Was haben eine Abfüllanlage für Pralinen, ein Kieswerk, ein Gartencenter und eine Schnellstraße gemeinsam? Überhaupt nichts, außer dass die geläufige Ökonomie dies alles „Kapital“ nennt.
Mit diesem falschen Blick – oder Trick –, der alle Formen von Kapital über einen Kamm schert, rufen geläufiger Weise Ökonomen, etwa der Zentralbanken oder Regierungen, bei kleinsten Stockungen der Konjunktur nach deren „Ankurbelung“. Gerade jetzt, ohne jede Krise, nur bei etwas schwächerem Wachstum in Europa, sollen noch höhere Staatsausgaben und Staatsdefizite anlaufen, heißt es. Noch mehr Geld der Europäischen Zentralbank EZB soll in die Banken fließen.
„Stimulierung der Gesamtnachfrage“: ein Konzept mit falschen Voraussetzungen
Das ökonomische Motiv dahinter ist gemäß dem Ökonomen John Maynard Keynes die angeblich nötige Stimulierung der „Gesamtnachfrage“ (aggregate demand). Diese sei zu gering, es fehle an Kaufkraft. Würde sie angekurbelt, indem man mehr Geld in den Wirtschaftskreislauf hineinpumpt, entstünde mehr Einkommen und deshalb auch mehr Nachfrage und die oben erwähnten Kapitalanlagen wären dann voll ausgelastet und zusätzliche würden entstehen. Das brächte dann Reichtum für alle.
Das sind kühne Verheißungen. Seit zehn Jahren, seit der Finanzkrise, haben diese Ankurbelungen nichts Weiteres als das gebracht, was auch sonst, wie nach jeder Krise, ohnehin wieder aufgeblüht wäre. Eher ist dieser „Aufschwung“ der geringstmögliche, aber die eingesetzten Mittel sind die bisher größten, die man in der Geschichte je gesehen hat.
Was hingegen wirklich weiterhelfen könnte, wäre der Blick auf die reale Seite des „Kapitals“ der Volkswirtschaft. Ausgabenströme und Kapitalanlagen sind nicht homogen, wie die keynesianische Theorie voraussetzt, sondern völlig unterschiedlicher Art. Sie dienen einer Vielfalt von Zwecken (sie sind heterogen und multispezifisch, schreibt Benjamin Powell von der Texas Tech University). Wenn der Staat mit einer Ausgabenwelle, meist defizitfinanziert, die Wirtschaft andreht, dann läuft nicht wundersam die „Gesamtnachfrage“ an. Sondern er setzt unter den eingangs erwähnten Kapitalien das Kieswerk und die Schnellstraße in Gang. Denn die Ankurbelungen gehen meist in die Bauindustrie und ähnlich grobe Branchen. Schon Keynes, der Erfinder der nachfrageorientierten Lehre von der Wirtschaftspolitik, schrieb ausdrücklich, der Staat müsse eher die nicht dem privaten Konsumenten dienlichen Güter anschaffen: „Auch verschwenderische Anleiheausgaben können das Gemeinwesen im Endergebnis bereichern“. Die Notenbank könnte gar alte Flaschen mit neuen Banknoten füllen und sie in Kohlebergwerken unter städtischem Kehricht vergraben. Die Bauindustrie würde diese dann ausbuddeln, Maschinen („Kapital“) kaufen und Arbeiter einstellen. Das Gemeinwesen hätte so „wahrscheinlich“ einen größeren Kapitalreichtum (Keynes, „The General Theory of Employment, Interest and Money“, 1936, S. 128 ff.).
Versagen der Nachfragestimulierung und schädliche Nebenwirkungen
Wo aber bleiben die Pralinen-Abfüllanlagen, die Gartencenter? Keynesianer meinen, durch die angekurbelten Einkommensströme würden eben alle Boote gehoben. Die neuen Einkommen der Privaten lenkten diese in die Confiserie und ins Gartencenter. Die Österreichische Schule der Nationalökonomie hingegen weist seit Friedrich A. von Hayek auf die unterschiedlichen Eigenschaften und Zwecke der Kapitalanlagen einer Volkswirtschaft hin, also auf den qualitativen Aspekt. Deshalb ist die Ankurbelung jedweder „Gesamtnachfrage“ letztlich ein zynisches Unterfangen, genauso wie die Annahme zynisch ist, die dazu aufgenommenen Staatsschulden seien nie ein Problem.
