Verantwortungslose Politik der niedrigen Zinsen: Wird die Coronavirus-Epidemie zur Stunde der Wahrheit?

Die Negativzinsen stören, verstören Wirtschaft und Gesellschaft seit nun fünf Jahren in der Schweiz, seit sechs Jahren im Euroraum. Die Bilanz dieses erstmaligen Experiments ist umstritten, und vorab darf man feststellen: es ist nicht normal, wenn ein Schuldner noch Geld vom Gläubiger erhält. Alle hochtönenden Begründungen klingen im Publikum hohl. Im Verlauf der Geldgeschichte haben Fürsten immer wieder ihr vorher ausgegebenes Geld „verrufen“, also eingezogen und mit geringerem Silbergehalt wieder ausgemünzt. Negative Zinsen heute sind nichts anderes: die Instanz, welche Geld in die Welt setzt, amputiert dessen Wert nachträglich, zu Lasten der Wirtschaftsbürger.

Im laufenden Coronavirus-Crash drehen die Notenbanken weiter auf, im Wahn, real wankende Volkswirtschaften mit Geldkünsten retten zu können. Immer nur tiefere Zinsen, immer nur Geldvermehrung – wer nur einen Hammer hat, dem ist die ganze Welt ein Nagel.

Und Geld haben die modernen Notenbanken in Massen in die Welt gesetzt. In der Finanzkrise boten sie den schwankenden Banken Liquidität, weil alle Akteure das Geld abzogen. So wollten es Gesetz und Statuten, doch die Notenbanken hörten nachher, ab 2009, damit nicht auf. Denn die Staaten hatten Banken übernommen oder ausfinanziert, hatten selbst enorme neue Defizite auf die bereits großen, alten Schulden gehäuft. Die Zinsen dafür wären unbezahlbar geworden, oder alle Schuldner, öffentliche wie private, hätten sparen und abzahlen müssen. Eine „balance sheet recession“ hätte die Schulden beheben können, erschien aber den überschuldeten Wohlfahrtsstaaten bereits damals unzumutbar. Die amerikanische, die europäische und die japanische Zentralbank kauften daher Staatspapiere in enormen Mengen auf, setzten damit neues Geld ins Bankensystem, welches die Papiere andiente. Die Schuldner – Staaten, Unternehmen, Haushalte – bekamen Luft in Form neuer Liquidität. Die Folge: heute sind deren Schulden zusammen und weltweit doppelt so hoch wie vor zehn Jahren, als die Notenbanken das Problem mit Gelddrucken zu umgehen hofften.

Im laufenden Coronavirus-Crash drehen sie weiter auf, im Wahn, real wankende Volkswirtschaften mit Geldkünsten retten zu können. Immer nur tiefere Zinsen, immer nur Geldvermehrung – wer nur einen Hammer hat, dem ist die ganze Welt ein Nagel. Sagt der Volksmund. Der ganze Ringelreihen soll sich darüber hinaus steigern, indem nun „die Fiskalpolitik“ an der Reihe sei. Also erneut höhere Staatsschulden, die dann wiederum von den Notenbanken aufgekauft und deren Zinsen gedrückt werden – also mehr Geld auf den Konten, ohne dass jemand es will.

Niemand braucht das neue Geld und die Flurschäden sind gewaltig

Aufgebläht sind nun eben die Einlagen der Banken bei den Notenbanken – sie brauchten das neue Geld gar nicht. Um den Schweizer Franken zu drücken, kaufte die Schweizerische Nationalbank (SNB) von den Banken nicht Anleihen, sondern Dollar und Euro. Auch auf den Girokonten der Banken bei der SNB liegen nun 505 Milliarden Franken, soviel, wie alle Einwohner im Jahr konsumieren. Im Eurosystem liegen gut 2.000 Milliarden Euro, ebenfalls unbenutzt. Mit den negativen Zinsen, also mit drohender Amputation, versuchen nun die Zentralbanken, dieses Geld in die Volkswirtschaft zu scheuchen. Die SNB verlangt 0,75%, die EZB 0,5% negative Zinsen.

Das stellt natürlich Gewinner gegen Verlierer; alle argumentieren mit Zahlen. Gewinner ist – für die Schweiz – zuerst einmal die SNB mit gut zwei Milliarden abgeschöpften Zinsen im Jahr. Bezahlt haben dies zuerst die Banken, dann, wenn sie es den Kunden überwälzen, diese auch. Der Pensionskassenverband spricht von 40 Milliarden flüssiger Bankeinlagen der Kassen, die demnach 300 Millionen einbüßen. Das trifft die Jungen, welche die Löcher stopfen müssen. Die Privatversicherer richten ihren Kunden weniger aus, und klagen weniger offen. Auch die Postfinance vermeidet klare Angaben – eine „omertà“ angesichts der mächtigen SNB?

