Das Dogma der „Preisstabilität“ und die Politik des billigen Geldes

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Preisstabilität sicherzustellen bzw. das Preisniveau zu stabilisieren, gilt als unumstrittenes Ziel der Geldpolitik. Es war in den 1920er Jahren auch das Ziel der US-amerikanischen Zentralbank (FED). Aus verschiedenen Gründen betrieb die FED ab dem Jahr 1924 eine expansive Offenmarktpolitik und pumpte gewaltige Geldmengen in den Wirtschaftskreislauf. Die durch die Geldflut nach unten gedrückten Zinsen ermöglichten es den Banken, immer mehr Kredite zu verleihen, während das Preisniveau beruhigend stabil blieb.

Die Politik des billigen Geldes war schon immer eine Versuchung. Sie gefällt den Politikern, die ja von ihren teuren Versprechungen gegenüber bestimmten Wählergruppen und Lobbyisten leben, sie gefällt auch den im Finanzsystem Tätigen, die dadurch wichtiger werden und mehr verdienen. Sie gefällt aber auch Hochrisiko-Investoren und fördert generell ein wenig risikobewusstes Investitionsklima.

Es entstand jedoch eine Kreditblase und im Gefolge eine Aktienblase. Die Wall Street geriet in Fieber, das Geld war für damalige Verhältnisse extrem billig, man investierte mit dem billigen Geld was das Zeug hielt, spekulierte und jagte den jüngsten Hypes nach, was die Preise der an den Börsen gehandelten Aktien in ungeahnte Höhen trieb, bis das System außer Kontrolle geriet. Nach zu späten Versuchen der FED, das Steuer mit Zinserhöhungen herumzureißen, brach die Börse Ende Oktober 1929 zusammen.

Börsencrash 1929: Preisstabilisierung gegen „gute Deflation“

Was als erster Benjamin M. Anderson 1949 in seinem Buch „Economics and the Public Welfare. A Financial and Economic History oft the United States“ beschrieben hat, ist hingegen Milton Friedman und Anna Schwartz in ihrer berühmten, 1963 veröffentlichten, „Monetary History of the United States 1867-1960“ entgangen. Die Autoren konzentrierten sich ausschließlich auf den Preisindex der Konsumgüter und meinten, vor 1929 habe es keinerlei Anzeichen von Inflation gegeben. Sie übersahen dabei die infolge technologischer Innovation und Produktivitätswachstum erzeugte deflationäre Entwicklung – sinkende Preise – und damit auch die durch die „Stabilisierung des Preisniveaus“ erzeugte Inflation, die sich eben nicht im Anstieg des Konsumentenpreisindexes äußerte. Wie die damaligen Akteure, achteten sie nicht auf den Elefanten im Raum, die Kreditblase und die dadurch erzeugte Vermögenspreisinflation.

Ganz anders der junge, von den Lehren der „Österreichischen Schule der Nationalökonomie“  geprägte Wiener Ökonom Friedrich A. Hayek, der 1925 – also mit 26 Jahren – von einem längeren Amerikaaufenthalt in seine Heimatstadt zurückgekehrt war. Er hatte in den USA das dortige Währungssystem, insbesondere das „Federal Reserve System“, studiert.

In seinen frühesten Schriften zu den Themen Geldtheorie und Konjunkturzyklus aus den Jahren 1925 und 1929 – man kann sie in den von Hansjörg Klausinger vorzüglich edierten Bänden A8 und A9 von Hayeks „Gesammelten Schriften“ nachlesen –, warnte Hayek vor einer einseitigen Politik der „Stabilisierung des Preisniveaus“, weil man so inflationäre Kreditblasen übersehen könnte. Zudem erblickte er damals in der US-Notenbank FED einen Treiber einer solchen Politik. So hieß es denn auch in der offiziellen Begründung für die Verleihung des „Wirtschaftsnobelpreises“ 1974 an Hayek, er sei „wohl aufgrund dieser tiefgreifenden Analyse einer der wenigen Wirtschaftswissenschaftler gewesen, die vor dem großen Crash im Herbst 1929 vor der Möglichkeit einer großen Wirtschaftskrise warnten.“

