Das Evangelium ist nicht antikapitalistisch, im Gegenteil

Anfang August konnten katholische Kirchgänger in der Sonntagsmesse eine Passage aus dem Lukasevangelium hören, in der ein Mann Jesus bittet, er möge seinen Bruder anweisen, sein Erbe mit ihm zu teilen. Jesus weist ihn mit den Worten zurecht: „Mensch, wer hat mich zum Richter oder Erbteiler bei euch eingesetzt?“ Darauf ermahnt Jesus die Anwesenden: „Gebt acht, hütet euch vor jeder Form von Habgier! Denn das Leben eines Menschen besteht nicht darin, dass einer im Überfluss seines Besitzes lebt.“

Jesus war mit Sicherheit kein Kapitalismuskritiker, sonst hätte er in seinen Gleichnissen das auf Gewinn gerichtete unternehmerische Tun nicht als Bild für tugendhaftes und lobenswertes Verhalten verwendet. In der Lehre Jesu geht es überhaupt nicht um Wirtschaft oder Politik, auch nicht um Geld oder Reichtum als solchen, sondern um die falsche Einstellung dazu.

Einmal mehr also eine Warnung vor Gier und Profitdenken, christliches Kapitalismus- und Reichtums-Bashing, begründet direkt aus dem Evangelium! Wer das denkt – in diese Richtung gingen vermutlich die meisten Sonntagspredigten –, hat ungenau gelesen. Schauen wir genauer hin, können wir in diesem Text Erstaunliches entdecken.

Das Gleichnis vom reichen Mann: keine Reichtumskritik

Zunächst: Warum eigentlich hat der Bruder des Erben, der Jesus um Unterstützung bittet, nichts vom Erbe erhalten? Der Schlüssel zur Beantwortung dieser Frage findet sich in einem Gleichnis, das Jesus der Mahnung hinzufügt. Es erzählt die Geschichte eines reichen Mannes, der eine gute Ernte eingefahren hat und sich sagt: Warum soll ich weiterhin überhaupt noch arbeiten? Ich baue mir größere Scheunen, und werde dort „mein ganzes Getreide und meine Vorräte unterbringen. Dann werde ich zu meiner Seele sagen: Seele, nun hast du einen großen Vorrat, der für viele Jahre reicht. Ruh dich aus, iss und trink und freue dich!“. Da ertönt in seinem Gewissen die Stimme Gottes: „Du Narr! Noch in dieser Nacht wird man das Leben von dir zurückfordern. Wem wird dann das gehören, was du angehäuft hast?“ Die Moral daraus: „So geht es jedem, der nur für sich selbst Schätze sammelt, aber bei Gott nicht reich ist.“

Wer hier eine Spitze gegen kapitalistisches Gewinnstreben sieht, hat weder das Gleichnis noch den Kapitalismus verstanden. Denn was hätte der reiche Mann, statt eine Scheune zu bauen und sich auf die faule Haut zu setzen, nach dem Einfahren der guten Ernte getan, wäre er ein „Kapitalist“ gewesen? Er hätte die Ernte auf dem Markt verkauft und den Erlös – unter Abzug eines persönlichen Einkommens, des Unternehmerlohns also – investiert, sei es für bessere Geräte oder zusätzliches oder fruchtbareres Land, vielleicht auch für besseres Saatgut. Er hätte auch zusätzliche oder besser qualifizierte Arbeitskräfte einstellen oder sich selbst weiterbilden können, um produktiver zu werden. Den steigenden Gewinn hätte er erneut investieren können. Vor allem aber hätte er die Versorgung der umliegenden Dörfer und Städte mit Lebensmitteln verbessert, ja, durch das Mehrangebot wäre infolge der besseren Versorgung sogar das allgemeine Preisniveau gefallen, alle wären durch die damit verbundenen Erhöhung der Kaufkraft reicher geworden, ihr Lebensstandard hätte sich verbessert. Seinen Kindern hätte der reiche Mann eine besser Bildung finanzieren können, so dass die nächste Generation auf einem höheren Niveau von Bildung – mehr Humankapital –, Produktivität und Wohlstand zu wirtschaften imstande gewesen wäre.

