Bürgerliches „Neoliberalismus“-Bashing: Ein Schuss ins eigene Knie

In der Schweiz hat wurde zum Entsetzen der bürgerlich-liberalen und zum Erstaunen des Auslands in der Volksabstimmung vom vergangenen 3. März eine 13. Monatsrente für die umlagefinanzierte Altersvorsorge (AHV) beschlossen. Aufgrund von Meinungsumfragen im Vorfeld der Abstimmung ahnte man schon, dass das vor weniger Zeit noch Undenkbare eintreten könnte.

Die Bürgerlichen haben offenbar den wirtschafts- und sozialpolitischen Kompass verloren. Denn sie übernehmen nun auch noch das linke Neoliberalismus-Bashing.

Angesichts der Annahme einer linken Initiative zum Ausbau des Sozialstaates – für die Schweiz eine Premiere, denn noch nie wurde eine Volksinitiative zum Ausbau des Sozialstaates in einer Abstimmung angenommen – lecken sich bürgerliche Politiker nun die Wunden. Und ergehen sich in Schuldzuweisungen.

Schuld sei, so Gerhard Pfister, Präsident der „Mitte“ (früher: Christliche Volkspartei, kurz CVP), der „völlig enthemmte Neoliberalismus angelsächsischer Natur“ (vgl. NZZ vom 5. März 2024, S.9). Dieser habe dazu geführt, dass der Staat in den letzten Jahren gleich zweimal einer renommierten Bank habe zu Hilfe eilen müssen – gemeint sind UBS und Credit Suisse. Deshalb und „nachdem sich die Wirtschaftselite über Jahre auf ihre Kosten bereichert hat“ könne man es den Stimmbürgern nicht übelnehmen, wenn sie sich jetzt mit einer 13. Rente absichern möchte.

Verlust des wirtschafts- und sozialpolitischen Kompasses

Diese Aussage zeigt ungewollt, wo das eigentliche Problem liegt: Die Bürgerlichen haben offenbar den wirtschafts- und sozialpolitischen Kompass verloren. Denn sie übernehmen nun auch noch das linke Neoliberalismus-Bashing. Der Zusatz „angelsächsisch“ macht dieses Narrativ weder besser noch wahrer. Die Erklärung des Mitte-Präsidenten ist auch deshalb absurd, weil ja, ganz gemäß linkem Gießkannenprinzip, auch die Wirtschaftselite in den Genuss der 13. Monatsrente kommt. Ginge es wirklich und im Wesentlichen um Widerstand gegen diese Eliten, hätte die Initiative keine Chance gehabt.

Die Wahrheit ist: Die Menschen wollen einfach mehr Geld, weil Steuern und Abgaben, hohe Staatsquoten und der beständige inflationäre Anstieg der Lebenskosten – im Ausland mehr, aber auch in der Schweiz – ihnen das Leben schwer macht. Zudem hat sich ein von linker Seite kräftig bewirtschaftetes Anspruchsdenken ausgebreitet, das Folge der sozialstaatlichen Dauerbetreuung ist. Ebenso hat der Sozialstaat den Menschen das Sparen ausgetrieben und natürlich auch die Motivation, Kinder zu kriegen und damit auch für sich selbst vorzusorgen. Dabei spielte, wie man heute erkennt, gerade das umlagefinanzierte Rentensystem, also die AHV, die Rolle des Brandbeschleunigers.

Wie man bereits im Jahre 2005 in einem vom damaligen deutschen „Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit“ (BMWA) veröffentlichten Gutachten lesen konnte, „verringert die Umlagerente zugleich die Anreize, selbst Kinder zur Welt zu bringen und aufzuziehen.“ Denn man erwirbt „einen Rentenanspruch schon dann, wenn man auf dem Wege der Beitragszahlung die Generation seiner Eltern finanziert. Dass man selbst Kinder hat, ist nicht wichtig. Ohne Kinder kollabiert jedoch das Umlagesystem.“ Mit dem Neoliberalismus hat das nichts zu tun, der hellsichtige Ludwig Erhard war übrigens gegen das Umlagesystem, Adenauer setzte es schließlich mit dem Argument durch, Kinder würden die Leute ja immer kriegen.

Unliberales, interventionistisches Umfeld

Dazu kommt eine Schuldenquote, die wegen der strukturellen Belastung durch das Sozialsystem nicht genügende Spielräume für andere dringende Staatsaufgaben lässt – wobei eben Umverteilung und sozialstaatliche Betreuung der Bürger nach „neoliberaler“ Auffassung gar keine genuine Staatsaufgabe ist! Ist der Neoliberalismus etwa auch schuld daran, dass infolge der – aus sozialpolitischen Gründen – staatlich befeuerten Immobilienkrise in den USA schließlich eine globale Finanzkrise ausbrach? Dass in Europa aufgrund der dysfunktionalen Zinspolitik infolge der Einführung des Euro zunächst eine Immobilienkrise, eine Bankenkrise und dann eine Staatschuldenkrise entstand? War etwa die auch auf die Schweiz überschwappende Tief-, Null- und gar Negativzinspolitik, die man danach für nötig erachtete, das Werk des „Neoliberalismus“ oder nicht vielmehr einer sozialistisch inspirierten europäischen Weichwährungs- und zunehmend schuldenfinanzierten und damit letztlich unverantwortlichen Fiskalpolitik?