Dass „Preisstabilität“ nicht der Weisheit letzter Schluss ist, heißt natürlich nicht, eine inflationäre Preisentwicklung sei kein Problem, im Gegenteil! Doch eine einseitig auf die „Stabilisierung des Preisniveaus“ konzentrierte Geldpolitik schließt eben auch die Bekämpfung sinkender Preise mit ein. Dies auch dann, wenn es sich um eine „gute Deflation“ (Hayek) handelt, die nicht – wie nach 1929 – durch eine depressive Kontraktion des Kreditvolumens und damit der Geldmenge verursacht wird, sondern technologischer Innovation und Produktivitätsfortschritten entspringt und damit zur ständigen Verbilligung von Konsumgütern, damit aber auch zu höheren Reallöhnen führt, was den Wohlstand der breiten Masse der Bevölkerung vergrößert.

Die ewige Versuchung des billigen Geldes

Das prominent von dem damaligen Starökonomen Irving Fisher vertretene und von der FED nach 1924 zum Prinzip ihrer Geldpolitik erhobene Dogma der Preisstabilität, gemessen aufgrund eines Indexes von Konsumgüterpreisen, ließ es auch den heutigen Notenbanken während der letzten drei Jahrzehnte als unbedenklich, ja sogar äußerst heilsam erscheinen, die Wirtschaft mit billigem Geld zu fluten. Heute allerdings wird Preisstabilität mit 2 Prozent Inflation definiert, ein riskantes und, wie der frühere FED-Vorsitzende Paul Volcker 2018 in seinen Memoiren schrieb, unsinniges Unterfangen, für das es keinerlei theoretische Argumente gebe.

Wie in den 1920er Jahren erzeugte auch die heutige Politik des billigen Geldes Kreditblasen und Vermögenspreisinflation. Man ignorierte sie, wie man auch die durch technologische Innovation und Produktivitätsfortschritte erzeugte deflationäre Preisentwicklung fehlinterpretierte, vor einer angeblichen Gefahr der Deflation warnte und so eine Begründung für die Intensivierung der Geldschwemme bieten konnte. Aktien und Immobilienpreise schossen in die Höhe und befinden sich weiterhin im Blasenmodus. Eine Katastrophe wie jene von 1929 wurde bisher mit immer weiterem billigem Geld hinausgeschoben.

Im Unterschied zu 1929 sind die Zentralbanken heute aktive Mitspieler. Denn bei Nullzinsen haben Geschäftsbanken, die mit Krediten bekanntlich neues Geld aus dem Nichts schöpfen, kaum mehr Anreize, solche zu vergeben. Der Impuls zur Expansion der Geldmenge kam nun direkt von den Zentralbanken. Die Politik der Zentralbanken führte auf diese Weise „zu einer impliziten Verstaatlichung des Geld- und Kreditmarktes“ (Gunther Schnabl). Die Kreditvergabe wurde zunehmend direkt durch die Geldpolitik bestimmt und kann nun, anders als in den 1920er Jahren, direkt durch die Notenpresse gesteuert und „stabilisiert“ werden.

Die „normalen“ Bürger, die kaum Aktien oder Immobilien und damit auch keine Hebelmacht besitzen, um an das billige Geld heranzukommen, die ihr Geld auch nicht im Finanzsektor verdienen – also die „Mittelschicht“, zu der eigentlich heute alle, die nicht ganz oben sind, gehören –, sind längerfristig die Geschädigten.

Die Politik des billigen Geldes war schon immer eine Versuchung. Sie gefällt den Politikern, die ja von ihren teuren Versprechungen gegenüber bestimmten Wählergruppen und Lobbyisten leben, sie gefällt auch den im Finanzsystem Tätigen, die dadurch wichtiger werden und mehr verdienen. Sie gefällt aber auch Hochrisiko-Investoren und fördert generell ein wenig risikobewusstes Investitionsklima. Für die Masse der Konsumenten führt ein so erzeugter Boom zunächst zu Lohnerhöhungen und zur Ausdehnung der Konsummöglichkeiten und damit zur Illusion eines wachsenden Wohlstandes. Dahinter jedoch lauert die Inflation.

