Marx – oft zitiert, nie gelesen: Die unerbittliche Theorie des Karl Marx

Marx, der Marxismus stehen gegen Ausbeutung, gegen Ungerechtigkeiten aller Art auf, so der Volksglaube. Etwa so wie die die Eiferer heute, die hinter allem die Folgen von Rassismus, Sklaverei, Kolonialismus, Diskriminierung, Geschlecht oder der Macht der 0,01 Prozent anklagen? Nein, im Gegensatz zu diesen hatte Marx eine Theorie, er versuchte Beweise. Und das ging so:

Gebrauchswert, Tauschwert, Mehrwert

Alle Gegenstände der Ökonomie haben einen Gebrauchswert und einen Tauschwert. Ein chirurgisches Messer mag Leben retten im Gebrauch, sein Tauschwert oder Handelswert entspricht dem Aufwand der Produktionsfaktoren, etwa Arbeitsstunden und Kapital, um es herzustellen, und dieser Tauschwert ist weit geringer als der Gebrauchswert.

Marx wandte nun diese Unterscheidung auf den Arbeiter selbst an: Dieser steht dem Fabrikherrn gegenüber, bittet um Arbeit und Lohn, und die Fabrikherren können auswählen. Sie drücken den Lohn bis auf das letzte Minimum, auf das Existenzminimum, das die Arbeitskraft noch auf den Beinen hält – karges Essen, schütteres Dach über dem Kopf. Das ist der Tauschwert der Arbeitenden auf dem Arbeitsmarkt, er entspricht nur den Werten, die ihre Arbeitskraft reproduzieren. Doch ihr Gebrauchswert ist viel höher, sie produzieren in der Fabrik ohne Ende die Güter, Tauschwerte für den Markt. Dieser Mehrwert fällt dem Fabrikbesitzer, dem Kapitalbesitzer zu.

Maschinen versus Arbeiter, Kapitalinteressen versus Arbeiterinteressen

Weil aber der Fabrikbesitzer die Arbeitskosten noch mehr drücken will, und unter der Konkurrenz auch muss, setzt er immer mehr Maschinen, also Kapital statt Arbeit, ein. Der Arbeitslohn hält sich damit immer auf dem Existenzminimum, die Produktionen aber steigen weiter an. Die Interessen der Kapitalisten und der Arbeiterschaft als Klassen sind damit unversöhnlich entgegengesetzt, der Kapitalismus ist eine Klassenherrschaft, das Kapital ein Werkzeug der Unterdrückung.

Marx spekulierte sodann auf wiederkehrende Überproduktionen, auf Preiszerfall, wenn die Maschinen die Leistung, also den Mehrwert immer mehr steigern, die Arbeiterheere aber nichts kaufen können – regelmäßige Krisen, meinte er, sind dem Kapitalismus systemimmanent eigen. In einer letzten Systemkrise fällt alles zusammen, die Arbeiterklasse übernimmt die Fabriken, als „freie, assoziierte Produzenten“. Der Mehrwert gehört endlich ihnen.

Wissenschaftlicher Anspruch – durchgesetzt mit Terror

In diese eigentlich knappe Theorie des Marxismus, allerdings in drei Bänden ab 1867 ausgewalzt, spielen aber demographische und politische Realitäten hinein, die die Theorie empfindlich stören. Die Arbeiterheere, die Lohndrückerei unter sich und durch die Fabriken hatten ihre Ursache nicht zuletzt im „demographischen Übergang“ der Mitte des 19. Jh.. Die Medizin, die Volksgesundheit hatte die Sterblichkeit drastisch gesenkt, das Zeugungsverhalten aber nahm verzögert ab – die Bevölkerungen Europas explodierten.

