Wie das Geldsystem wirklich funktioniert

Jeder kennt und verwendet es, für die Wirtschaft ist es so essenziell wie der Blutkreislauf für den Körper: das Geld. Nur wie Geld eigentlich entsteht, welchen Einfluss es auf Wirtschaft und Wohlstand ausübt, und wie das Zusammenspiel von Zentralbanken und Geschäftsbanken funktioniert, all das wissen nur die wenigsten – oder glauben es besser gesagt zu wissen, denn selbst unter Finanzwissenschaftlern herrscht Uneinigkeit in einigen Fragen, etwa wenn es darum geht, was überhaupt als Geld gilt, oder wie die Zirkulation von Giralgeld unter Nichtbanken an die Interbanken-Zirkulation von Reserven rückgebunden ist.

Allmählich steigt aber das Interesse an unserem Geldsystem. Dazu beigetragen haben unter anderem die Wirtschaftskrise vor mehr als zehn Jahren und die anhaltend tiefen Zinsen der Europäischen Zentralbank, die für wachsenden Unmut sorgen. Mittlerweile mehren sich sogar Forderungen nach alternativen Geldordnungen. Ein Beispiel dafür ist die Schweizer Vollgeld-Initiative, die eine vollständige Verstaatlichung des Geldes verlangt. Die Geldschöpfung solle demnach nur mehr in die Zuständigkeit der Schweizerischen Nationalbank fallen, denn nur so könne der Schweizer Franken „krisensicher“ werden. In der Abstimmung am 10. Juni 2018 lehnten 75,7 Prozent den Vorschlag ab.

In die entgegensetzte Richtung argumentiert das jüngst erschienene Buch „Crashkurs Geld. Wie Sie vermeintliche Experten und Besserwisser aus dem Konzept bringen und die Hintergründe verstehen“. Es fordert ein wettbewerbliches Geldsystem anstelle des jetzigen Papiergeldsystems. Die Idee ist nicht neu. Popularisiert wurde sie vor allem durch den Wirtschaftsnobelpreisträger Friedrich August von Hayek. In einem Währungswettbewerb – so wird in dem Buch argumentiert – würden sich die Marktteilnehmer rasch auf ganz wenige, besonders gute Geldarten „einigen“. Ist das nicht sehr optimistisch? „Es steckt hier ein logischer Gedanke dahinter“, meint der Buchautor Andreas Marquart im Gespräch mit dem Austrian Institute. „Die Menschen wollen ihre Geschäfte miteinander möglichst effizient abwickeln. Dafür ist es am besten, wenn man nur wenige Geldarten hat.“ Marquart ist Vermögensberater, ehemaliger Banker und seit einigen Jahren Vorstand des „Ludwig von Mises Instituts Deutschland“.

Preisstabilitätspolitik ist ein „Trojanisches Pferd

Um den Reformvorschlag besser zu verstehen, muss man sich zunächst vor Augen führen, worin Marquart das Grundübel der jetzigen Geldordnung sieht. Dieses besteht ihm zufolge vor allem in der permanenten Geldmengenausweitung der Zentralbanken über Absenken des Leitzinses, über die von den Banken zu unterhaltende Mindestreserve und über die Liquidität, die den Geschäftsbanken von den Notenbanken zur Verfügung gestellt wird. So wird die Kaufkraft des Geldes laufend entwertet, und zwar „systematisch“, wie Marquart unterstreicht. Begründet wird diese Geldpolitik offiziell mit der Herstellung von Preisstabilität: „Die Gewährleistung stabiler Preise ist der beste Beitrag, den die Zentralbanken zur Verbesserung des individuellen Wohls aller leisten können“, steht etwa auf der Internetseite der Europäischen Zentralbank (EZB).) In Marquarts Augen ist dieses geldpolitische Ziel schlicht ein „Trojanisches Pferd“. Eine Volkswirtschaft benötige keine wachsende Geldmenge.

Zu den vielen schädlichen Folgen der ungebremsten Geldmengenausweitung, die Marquart in seinem informativen und kurzweiligen Buch beschreibt, gehören etwa wachsende Verschuldung von Staaten, Unternehmen und Privaten, Anwachsen eines „Vollkasko-Wohlfahrtsstaats“, zunehmende Schäden für die Umwelt, ja sogar geopolitische Konflikte. Besonders scharf kritisiert Marquart – für Kenner der Österreichischen Schule der Nationalökonomie wenig überraschend – die durch die lockere Geldpolitik verursachte soziale Ungerechtigkeit und das Entstehen von Konjunkturzyklen.

