Das neue Jahr begann leider so, wie das alte zu Ende gegangen war: unsägliches Kriegsleid in Europa und angesichts der ungewohnten Preissteigerungen wirtschaftliche Bedrängnis vieler Menschen inmitten unserer wohlstandsverwöhnten Welt. Eine weitere Konstante ist: Die für die Inflation zumindest mitverantwortlichen europäischen Instanzen, aber auch die hochverschuldeten Regierungen der EU-Mitgliedstaaten, zu deren Gunsten seit Jahren eine gigantische „Gelddruck“-Maschinerie in Gang gesetzt wurde, scheinen weiterhin jede Verantwortung für den zunehmenden Geldwertzerfall von sich zu weisen.
So kam gemäß Presseberichten eine neue Studie von Ökonomen der deutschen Bundesbank zum Schluss, es gebe zwischen der gegenwärtigen Inflation und der expansiven Geldpolitik der EZB keinen ersichtlichen Zusammenhang. Ein solcher sei ein vor allem auf sozialen Medien verbreitetes Märchen. Dass führende Ökonomen jedoch durchaus einen solchen Zusammenhang sehen und das deutsche Bundesverfassungsgericht diese Politik trotz des klaren Widerspruchs beigezogener ökonomischer Sachverständiger dennoch als nicht eindeutig verfassungswidrig durchwinkte, wird nicht erwähnt.
Die durch den Ukraine-Krieg verursachten Preissteigerungen vor allem im Energiesektor, die sich allerdings bereits wieder abgeschwächt haben, sind für die geldpolitisch Verantwortlichen der EZB nun ein willkommenes Feigenblatt, um ihre Blöße – das Scheitern ihrer Geldpolitik – zu verdecken. So kann man in dem Buch „Die wundersame Geldvermehrung“ von Hans-Werner Sinn lesen, das Statistische Bundesamt Deutschlands habe bereits im August 2021 hinsichtlich der Erzeugerpreise gewerblicher Produkte „mit einem Wert von 12% den höchsten Preisanstieg seit fast einem Jahrhundert“ gemeldet.
Das waren die Vorboten der anziehenden Inflation, denn der „Anstieg der gewerblichen Erzeugerpreise ist das klarste, bei der Abfassung dieser Zeilen [August 2021] verfügbare Indiz dafür, dass eine recht heftige Inflation bereits im Anmarsch ist“, schrieb Hans-Werner Sinn vor nun eineinhalb Jahren. Zu einem Zeitpunkt also, in dem der wohl einflussreichste, SPD-nahe deutsche Ökonom Marcel Fratzscher – Präsident des zur Hälfte staatlich finanzierten Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) – ganz im Einklang mit den EZB-Verantwortlichen meinte, Inflation sei kein Thema und in keiner Weise in Sichtweite.
Die Inflation – der Geldüberhang im Vergleich zur angebotenen Gütermenge – zeigte sich zuerst dort in massiven Preissteigerungen, wo offenbar zumindest ein großer Teil des von der EZB aus politischen Gründen erzeugten Geldes hingeflossen war: im Immobiliensektor und der an ihn gekoppelten Bauwirtschaft. Wie gerade Vertreter der Österreichischen Schule – Sinn gehört nicht dazu – schon seit Jahren argumentieren, sind die gewaltigen Summen des neu „gedruckten“ Geldes zwar nicht von den Banken als Kredite vergeben worden – das hätte unmittelbar zu hoher Konsumgüterpreisinflation geführt –, sondern in die Kapitalmärkte geflossen und haben dort eine gewaltige Vermögenspreisinflation – eine Preisblase – verursacht, der nun allmählich die Luft auszugehen beginnt.
