Die Inflation ist unter uns: Im Euroraum stieg sie im Dezember 2021 auf 5%, in den USA auf 7%. Inflation heißt: nicht die Preise steigen, sondern das Geld verliert seinen Wert. Damit ist schon einmal richtiggestellt, was die Verharmloser dieser erstmaligen Preiswelle seit dreißig Jahren sagen. Verharmlost hatten die Notenbanken in den USA wie im Euroraum auch die Dauer dieser Entwertung ihres Geldes, und erst nach einem halben Jahr Inflation um die 5% nahm der US-Notenbankchef das Wörtchen „vorübergehend“ aus seinen gedrechselten Aussagen. Die Direktoren der EZB brauchen dieses Wörtchen immer noch.
Die Notenbanken hatten die Interessen der Sparer zur schmerzlosen Sanierung der überschuldeten Staaten geopfert. Nur haben die Politiker dies schlecht genutzt, indem sie die Staatsschulden gleich weiter massiv aufbauten.
Doch wie steht es mit der Einschätzung, die Energiepreise, in zweiter Linie auch die Lebensmittel seien die hauptsächlichen Treiber? Sogar wenn man diese Indexteile herausnimmt und schönrechnet, steht die Inflations-“Kernrate“ Europas mit 2,6% (USA gar 5,5%) weit über dem an sich schon unnötig hohen Ziel der Notenbanken von 2%. Und alles Schönrechnen ist nutzlos – denn neben Öl und Gemüse sind viele weitere Treiber da. Die Exportpreise Chinas ab Fabrik stiegen um 10 Prozent, die verwickelten Lieferketten treiben die Kosten, Frachtpreise gehen in die Höhe. Auch die Löhne steigen bereits deutlich. Vor allem aber kommt jetzt die Preiswelle der Inflationserwartungen, der Vorwegnahmen oder Antizipation zukünftig höherer Preise.
Oberflächlichkeit und Fehleinschätzungen der Notenbanken
Zum Verständnis dient die persönliche und kollektive Erinnerung an die letzten Male, an die Inflationsschübe der 60er, 70er, 80er Jahre: Mein Vater, der Bauunternehmer, bekam für sein Geschäft im Dezember die neuen Preislisten für Holz, Glas, Beschläge mit den höheren Preisen des Folgejahres. Dann saß er in der Geschäftspause bis anfangs Jahr hin, machte seine eigenen Offerten und baute alle Preiserhöhungen schon mal ein, auch die angekündigten Lohnerhöhungen. Fazit: Am 3. Januar war die ganze Inflation des neuen Jahres schon in den Preisen drin. Weil alle genau dasselbe machten, stiegen die Preise anfangs der 70er-Jahre sogar um 11 oder 12 Prozent, und alle Geschäfte wie auch die Gewerkschaften verlangten Mitte Jahr nochmals einen Zuschlag.
Dies zeigt die Oberflächlichkeit der Notenbanken in ihrer Kenntnis des Geschehens – eine Kenntnis bloß aufgrund von Modellen statt praktischer Bodenhaftung. David Rosenberg, ehemaliger Chefökonom der Bank Merrill Lynch zeigte, dass in den letzten zehn Jahren die Prognosen der US-Notenbank nur 29% aller Preisbewegungen richtig sahen, und nur 17% der Wachstumsrate – diese also in 83% Fällen unterschätzte.
Nicht Beherrscher des Geschehens, sondern Getriebene
Jetzt aber geben sich die Notenbanker der USA und Großbritanniens energisch. Sie würden dieses Jahr die Zinssätze mehrmals anheben, normalisieren, und die enormen Bestände aufgekaufter Staatsanleihen aus der Bilanz abbauen, sagen sie. Soll man ihnen diesmal glauben? Eher nicht, denn entgegen ihrer Selbstdarstellung – vor der Inflation wie heute bei deren Bekämpfung –, die mächtigen Beherrscher des Geschehens zu sein, sind sie diesmal noch mehr die Getriebenen.
Würde nämlich die US-Notenbank die Zinsen allmählich für die US-Staatspapiere nur schon auf 3% auflaufen lassen, dann würden die Zinskosten für die auf unglaubliche 127% des Volkseinkommens angeschwollene Staatsschuld deutlich mehr betragen als sämtliche Militärausgaben. End of Empire… Und mit 3% wären die Zinsen immer noch unter der Inflationsrate, real also negativ.
Wer dabei war, erinnert sich an eine ungefähr gleich hohe Inflation wie heute Ende der 70er Jahre, welche der damalige Notenbankchef Paul Volcker mit Zinssätzen bis zu 14% im Jahre 1982 austreiben musste. Das ruinierte mehrere hundert Banken, trieb die Bauern zu einer viertägigen Belagerung der FED mit Traktoren und ließ die Börsenkurse 15 Jahre zurückfallen – und der damalige Präsident Jimmy Carter wurde nicht wiedergewählt.
