Der Ruf nach mehr sozialer Gerechtigkeit: Ein Angriff auf Eigentum und Wohlstand

Der Ruf nach immer mehr sozialer Gerechtigkeit beflügelt die Politik und ist vor allem vor Wahlen in aller Munde. Er schürt Ressentiments gegen die Reichen und lässt vergessen, worauf eigentlich allgemeiner Wohlstand und hoher Lebensstandard der entwickelten Welt beruhen. Dadurch wird der Ruf nach immer mehr sozialer Gerechtigkeit nicht nur zur Anstiftung, sich mit Hilfe der staatlichen Zwangsgewalt des rechtmäßigen Eigentums anderer zu bemächtigen, sondern auch zur Gefährdung des Wohlstands der nachkommenden Generationen.

Dieser Artikel erschien zuerst unter dem Titel „Das Unsoziale am Sozialen“ in der Berliner Zeitung „Der Tagesspiegel“ vom 30. 7. 2017 und am Tag darauf online unter dem Titel Soziale Gerechtigkeit als Illusion: Kapitalisten ermöglichen mehr soziale Gerechtigkeit als die Politik“ als Beitrag in der Causa-Debatte des Tagesspiegels über „Soziale Gerechtigkeit“. Mit freundlicher Genehmigung.

Gemäß klassischer Ethik ist die Gerechtigkeit die Tugend, die das Zusammenleben der Menschen regelt: die zwischenmenschlichen Tauschhandlungen, die Verteilung von Lasten und Hilfen in einer Gemeinschaft und die Beziehungen des Einzelnen zu ihr. Gerechtigkeit ist also – ihrem Wesen nach – sozial. Wer hingegen von „sozialer“ Gerechtigkeit spricht, meint in Wirklichkeit etwas anderes als Gerechtigkeit.

Friedrich August von Hayek bezeichnete deshalb den Begriff der „sozialen Gerechtigkeit“ als ein Wieselwort: das Attribut „sozial“, so seine Kritik, sauge den Gehalt der „Gerechtigkeit“ gleichsam auf. Was übrig bleibt, ist nicht Gerechtigkeit, sondern der Appell an das „Soziale“. Dieses wird mehr oder weniger willkürlich mit Vorstellungen von wünschenswerten Zuständen angefüllt, mit entsprechenden Postulaten verbunden und als Forderung der Gerechtigkeit ausgegeben. Eine Begründung, inwiefern diese Forderungen ausgerechnet solche der Gerechtigkeit sein sollen, meint man sich ersparen zu können – Hauptsache sie sind sozial.

An die Stelle von Begründungen tritt das Spiel mit Emotionen. Im Namen des naturgemäß diffusen Begriffs der sozialen Gerechtigkeit kann jeder sozial unerwünschte oder irgendeine gesellschaftliche Gruppe benachteiligende Zustand, jede Form von Ungleichheit oder Ungleichverteilung als „ungerecht“ gebrandmarkt und daraus die Forderung nach politischer – sprich: staatlich erzwungener – Abhilfe abgeleitet werden. Dem Staat obliegt ja die Pflege der Gerechtigkeit; diese ist eine seiner ureigensten Aufgaben.

Wo es Ungerechtigkeit gibt, muss es auch einen Verursacher geben. Dieser Annahme gemäß geht die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit in der Regel einher mit der Identifizierung der Übeltäter, die für die Behebung der Ungerechtigkeit buchstäblich zur Kasse zu bitten sind: die Vermögenden und die Reichen, diejenigen, die bevorteilt erscheinen – sei es durch Geburt oder eigenen beruflichen Erfolg, mittels Erbschaften oder vorhandener Talente. Solches auszugleichen, damit alle die gleichen Chancen hätten, wird als Forderung der Gerechtigkeit postuliert.