Durch dieses Abfließen gewaltiger Summen von der EZB geschaffener Liquidität in die Kapitalmärkte – insbesondere Aktien und Immobilien – sind, wie schon vor geraumer Zeit Ökonomieprofessor Gunther Schnabl von der Universität Leipzig in einem Working Paper gezeigt hat, Inflationsziele und entsprechende Regeln der EZB wirkungslos geworden. Dass die inflationäre Geldschwemme nicht unmittelbar zu erhöhten Konsumgüterpreisen führte, lässt sich auf diese Weise gut erklären. Hans-Werner Sinn hingegen argumentiert – allerdings mit einem zweifelhaften Rückgriff auf Keynes –, dass das erhaltene Zentralbankgeld von den Geschäftsbanken zum großen Teil gehortet, also nicht als Kredite weitergegeben wurde. In der Form riesiger, bei der Zentralbank geparkter Guthaben stehe es jedoch zur Verfügung! Deshalb Sinns Warnung: „Wehe, wenn die Banken ihre Horte in Kredite verwandeln!“
Zunehmend wird jedoch ein Anziehen der Konjunktur gefeiert, die befürchtete Rezession scheint auszubleiben, die Party darf weitergehen! In den USA ist es noch offensichtlicher. Der – gemäß Goethes „Faust“ – in Auerbachs Keller Wein im Überfluss herbeizaubernde Mephistopheles, macht sich über die törichte Unbesorgtheit der Leute lustig: „So lang der Wirt nur weiter borgt,/ Sind sie vergnügt und unbesorgt“. Daraus schließt er bekanntlich: „Den Teufel spürt das Völkchen nie, / Und wenn er sie beim Kragen hätte.“
Verbunden mit den im Bankensektor auf Kreditvergabe wartenden digitalen Zentralbankgeld (zusammen mit dem Bargeld im Fachjargon „M0“ genannt) und dem Platzen der durch die Geldschwemme verursachten inflationären Vermögenspreisblasen könnte der vielgepriesene konjunkturelle Aufschwung unvorhersehbare Wirkungen zeitigen. Auch wenn man – vor allem als Anhänger der „Österreichischen Schule“ – mit dem Begründer des „Monetarismus“ Milton Friedman in vielerlei Hinsicht nicht einig gehen wird, so scheint er doch mit seiner Meinung, Inflation sei „immer und überall eine monetäres Phänomen“, den Nagel auf den Kopf getroffen zu haben.
Niemand kann wissen, wie lange und in welchem Ausmaß die Inflation bleiben wird. Werden die Zinsen nicht stark angehoben, wird sie sich wohl auch als Lohn-Preis-Spirale selbst verstärken. Höhere Zinsen könnten aber auch die Aktien- und Immobilienblase definitiv und mit unabsehbaren Folgen zum Platzen sowie die hoch überschuldeten Staaten in Bedrängnis bringen – denn die Refinanzierungskosten für fällige Kredite werden ihnen über den Kopf wachsen. Staatsbankrotte wären angesagt – natürlich wird man sie mit allen Mitteln zu verhindern suchen und damit noch weiter in den geldpolitischen Sumpf geraten.
„Das eben ist der Fluch der bösen Tat, dass sie, fortzeugend, immer Böses muss gebären“ – diesmal ist es Octavio Piccolomini in Schillers Wallenstein-Trilogie, der uns den Spiegel vorhält. Man könnte noch vieles nennen, was die inflationäre Niedrigzinspolitik der letzten Jahre – eigentlich Jahrzehnte – „fortzeugend gebären“ wird. Natürlich kann niemand wissen, wie genau es weitergeht, denn wir befinden uns in einer überaus komplexen und widersprüchlichen Situation, für die es keine Beispiele aus der Geschichte gibt. Es ist in der Tat eine Zwickmühle – nur ein Befreiungsschlag kann die Rettung sein. Ohne höhere Zinsen und eine darauf folgende Rezession wird es kaum eine langfristige Besserung geben können. Ob bzw. wie lange der Euro bzw. die Europäische Währungsunion, die sich in den letzten Jahren zu einer „Inflationsgemeinschaft“ (Bruno Schönfelder) entwickelt hat, das überleben wird, steht in den Sternen geschrieben.