Die Logik des Kapitalismus

Was der reiche Mann im Gleichnis zu tun unterließ und wofür er getadelt wird, ist genau das, was kapitalistische Unternehmer tun. Der reiche Mann des Gleichnisses wurde dafür getadelt, dass er mit dem Verdienten sozusagen in Frühpension ging, sich auf die faule Haut legen und seinen Reichtum genießen wollte. Mit kapitalistischem Gewinnstreben oder Habgier hat das wenig zu tun, wohl aber mit der Gier des konsumgesättigten Wohlstandshedonisten und sehr viel mit der weitverbreiteten, äußerst unsozialen Unsitte der – ungerechtfertigten – Frühpensionierung, die ebenfalls eine subtile Form der Habgier sein kann.

Jesus tadelt nicht das unternehmerische Gewinnstreben, das auf Arbeit beruht und den Wohlstand aller vermehrt, sondern – auf heutige Verhältnisse bezogen – die nichtsnutzige Faulheit des Frühpensionierten.

Nun wird verständlich, weshalb der Bruder des Alleinerben nichts vom Erbe erhielt und ihn Jesus für den Versuch, sich seiner Autorität zu bedienen, um an das Geld heranzukommen, tadelt. Und erst so macht das Gleichnis Sinn: Jesus tadelt nicht das unternehmerische Gewinnstreben, das auf Arbeit beruht und den Wohlstand aller vermehr, sondern – auf heutige Verhältnisse bezogen – die nichtsnutzige Faulheit des Frühpensionierten oder sich auf andere Weise auf dem Erreichten Ausruhenden, heutzutage auch den, der sich durch die Bequemlichkeiten des Sozialstaats von mehr Leistung abhalten lässt oder sich, um mehr Freizeit zu haben oder sich seinen Hobbies widmen zu können, nur noch in Teilzeit arbeitet, was gerade in einem Sozialstaat, der von den Beiträgen der arbeitenden Bevölkerung lebt, äußerst unsolidarisch ist. Denn die Betreffenden erhalten mit halben Beiträgen volle Sozialleistungen und genießen damit ihre Frühpensionierung auf Kosten ihrer Mitbürger.

Antikapitalismus im Evangelium? Klischees und Unkenntnis

Man könnte einwenden: Eine solche Interpretation ist weit hergeholt, sie entspricht keineswegs der Verkündigung Jesu, ja steht vielmehr im deutlichen Kontrast zur doch deutlich negativen Haltung Jesu gegenüber Geld und Gewinnstreben. Doch das ist ein Klischee, ein Vorurteil, das Unkenntnis der Texte verrät. Schauen wir etwa auf das berühmte Gleichnis der anvertrauten Talente, wie wir es etwa bei Matthäus (25. Kapitel) finden! Ein Mann ging auf Reisen, so die Erzählung, seinen Dienern vertraut er mehrere Talente Silbergeld zur Verwaltung an. In einer anderen Version des Gleichnisses, das sich bei Lukas findet, gibt der Herr seinen Dienern „Minen“, ebenfalls ein Maß für Geld, und trägt ihnen auf: „Macht Geschäfte damit, bis ich wiederkomme“. Der eine erhielt – in der Version von Matthäus – fünf Talente, der andere zwei, der dritte nur eines, „jeder nach seinen Fähigkeiten“. Das Talent war ein Gewichtsmaß für Silbergeld und entsprach zu jener Zeit 6000 Denaren; ein Denar war der Tageslohn für einen Tagelöhner, ein Talent entsprach demnach dem Lohn für etwa 20 Jahre Arbeit! Das waren gewaltige Summen.

