Die Wurzeln vieler Fehlurteile der Wirtschaftspolitik basieren zu 90 Prozent auf zwei Irrtümern: Entweder beachtet die Politik nur die unmittelbaren Auswirkungen einer Maßnahme, nicht aber die langfristigen, oder sie hat nur eine bestimmte Gruppe, die von einer Maßnahme profitiert, im Auge, ohne die Gesamtheit und den Schaden für andere Gruppen zu berücksichtigen.
Eine Ursache für diese wirtschaftspolitischen Fehler liegt im Lobbying einzelner Gruppen, die von solchen konkreten Maßnahmen profitieren. Klarerweise haben sie ein unmittelbares Interesse an Maßnahmen, die sie begünstigen, und werden „sich verständlicherweise mit Nachdruck und scheinbarer Glaubwürdigkeit für sie einsetzen.“ Eine weitere Ursache liegt schlicht in der „unausrottbare(n) Neigung der Menschen, nur die unmittelbaren Folgen einer Maßnahme oder nur deren Auswirkungen auf eine bestimmte Gruppe zu sehen.“
Der Unterschied zwischen Weit- und Kurzsichtigkeit macht auch den Unterschied zwischen gutem und schlechtem Wirtschaften aus. In der Wirtschaft ist es hier so wie im sonstigen Leben: Laster und Schwächen sind im ersten Moment angenehm, am Ende aber verhängnisvoll. Man denke nur an Verschwendungssucht, Faulenzen oder Alkoholismus. Doch in der staatlichen Wirtschaftspolitik „werden all diese elementaren Wahrheiten missachtet. Da gibt es Leute, die als glänzende Wirtschaftsexperten gelten, die das Sparen verurteilen und staatliche Verschwendung als Mittel zur Rettung der Wirtschaft empfehlen.“
Die verdrängten langfristigen Folgen sind aber nicht erst in ferner Zukunft spürbar. Schon heute leiden wir „unter den langfristigen Folgen der Maßnahmen der jüngeren und ferneren Vergangenheit“. Manche langfristige Folgen machen sich in wenigen Monaten bemerkbar, andere in ein paar Jahren oder Jahrzehnten. „Aber auf jeden Fall sind diese langfristige Folgen bereits in den Maßnahmen erhalten.“
Die „neue“ und die klassische Wirtschaftslehre
Den entgegengesetzten Irrtum begingen oft Vertreter der klassischen Wirtschaftslehre. Sie achteten nur auf die „langfristigen Auswirkungen auf die Gemeinschaft als Ganzes“, verhielten sich aber zum Teil gleichgültig „gegenüber Gruppen, die unmittelbar empfindlich von Maßnahmen oder Entwicklungen getroffen werden, welche sich per Saldo und auf lange Sicht betrachtet durchaus als vorteilhaft erwiesen.“ Die Vertreter der „neuen“ Wirtschaftslehre hingegen, die bei Maßnahmen nur die kurzfristigen Auswirkungen auf bestimmte Gruppen beachten, begeben sich mit ihrer Missachtung der langfristigen Folgen für die Volkswirtschaft als Ganzes auf die Linie des Merkantilismus (16. bis zum 18. Jahrhundert). „Sie verfallen in all die alten Fehler (oder würden es, wenn sie nicht so inkonsequent wären), welche die klassischen Ökonomen, wie wir glaubten, ein für allemal aus der Welt geschafft hatten.“
In der Öffentlichkeit finden sämtliche der von Demagogen verbreiteten ökonomischen Irrtümer breiten Zuspruch. Der Grund dafür „besteht darin, dass Demagogen und schlechte Wirtschaftspolitiker Halbwahrheiten anbieten.“ Sie zeigen nur die unmittelbaren Folgen einer Maßnahme für eine bestimmte Gruppe auf und haben damit eventuell sogar Recht. Doch das ist eben nicht die ganze Wahrheit. „Die Antwort besteht darin, die halbe Wahrheit durch die fehlende Hälfte zu ergänzen und zu berichtigen. Aber oft erfordert es komplizierte und umständliche Überlegungen, die wichtigsten Auswirkungen einer geplanten Maßnahme auf alle Betroffenen zu berücksichtigen.“
Das Aufzeigen der ganzen Wahrheit ist die Aufgabe dieses Buchs, und zwar anhand von konkreten Beispielen. „Wir haben das Wesentliche der Lektion und der Irrtümer, die ihr im Weg stehen, bisher nur anhand abstrakter Begriffe erläutert. Aber die Lektion wird nicht ‚sitzen‘, und die Irrtümer werden auch weiterhin unerkannt bleiben, wenn nicht beides an Beispielen erklärt wird. Mithilfe dieser Beispiele können wir bei den ganz elementaren Wirtschaftsproblemen beginnen und uns bis zu den schwierigsten und kompliziertesten Prozessen wagen.“
Die hier gebotene, exklusiv für die AUSTRIAN ESSENTIALS erstellte Kurzfassung von „Die 24 wichtigsten Regeln der Wirtschaft“ erscheint mit Erlaubnis des FinanzBuch Verlags, bei dem auch die deutsche Fassung der 1978 erschienenen aktualisierten Neuauflage des Klassikers erhältlich ist.