Eine Regierung zu finden aus den Bruchstücken der Parlamentswahlen ist Frankreichs kleineres Problem. Viel unmöglicher wird es jedwede Regierung finden, die verzweifelte Lage zu sanieren. Die nächste Hürde steht schon an – es ist das Budget 2025, das im September erstellt werden sollte, mit mindestens 25 Milliarden Einsparungen aus dem Defizit von gegen 160 Milliarden. Das hieße ein ganzes Prozent des Sozialprodukts wegschnippen – vorerst einmal –, nächstes Jahr dann erneut, dann wieder und immer wieder…
Die Idee, Staatsdefizite brächten wirtschaftlichen Segen, ist nicht auszurotten. Seit Jahren wuchsen die Staatsausgaben rascher als die Wirtschaft, der vielgerühmte „Multiplikator“ fiel unter eins: Europas Staaten verbrennen mehr als dabei herauskommt.
Überall linear ein Prozent streichen geht nicht, denn die Rüstung soll ausgebaut werden, die Subventionen an die Industrie, etwa Chip-Fabriken, müssen laufen, die alternden Atomkraftwerke müssen rasch mit Milliarden saniert werden, und die Beamtenheere werden keine Lohnkürzungen akzeptieren. Also, dann schon mal zwei, drei Prozent weniger bei den restlichen Ausgaben – tiefere Renten, viel weniger Sozialfürsorge, Einsparungen bei der Bildung, drastisches Sparen bei Spitälern. Anders ist eine Sanierung nicht möglich.
Man ermisst die Illusionen, welche sich die Hauptsieger der Parlamentswahlen machen, die Neue Volksfront, die Nationale Rechte – beide versprachen enorm mehr Geld für alles Mögliche. Illusionen auch bei der Regierung, sie dekretierte mit dem berüchtigten Artikel 49 am Parlament vorbei, dass 20 Milliarden gespart würden – aber ohne konkret zu werden und unter Annahme eines fühlbaren Wirtschaftswachstums. Der Rechnungshof nannte dies Mitte Juli „wenig glaubwürdig“. Die EU droht mit großen Strafzahlungen für Budgetexzesse. Großanleger wie Franklin Templeton reduzierten ihre französischen Staatspapiere. Die Zinsen stiegen bereits, im Herbst kommt dann die Stunde der Wahrheit an den Märkten. Ebenso übrigens für Italien.
Was also läuft in Frankreich, in Italien falsch?
Schuld ist die Dominanz des Vulgär-Keynesianismus: Die Idee, Staatsdefizite brächten wirtschaftlichen Segen, ist nicht auszurotten. Wie an dieser Stelle schon wiederholt ausgeführt, wuchsen seit Jahren die Staatsausgaben rascher als die Wirtschaft, der vielgerühmte „Multiplikator“ fiel unter eins: Europas Staaten verbrennen mehr als dabei herauskommt. Die Milliardenausgaben für die Pariser Olympiade gelten vielen als Saat neuen Wachstums. Italien bekommt aus dem 800 Milliarden-Riesenpaket „Next Generation EU“ von der EU 80 Milliarden neuer Schulden geschenkt. Daraus versprachen die Regierungen Conte und Meloni für Hausrenovierungen 110% Subventionen und stellten dafür 35 Milliarden frei – beansprucht wurden über 200 Milliarden. Damit hat Italien die Hilfe der EU in ein neues Budgetloch von 120 Milliarden verwandelt.
Zweiter Faktor sind die Sozialausgaben und Renten. Seit dem letzten Krieg wurden wahllos neue Hilfsprogramme geschaffen, bestehende ausgebaut. Doch all das kann nie und nimmer ohne Aufruhr in den Straßen rückgebaut werden. Zu sehr hat sich die Illusion breit gemacht – und wurde sie verbreitet –, dass ein Sozialstaat mindestens die Hälfte aller, bis weit in den oberen Mittelstand, unterstützen muss (Gesundheit, Gratisbildung, feiste Renten), auch wenn dann die gleiche Hälfte der Bürger dafür mit irrwitzig hohen Steuersätzen belastet wird. Beispiele abwegiger Umverteilung mit falschen Anreizen finden sich leicht – in Frankreich bekommen Gaukler, Schausteller, Schauspieler und Beschäftigte der Theater, Kinos, Festivals nach wenigen Wochen arbeiten ein Jahr lang Arbeitslosengeld – 300’000 beziehen es. Mais c’est de la culture…
Neben der ausgebauten staatlichen Rente führt Frankreich teurere Sondersysteme, für die Opéra de Paris, die Comédie Française, die Parlamentarier, die Seeleute, die Notare. In Italien wollte Premier Matteo Renzi viele der 1600 „enti inutili“, der unnützen parastaatlichen Organisationen, aufheben – er schaffte eine einzige weg, weil in allen die Vorstände, Direktoren, Angestellten nach Parteiproporz eingestellt wurden und nun alle laut schreien, wenn das Fallbeil droht. So laufen denn die Diäten weiter an all die gutgekleideten Damen und Herren, mit Sekretariatsbüros voll Jungakademikern.