Der erste der beiden Diener gibt seinem Herrn bei dessen Rückkehr die doppelte Summe zurück: „Fünf Talente hast du mir gegeben: sieh her, ich habe noch fünf dazugewonnen“. Er wird gelobt: „Sehr gut, du tüchtiger und treuer Diener“, und darf in „die Freude seines Herrn eintreten“. Ebenso der zweite. Der dritte Diener hingegen bringt das eine Talent, das er erhalten hatte, mit der Ausrede zurück, er habe es wegen der Strenge seines Herrn aus Angst vergraben. Der Herr tadelt ihn als „schlechten und faulen Diener“ und fügt hinzu: „Du hättest mein Geld auf die Bank bringen müssen, dann hätte ich es bei meiner Rückkehr mit Zinsen zurückerhalten“.

Was Jesus tadelt, ist die Habgier der Geizigen, Faulen, der rücksichtlosen Genießer und Wohlstandshedonisten, die eben „vor Gott nicht reich“ und deshalb letztlich „Narren“ sind.

Natürlich geht es nicht darum zu behaupten, Jesus habe den Kapitalismus verkündet oder wir könnten aus dem Evangelium irgendwelche Orientierung für den richtigen Umgang mit Geld erhalten. Das wäre abwegig. Was wir aber zeigen können, ist: Jesus war mit Sicherheit kein Kapitalismuskritiker, sonst hätte er in seinen Gleichnissen das auf Gewinn gerichtete unternehmerische Tun nicht als Bild für tugendhaftes und lobenswertes Verhalten verwendet. In der Lehre Jesu geht es überhaupt nicht um Wirtschaft oder Politik, auch nicht um Geld oder Reichtum als solchen, sondern um die falsche Einstellung dazu. Was Jesus tadelt, ist die Habgier der Geizigen, Faulen, der rücksichtlosen Genießer und Wohlstandshedonisten, die eben „vor Gott nicht reich“ und deshalb letztlich „Narren“ sind.

Wir sollten also eher vorsichtig sein, wenn wir Aussagen in den Evangelien über Habgier, Geiz wie auch Warnungen vor der Liebe zum „Mammon“ als Kritik an einer bestimmten Wirtschaftsform oder Art der wirtschaftlichen Betätigung verstehen. Zweitens heißt es aber auch, dass wenn diese Laster – Habgier, Geiz, ungerechter Besitz – angeprangert werden, eben gerade nicht der Kapitalismus gemeint sein kann. Denn dieser beruht auf produktiver Verwendung von privatem Eigentum unter eigenem Risiko, auf unternehmerischer Arbeit und daraus folgender Wertschöpfung, durch die nicht nur der Unternehmer, sondern auch die Lohnempfänger, vor allem aber die Konsumenten – die Gesamtheit der Menschen in einem Wirtschaftsraum – wohlhabender werden. Das ist strukturell weder Habgier noch Geiz, im Gegenteil.

Als solcher, gleichsam „systemisch“ betrachtet, haben Kapitalismus und Unternehmertum nichts mit Habgier zu tun. Eine ganz andere Frage ist allerdings, wie es im Herzen eines Kapitalisten und Unternehmers aussieht, ja wie es um das Herz eines jeden, auch des weniger wohlhabenden oder gar armen Menschen steht. Auch bei Letzteren gibt es Habgier. Sie äußert sich oft in Neid und Ressentiment, die sich leicht ausnutzen und entsprechend politisch mobilisieren lassen, allerdings aller Erfahrung nach kaum zum Nutzen der weniger Wohlhabenden oder Armen.

Christliche Tradition der Kritik des Privateigentums und ihre Überwindung im Mittelalter

Wenn nun aber das Evangelium dafür nichts hergibt: warum dann die immer wieder kapitalismuskritischen Sonntagspredigten und anderen kirchlichen Äußerungen, die in die gleiche Richtung zielen? Sie gründen auf einer langen christlichen Tradition der Kritik des Privateigentums, die ursprünglich auf die antike Stoa und die von dieser Philosophie beeinflussten Kirchenväter zurückgeht, also auf die Zeit des römischen Imperiums, in der die Wirtschaft in der Tat ein Nullsummenspiel war. Reich werden konnte man damals nur auf Kosten anderer, auf Kosten der Masse der Plebs, die mit gewaltigen, von den Reichen finanzierten jährlichen Getreidelieferungen aus Nordafrika ruhiggestellt wurde. Und in vorchristlicher Zeit natürlich auf dem Rücken der Sklaven.

