Kampf gegen Ungleichheit oder gegen Armut?

Weltweit hat die Armut in den letzten 35 Jahren enorm abgenommen.  Während die Ungleichheit in den einzelnen Ländern zugenommen hat, ist die Ungleichheit zwischen den Ländern zurückgegangen. Per Saldo hat das zu einer leichten Abnahme der Ungleichheit unter den Menschen geführt. Kapitalismus und Globalisierung haben sich damit als die erfolgreichsten Armutsbekämpfungs­pro­gramme der Geschichte herausgestellt.

Ungleichheit ist etwas anderes als Armut. Und oft wird der Kampf gegen Armut gerade dadurch verhindert, dass der Kampf gegen materielle Ungleichheit ausgerufen und quasi religiös überhöht wird. Selbstverständlich ist jeder Christ zur Armutsbekämpfung ver­pflichtet (Caritas). Eine Pflicht zur Bekämpfung von Ungleichheit besteht für ihn jedoch nicht und erst recht nicht, wenn der Kampf gegen Ungleichheit die Armutsbekämpfung behindert oder sogar verhindert.

Vielfach unter den Teppich gekehrt wird heute, dass der Kampf gegen Ungleichheit in China durch den sogenannten „Großen Sprung nach vorn“ zwischen 1958 und 1962 die größte Hungerkatastrophe der Weltgeschichte er­zeugt hat. Mindestens 45 Millionen Menschen von damals 650 Millionen Chine­sen verhungerten elendiglich. Und auch im real-existieren­den Sozialismus des Ostblocks ist durch den Kampf ge­gen Ungleichheit keine Wohl­standsgesellschaft entstanden, sondern die Verarmung der Massen.

Hingegen sind durch die weltweite Ausbreitung von wirtschaftlicher Freiheit und Kapi­talismus in den letzten 35 Jahren annähernd eine Milliarde Menschen aus Armut befreit worden. Die vielgescholtene Globalisierung ist damit das erfolgreichste Armutsbekämp­fungs­programm der Geschichte. Wirtschaftliche Freiheit – und das ist nichts anderes als Ka­pitalismus, auch wenn man diesen in Deutschland lieber etwas verschämt Marktwirt­schaft nennt – ist aber immer mit materieller Ungleichheit verbunden.

Wenn sich der eine Sohn eines reichen Mannes entscheidet, als Künstler zu leben und Bilder zu malen (Produzentensouveränität), die sich aufgrund der Konsumentensouve­ränität anderer Menschen (Freiheit etwas zu kaufen oder eben nicht zu kaufen) einfach nicht verkaufen wollen, der andere Sohn dieses reichen Mannes aber Güter und Dienst­leis­tungen anbietet, die von vielen Menschen gewünscht und gekauft werden, dann sind die wirtschaftlichen Folgen der beiden freien Entscheidungen der Brüder ungleich.

Natürlich geht auch die Globalisierung der letzten 35 Jahre mit Ungleichheit einher, jedoch in anderer Form als heute vielfach behauptet wird. Die einschlägigen ökono­met­rischen Studien im Blick stellt der Bonner Soziologe Erich Weede fest, dass die plausi­belste Zusammenfassung lautet:

„In vielen großen Volkswirtschaften, einschließlich der USA und China, hat die Un­gleichheit im Lande zugenommen, aber die Ungleichheit zwischen den (nach Bevölke­rungszahl gewichteten) Ländern hat eindeutig abgenommen, so dass es per Saldo zu einer leichten Abnahme der Ungleichheit unter den Menschen gekommen ist. Ganz ein­deutig ist die Reduktion der Ungleichheit, wenn man nicht das Einkommen, sondern die Überlebenschancen der Menschen betrachtet. Nie waren die Überlebenschancen so ega­litär verteilt wie heute. Denn die Entwicklungsländer profitieren gleich doppelt von der Existenz fortgeschrittener und reicher Länder. Erstens können sie von dort Technolo­gien übernehmen und dort kaufkräftige Märkte finden, was das Wachstum beschleunigt. Zweitens profitieren sie von dem in reichen Ländern erreichten medizinischen Fort­schritt, der auf asiatischem Einkommensniveau heute ein längeres Leben ermöglicht als in der europäischen Geschichte auf dem gleichen Niveau. Nicht nur die armen Länder profitieren vom wirtschaftlichen Erfolg der reichen Länder, sondern umgekehrt profitie­ren auch die reichen Länder jetzt vom stürmischen Wachstum in China und anderer Schwellenländer.“

Diese Einsichten werden in den politischen Debatten der westlichen Demokratien gerne unterschlagen. Denn es müsste zugegeben werden, dass eine grundsätzliche Interessen­harmonie zwischen armen und reichen Ländern besteht. Anti-Globalisierung und Anti-Kapitalismus, wie sie in den letzten Jahren vermehrt von rechten und linken Bewegun­gen vertreten werden, erweisen sich angesichts dieser Ergebnisse als die durch morali­sierende Scheinbegründungen verdeckten Besitzstandswahrungsinteressen einzelner Gruppen, die dem internationalen Wettbewerb durch die Durchsetzung von Sonderinte­ressen ausweichen wollen.