Sozial ungerecht ist diese Politik demnach vor allem deshalb, weil die entstehende Geldmenge aufgrund des Cantillon-Effekts ungleichmäßig verteilt wird, wovon vor allem jene Marktteilnehmer profitieren, „die leicht an große Kreditsummen herankommen“ – und das sind Staaten, Banken, Großunternehmen mit starker Marktstellung und Vermögende. „Sehr weit weg vom Ort der Geldentstehung sitzen die Empfänger regelmäßiger, nominaler Zahlungen wie Gehaltsempfänger und Rentner. Sie bekommen vom neuen Geld vergleichsweise wenig oder gar nichts ab.“

Einer weiteren oft vorgebrachten Rechtfertigung der lockeren Geldpolitik zufolge werde mit ihr die Nachfrage stimuliert und das Wirtschaftswachstum angekurbelt. Marquart hält dem entgegen: „Dem Entstehen von Wohlstand muss Konsumverzicht vorausgehen, im einzelnen Haushalt wie auf der Ebene einer Volkswirtschaft.“ Die durch eine Absenkung des Zinses stimulierte Kreditnachfrage hingegen löst einen künstlichen Aufschwung der Volkswirtschaft aus: „Es werden Projekte angestoßen, die ohne ein Absenken des Zinses nicht rentabel gewesen und somit nicht begonnen worden wären.“ All das mündet in einem Bust (Abschwung), wie die bisherigen Wirtschaftskrisen belegen.

Marquart: „Jedwede künstliche Geldschöpfung ist problematisch“

Obwohl Marquarts Lösungsvorschlag dem der Schweizer Initiative diametral entgegengesetzt ist – Wettbewerb privater Geldanbieter statt Verstaatlichung des Geldes lautet seine Devise – ist er sich in einem zentralen Punkt mit den Schweizer Initiatoren einig. Beide erblicken in der ungebremsten Geldmengenausweitung das Grundproblem. Befürworter des Vollgeldes weisen nun darauf hin, dass diese Geldmengenausweitung großteils bei den Geschäftsbanken stattfindet, und nicht durch die Notenbanken. Dem widerspricht Andreas Marquart auch in seinem Buch nicht. Nur zieht er daraus andere Schlussfolgerungen. Während für die Vollgeld-Initiatoren die Notenbanken nur Getriebenen der Geschäftsbanken sind, unterstreicht Marquart gegenüber dem Austrian Institute: „Es ist der Staat, der dieses Geldsystem organisiert und letztlich beaufsichtigt. Geschäftsbanken arbeiten bei der Geldproduktion mit der Notenbank Hand in Hand. Sie reichen Kredite aus, die nicht durch Ersparnisse gedeckt sind. Die Notenbank stellt Zentralbankgeld zur Verfügung, sodass dieses Geld dann im Zahlungsverkehr auch genutzt werden kann. Darüber hinaus tritt die Notenbank als Retter der letzten Instanz auf, wenn eine Bank in Zahlungsschwierigkeiten gerät. Das Wissen darum ist insofern auch verführerisch, weil Banken dann Risiken eingehen, die sie ansonsten vermeiden würden – Stichwort Moral Hazard.“

Grundsätzlich hält Marquart „jedwede künstliche Geldschöpfung für problematisch, gleich ob sie im Geschäftsbankensektor stattfindet oder durch Notenbanken.“ Auch die im Geschäftsbankensektor entstehenden Kredite aus dem Nichts sind nicht durch Ersparnisse gedeckt, und lösen demnach einen Scheinboom aus. „Oder Notenbanken erzeugen Geld und treiben die Anleihekurse nach oben beziehungsweise die Zinsen nach unten. Das alles sind Entwicklungen, die mit freien, unbehinderten Märkten nicht mehr das Geringste zu tun haben.“ Dass die Wirtschaft zwecks Wachstum auf die Kreditvergabe der Banken angewiesen sei, bestreitet Marquart. „Geld ist Tauschmittel, sonst nichts. Wohlstand bedeutet nicht mehr Geld zu haben. Wohlstand definiert sich über die Menge an Gütern, über die eine Volkswirtschaft verfügen kann.“ Schon früher, als die Menschen noch ihr Gold auf Banken deponiert haben, sei ein Scheinboom über die Geldschöpfung der Banken entstanden.