Die Diskussion wogt seit 80 Jahren zwischen den beiden Lagern hin und her, aber die Hayekianer haben hier einige gute Punkte. Wie erwähnt hat die nun zehn Jahre laufende Nachfragestimulierung durch die Zentralbanken sehr schwache Resultate gebracht. Sie hat derart enorme Mittel an Schulden und neu gedrucktem Zentralbankgeld eingesetzt, dass die Wirkung pro Einheit gegen null oder darunter geht. Denn es gibt auch direkte Schäden – etwa gemäß dem „Cantillon-Gesetz“ (18. Jh.!), wonach eine Injektion von frischem Geld in die Volkswirtschaft immer zuerst einmal die Banken und Financiers begünstigt, diejenigen also, die den Quellen der Geldschöpfung am nächsten sind und deshalb das Geld zuerst bekommen, und dies zu einem Zeitpunkt, in dem die Preise durch die Geldvermehrung noch nicht angestiegen sind. Und wie sie dadurch begünstigt werden! Die Tiefzinsen und die Geldschwemme haben die Vermögensverteilung im Westen immer schiefer gemacht, weil sich die Aktien und Anleihen in Händen der Vermögenderen enorm aufgewertet haben. Die Sparer und Pensionskassen hingegen erhalten keine Zinsen mehr. Die wenig Vermögenden müssen daher noch mehr sparen, um im Alter über die Runden zu kommen – ihre Nachfrage nach Konsumgütern sinkt deshalb. Es wurden durch tiefe Zinsen und über die Anleihekäufe der EZB viele Unternehmen am Leben erhalten, die nicht profitabel sind, sich nur wegen der niedrigen Zinsen am Leben erhalten können und deshalb wie Zombies herumlaufen. Sie drücken den andern, und sich selbst, die Preise. Nicht zuletzt deshalb – es gibt auch noch andere Gründe dafür – bleibt die von den Notenbanken so frivol gewünschte Inflation aus.
Das Kapital des Staates: Immer mehr vom Gleichen
Vor allem aber ist dadurch eben Kapital, wenn überhaupt, auf Seiten der Staaten, ihrer Einrichtungen, geschaffen worden, aber nicht dort, wo die Privaten es sich angeschafft und eingesetzt hätten, wäre ihnen das Geld belassen worden. Denn der Steuerdruck nimmt überall zu, und die Aussicht, als Steuerzahler immer stärker zur Kasse gebeten zu werden, ist auch nicht gerade ein Anreiz zur Kapitalbildung. Im Gegenteil, die riesigen Guthaben der Deutschen Bundesbank gegenüber der EZB, und von dieser gegenüber Italien, beruhen hauptsächlich auf Fluchtgeldern der Italiener, die sich retten wollen, und auf Forderungen an praktisch insolvente Staaten – also eigentlich auf faulen Krediten. Dieses „Kapital“ liegt nicht in Italien, wird nicht für Pralinen ausgegeben, baut dort keine Firmen auf. Aber die EZB druckt unverdrossen weiter Geld, das in Italien nie zu Kapital wird.
Kapital, das Private sich leisten, und Kapital, das der Staat anschafft, sind also grundverschieden.
Das lässt für die Zukunft keine große Hoffnung aufkommen, nicht nur wegen der bereits unbezahlbaren Staatsschulden, die davon die Folge sind. Sondern vor allem deshalb, weil – wie F. A. Hayek und seine Schüler mit Recht argumentieren – Konjunkturkrisen die Folge von falsch gebildeten „Kapitalsorten“, falsch aufgeblasenen Branchen, sprich: Fehlinvestitionen sind, verursacht durch die inflationäre Geldpolitik der Zentralbanken. Die Interventionen von Staat und Notenbanken aber bringen, wie oben erklärt, immer nur mehr vom Gleichen, aber nichts Neues, keine Innovation, deshalb auch kein Produktivitätswachstum und keine höheren Reallöhne. Ankurbeln innert nützlicher Frist kann der Staat nur Anlagen, die schon da sind, er verstärkt also Ungleichgewichte.