Besonders deutlich wird dies in einem kürzlich von der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung verbreiteten Beitrag „Bekämpfung der Un­gleichheit“, der das Thema Armutsbekämp­fung ignoriert, dafür jedoch auf pure Besitzstandswahrung von Sonder­interessen­grup­pen und den Ausbau der nationalen Staatstätigkeit hinausläuft. Zentrales Argument dieses Beitrags ist die Behauptung, dass in Deutschland seit Jahrzehnten die Ungleich­heit zugenommen habe und dass alles auf eine weitere Verschärfung hindeute.

Die zunehmende Ungleichheit bedrohe die sozialen, aber auch ökonomischen Grund­pfeiler unserer Gesellschaft. Erforderlich sei ein mutiges umfassendes Konzept zur Be­kämpfung von Ungleichheit. Das „neue, alte Megathema“ Ungleichheit könne nur be­wältigt werden, wenn in jedem Politikbereich eine Prüfung erfolge, ob die Maßnahmen dort geeignet sind, gesellschaftliche Ungleichheit zu reduzieren. Diese zielgenaue Prü­fung müsse fest verankert werden, weil sich nur so verhindern lasse, dass die Ungleich­heitsbekämpfung auf der Strecke bleibe, weil sich einzelne Politikbereiche nicht für zuständig hielten. Mit Berufung auf den britischen Verteilungsforscher Anthony Atkin­son wird betont, dass die Bekämpfung der Ungleichheit keine exklusive Aufgabe der Lohnpolitik oder der Steuerpolitik, der Sozialpolitik oder der Bildungspolitik sei, son­dern sich in all diesen Politikbereichen abspiele. Gefordert sei daher ein umfassendes Gesamtkonzept, das die Bekämpfung der Ungleichheit als langfristige Querschnittsauf­gabe aller Politikbereiche begreife und die Entstehungsfaktoren von Ungleichheit auf allen Ebenen einbeziehe. Eine solche Politik erhöhe nicht einfach nur den Spitzensteu­ersatz der Einkommensteuer, nein, sie würde mit den Markteinkommen beginnen, ende dort aber noch lange nicht.

Um eine gute Beschäftigungs- und Lohnpolitik zu ermöglichen, müsse die funktionale Einkommensverteilung – die Verteilung des Volkseinkommens auf Arbeits- und Kapi­taleinkommen – mittels der Wettbewerbspolitik, der Stärkung der Gewerkschaften, der Festsetzung von Mindestlöhnen, aber auch durch Leitlinien für die Entlohnung im ho­hen Einkommensbereich stärker als bisher beeinflusst werden. Eine Beschäftigungsga­rantie zum Mindestlohn für Arbeitslose im öffentlichen Sektor müsse zum politischen Ziel erhoben werden.

Erforderlich sei aber auch eine gleichmäßigere Verteilung der Kapitaleinkommen. Kleinanlegern solle ein positiver Realzins garantiert werden. Alle Erwachsenen sollten mit einem Mindestkapital ausgestattet werden. Der Staat solle über einen Sozialkapital­fonds Anteile am gesamtwirtschaftlichen Produktivvermögen halten und ausbauen.

Begleitet werden müssten diese Maßnahmen von einer Steuerpolitik, die auf eine deut­lich progressivere Einkommenssteuer setze. Zugleich solle die Erbschafts- und Schen­kungssteuer auf sämtliche zugeflossenen Erträge entrichtet werden. Über eine allge­meine Vermögenssteuer und über die Mindestbesteuerung von Unternehmen müsse nachgedacht werden.

Wie gesagt, Ausgangspunkt für die Legitimierung dieses interventionistischen, staatli­chen Zwangsinstrumen­tariums zur Steuerung der Gesellschaft, ist die Behauptung, dass die Ungleichheit in Deutschland über Jahrzehnte gewachsen sei und alles auf eine wei­tere Verschärfung hinweise. Bei derart ambitionierten politischen Programmen zur Ein­schränkung der wirtschaftlichen Freiheit hätte man indes zumindest eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Studie „Faktencheck Gerechtigkeit und Verteilung: eine empirische Überprü­fung wichtiger Stereotype“ des arbeitgebernahen Instituts der deut­schen Wirtschaft erwartet, die zu ganz anderen Ergebnissen gelangt. Die Klärung die­ser Frage scheint den Autoren jedoch we­niger wichtig zu sein. Denn offensichtlich ist die Frage der Ungleichheit als Vehikel besonders geeignet, um in demokratischen Pro­zessen die Sonderinteressen einzelner gesellschaftlicher Gruppen durchzusetzen.

Leider gerät dadurch vollkommen aus dem Blick, dass Armut zu bekämpfen ist und zwar weltweit und nicht Ungleichheit. Und unterdrückt werden soll wohl die Erkennt­nis, dass Kapitalismus und Globalisierung die erfolgreichsten Armuts­bekämp­fungs­programme der Geschichte sind.

 

Der Beitrag ist ursprünglich als Kommentar zu Wirtschaft und Politik des Flossbach von Storch Research Institute in Köln veröffentlicht worden.

Siehe zum Thema auch: Erich Weede, Der Kapitalismus kann die Armut, aber nicht die Ungleichheit überwinden oder hier als Austrian Institute Paper Nr. 6 herunterladen.

 

Bildnachweis: fotolia / kamasigns

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