Die „normalen“ Bürger, die kaum Aktien oder Immobilien und damit auch keine Hebelmacht besitzen, um an das billige Geld heranzukommen, die ihr Geld auch nicht im Finanzsektor verdienen – also die „Mittelschicht“, zu der eigentlich heute alle, die nicht ganz oben sind, gehören –, sind längerfristig die Geschädigten, weil sich – darüber später – auch ohne sichtbare Preisinflation die Kaufkraft ihres Geldes stetig verringert. Inflationsgewinner ist – neben dem Finanzsektor selbst – zunächst einmal, wer große Vermögenswerte besitzt und deren Wert mit neuen, gehebelten Billigkrediten in die Höhe treiben kann. Allerdings nur solange die Party weiterlaufen kann, danach folgen Abschwung, Insolvenzen, Bankrotte.

Eine Blase nach der anderen

Wie der an Hayek und den „Österreichern“ geschulte britische Historiker, Finanzjournalist und frühere Investmentbanker Edward Chancellor in seinem 2022 erschienenen, äußerst lesenswerten Buch „The Price of Time. The Real Story of Interest“ zeigt, führte billiges – künstlich verbilligtes – Geld im Laufe der Geschichte immer zu Krisen, Verwerfungen und Wohlstandsverlusten. In jüngster Zeit begann diese Politik nicht erst mit der Finanzkrise und – in der Euro-Zone – mit der Euro-Rettungspolitik.

Die Politik des billigen Geldes hatte bekanntlich bereits um die Jahrtausendwende zur Dotcom-Blase geführt, später dann zur Subprime-Blase am US-Hypothekenmarkt, die 2007 platzte und dann im Jahr darauf das mit verbrieften faulen Hypothekarkrediten vergiftete internationale Finanzsystem zum Einsturz zu bringen drohte. Um das nach der Finanzkrise von 2008 in Schieflage geratene Finanzsystem zu retten, begann man das Gift des billigen Geldes zur Medizin zu machen.

Die FED stand damals unter der Leitung des – auf den „Magier“ der „sanften Landungen“ Alan Greenspan folgenden – Princeton-Ökonomieprofessors Ben Bernanke, ein Anwalt der Preisstabilisierung und von „Credit easing“ – sein Name für expansive Geldpolitik –, womit man mittels der Druckerpresse problemlos die Gefahr von Deflationen bekämpfen könne. Seine Nachfolgerin Janet Yellen leugnete 2016 bei einer öffentlichen Befragung hartnäckig, dass das billige Geld eine „bubble economy“ erzeugt habe. Wie Milton Friedman und Anna Schwartz 1963, schaute man auch über ein halbes Jahrhundert später nur auf das „Preisniveau“ der indexierten Konsumgüter.

Die Politik der Preisstabilisierung hatte trotz bester Absichten in die Irre geführt und letztlich unglaublichen Schaden angerichtet, so wie sie heute, unter neuen, eher ungünstigeren Vorzeichen, schädlich ist und auf längere Sicht nichts Gutes verheißt.

Erstaunlicherweise hatte John Maynard Keynes – sechs Jahre vor seiner viel berühmteren „General Theory“ – im zweiten Band seiner 1930 erschienenen „Treatise on Money“ eher nebenbei, damit aber Hayeks frühere Analysen bestätigend, geschrieben: Wer zwischen 1925 und 1929 das Augenmerk allein auf den Preisindex richtete, habe keinen Grund gehabt, von Inflation zu sprechen; für jedermann hingegen, „der nur auf das Volumen der Bankkredite und die Aktienpreise schaute, sei klar gewesen, dass eine Inflation entweder im Gange oder bevorstehend war“ (S.190). Er selbst, so Keynes, habe vor dem Crash keine Inflation gesehen, weil er allein das Preisniveau der indexierten Konsumgüter im Auge gehabt habe.