Zudem herrscht Krieg in Europa. Und die Kriegsfinanzierung – die Finanzierung der Unterstützung der Ukraine – wird ebenfalls ihren Tribut fordern. Persönlich sehe ich keinen Weg, wie das vermieden werden könnte, ohne dem russischen Aggressor freie Hand zu gewähren und damit Europa als Rechtsgemeinschaft und Ort von Sicherheit und Frieden aufzugeben. Jedenfalls erkennen wir jetzt, wie sträflich die Politik die eigentlichen Staatsaufgaben zugunsten einer sozialen Hängematten– und Wohlfühlpolitik vernachlässigt hat.
Derweil läuft Russlands Propaganda- und Desinformationsmaschinerie auf Hochtouren und viele – auch aus dem bürgerlich-liberalen und konservativen Lager – schenken ihr Glauben und schwelgen in Antiamerikanismus, der einst eine Domäne der Linken war. Die neueste Masche russischer Propaganda ist, jede militärische Hilfeleistung des Westens an die Ukraine als „Eskalation“ zu brandmarken – als ob die ständige Eskalierung dieses Krieges nicht einzig und allein von Russland ausginge, bis hin zu regelrechten Massakern an der ukrainischen Zivilbevölkerung und der systematischen Zerstörung von deren Lebensgrundlagen. Militärische Hilfe wird unter diesen Voraussetzungen selbst zur humanitären Hilfe!
Zu diesem Thema jedoch mehr ein anderes Mal! Apropos Politik- und Staatsversagen: Auf unserem Blog können Sie einen erhellenden Text von Norbert F. Tofall zum Thema Anmaßungen der Politik lesen. Unter dem Titel Leviathan wankt und schwankt – doch dafür sind letztlich die Bürger verantwortlich zeigt der Autor, wie sich aus politischen Allmachtsphantasien und „konstitutioneller Unwissenheit“ der Politik eine wachsende Ineffizienz bei gleichzeitiger Aufblähung des Staatsapparates ergibt, und dass in einer Demokratie letztlich nur die Bürger hier etwas ändern können.
Unser Autor Beat Kappeler hat Anfang Januar in Zürich im „Kaufleuten“ mit der jungen Millionenerbin stammenden Marlene Engelhorn über Geld, Geiz und Gerechtigkeit öffentlich diskutiert. Die 30-jährige, in Wien Germanistik studierende und in verschiedensten Medien präsente (und gehätschelte) politische Aktivistin – sie stammt aus der Familie des BASF-Gründers Friedrich Engelhorn und dessen Urenkels Curt, der mit Boehringer Mannheim zum Milliardär wurde – fordert, der Staat solle endlich „Überreichtum“ wegsteuern und an die weniger Reichen verteilen. Was Beat Kappeler davon hält, lesen Sie in seinem Beitrag Millionenerbin Engelhorn: „Besteuert mich“. Das ist gut gemeint, aber falsch gedacht.
Mehr dazu und Links zu den Artikeln finden Sie wie immer weiter unten.
Schließlich: Für den kommenden 8. Mai haben wir einen prominenten Gast geladen: Peter J. Boettke, einer der führenden Vertreter der Österreichischen Schule der Nationalökonomie, Professor an der George Mason University in Fairfax (USA). Er wird auf Einladung des Austrian Institute im Haus der Industrie (in englischer Sprache) einen Vortrag zum Thema Capitalism, Socialism and Our Future (Kapitalismus, Sozialismus und unser Zukunft) halten. Danach wird der bekannte Hayek-Forscher Prof. Dr. Hansjörg Klausinger von der WU Wien auf dem Podium ein Gespräch mit dem Vortragenden führen. Anmeldung über unsere Website, unten finden Sie mehr Informationen.
Erneut danke ich im Namen des ganzen Teams des Austrian Institute für die zahlreichen kleineren und größeren Spenden, die wir um die Jahreswende herum erhielten. Gerne würde ich jedem einzelnen Spender, jeder einzelnen Spenderin meinen Dank ganz persönlich aussprechen, was aber aus verständlichen Gründen nur schwer möglich ist.
Mit sehr herzlichen Grüßen
Ihr
Martin Rhonheimer
Präsident Austrian Institute
m.rhonheimer@austrian-institute.org
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