9. Das goldene Kalb Vollbeschäftigung

Henry Hazlitt: Economics in One Lesson

Das wirtschaftliche Ziel jedes Menschen ist es, „mit dem geringstmöglichen Einsatz das bestmögliche Ergebnis zu erreichen.“ Deshalb begann der Mensch einst damit, Lasten nicht mehr selbst zu tragen, sondern sie einem Maultier aufzuladen. Ebenso erfand er in weiterer Folge das Rad, den Wagen, die Eisenbahn, den Lastwagen. Er steckte im Verlauf der Geschichte viel geistige Energie in „Tausende und Abertausende arbeitssparender Erfindungen“. Diese Entdeckungen sind wesentlicher Motor des Fortschritts der Menschheit insgesamt gewesen. Fortschritt besteht nämlich darin „mit gleicher Arbeit mehr hervorzubringen“.

Die Produktion ist das Ziel, die Beschäftigung das Mittel.

Es ist daher nicht nur das Ziel jedes Einzelnen, sondern jedes Landes, mit möglichst wenig Aufwand möglichst viel zu produzieren. Jedes Land will die Produktion möglichst weit steigern. „Auf dem Weg dorthin fällt die Vollbeschäftigung, das heißt das Fehlen unfreiwilliger Untätigkeit, als notwendiges Nebenprodukt an. Aber die Produktion ist das Ziel, die Beschäftigung lediglich das Mittel.“

Verwechslung von Mittel und Ziel: Beschäftigung wird losgelöst von der Produktivität betrachtet

In Öffentlichkeit und Politik gilt die Hauptsorge hingegen meist der Vollbeschäftigung. „Gesetzgeber erarbeiten keine Gesetzesvorlagen für die Vollauslastung der Produktion, sondern Vorlagen für die Vollbeschäftigung.“ Dadurch „wird das Mittel zum Zweck, und der Zweck selbst wird vergessen.“

Die Konsequenz: Es wird über Löhne und Beschäftigung diskutiert, „als hätten sie nichts mit der Produktion und dem Ertrag zu tun. … Unzählige Arbeitsbeschaffungspraktiken der Gewerkschaften werden völlig verwirrt geduldet.“ Sämtliche dieser Vorschläge (wie die Forderung nach einer 30-Stunden-Woche) gründen auf der Annahme, Arbeit seit nur in begrenztem Umfang vorhanden. Zahlreiche Arbeitsbeschaffungspraktiken laufen auch darauf hinaus, möglichst unproduktiv zu arbeiten. Sie sind damit dem eigentlichen wirtschaftlichen Ziel eines Landes genau entgegengesetzt:

„Als es in den Vereinigten Staaten noch die Works Progress Administration gab, eine staatliche Einrichtung zur Untersuchung von Arbeitsbedingungen und zur Arbeitsbeschaffung für Arbeitslose durch Zuschüsse, galt jeder Mitarbeiter dieser Behörde als genieverdächtig, der sich Projekte ausdachte, bei denen im Verhältnis zum Wert der geleisteten Arbeit die größtmögliche Anzahl Menschen beschäftigt wurde – bei denen mit anderen Worten die Arbeit am unproduktivsten war.“

Vollbeschäftigung gibt es auch ohne maximale Auslastung der Wirtschaft

Die eigentliche Frage ist aber wie gesagt nicht, „wie viel Arbeitsplätze es in zehn Jahren in einem Land gibt, sondern wie viel produziert werden soll und wie der Lebensstandard ist.“ Tatsächlich kann eine Volkswirtschaft ihre maximale Leistungsfähigkeit nicht ohne Vollbeschäftigung erreichen, also ohne die Nichtexistenz unfreiwilliger Arbeitslosigkeit . Dasselbe gilt aber nicht umgekehrt: Es kann sehr wohl auch ohne volle Auslastung der Produktionskapazitäten Vollbeschäftigung geben.

Nur schafft das nicht mehr Wohlstand. Den weniger weit entwickelten Staaten macht nicht die Arbeitslosigkeit am meisten zu schaffen, sondern „die rückständigen Produktionsverfahren …, die sowohl Ursache wie Folge der Kapitalknappheit sind“. Beschäftigung ist daher nicht ihr Problem: „Primitive Stämme leben nackt, ernähren sich und wohnen kärglich, aber sie leiden nicht unter Arbeitslosigkeit.“

Sobald man Vollbeschäftigung von der vollausgelasteten Produktion abkoppelt und als Selbstzweck betrachtet, ist Vollbeschäftigung leicht zu erreichen, vor allem mit Zwang: „Hitler schuf mit gewaltigen Rüstungsprogrammen Vollbeschäftigung. Der Zweite Weltkrieg bescherte allen beteiligten Nationen Vollbeschäftigung. In den deutschen Zwangsarbeiterlagern herrschte Vollbeschäftigung.

Dank des Fortschritts wird weniger Beschäftigung nötig

Die erfreulichen Konsequenzen des Fortschritts, die zahlreichen Bevölkerungsgruppen zugutekamen, machten gerade im Gegenteil immer weniger Beschäftigung nötig:

„Kulturelle Fortschritte waren immer mit einem Abbau der Beschäftigung verbunden, nicht mit deren Zunahme. Weil wir als Land immer wohlhabender geworden sind, konnten wir die Kinderarbeit ausmerzen und vielen alten Menschen die Notwendigkeit ersparen, arbeiten zu müssen. Viele Frauen hatten nicht mehr nötig, sich eine Arbeit zu suchen.“

Je mehr produziert wird, desto mehr gibt es zu verteilen

„Das Problem der Verteilung, auf das heute so viel Gewicht gelegt wird, lässt sich letztlich am leichtesten lösen, wenn es genug zu verteilen gibt.“ Dafür braucht es ebenfalls mehr Produktion. „Es wäre weit besser, wenn man die Wahl hätte (aber man hat sie nicht), möglichst viel zu produzieren und einen Teil der Bevölkerung untätig zu lassen und dabei sogar noch zu unterstützen, als durch so viele Arten verkappter Arbeitsbeschaffung ‚Vollbeschäftigung‘ herzustellen, wodurch nur der Produktionsablauf gestört wird.“

Man sieht: Der Fokus auf Vollbeschäftigung lässt die Produktion außer Acht. „Vieles wird klarer, wenn wir unser Hauptaugenmerk dorthin lenken, wo es am angebrachtesten ist  auf die Maßnahmen, welche die Produktion am meisten steigern.“

Die hier gebotene, exklusiv für die AUSTRIAN ESSENTIALS erstellte Kurzfassung von „Die 24 wichtigsten Regeln der Wirtschaft“ erscheint mit Erlaubnis des FinanzBuch Verlags, bei dem auch die deutsche Fassung der 1978 erschienenen aktualisierten Neuauflage des Klassikers erhältlich ist.

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