Dass gerade Keynes, der bereits in den 1920er-Jahren eine Politik des billigen Geldes befürwortet hatte, kurz nach dem Crash von 1929 präzis das aussprach, was heutige Historiker der „Great Depression“ geflissentlich übersehen, stützt die Position seines damaligen Gegenspielers Hayek. Keynes gibt sogar – leicht widerstrebend – am gleichen Ort zu, dass es in dem Zeitraum zwischen 1925 und 1929 aufgrund des Produktivitätswachstums eine deflationäre Konsumgüterpreisentwicklung gab, „so dass gerade ein stabiles Preisniveau womöglich ein gewisses Maß an Konsumgüterpreisinflation manifestierte“.

Die Politik der Preisstabilisierung hatte trotz bester Absichten in die Irre geführt und letztlich unglaublichen Schaden angerichtet, so wie sie heute, unter neuen, eher ungünstigeren Vorzeichen, schädlich ist und auf längere Sicht nichts Gutes verheißt. Diese Schäden sind vielfältig. Sie werden zumeist dem „Kapitalismus“ oder einer zu wenig regulierten Marktwirtschaft, kurz: dem „Neoliberalismus“ in die Schuhe geschoben. In Wirklichkeit jedoch ist die Ursache vor allem staatliche Intervention von oben. Ursache ist eine Geldpolitik, die immer mehr zum Erfüllungsgehilfen staatlicher Fiskalpolitik und ihrer Politik der zunehmenden Verschuldung geworden ist.

Dabei ist nicht nur das Ausmaß der Verschuldung der öffentlichen Hand, sondern auch das der privaten Haushalte der westlichen Wohlstandsgesellschaften enorm und besorgniserregend. Das billige Geld treibt – auf der Grundlage einer mit ebendiesem billigen Geld finanzierten exzessiven sozialstaatlichen Absicherung – einen „Konsumismus“ an, der Konsum vor allem auf Kredit und nicht aus Ersparnissen oder laufendem Einkommen finanziert. Sparen lohnt sich weder für Staaten noch für Private. Übermäßige private Verschuldung ist nicht weniger verhängnisvoll als öffentliche Verschuldung, zumal beide Arten der Verschuldung zusammenhängen und, wie Ökonomen gezeigt haben, die Inflation antreiben und verstetigen und deshalb geeignet sind, langfristig das Vertrauen in das Geldsystem zu zerstören.

Blasenwirtschaft und Wohlstandsillusion

Nach der Finanzkrise 2008 war das internationale Finanzsystem in Schieflage geraten, eine Katastrophe drohte. Daraufhin begann man, das Gift des billigen Geldes zur Medizin zu machen. Es mag sein, dass eine erste Liquiditätsspritze eine notwendige Nothilfe war, um den totalen und weltweiten Absturz des Finanzsystems zu verhindern. Doch wurde das billige Geld zur Dauernahrung für die Wirtschaft, die Banken, die Immobilienbranche und für die Aktienbörsen. Die Wiederholung des Irrtums der 1920er-Jahre, Preisstabilität als Ziel der Geldpolitik zu deklarieren, führte zudem dazu, erneut den Elefanten im Raum zu übersehen oder nicht sehen zu wollen.

Blasen schaffen eine Wohlstandsillusion, weil die nominalen Werte nicht mit der Realität im Einklang stehen. Das billige Geld führt zur Finanzialisierung der Wirtschaft.

Edward Chancellor dokumentiert in seinem vielgepriesenen Buch „The Price of Time“ nicht nur, was vor 1929 geschah, er zeigt auch den durch das billige Geld – die künstlich zu niedrig gehaltenen Zinsen – heute angerichteten Schaden auf: Die Erzeugung einer Blasenwirtschaft. Blasen schaffen eine Wohlstandsillusion, weil die nominalen Werte nicht mit der Realität im Einklang stehen. Das billige Geld führt zur Finanzialisierung der Wirtschaft: So kaufen etwa Unternehmen mit billigen Krediten ihre eigenen Aktien zurück und treiben auf diese Weise deren Börsenwert hinauf, was die Gewinne aller Anteilseigner erhöht. Dies nicht aufgrund unternehmerischer Leistung im Bereich realer Wertschöpfung, sondern durch reine, oft hochspekulative Finanztricks. Die hohe Bewertung der Aktien ist damit eine Täuschung.