Damit wollen die Missionare der sozialen Gerechtigkeit mit den Mitteln staatlicher Zwangsgewalt aber etwas korrigieren, wofür der Staat gar keine Zuständigkeit besitzen kann. Im Namen der Gerechtigkeit mit Gesetzeszwang jemandem sein rechtmäßiges Eigentum wegnehmen, um damit andere besser zu stellen, ist Unrecht. Mit der Sozialpflichtigkeit des Eigentums ist das nicht zu rechtfertigen, denn diese ist keine Einschränkung von Eigentumsrechten aufgrund der Tatsache, dass andere weniger Güter und Chancen haben. Wird das missachtet, trifft – selbst wenn alles nach Gesetz verläuft – das bekannte Wort des Augustinus zu: „Was anders sind Staaten, wenn ihnen Gerechtigkeit fehlt, als große Räuberbanden?“.

Um das Unrecht zu kaschieren, macht der Ruf nach immer mehr sozialer Gerechtigkeit den Reichen aufgrund der bloßen Tatsache seines Reichseins zum Schuldigen. Die Forderung nach „sozialer Gerechtigkeit“ wird zur Forderung, den Reichen so hohe Steuern aufzuerlegen, dass weniger Begüterte einen „gerechten Anteil“ sowie gleiche Chancen erhalten. Das ist aber ein frommer Wunsch, der zu immer neuen Forderungen führen muss. Denn Chancen werden nie gleich sein.  Realistisch und wichtig ist es vielmehr, durch die Schaffung allgemeinen Wohlstands den Lebensstandard, Freiheitsspielräume und ganz besonders Bildungschancen für immer mehr Menschen ständig zu verbessern.

Genau das aber wird durch immer neue Forderungen nach „mehr sozialer Gerechtigkeit“ verhindert. Dass die Reicheren einer Gesellschaft zugleich die Produktiveren und gerade deshalb reich sein könnten, weil sie im wirtschaftlichen Wertschöpfungsprozess eine hervorragende Rolle spielen, wird nämlich von den Rufern nach mehr sozialer Gerechtigkeit ausgeklammert. Ebenso die Tatsache, dass es Reichtum und unternehmerischer Erfolg sind, die Abertausende, ja, Millionen von Menschen in Lohn und Brot bringen und ihnen den Genuss eines Lebensstandards wie auch Chancen ermöglichen, die anderswie gar nicht vorhanden wären. Deshalb kann eine besonders hohe Besteuerung dieser Reichen keineswegs eine Forderung der Gerechtigkeit sein. Denn die Vermögenden – die Kapitaleigentümer – tragen zwar zur Ungleichheit bei, sind aber jene, die Produktivitätswachstum und damit einen stetig höheren Lebensstandard aller ermöglichen.

Zum vielgeschmähten reichsten Prozent gehören gerade diejenigen, die unseren Wohlstand erzeugen – (Mit-)Eigentümer innovativer Unternehmen, die auf globalen Märkten mit enormen Gewinnen operieren und zugleich gewaltige globale Wohlstandeffekte generieren. In dem Maße, wie sie in den entwickelten Ländern durchaus die Einkommens- und Vermögensungleichheit vergrößern, haben sie durch die Schaffung eines globalen Mittelstandes in den letzten Jahrzehnten sukzessive den Abstand zwischen armen und reichen Ländern verringert. Großvermögen sind in einer globalisierten kapitalistischen Marktwirtschaft in der Regel nichts anderes als der statistische Niederschlag global besonders erfolgreicher Innovations- und Wohlstandsmotoren. Allerdings handelt es sich bei diesen riesigen Kapitalien immer auch um Börsenbewertungen, also bloße Erwartungen. Diese können sich jederzeit verändern. Anteile an Unternehmen, deren Produkte nicht den Präferenzen und Wünschen der Konsumenten entsprechen, ungenügend Absatz finden und damit auch keinen Wohlstand bringen, haben weder einen Börsenwert noch kann man reich werden damit. Das berüchtigte Top-1-Promille der Meistverdienenden ist zudem ein äußerst volatiler Klub. Nicht immer die gleichen Personen gehören ihm an, im Gegenteil. Dort gibt es ein ständiges Auf und Ab.

In einer kapitalistischen Marktwirtschaft kann auf anständige Weise reich nur werden – und bleiben –, wer auch andere reicher macht.  Das gilt auch für jene, deren Reichtum ererbt ist und nicht auf eigener Leistung beruht. Der große, so ungleich verteilte Reichtum, den viele als Skandal erachten, ist investiert, so dass die Allgemeinheit profitiert – indem er Arbeitsplätze schafft, Produktivitätssteigerung und damit zugleich den Wohlstand von morgen, global und für alle. Die Reichen zum Zwecke der Umverteilung vermehrt zur Kasse zu bitten, ist unverantwortlicher und nur allzu oft vom Neid getriebener Populismus.