Der römische Kaiser Maximinus Thrax lag 238 erstochen da, weil er zuerst das Geld inflationierte und es dann selbst nicht mehr für die Steuern annehmen wollte.

Aber die Flurschäden liegen anderswo – in der Volkswirtschaft. Die negativen Zinsen sind nur das untere Ende einer durch die massive Geldinfusion gestörten Zinslage aller Ebenen. Negative Zinsen können nun auch halbwegs solide Staaten, Firmen verlangen, wenn sie Obligationen ans Publikum verkaufen. Über 11.000 Milliarden solcher Schulden wurden den Anlegern angedient, weil sonst die Banken ihre Bareinlagen amputieren. Die Negativzinsen der Notenbanken stellen die untere Grenze für den Fall dieser andern Schuldpapiere ins Negative dar. Und für die Notenbanken liegt die Grenze, wie weit sie die Zinsen absenken können, bei der Ausweichmöglichkeit in bare Noten. Diese beginnen schon viele Sparer, Pensionskassen, Firmen in Tresore zu stecken. Nur Bargeldverbote, oder Gebühren für Bezug und Rückgabe von Noten könnten dies bremsen – doch dann käme wohl der Aufstand. Der römische Kaiser Maximinus Thrax lag 238 erstochen da, weil er zuerst das Geld inflationierte und es dann selbst nicht mehr für die Steuern annehmen wollte.

Die realen Schäden sind bezifferbar

Doch nicht nur die Schuldzinsen privilegierter Schuldner kippten ins Negative, sondern alle Zinsen tendieren wegen der Geldschwemme gegen Null. Diese übrigen Gewinner und Verlierer können beziffert werden, wenn man behelfsmäßig einen zusätzlichen Zins von 2% unterstellt, der sonst gelten würde (ein halbes Prozent Inflation plus Ertrags- und Risikozuschlag). Damit sparen in der Schweiz die Hypothekarschuldner auf 1070 Milliarden um die 20 Milliarden im Jahr, andere Kreditnehmer 12 Milliarden, die öffentlichen Schuldner 4 Milliarden. Hingegen verlieren die Sparer und Bankeinleger auf ihren 1500 Milliarden 30 Milliarden, auf Obligationen und Pfandbriefen von 400 Milliarden um die 8 Milliarden. Das soll behelfsmäßig den Zahlenbeweis stützen. Doch in der weiteren Volkswirtschaft sind die Schäden weniger bezifferbar, aber real. Die Preise für Immobilien stiegen in der ganzen westlichen Welt auf oft unerschwingliche Höhen. Dies kompensiert die Billigzinsen sofort wieder. Die Kurse der Aktien und Obligationen wurden auf bedenkliche Niveaus katapultiert. Sie verzerren die Vermögensverteilung – wer hatte, dem wurde gegeben, und nicht zu wenig. Seit der Erholung nach der Finanzkrise 2011 stieg der Börsenwert europäischer und schweizerischer Aktien auf ungefähr das Doppelte.

Zombifizierung der Wirtschaft – jetzt erst recht

Schon im 18. Jh. sah der französische Ökonom Richard Cantillon, dass viel neues Geld zuerst das Finanzsystem aufheizt. Schwer wiegt auch, dass heute das viele Geld sogar das bewirkt, was die Notenbanken verhindern wollen. So wollten sie die Konjunktur andrehen – diese stieg seit 1945 nie so langsam an wie nach 2009. So behaupten sie, die Leute sparten zu viel und säßen auf dem Geld. Doch nun sparen beispielsweise Deutsche und Dänen mehr, weil sie keine Zinsen auf den Ersparnissen bekommen. Die Notenbanken wollten – erstaunlicherweise – Inflationsraten von 2% züchten: sie scheiterten, unter anderem, weil die extrem günstigen Zinskosten den Firmen die Kosten senken, und weil Firmen im Markt bleiben, die längst verschwinden sollten – Zombie-Firmen.

Das drückt die Preise. In Deutschland und Frankreich fielen die Konkurse seit sechs Jahren um ca. 25%, in ganz Europa um ein Zehntel. Die Bereinigung durch „schöpferische Zerstörung“ setzt aus. Dies fordert aber die Österreichische Schule der Nationalökonomie. Sie stellt auch fest, dass „Kapital“ nicht Kapital ist, sondern es verschiedene Qualitäten davon gibt – richtig oder falsch verwendetes, Kapital am falschen Ort. Die vielen Baukrane Europas zeigen es. Doch der Markt, die „unsichtbare Faust“, frei nach Adam Smith, soll darüber entscheiden, nicht die blassen Notenbank-Ökonomen.