Eine weitere Wohlstandsillusion schafft der „carry trade“, Zinsdifferenzgeschäfte: Man holt sich Kredite dort, wo der Zins tief ist, z.B. in Japan, um damit in einem Umfeld mit höheren Zinsen wie in den USA zu investieren und auf diese Weise eine höhere Rendite zu erzielen. Das Verhalten ist natürlich völlig rational, die Irrationalität liegt, wie auch bei anderen solchen Techniken, im falschen Anreiz des zu billigen Geldes. In Wirklichkeit baut man damit aber ein Kartenhaus: Sobald die Zinsen für die Kredite steigen, fällt es in sich zusammen, wie es bekanntlich vor kurzem mit US-Aktien der Hightech-Branche geschah, die mit japanischen Niedrigzinskrediten finanziert worden waren – eine minimale Zinserhöhung in Japan führte zum Absturz. Es war nur eine momentane Reaktion, sie zeigt aber die Fragilität der mit billigem Geld errichteten Kartenhäuser.

Die stetig steigenden Immobilienpreise treiben nicht zuletzt auch die Mieten in die Höhe und verhindern so, dass jüngere Menschen und Familien sich ein Eigenheim leisten können. Im Unterschied zu ihrer Elterngeneration ist dies den meisten heute ins Erwerbsleben Eintretenden kaum mehr oder nur nach einem viel längeren Zeitraum möglich.

Ähnlich läuft es im Immobiliensektor, der immer enger mit der Finanzwirtschaft verquickt ist: Wer schon Immobilien besitzt, nutzt diese gegenüber den Banken als Sicherheiten, um zu weiteren Krediten zum Fast-Nulltarif zu kommen, mit denen zugekauft und in der Folge noch mehr gehebelt wird. Die stetig steigenden Immobilienpreise treiben nicht zuletzt auch die Mieten in die Höhe und verhindern so, dass jüngere Menschen und Familien sich ein Eigenheim leisten können. Im Unterschied zu ihrer Elterngeneration ist dies den meisten heute ins Erwerbsleben Eintretenden kaum mehr oder nur nach einem viel längeren Zeitraum möglich. Und zwar gerade nicht, weil die Zinsen zu hoch, sondern weil sie zu niedrig sind und das billige Geld an die bereits Vermögenden – Aktien- und Immobilienbesitzer – verfüttert wird. Dies auf Kosten jener, die sich ein Vermögen erst aufbauen müssen, was für Normalsterbliche bei den niedrigen Zinsen kaum mehr möglich ist. Umverteilung von unten nach oben also.

Kaufkraftverlust: Die vielen Gesichter der Inflation

Das Verfolgen von Preisstabilität als vorrangiges Ziel der Geldpolitik ist ein Irrläufer, beruht auf einem geldtheoretischen Irrtum und ist schädlich. Richtig wäre, so scheint mir, eine Politik der Erhaltung, ja der Steigerung der Kaufkraft des Geldes und damit der Erhaltung und Steigerung des allgemeinen Wohlstands. Das geht nur durch echte Wertschöpfung, Innovation und Produktivitätswachstum, die eben – unter sonst gleichen Bedingungen – zu einem Sinken vieler Preise und damit auch des „Preisniveaus“ führt und damit die Kaufkraft des Geldes erhöhen. Inflation – Kaufkraftverlust – hat viele Gesichter, von denen jedoch viele infolge der Fixierung auf „Preisstabilität“ ausgeblendet werden.

So etwa die infolge der tiefen Zinsen in Schieflage geratenen Pensionsfonds und Lebensversicherungen, eine höchst unsoziale Folge des Politik des billigen Geldes. Sparen lohnt sich nicht, kapitalgedeckte Altersvorsorge ist praktisch unmöglich oder aber sehr riskant geworden, die Abhängigkeit von den wegen der sich wandelnden Demografie unterfinanzierten und mit Steuergeldern bezuschussten Umlagerenten und damit vom Staat wächst deshalb zunehmend. Anleger sind generell gezwungen, auf der Suche nach Rendite immer mehr ins Risiko zu gehen und tun das auch.