Freilich gibt es Ungerechtigkeiten, die in einem besonderen Sinne unsozial genannt werden können, weil sie nämlich das Grundgefüge der Gesellschaft betreffen und sich dann gleichsam durch den Transmissionsriemen des freien Marktes fortpflanzen. Gesetzliche Diskriminierungen, beispielsweise, aufgrund von Hautfarbe, Geschlecht, Religion usw. oder andere Arten der Ungleichheit vor dem Gesetz. Demnach finden sich (soziale) Gerechtigkeit und (soziale) Ungerechtigkeit, wenn schon, auf der Ebene der Rechtsordnung. Die meisten (sozialen) Ungerechtigkeiten werden jedoch von der Politik verursacht – und zwar oft im Namen der sozialen Gerechtigkeit.

Eine besonders fragwürdige Rolle spielen dabei die Geldpolitik und die Sozialgesetzgebung. So war die Finanzkrise von 2008 ein Werk von Politik und Gesetzgebung, welche – aus sozialen Gründen und mit Staatsgarantie – Banken zu unverantwortlicher Hypothekenvergabe antrieben oder sogar verpflichteten und den Finanzmärkten perverse Anreize gaben. Die gegenwärtige Zentralbankpolitik des billigen Geldes – als Therapie für die Folgen der Finanzkrise bezeichnet – bevorteilt ungerechterweise diejenigen, die den Quellen der Geldschöpfung am nächsten stehen sowie die Vermögenden, die in Aktien und Immobilien investieren können. Sie werden (zumindest auf dem Papier) immer reicher, während der „Normalsparer“ das Nachsehen hat. Das bewirkt eine Umverteilung von unten nach oben: eine schreiende (soziale) Ungerechtigkeit, die nicht der freie Markt, sondern Politik und Gesetzgebung verursacht haben.

(Sozial) ungerecht sind die wachsende und überbordende Staatverschuldung sowie der ständig weitergetriebene Ausbau des – letztlich ebenfalls schuldenfinanzierten – Sozialstaates. Den eigenen Lebensstandard auf Kosten der nachfolgenden Generationen zu finanzieren, ist (sozial) ungerecht und zugleich unsolidarisch. Dass auch Kirchenvertreter in den Chor derjenigen einstimmen, die im Namen sozialer Gerechtigkeit einer solchen Politik das Wort reden, macht diese nicht weniger unsolidarisch und weniger ungerecht.

Kurz: Im Namen der sozialen Gerechtigkeit wird eine Politik angepriesen, die in Wirklichkeit den allgemeinen Wohlstand untergräbt, Innovation und Wachstum schwächt, Reallohnsteigerungen verunmöglicht und die kommenden Generationen belastet. Gerade in Deutschland basiert sie auf der Illusion, man könne sich alles leisten, es brauche nur den politischen Willen dazu.

Indes, Deutschlands befindet sich in einer kritischen Lage: Die brummende Wirtschaft ist ein Scheinboom, erzeugt durch die Niedrigzinspolitik der EZB und den schwachen Euro. Experten warnen vor dem Doping. Der kommende Absturz ist so gut wie sicher – und wird die wenigst Begüterten am Empfindlichsten treffen. Notwendig wäre nicht eine oberflächlich den Konsum ankurbelnde und Besitzstände verteidigende Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, sondern eine, die Wachstum fördert und Innovation. Dafür brauchen wir die Reichen, die Kapitalisten, die Unternehmer – viele von ihnen klein beginnend, aber, wenn sie erfolgreich sind, zu Reichtum gelangend. Sie alle zusammen ermöglichen mehr „soziale Gerechtigkeit“– nämlich Wohlstand für alle – als die hohlen Versprechungen von Politikern, die vor allem eins im Sinn haben: bei ihrer Klientel zu punkten und die nächsten Wahlen zu gewinnen.

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