auch durch den Top Down-Ansatz der EU-Klimapolitik unterlaufen wird.

Prof. Felbermayr widmet sich der Wirtschaftspolitik des Weiteren im Rahmen unseres Vortragsabends am 3. Juni 2024.

Sofern Sie interessiert sind, verweisen wir auf die Anmeldeseite: Wider der Vollkaskomentalität in der Wirtschaftspolitik

Gabriel Felbermayr
Europa muss sich rechnen
Herausgegeben von Hannes Androsch
ISBN: 978-3-7106-0783-7
152 Seiten

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