Just in diesem Umfeld operierten die Banker, die zwei Schweizer Großbanken an den Rand des Abgrunds brachten. Hätte das etwas mit „Neoliberalismus“ zu tun, gar mit einem solchen angelsächsischer Prägung, dann müssten ja wohl im angelsächsischen Raum Rettungsaktionen von Großbanken an der Tagesordnung sein. Das ist aber nicht der Fall. Würde in der Schweiz wirklich der „Neoliberalismus“ herrschen, wären keine Banken gerettet worden, man hätte sie abgewickelt und die Gläubiger zur Kasse gebeten. Und zwar einfach deshalb, weil der Neoliberalismus das Prinzip des Zusammenhangs von Risiko und Haftung hochhält und durchzieht, auch wenn es schmerzhaft ist. Aber die Schweiz ist eben mitnichten neoliberal. Denn die beiden Großbanken wussten sehr wohl, dass der Staat sie nicht im Stich lassen würde. Genau das ist der falsche Anreiz. Allerdings ging es bei der UBS dann glimpflich aus: Der Staat machte am Ende Gewinn und die Steuerzahler mussten nicht zur Kasse gebeten werden.

Öl ins Feuer des Antiliberalismus und Antikapitalismus

Die Analyse des Mitte-Präsidenten ist deshalb schlicht falsch. Sie gießt Öl ins Feuer des Antiliberalismus und Antikapitalismus und trägt zusätzlich Wasser ins Meer der allgemeinen Unwissenheit bezüglich der wahren Ursachen der heutigen Schieflagen. Die wahren Ursachen sind der zunehmende Interventionismus des Staates, der Mangel an wirtschaftlicher Freiheit – die Schweiz ist da im Vergleich zum umliegenden Ausland allerdings noch eine Oase –, und natürlich auch das – im Gefolge der Klimapolitik – zunehmende dirigistische politische Klima. Es war ja nicht „Neoliberale“, die den Ausstieg aus der Kernkraft verlangten. Der von ihr gelieferte billige und grüne Strom könnte viele 13. Monatsrenten ersetzen. In der Schweiz sind über ein Drittel der Preise staatlich administriert, d.h. den Marktkräften entzogen – mehr als in jedem EU-Land – und damit in vielen Fällen überhöht. Ist das „Neoliberalismus“?

Solange die Bürgerlichen nicht wirklich überzeugt sind, dass Marktwirtschaft und die damit verbundene unternehmerische Freiheit die Lösung sind, dass sie Wohlstand erzeugen und auch letztlich viel sozialer sind, als sozialstaatliche Umverteilungs- und Interventionsspiralen, und solange die Bürgerlichen nicht offensiv für Freiheit und marktwirtschaftliche Lösung eintreten und die wahren Ursachen unserer Wohlstandsverluste nicht beim Namen nennen, werden sie dazu beitragen, dass noch mehr Initiativen von links an der Urne Erfolg haben werden. Ohne klaren freiheitlichen Kompass geht nichts – weder in der Politik noch bei Entscheidungen des Stimmbürgers.

F. A. Hayek: „Verdrehung der Sprache“

Genau vor achtzig Jahren, im Jahre 1944, veröffentlichte Friedrich A. von Hayek – ein Neoliberaler der ersten Stunde – sein berühmtes Buch „The Road to Serfdom“, auf Deutsch erschienen unter dem Titel „Der Weg zur Knechtschaft“. Das Buch ist „den Sozialisten in allen Parteien“ gewidmet. Der spätere Wirtschaftsnobelpreisträger opponierte gegen die damals in allen politischen Richtungen dominierende Tendenz, das Heil von staatlichem Interventionismus, von Planung und Regulierung zu erwarten. Dabei beklagte er auch eine „Verdrehung der Sprache“, die sich darin zeigt, wie Wörter wie „Gerechtigkeit, Gesetz, Recht und Gleichheit“, vor allem aber „Freiheit“ plötzlich zu „leeren Gehäusen“ werden, die dann willkürlich mit Inhalten aufgefüllt werden.

Es sei „nicht schwer, der großen Masse das selbständige Denken abzugewöhnen“, schrieb Hayek. Wenn nun aber sogar bürgerliche Politiker für ihre Agenda linke Parolen übernehmen und den „Neoliberalismus“ für die Unzufriedenheit der Stimmbürger mit den „Eliten“ anprangern, dann tragen sie zur großen „Verdrehung der Sprache“ und zur allgemeinen Verwirrung des Denkens bei. Sie spielen dann letztlich das Spiel der Linken mit und zerstören den bürgerlichen Kompass.

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