Der kreditfinanzierte Kunstmarkt, der immer mehr zum Feld von nach Rendite hungernden Investoren wird, boomt mit unerhörten Preisen. 2013 kauften laut Presseberichten 43 Prozent der vermögenden Kunstsammler Kunstwerke mit billigen Krediten. Ähnlich verhält es sich mit dem Bau von Luxuswohnungen mit gehebelten Krediten. Dieser bindet zudem Ressourcen der Bauwirtschaft und macht – neben anderen Gründen – Bauen generell zunehmend teurer, lässt aber auch Hypothekarkredite für die Banken riskanter werden. Auch auf diese Weise erhöht die Politik des billigen Geldes, das sich allmählich durch die Wirtschaft frisst, die Fragilität des Finanzsystems. Preisstabilität auf Kosten der Finanzstabilität ist die Folge.

Immer mehr relativ unproduktive Unternehmen können sich praktisch zum Nulltarif refinanzieren und halten sich so als wandelnde Leichen – „Zombies“ –, über Wasser bzw. über dem Grab, dem Bankrott. Das bindet Ressourcen – darunter Fachkräfte –, die anderswo produktiver verwendet werden könnten.

Bekanntlich entstand durch das billige Geld auch eine stetig zunehmende „Zombifizierung“ der Wirtschaft. Immer mehr relativ unproduktive Unternehmen können sich praktisch zum Nulltarif refinanzieren und halten sich so als wandelnde Leichen – „Zombies“ –, über Wasser bzw. über dem Grab, dem Bankrott. Das bindet Ressourcen – darunter Fachkräfte –, die anderswo produktiver verwendet werden könnten, verursacht unnötige Knappheiten und verhindert damit Innovation und ein entsprechend höheres Produktivitätswachstum wie auch den damit verbundenen Anstieg der Reallöhne. Man nennt das auch „Reallohnrepression“. Zombifizierung verringert zudem die Anpassungsfähigkeit und Krisenresistenz der gesamten Wirtschaft und gefährdet das Bankensystem durch immer mehr potentiell insolvente Kunden. All das ist dem angeblichen so sozialen „billigen Geld“ geschuldet, das eben nicht dem „kleinen Manne“ nützt, sondern jenen, die auf diese Weise ohne jegliche Wertschöpfung zu hohen Renditen kommen.

Marktwidriger Interventionismus

Letztlich sind das alles Symptome von Inflation, einer schleichenden Geldentwertung, das heißt des Verlustes an Kaufkraft des Geldes bzw. einer Verhinderung Ihres Anstiegs. Dieser Diebstahl der Zentralbanken an der Kaufkraft des Geldes – und damit an den Bürgern – äußert sich deshalb nicht unbedingt oder ausschließlich in höheren Preisen, sondern auch in einer Verminderung des Wohlstandes der breiten Massen (bzw. der Verhinderung von dessen Anstieg). Und da die Reichsten nominal reicher werden, führt es auch zum Anwachsen der sozialen Ungleichheit, die ja gerade von Kritikern des Kapitalismus beklagt wird.

Doch nicht der auf Rendite bedachte Kapitalismus oder der „Neoliberalismus“ sind daran schuld, wie etwa die sich an Marx‘ Arbeitswertlehre orientierende italienisch-britische Starökonomin Mariana Mazzucato meint, sondern marktwidriger „Interventionismus“, in diesem Fall: die Manipulation des Zinses durch die Zentralbanken im Dienste politischer Agenden. Längst befinden wir uns in einer Situation der „fiskalischen Dominanz“, in der die Zentralbanken zum Erfüllungsgehilfen der schuldenfinanzierte Ausgabenpolitik der Regierungen geworden sind. So ermöglichen es die Zentralbanken mit immer neu „gedrucktem“ Geld den Staaten, ihre Ausgaben ständig zu vergrößern – damit aber auch ihre Schulden, die schon längst selbst zu einem der stärksten Inflationstreiber geworden sind.