Die Kirchenväter, etwa Ambrosius von Mailand, selbst Sohn eines reichen Senators, der sein immenses, geerbtes Vermögen nach seiner Konversion und Wahl zum Bischof von Mailand der Kirche, insbesondere der kirchlichen Armenfürsorge, zur Verfügung stellte, betrachtete Eigentum als usurpatio, also als „missbräuchliche Aneignung“, eine Art Raub, und ermahnte die reichen Christen zum Almosengeben mit den Worten: „Du schenkst ja nicht von deinem Eigentum dem Armen, sondern gibst ihm von dem Seinigen zurück“. Er musste es wissen, denn er war ein Abkömmling eben dieses Systems. Zweihundert Jahre später schrieb Papst Gregor der Große, ein begnadeter Organisator der kirchlichen Caritas: „Wenn wir den Armen etwas geben, geben wir nicht etwas von uns, sondern wir geben ihnen zurück, was ihnen gehört“. Beide Zitate finden sich immer wieder in kapitalismuskritischen päpstlichen Lehrschreiben, aber leider aus jenem ursprünglichen Kontext gerissen, in dem man diese Sätze verstehen konnte.

Ganz im Unterschied zur kapitalistischen Wirtschaftsform funktionierte die Wirtschaft im römischen Reich gemäß der Logik des Nullsummenspiels, in dem man nur dann reicher werden konnte, wenn andere ärmer wurden oder arm blieben.

Ambrosius und Papst Gregor hatten ja gar nicht so unrecht. Denn ganz im Unterschied zur kapitalistischen Wirtschaftsform funktionierte die Wirtschaft im römischen Reich gemäß der Logik des Nullsummenspiels, in dem man nur dann reicher werden konnte, wenn andere ärmer wurden oder arm blieben. Auf diesem Reflexionsniveau verblieb die kirchliche Auffassung bis in hohe Mittelalter, wo sich dann aber ein blühender Handelskapitalismus und das norditalienische Bankwesen zu entwickeln begannen.

Philosophen und Theologen entdeckten in der Folge, dass es neben der konsumtiven Verwendung von Geld auch eine produktive gibt, die Wohlstand schafft. Sie nannten solches Geld „Kapital“. Ausgehend von dem französischen Franziskaner Petrus Johannis Olivi (1247-1296) und seinem höchst einflussreichen „Traktat über Verträge“, über den heiligen Bernhardin von Siena (1380-1444) – ebenfalls ein Franziskaner – bis hin zu den Moraltheologen der Schule von Salamanca im 16. und 17. Jahrhundert, in der Dominikaner und Jesuiten dominierten, folgte eine Entwicklung der wirtschaftswissenschaftlichen Reflexion über Geld, Kredit, Zins, Inflation, Wert, Risikostreuung bis hin zur Entdeckung des für das moderne ökonomische Denken zentralen Begriffs der Opportunitätskosten.

Die Ergebnisse prägten auch die Vorstellungen der nachreformatorischen Philosophie und Theologie bis hin zur Aufklärung. Sie nahmen laut Josef Schumpeter wesentliche Einsichten von Adam Smith vorweg und wurden damit zur Grundlage für die sich schließlich im 18. Jahrhundert herausbildende klassische Nationalökonomie. Das von der Kirche auch damals immer noch hochgehaltene Zinsverbot, das sich ja letztlich auf Konsumkredite bezog, hatten die Philosophen und Theologen des Hoch- und Spätmittelalters mit ihrer Entdeckung des Investitionskredits für produktive Zwecke und eine entsprechende Legitimierung des Zinses schon längst umschifft.