Drittens essen die Beamtenstäbe an den Staatsfinanzen mit – in Frankreich kommen 5,6 Millionen Staatsangestellte auf 29 Millionen Arbeitende, also fast 20 %, und Italien 14%, Deutschland 10%. Vier arbeitende Franzosen müssen also einen gutbezahlten Beamten tragen. Und wollte man sie reduzieren, etwa nur auf den Anteil Italiens, was würden dann diese 1,7 Millionen Nicht-Praktiker arbeiten? Kandidat Macron versprach, 120’000 Beamte einzusparen – sie haben in seiner Amtszeit aber um 178’000 zugenommen. Es ginge nur nach der „Methode Milei“ in Argentinien: ganze Ministerien schließen, die Zuständigkeiten schlicht aufheben.
Summa summarum – die Staatsausgaben belaufen sich in Frankreich auf einen Betrag, der 57% der Wirtschaftsleistung des Landes entspricht. Eine naheliegende Sanierungsidee, nämlich noch mehr Abgaben und Steuern, fällt damit weg. Außerdem haben Experten unter Alberto Alesina („austerità“, Rizzoli, 2019) anhand vieler Sanierungen gezeigt, dass diese nur über Einsparungen, also die vielgeschmähte Austerität gelingen. Mehreinnahmen aus Steuern werden von den Politikern sofort wieder ausgegeben, um Proteste zu vermeiden, wie immer.
Sanieren ohne Populismus von links oder rechts
Proteste, Regierungskrisen, Finanzierungskrisen sind also das Naheliegendste, was Frankreich und Italien erwartet – außer die Notenbank EZB lässt in Krisenlagen, vielleicht gar schon im Herbst, erneut die Geldpresse wieder anlaufen und kauft Staatsschulden auf. Der deutsche Finanzminister Lindner schoss der EZB aber schon mal vor den Bug – „emergency liquidity assistance“ d.h. Geldschöpfung ohne Gegenleistung werde es nicht geben. „“So bleiben dann noch die mit neu aufgenommenen Schulden geschnürten und von den Mitgliedsländern garantierten Riesenpakete der EU wie das bereits erwähnte „Next Generation EU“-Paket von 800 Milliarden. Diese gelten nicht als Schulden der Mitgliedsländer, obwohl sie von diesen garantiert werden! Garantiert zu 49% schon mal durch die halbbankrotten Frankreich, Italien, Spanien zusammen. Hier hat der deutsche Kanzler Scholz vor einigen Wochen den Riegel geschoben, das werde es nicht geben. Nun sind solche tapferen deutschen Worte in ruhigen Zeiten schon immer gefallen. Sobald der Euro oder ein Mitgliedsland aber in Gefahr schienen, versprach Deutschland den Verschwendern im Süden stets, mit dem Einsatz seiner halbwegs intakten Finanzen Kopf und Kragen zu riskieren.
Verfolgt man solche Konstellationen der letzten 50 Jahre anhand von Sanierungsfällen wie Schweden in den 1990er Jahren, Griechenland 2010, USA, Kanada und Großbritannien in den 1980ern, dann gibt es nur einen Schluss: entweder es folgt das große Elend, Aufruhr, Abstieg, oder ein energischer Schnitt. Iterativ geht nichts, schon die nächste Krise oder eine nächste Regierung rechtfertigen jeden Abbruch von Reformen. Präsident Milei wendet die radikalen Mittel nun in Argentinien an – bisher mit Erfolg. Sanierung gelingt nur noch über bessere Strukturen, einen schlankeren Staat, sicher nicht über noch mehr keynesianische Defizite. Hayek siegt über Keynes – dessen „deficit spending“ ist aufgelaufen und am Ende.