Doch die Politik bemächtigte sich der Marxschen Lehre und insbesondere Lenins Kaderpartei übernahm eine verheerende Hochstilisierung, die er, Marx, selbst verkündet hatte: dass nämlich seine Theorie „wissenschaftlicher Sozialismus“ sei, also keine bloße frühsozialistische, moralisierende Forderung, sondern objektive und unhintergehbare Wissenschaft. Aufgrund eines solchen intellektuellen Herrschaftsanspruchs war klar: Jeder sozialistische Abweichler verriet schon mal, und dies aus offensichtlich niedrigen Beweggründen, die Arbeiterklasse. Damit begannen die Richtungskämpfe der Linken, die in der Sowjetunion dann mit Arbeitslagern und Genickschuss gelöst wurden. In freien Gesellschaften bündelten Gewerkschaften die vorher isolierten Arbeitsanbieter als Verhandlungspartei gegen die Besitzer. Die Klassen verhandelten nun als Klassen.

Verheerende Arbeitswerttheorie

Doch diesseits von Demographie und Parteipolitik schon war der Wurm in Marxens „Wissenschaft“. Dass alle Werte aus der Arbeit kommen, dass auch im Kapital nur „geronnene“, frühere Arbeit – genauer: deren Kosten – steckt, schrieb zwar auch noch Adam Smith in einigen Passagen hundert Jahre vorher und David Ricardo, von dem Marx die Arbeitswertlehre in ihrer klassischen Form übernommen hatte. Diese Arbeitswertlehre kann jedoch einiges nicht erklären, etwa dass neue Techniken das Verhältnis von Maschinen und Arbeit immer wieder völlig verändern – mehr Output kommt von weniger Input. Die Ruinen der europäischen Stahlindustrie zeugen vom sehr relativen Wert von Kapital als geronnener Arbeit.

Entscheidender aber, die Marktpreise folgen nicht einfach der Summe der Kosten, also der Arbeit und des Kapitals, sondern bilden sich nach Angebot und Nachfrage. Marx mag einen abstrakten Grundwert in allen Dingen, Arbeitsstunden eben, postulieren, doch auf dem Markt verhandeln die Akteure Preise, nicht Werte. Auch die Arbeitenden sind nicht ein formloses Heer, sondern mit wirtschaftlicher Komplexität wachsen die Verhandlungspositionen vieler Einzelner.

Schon bei des Anarchisten Fürst Kropotkins Besuch der Uhrenateliers im Jura 1872 dürften die „règleuses“ viel mehr als die Arbeiter verdient haben, weil diese Mädchen die Schwungfedern haargenau einsetzen mussten, damit die in eine Uhr gesteckten vielen Arbeiterstunden überhaupt etwas wert wurden.

Grundsätzlich ist also das Denken in „Cost-Plus“, also dass Wert und Preis eines zu verkaufenden Gutes der Summe des Aufwands entsprächen, und entsprechen müssten, nicht marktwirtschaftlich. Es führte letztlich zum Ruin der Planung im Sowjetsystem. Nicht einmal mit den neuesten Computern kann man die Güter, noch weniger die Dienste, einer Volkswirtschaft lückenlos aufgrund ihrer Input-Kosten untereinander und dem Käufer verrechnen.

Vollends unmöglich sind die Kosten „geronnener Arbeit“, also von Maschinen, Anlagen, Patenten zu veranschlagen – diese werden von ihrer Leistung her eingeschätzt, ob sie mehr ausspucken oder nicht. Dies wiederum ist durch die Technik im Fluss. Der neueste INVIDA-Chip kostet 10’000 Dollar, steuert aber die ganze Welt mit „künstlicher Intelligenz“ neu und revolutionär.

Grenznutzenlehre und subjektive Werttheorie als bessere Lösung

Daher wurde die Arbeitswertlehre, als Theorie objektiv gegebener Werte, schon vor 120 Jahren abgelöst durch die anspruchslosere, realitätsnahe Lehre des Grenznutzens. Der Nutzen des letzten noch produzierten, angebotenen Stücks bestimmt seinen Preis, und zwar sagt der Käufer, was das ist, getreu seinem subjektiven Nutzen. Auch alle bereits vorhandenen Stücke schwenken auf diesen Preis ein: als die Maskenproduktion für Covid erst anlief, konnte der Hersteller das neueste, aber auch alle vorrätigen Stücke weit über den Kosten verkaufen. Jetzt, da sie millionenfach herumliegen, löst die Fabrik nicht den Bruchteil der gehabten Kosten. Der Preis, den der Hersteller gerne hätte, „Cost Plus“, also gehabte Kosten plus etwas Gewinnmarge, wird durch den subjektiven Nutzen des Nachfragers auf der anderen Marktseite bewertet und spielt demnach keine Rolle.