Probleme mit dem Kapitalismus infolge der Industriellen Revolution

Die Probleme der Kirche – generell der städtischen Intellektuellen und Kleriker – mit dem Kapitalismus entstanden im 19. Jahrhundert mit der Industriellen Revolution und dem Unverständnis der ökonomischen Gesetze, die dabei am Werk waren. Man kannte nur das Elend in den Städten, nicht aber das viel größere Elend auf dem Land, vor dem die Menschen in die Fabriken flüchteten, um zumindest nicht zu verhungern. Man diskutierte über die Rolle des Staates, zur Behebung des Elends, Liberale kritisierten dabei Konservative und Sozialisten, weil sie dem freien Markt nicht vertrauten.

1891, sehr spät, rang sich schließlich Papst Leo XIII. zu einer lehramtlichen Stellungnahme durch. In der Enzyklika „Rerum novarum“ verurteilte er den Sozialismus und verteidigte ihm gegenüber, und zwar mit Argumenten des liberalen britischen Philosophen John Locke, den die Berater des Papstes kannten und schätzten, dezidiert das Privateigentum als Grundlage dafür, damit durch produktive Arbeit die Güter dieser Welt allen Menschen zugutekommen. Gleichzeitig jedoch geißelte er das Arbeiterelend und forderte im Namen der Rechtsgleichheit – als Forderung der „distributiven Gerechtigkeit“ – die Regierungen auf, zum Schutz von Leben und Gesundheit der Arbeiter entsprechende Gesetze zu erlassen.

Die Probleme der Kirche mit dem Kapitalismus entstanden im 19. Jahrhundert mit der Industriellen Revolution und dem Unverständnis der ökonomischen Gesetze, die dabei am Werk waren.

Die kapitalistische Produktionsweise selbst wurde von Leo XIII. nicht kritisiert, im Gegenteil; sie wurde aber auch mit ihrem Potential. Massenwohlstand zu schaffen, wie das zur damaligen Zeit bereits offensichtlich wurde, nicht wirklich verstanden, was sich auch in der Forderung Papst Leos nach einem sogenannten Familienlohn äußerte, also einem Lohn, der sich nicht an der Produktivität des einzelnen Arbeiters, sondern an den Lebenshaltungskosten einer ganzen Familie mit – nicht berufstätigen – Frau und Kindern orientierte. Ein solcher Lohne war natürlich nicht marktgerecht und insofern für die damaligen Verhältnisse illusorisch. Das Problem löste sich allmählich durch die ständige Zunahme der Produktivität und die darauffolgende Erhöhung der Reallöhne. Erst so, also durch die Logik des Kapitalismus, konnte man sich dann auch eine Sozialgesetzgebung leisten, die die Arbeitszeit regelte, konnte die Kinderarbeit überwunden und generell die Arbeitswelt durch weitere arbeitsrechtliche Regulierungen allmählich humanisiert werden. Schließlich setzte auch der große Leo XIII. die Hoffnung nicht auf das wohlstandsschaffende Potential der kapitalistischen Wirtschaft, das er in seiner umwälzenden Dynamik nicht durchschaute, sondern auf Wohltätigkeit und christliche Nächstenliebe und griff damit letztlich zu kurz.

Anhaltendes kirchliches Misssstrauen gegenüber den Marktkräften

Was auf Leo XIII. folgte, war eine kirchliche Soziallehre, die zwar zu allen Zeiten an der Bejahung des Privateigentums – dem Fundament des marktwirtschaftlichen Kapitalismus – festhielt, aber zwischen Annahme und Ablehnung der kapitalistischen Wirtschaftsform und der Marktwirtschaft oszillierte. Man suchte nach einem „Dritten Weg“, den man schließlich „Solidarismus“ nannte. Er war von Misstrauen gegenüber den Marktkräften, dem Wettbewerb und letztlich der freien Verfügungsmacht über Privateigentum an den Produktionsmitteln geprägt und verkündete an ihrer Stelle – so 1931 in der Enzyklika „Quadragesimo anno“ von Pius XI. – die staatlich implementierte „soziale Gerechtigkeit“ und die „soziale Liebe“ als regulierende Prinzipien der Wirtschaft.