Die Lösung, wie sie für solche Krisenlagen die „Österreicher“ empfehlen, wäre eher schmerzhaft, aber direkt und wirksam: Konkurse, Kapitalvernichtung, „schöpferische Zerstörung“ (J. Schumpeter). So werden falsche Kapitalien eliminiert und Ressourcen für Neues freigesetzt. Krisen sind dann kurz und führen zur Gesundung.
Das kann in einem übermäßig kreditfinanzierten, verschuldeten Wirtschaftssystem schwierig sein. Auch hier drückt das Erbe der Keynesianer, von den meisten Angelsachsen bereitwillig aufgesogen und gehegt und gepflegt. Schulden seien immer gut, tönt es einem da entgegen. Wenn aber eine Volkswirtschaft anspart, vorausspart und dann privat und nach unternehmerischen Gesichtspunkten in Kapital investiert, dann ziehen sogar Konkurse und Krisen nicht diese Kreise wie in einem teilfinanzierten Bankensystem und bei überschuldeten Firmen, Privaten, Staaten. Doch heute hat man die Werte auf den Kopf gestellt: Sparen ist unsolidarisch! Man höre sich nur die Tiraden vieler Ökonomen in den USA oder der OECD gegen Deutschland an, weil es sich erlaubt, einen leicht überschüssigen Staatshaushalt zu führen, und weil die Privaten es mit der Haushaltskasse ihm gleichtun. Dasselbe in der Schweiz.
Der Mythos der großen Aggregate und staatliche Allmacht – das Nachsehen haben die weniger Begüterten
Letztlich stehen unterschiedliche gesellschaftliche Bilder hinter allem. Die Keynesianer bauen auf den zentralen Staat, allmächtig, intervenierend, der die großen Aggregate steuert – Investitionen, Konsum, Exporte, Ersparnis, Kredite. Hayekianer glauben, solche „Universalien“ stellten gar nichts dar, ja verstellten den Blick auf die wirtschaftliche Realität. Es sind immer nur Individuen, die handeln, kaufen, in „Kapital“ investieren, und dies eben auf jeweils völlig unterschiedliche Weise (das ist der berühmte „methodologische Individualismus“ der Österreichischen Schule). Wer richtig und klug wirtschaftet, gewinnt, wer nicht, hat Verluste, macht schließlich Konkurs. Die Individuen lernen, wie man sich rettet, ohne Hilfe von oben zu erwarten, ohne durch den Staat anästhesiert und gegen die heilsam regulierenden Marktkräfte immun gemacht zu werden, um schließlich als Zombie zu „überleben“.
Es ist unverständlich, dass die europäische – und jetzt die amerikanische – Linke die Vermachtung der Gesellschaft durch den allzuständigen Staat wünschen, Großfirmen mit Tiefzinsen füttern, die Sparer leiden lassen, dass sie dabei die Vermögenskonzentration in Kauf nehmen, und dass sie nie auf die Qualität des Wirtschaftens, der Anlagekapitalien achten wollen.
Man kann dies noch illustrieren mit dem Ruf der Linken, Linksliberalen und einiger von schlechtem Gewissen geplagter Reicher nach Erbschaftssteuern. So, erklären sie, werde das Übel der Vermögenskonzentration angegangen.
Dumme Illusionen. Wo hat der Staat je die Erträge solcher Steuern den Armen weitergereicht, damit sie Vermögen bilden? Der Reichste von allen, der Staat, blähte in Wirklichkeit seine laufenden Ausgaben einfach auf, die Politiker konnten weiter viel versprechen. Wenn schon hätte stattdessen der Staat die Aktien der Reichen den Armen der Vorstädte als reales Kapital verteilen müssen.
Doch der Blick aufs Qualitative zeigt das Gegenteil – wenn er die Vermögen beim Erbgang anzapft, lässt der Staat das Geld in die eigene Kasse fließen. So verkaufen die Erben reales Kapital, also Aktien, Immobilien, senden den Erlös dem Fiskus, und der Staat schafft dann Kapital – als Kieswerke, Schnellstraßen, Verwaltungsgebäude. Kapital ist eben nicht gleich Kapital. Die Staatsgärtnerei ersetzt das Gartencenter. Und die Armen essen weiterhin wenig Pralinen.