Drohender Staatsbankrott und falsche Versprechungen
Eine solche Kur wird heute nie und nimmer durchgezogen werden. Zum einen würde es den amerikanischen Staat wie erwähnt sofort in den Bankrott treiben (auf die Europäischen Staaten trifft dies in noch stärkerem Maße zu). Daher wird der zweite Teil der Kur unterbleiben – die Staatspapiere bleiben bei den Notenbanken und werden sogar laufend nachgekauft, wenn sie auslaufen. Denn die höheren Zinsen werden zwar auch darauf einlaufen, wie für private Besitzer, aber die Notenbanken machen dann darauf künftig einen großen Gewinn – und ihren Gewinn liefern sie immer der Staatskasse ab. Solange dieser große Anteil der Staatsschulden weiterhin im Keller der Notenbanken liegt, bleibt er daher gratis, wie hoch auch immer die Zinsen sein mögen. Denn die Zinskosten entsprechen dem Gewinn von FED bzw. EZB, und diese wiederum ist gleich der Rückerstattung an die Staatskassen.
Zum anderen können die Notenbanken nicht energisch werden mit den Zinssätzen, weil sie mit Null- bis Negativzinsen die Wertpapierkurse in astronomische Höhen getrieben haben. Den Sparern, Pensionskassen, Versicherungen wurden Zinsen annulliert und die Anlage in Aktien aufgenötigt, deren Kursgewinne die Rendite bringen mussten.
Nun werden die Sparer, nachdem sie schon durch die ihnen vorenthaltene Verzinsung enteignet wurden, zusätzlich noch durch die inflationäre Entwertung ihres Kapitals enteignet.
Hätten die Sparer, Pensionskassen, Versicherungen seit 2010, als die Finanzkrise endete, wieder normale Zinsen bekommen, wären ihre Nominalguthaben dank Zinseszins heute gegen die Hälfte höher. Auch bei Zinserhöhungen zur Inflationsbekämpfung könnte ihnen niemand diese Vermögenszuwächse wegnehmen. Fallen aber infolge Zinserhöhungen die zuvor gestiegenen Aktienkurse, dann ist alles wieder weg.
Die doppelte Enteignung durch vorenthaltene Zinsen und Entwertung des Kapitals
Die Notenbanken hatten die Interessen der Sparer zur schmerzlosen Sanierung der überschuldeten Staaten geopfert. Nur haben die Politiker dies schlecht genutzt, indem sie die Staatsschulden gleich weiter massiv aufbauten. Nun werden eben die Sparer, nachdem sie schon durch die ihnen vorenthaltene Verzinsung enteignet wurden, zusätzlich noch durch die inflationäre Entwertung ihres Kapitals enteignet.
Die Zinseszinsrechnung läuft dann umgekehrt – mit 5% Inflation fällt ein Geldwert, Sparguthaben innert 14 Jahren real auf die Hälfte. Aber auch die Staatsschulden sind dann real nur noch die Hälfte so schwer. Das ist die unausgesprochene Agenda der Europäischen Zentralbank. Die Deutschen Sparer bekamen seinerzeit für ihre D-Mark den Euro, künftig wird daraus die Lira.
Die ausweglose Überschuldung war vorauszusehen
Ökonomen, die halbwegs rechnen können, haben immer vor diesen jetzt geschaffenen Zwangslagen gewarnt. Künftig werden sie nur noch vor den irgendwann fälligen Hau-Ruck-Maßnahmen warnen können, die im Gefolge solcher Engpässe kommen werden. Annullierung der Staatsschulden in den Notenbanken, oder deren Abschiebung auf 100 Jahre Laufzeit, oder Zwangsanleihen und hohe Mindestreserven verfügt auf Banken, Bankguthaben, Pensionskassen, Versicherungen sind möglich.
Vor allem aber verführt die ausweglose Überschuldung der europäischen Staaten die EZB dazu, keine Zinserhöhungen anzudeuten. Denn das wäre das Ende der Staatsbonität der lateinischen Staaten, also der Ruin, und die beschlossenen Riesenschulden der EU wären untragbar. Auch so sind Kunststückchen nötig, wenn ohne Inflationsbekämpfung der EZB der Euro seinen Wert, den Außenkurs und die Wertschätzung einbüßt. Vielleicht flieht dereinst massiv Kapital aus Europa weg und wird mit Kapitalexportkontrollen festgefroren.
Mario Draghi: weder Reformer noch „Retter des Euro“, sondern flüchtiger Enteigner
Der Urheber der ganzen Geldschwemme Europas anstelle der Budgetsanierung der Staaten, Mario Draghi, ist vor der Stunde der Wahrheit schon ins Ministerpräsidium Italiens geflohen. Wie es scheint, wird er auch von dort wieder fliehen, ins Staatspräsidium, und zwar, sobald die vorerst nur versprochenen Reformen angepackt werden müssten. Diese Flucht ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Denn unter Draghi wie unter seinen Nachfolgern sind die Politiker in allen zentralen Reformfragen heillos zerstritten.
Das hindert deutsche Medien nicht, Draghi als „Reformer“ und seinerzeit als „Retter des Euro“ zu feiern. Ausgerechnet den Verhinderer aller dringend notwendigen Strukturreformen! Blinder kann man als zahlender Deutscher kaum ins Unheil stolpern. Wenn die Nordeuropäer ihr allgemeines Bild – wahr oder unwahr – des Süditalieners pflegen, der vor ernsthafter Arbeit flieht: mit dem Norditaliener Draghi erfüllt es sich an hoher Spitze ganz persönlich.