Die klima- und industriepolitischen Agenden einzelner Staaten und der EU hat diese Tendenz noch verstärkt. Es wird mit dem billigen Geld über- und fehlinvestiert und Etikettenschwindel betrieben, wie in den USA der „Inflation Reduction Act“ der Biden-Regierung, mit dem unter dem Deckmantel der Inflationsreduzierung eine letztlich inflationäre Industrie- und Subventionspolitik betrieben wird. In der Klimapolitik kann es, wie viele meinen, der Staat angeblich besser. Wer zur Verringerung des CO2-Ausstoßes auf die im Vergleich zu Politikern viel schlaueren und den Steuerzahler viel weniger belastenden Mechanismen des Marktes und wettbewerbsgetriebene Innovation setzt, wird leicht als „Klimaleugner“ verunglimpft.

Unterdrückte Steuerungsfunktion des Zinses

Zu niedrige Zinsen – künstlich herabgesetzte Zinsen – sind kein nebensächliches Thema und auch keines, das nur Spezialisten angeht. Leider verstehen wir schon längst nicht mehr, was eigentlich ein „Zins“ und was seine Funktion ist. Zinsen werden heute als Hebel der Geldpolitik verstanden, der Steuerung der Konjunktur und eben der „Preisstabilität“. Doch können in einer funktionierenden und wohlstandsschaffenden Marktwirtschaft die Preise gar nicht „stabil“ sein, sie fluktuieren ständig. Deshalb macht es auch keinen Sinn, von einem „Preisniveau“ einer ganzen Volkswirtschaft zu sprechen, es handelt sich ja allein um einen statistischen Durchschnittswert.

Entscheidend sind die sektoriell und lokal differenzierten Preise und vor allem die „relativen Preise“, also Preise betrachtet in Relation zu anderen Preisen (z.B., um es vereinfachend zu sagen, Konsumgüterpreise im Vergleich zu den Preisen der diese herstellenden Maschinen, und die Preise dieser Maschinen – Kapitalgüter – in Relation zu den Preisen der für deren Produktion verwendeten Rohstoffe).

Wird dies übersehen, so wird auch die eigentliche Natur und Funktion des Zinses als marktwirtschaftlicher Preis und damit als Knappheitssignal missachtet. Wie alle Preise besitzt auch der Zins eine wesentliche Steuerungsfunktion. Er bestimmt nämlich den Aufbau der Produktions- bzw. Kapitalstruktur einer Volkswirtschaft über längere Zeiträume hinweg und damit die langfristige Profitabilität von Investitionen aller Art – mit allen auch sozialen Folgen für die Gesellschaft, insbesondere den Arbeitsmarkt. Wie Hayek 1976, also erneut seiner Zeit voraus, schrieb, werde mit der Politik des billigen Geldes der wichtigste Regulator des Marktes, nämlich das Geld selbst, seiner Regulierungsfunktion enthoben – ein Thema, das eine gesonderte Betrachtung lohnt.

Gefangen in der Politik des billigen Geldes

Tatsache und Fazit ist: Der Preisindex der Konsumgüter manifestiert nur einen Teil der Wahrheit. „Inflation“ bzw. „inflationäre Geldpolitik“ ist ein viel tiefer liegendes und umfassenderes, letztlich ein gesamtgesellschaftliches Problem, das auch unser Konsumverhalten und damit unseren Lebensstil betrifft. Nicht zuletzt wegen der einseitigen Fixierung der Zentralbanken auf „Preisstabilität“ sind diese –  und wir alle – Gefangene der Politik des billigen Geldes geworden. Das zuzugeben, wäre meiner Meinung nach der erste Schritt, um ein Ende mit Schrecken zu vermeiden und aus dem Teufelskreis inflationärer Geldpolitik herauszukommen.