Noch 1947 forderte die vom katholischen Solidarismus zutiefst beeinflusste und zu sozialistischen Lösungen tendierende neugegründete CDU in ihrem Ahlener Programm „Kapitalismus und Gewinnstreben“ seien zu überwinden, bis sie schlussendlich auf die Linie Ludwig Erhards einschwenkte und die Partei des deutschen Wirtschaftswunders wurde. Dass die katholische Soziallehre Erhards „sozialer Marktwirtschaft“ Pate gestanden habe, ist eine bis heute erzählte Legende.

Schließlich wurde auch in der kirchlichen Soziallehre – durch Papst Johannes Paul II. – die Marktwirtschaft in ihrer modernen Form bejaht, wobei jedoch die nachfolgenden Päpste sehr bald wieder kritisch davon abrückten und die Ergänzung der Marktwirtschaft durch eine nicht profitorientierte Ökonomie der „Unentgeltlichkeit“ forderten (so Benedikt XVI. in der Enzyklika „Caritas in veritate“, 2009). Der Prozess kulminierte in der Behauptung von Papst Franziskus im Jahre 2013, die kapitalistische Marktwirtschaft sei eine „Wirtschaftsform, die tötet“. Der Argentinier Jorge Mario Bergoglio dachte zeit seines Lebens peronistisch.

Nicht der Kapitalismus oder die Marktwirtschaft töten, sondern nachweislich genau jene Ideologien, die sie ablehnen oder gar verteufeln.

Er hatte wohl im Ohr, was der argentinische Präsident General Juan Perón 1948 in einer berühmten Rede vor Kirchenvertretern gesagt hatte: Er habe das Privateigentum immer „entschieden verteidigt“, sei aber gleichzeitig „der Überzeugung, dass der beste Weg dazu darin bestehe, die Mächtigen davon zu überzeugen, dass sie ihre Güter mit den Besitzlosen teilen müssten. Es ist notwendig, dass die Reichen weniger reich sind, damit die Armen weniger arm sind.“ Das ist ein Verständnis von Wirtschaft als Nullsummenspiel wie im römischen Reich oder später im Merkantilismus. Es ist in seiner interventionistischen Form im Namen der „sozialen Gerechtigkeit“ Argentinien bekanntlich nicht gut bekommen, hat das Land in den Ruin und die Armutsquote auf ungeahnte Höchststände getrieben.

Fazit: Wirtschaftsfeindlichkeit und Kapitalismuskritik verhindern Wohlstand

Statt aus dem Evangelium immer wieder antikapitalistische und wirtschaftsfeindliche Töne herauszuhören, sollten sich deshalb Theologen und Kirchenvertreter auf die Geschichte des Kapitalismus einlassen und seine wertschöpfende Logik zu verstehen suchen, eine Logik, durch die zwar einige sehr reich werden, aber genau deshalb der Wohlstand der Masse der Menschen ständig zunimmt.

Zugleich sollten sie sich zu ihrer eigenen Tradition der Wirtschaftsfeindlichkeit und Kapitalismuskritik kritisch verhalten. Nicht der Kapitalismus oder die Marktwirtschaft töten, sondern nachweislich genau jene Ideologien, die sie ablehnen oder gar verteufeln. So könnte die Kirche mehr dazu beitragen, nicht nur durch ihre karitative Arbeit existierende Not, die es immer geben wird, zu lindern, sondern zu einem wirtschaftlichen Fortschritt zu ermutigen, der diese Not nach und nach aus der Welt verbannt – zumindest in der Form der Massenarmut, wie sie noch immer dort existiert, wo infolge von Despotie, Korruption und mangelnder Rechtsstaatlichkeit Kapitalismus, Marktwirtschaft und freier Handel ihre wohlstandsschaffende Dynamik nicht zu entfalten vermögen.

 

Dieser Artikel ist zuerst unter dem Titel Jesus tadelt nicht das Gewinnstreben, sondern die Faulheit am 22. August 2025 im österreichischen Wirtschaftsmedium SELEKTIV erschienen.

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