„Vollgeld löst das Problem nicht“

Doch ein staatliches Vollgeld, mit dem man den Geschäftsbanken das Privileg der Buchgeldschöpfung wegnehmen könnte, würde aus Marquarts Sicht das alles nicht lösen: „Zwar wäre die Gefahr unterbunden, dass die Banken zahlungsunfähig würden, weil die Sichtguthaben der Kunden zu hundert Prozent gedeckt wären. Die Banken würden auch keine Geldschöpfungsgewinne mehr machen. Aber es bleiben genau die gleichen Probleme bestehen, die wir jetzt haben: Die Notenpresse wird missbraucht, sobald die Staatskasse mal wieder leer ist. Und so wird nach wie vor neues Geld produziert, sodass sich einige auf Kosten vieler bereichern, und Boom-Bust-Zyklen entstehen.“ Das würde sich beim Währungswettbewerb ändern. Marquart zufolge hätte der nämlich auch Folgen für die Giralgeldschöpfung: „Dann hätten wir ja einen freien Markt für Geld. Jeder kann das Geld nachfragen, das er möchte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Menschen freiwillig Geld nachfragen, bei dem sie vermuten müssen, dass ständig mehr davon produziert wird, und anderes Geld – wie zum Beispiel Gold- oder Silbergeld – liegen lassen, bei dem sie wissen, dass es mit großer Mühe und viel Aufwand aus dem Boden geholt werden muss. Ergo müssten sich Papiergeldemittenten sehr disziplinieren.“

Kredite zu Niedrigst-, Null- oder Minuszinsen, wie wir sie jetzt erleben, wären undenkbar: „In einem freien Markt für Geld, in dem nur begrenzt Sparkapital vorhanden ist, wird eine starke Kreditnachfrage automatisch die Zinsen steigen und dadurch die Kreditnachfrage zurückgehen lassen. Dann muss erst wieder gespart werden, dadurch dass zuvor getätigte Investitionen Gewinne abwerfen. Der Zins ist der wichtigste Wegweiser in einer Volkswirtschaft, und wenn der sich nicht frei bilden kann, kommt es zu Fehlinvestitionen und Fehlallokationen von Kapital.“

Andreas Marquart hat 15 Jahre lang als Banker gearbeitet, bis er sich 1998 selbständig machte und in die Finanzberatung ging. Auf die Problematik des Geldsystems wurde er vor mehr als zehn Jahren, kurz vor Ausbruch der Finanzkrise aufmerksam. Ihn trieb damals die Frage um, wodurch Wirtschaftskrisen wie die Asienkrise Ende der 1990er Jahren oder das Platzen der Technologieblase im Jahr 2000 ausgelöst wurden. „Ich fing an zu recherchieren und stieß auf Umwegen auf die Österreichische Schule der Nationalökonomie“, erzählt Marquart. „Sie öffnete mir die Augen für die schädlichen Wirkungen unseres Geldsystems.“ Dass sich heute weit mehr Menschen für das Geldsystem interessieren als noch vor 20 Jahren, bestätigt Marquart. Einen Grund dafür sieht er auch in den vielen Büchern zum Thema und in der Wissensverbreitung über das Internet.

Die Zukunft des Geldes ist tatsächlich höchst ungewiss. Die anhaltende Euro-Krise, Nullzinsen bei (offiziell) niedriger Inflation, Rekordverschuldungen in aller Welt, neue technische Möglichkeiten des Internets und ein wachsendes Bewusstsein der Bürger für die Problematik – all das macht die weitere Entwicklung schwer prognostizierbar. Bücher wie jene von Marquart können hier einen Beitrag zur Aufklärung leisten. Gut möglich, dass Lösungsvorschläge wie der Währungswettbewerb bald gar nicht mehr so abwegig sein werden, wie sie manchen Experten noch vor 20 Jahren erschienen sind.

Andreas Marquart: Crashkurs Geld. Wie Sie vermeintliche Experten und Besserwisser aus dem Konzept bringen und die Hintergründe verstehen. FinanzBuch Verlag, München 2019 (www.finanzbuchverlag.de), 176 Seiten, ISBN: 978-3-95972-233-9, 16,99 €. Inhaltsverzeichnis – Leseprobe

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