Geben wir uns keinen Illusionen hin: Auch die seit kurzem angehobenen Zinsen sind real – nach Abzug der Inflationsrate – immer noch extrem tief, zu tief. Sie verschleiern, dass wir zu viel konsumieren und zu wenig sparen. Die Lücke wird mit der Notenpresse ausgefüllt. Ein Kurswechsel ist nicht in Sicht, denn alle haben Angst vor einer Rezession wie der Teufel vor dem Weihwasser. Noch mehr Angst hat man berechtigterweise vor drohenden Staatsbankrotten infolge höherer Zinsen. Politisch kann man das, wie auch die Angst vor einer Rezession, nachvollziehen – für jeden heutigen Politiker wäre das Zulassen einer Rezession politischer Selbstmord.

Rein ökonomisch gesehen wäre eine  Anpassungsrezession der notwendige Heilungsprozess, allerdings, verbunden mit hohen sozialen Kosten, die man für die Schwächsten so weit wie möglich abzufedern versuchen müsste. Eine notwendige Maßnahme bestünde gemäß dem Leipziger Wirtschaftsprofessor Gunther Schnabl auch darin – im Gleichschritt mit einer die Unternehmen zu höher Effizienz zwingenden Zinssteigerung – den enorm hohen Regulierungsdruck, der auf der Wirtschaft lastet, zu beseitigen und so unternehmerische Wertschöpfung durch Innovation und Produktivitätswachstum zu ermöglichen. Eine kapitalistische Wirtschaft braucht nicht „angekurbelt“ zu werden. Wird sie von ihren Fesseln befreit, kommt sie von allein in Gang.

Geschieht keine sofortige Wende, werden die sozialen Kosten wie auch die politischen Risiken der Billiggeldpolitik auf lange Sicht wohl noch höher werden, und das ohne Aussicht auf Heilung und, im Falle eines Totalabsturzes, auch ohne Möglichkeit der Abfederung für die sozial Schwächsten.

Allerdings: Ein permanent nicht nur nominell, sondern real höheres Zinsniveau könnte zu Staatsbankrotten, in Europa möglicherweise gar zum Zusammenbruch des Eurosystems und zu nationalen Währungsreformen, damit aber auch zu gewaltigen Wohlstandsverlusten für alle führen. Damit stehen wir vor einem echten Dilemma. Denn geschieht keine sofortige Wende mit all ihren unangenehmen Folgen, werden die sozialen Kosten wie auch die politischen Risiken der Billiggeldpolitik auf lange Sicht wohl noch höher werden, und das ohne Aussicht auf Heilung und, im Falle eines Totalabsturzes, auch ohne Möglichkeit der Abfederung für die sozial Schwächsten. Das internationale Finanzsystem würde einen solchen Absturz zunächst einmal nicht unbeschadet überleben. Schadensbegrenzung würde voraussichtlich zu hohen Wohlstandsverlusten führen.

Aufklärung der Öffentlichkeit würde nottun, wie auch die Einsicht, dass die Probleme, die die Politik mit großem Tamtam zu lösen beansprucht, seit jeher zum größten Teil von ihr selbst verursacht werden. Nämlich durch einen verhängnisvollen Interventionismus, der die Kräfte des Marktes verzerrt, auf diese Weise für die marktwirtschaftlichen Akteure – Unternehmer, Investoren, Banken aber auch die Haushalte und damit die Konsumenten –  systematisch falsche Anreize schafft und damit das eigentlich „Gesunde“, nämlich Kapitalismus und Marktwirtschaft, zu diskreditieren droht. Lässt sich das Steuer noch herumwerfen? Wohl nur, wenn man bereit ist, den Elefanten im Raum zur Kenntnis zu nehmen, darüber zu reden und entsprechend unpopuläre Maßnahmen zu ergreifen. Theoretisch könnte dann eine Heilung in dosierten Schritten erfolgen. Doch Politik läuft bekanntlich anders.

 

Dieser Artikel ist zunächst unter dem gleichen Titel in zwei Teilen am 3. und am 4. September 2024 im österreichischen online Wirtschaftsmedium „Selektiv“ erschienen.

Quellen und Leseempfehlungen

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