„It’s just a shame“: Schamlose Vermögenskonzentration dank niedriger Zinsen

Wie unter Vergrößerungsglas zeigte anfangs Februar der reichste Europäer, Bernard Arnault vom Luxus-Konzern Louis-Vuitton, wie der Negativzins die Vermögen konzentriert und Kapital fehlleitet. Er will die US-Kette Tiffany übernehmen und finanziert große Teile der dazu aufgenommenen Schulden von 10 Milliarden Euro zu negativen Zinsen. Die Gläubiger, Sparer, Pensionskassen zahlen ihm den Raub. Zu fast keinen eigenen Zinskosten wird ihm Tiffany aber einen Reingewinn von fast 600 Millionen Dollar im Jahr abwerfen. Die Agentur Bloomberg kommentierte, „it’s just a shame“, auch dass damit nur Kapital herumgeschoben, kein neues gebildet werde.

Die deutsche Vertreterin im Rat der EZB, Isabel Schnabel, verteidigte im Februar mit schwachen Argumenten die Negativzinsen. Einer ihrer Hauptpunkte war verräterisch: Der deutsche Staat habe seit 2014 nun 400 Milliarden Zinskosten gespart. Doch Frankreich und Italien haben gleich viel Staatsschulden, die aber relativ zum Sozialprodukt stärker auftragen und höher zu verzinsen wären. Also hat ihnen die EZB um 500 bis 600 Milliarden Zinskosten erspart. Ihre Schulden wären heute um ein Viertel höher, also 125% des Inlandprodukts für Frankreich, und 165% für Italien. Kurz, sie wären bankrott.

Doch die wirkliche Abrissbirne schwenken die Notenbanken. An drei Säulen der Zivilisation schlagen sie – Staatsbonität, Regelvertrauen und Geldwert.

Isabel Schnabel hat es indirekt enthüllt: Der Kaiser ist nackt. Die ganze Geldschwemme der Notenbanken, mit ihren wechselnden Begründungen (Bankenrettung, Konjunkturstimulierung, Eurorettung, Inflation, neuerdings Klima) muss bloß die Staaten finanzieren, muss brüskes Sparen ersparen. Die Fiskalpolitik ist monetisiert, die Politiker sind entlastet. Und alle freuen sich: vollbeschäftigte Arbeitnehmer, billigst finanzierte Firmen, Hausbesitzer, durchfinanzierte Staatsbudgets, Anleger mit Traumkursen. „Synthetische Herstellung von Wohlstand“ nennt ein Finanzspezialist dies. Und jetzt stimmt, was die Notenbanker sagten – es ist alternativlos.

Notenbank-Zauberlehrlinge im Zeichen von Coronavirus

Angesichts ihres Scheiterns drehten sie im Herbst 2019 den Geldhahn erneut auf, und nach dem Coronavirus-Crash nochmals, und die FED drückte die Zinsen gegen null. Resultat – eine erneute Baisse der Börse: niemand glaubt den Zauber mehr. Denn jeder neue Euro, Dollar bewirkt weniger, der Grenzertrag sinkt. Die Geldmasse liegt brach. Die Umlaufgeschwindigkeit sinkt. Die Wissenschaft definiert die Geldmenge als Geldmasse mal Umlauf. Auch dies scheitert also.

Sollten diese Geldmassen dereinst, wunschgemäß, die Wirtschaft überschwemmen, müssten die Notenbanken Regeln brechen: die Gelder amputieren, einfrieren, Verwendungsarten verbieten. Oder eine Inflation, später den Crash riskieren.

Die Politik schweigt weitgehend zur Geldexpansion, zerstört aber in Europa das Marktsystem ihrerseits durch hastige Korrekturen: Steuern auf Vermögen, auf Finanztransaktionen, Mietkontrollen, Gunstbeweise für Banken ohne Zinsmarge, höhere Umverteilungen. Doch die wirkliche Abrissbirne schwenken die Notenbanken. An drei Säulen der Zivilisation schlagen sie – Staatsbonität, Regelvertrauen und Geldwert.

Dies ist eine geringfügig erweiterte und aktualisierte Fassung eines Artikels, der unter dem Titel „Negativzinsen – eine hohe Schule des Absurden“ in der Neuen Zürcher Zeitung vom 16. März 2020, S. 8, erschienen ist (online: Die synthetische Herstellung von Wohlstand – wie die Notenbanken mittels Geldschwemme und Negativzinsen das System unserer Wirtschaft ad absurdum führen). Wiederabdruck mit freundlicher Genehmigung.

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