Solche versteinerte Kostensockel überspielt der Anbieter außerdem mit kreativen Strategien – mit Mode, welche aus 5-Euro-Hemdchen Markenprodukte für 45 Euro macht, mit dosierter Knappheit, wenn man für eine Rolex ein Gesuch einreichen muss, mit technischen Mätzchen in Autos, Mobile-Phones und Inneneinrichtungen. Subjektive Einschätzungen motivieren den Käufer, nicht objektive Werte.

Die Grenznutzen-Erklärung der Welt moralisiert nicht, auch nicht bei den Löhnen. Diese folgen heute in weiten Bereichen nicht der Verelendung, auch nicht den Gewerkschaftstarifen, sondern dem Grenznutzen, den der Stellenkandidat für die Firma bietet. Die „Grenz-Sicht“ (Marginalität) erklärt eben auch die Höhe der Entgelte aus der Grenzproduktivität einer Arbeitsstelle. Wenn eine Lieferung eilt, kann sogar ein Packer über ein Wochenende das Doppelte verdienen…

Märkte schaffen ungleiche, aber nicht ungerechte Ergebnisse

So schaffen denn die Märkte ungleiche Ergebnisse, damit man sieht, was verlangt wird – nicht Gleichheit. Heute noch geistert in den meisten linken, und auch in grünen Köpfen immer der objektive, reale Wert von Gütern herum, linke Politiker wissen immer besser als die (verführten) Käufer, was richtige, frugalere Werte wären.

Hingegen haben die Sozialisten aller Lager, getreu der nach 1945 meist verfolgten Reformstrategien, aufgeholt und den Kapitalismus oft bis zur Unkenntlichkeit verunstaltet, vor allem in letzter Zeit. Dass Ungleichheit schon Ungerechtigkeit sei, hat ganz Deutschland ergriffen.

Dass Energieteuerung, Inflation allgemein durch staatliche, direkte Zuwendungen an Haushalte und Firmen mit gegen 1000 Milliarden Euro in Europa und 3000 Milliarden Dollar in den USA – alles aus noch höheren Staatsdefiziten – ausgeglichen wurden, hat die Marktpreise außer Kraft gesetzt, hat die Einkommen als Staatsmanna genährt. Der Staat kann alles, bis er bankrott ist oder alles entweder in Hochzinsen oder in Inflation versinkt.

Wo bleibt das Wirtschaften in „freier Assoziation“?

Tragisch bleibt, dass die Arbeitenden immer weniger „in freier Assoziation“ produzieren, also in Genossenschaften, als Gruppen Selbständiger wie in App-vermittelten Diensten für Fahrten, Catering, Putzen, oder als Partnerschaften wie die Treuhandfirmen und Anwaltskanzleien, oder als Gewerbler, oder als Free-Lancer, oder in Firmen dank hoher Mitarbeiterbeteiligung. Einen Aufschwung darin eröffnet die Technik der Netze, mit wenig Kapital, wird aber in Europa noch zu wenig genutzt.

Die Sozialisten haben sich seit Jahrzehnten nicht mehr in solchen Befreiungen versucht, im Gegenteil, ihre gleichmacherischen Staatslösungen verbauen sie. Das Reich der Freiheit bleibt zu erkämpfen, auf solchen, nicht moralisierenden, vielfachen Wegen. Mit „freier Assoziation der Arbeitenden“, in selbstgewählten, selbstgesteuerten Firmen, ohne Planwirtschaft, in privater Hand? Da wären Marxens und der Liberalen Zukünfte doch einander ähnlich?

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