WIFO-Chef warnt: Rettungspolitik zerstört auf Dauer die freie Marktwirtschaft

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Die anhaltenden Rettungsprogramme der Politik fördern eine „Vollkasko-Mentalität“. Auf Dauer untergraben sie die Grundlagen der freien Marktwirtschaft, warnte Prof. Gabriel Felbermayr, Direktor des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO), am 3. Juni im Haus der Industrie bei einer vom Austrian Institute organisierten Veranstaltung. In seinem Vortrag „Wider die Vollkasko-Mentalität in der Wirtschaftspolitik“ erläuterte Felbermayr, der auch als Professor an der WU Wien lehrt, warum politische Eingriffe in die Wirtschaft, zu denen vor allem Interessengruppen drängen, allzu leicht in verhängnisvolle Interventionsspiralen mit verheerenden Folgen für den Staatshaushalt münden.

Generell ist die Idee, uns von allen Risiken zu befreien, gefährlich. Sie setzt nach und nach fatale Anreize: Gewinne werden privatisiert, Verluste, für die der Staat aufkommt, sozialisiert. Wenn dies dauerhaft geschieht, prägt es die Erwartungshaltung der Akteure und höhlt die Marktwirtschaft zunehmend aus.

Der WIFO-Chef räumte allerdings auch ein: Auf den Politikern laste ein enormer Druck: In Demokratien sind sie oft geradezu gezwungen, als Retter in letzter Not aufzutreten, vor allem vor Wahlen. Dabei spielten in der Öffentlichkeit oft wiederholte Argumente wie „too big to fail“ zu Beginn der Finanzkrise eine wichtige Rolle. In seinem rund 60-minütigen Vortrag versuchte der österreichische Ökonom daher auch Lösungsansätze für die Politik aufzuzeigen, damit diese in Zukunft besser mit solchen Herausforderungen umgehen kann.

Die Idee, uns von allen Risiken zu befreien, ist gefährlich

Oft präsentieren Politiker ihre umfangreichen Rettungspakete mit bedeutungsschwangeren Formulierungen. Gabriel Felbermayr nannte zwei aktuelle Beispiele: „You‘ll never walk alone“, versprach Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Juli 2022 den Deutschen, als diese zunehmend unter explodierenden Energiepreisen litten. Mit den Worten „Koste es, was es wolle“ präsentierte der österreichische Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) im März 2020 die gerade beschlossenen massiven Corona-Hilfen, die Unternehmern und Arbeitnehmern zu Beginn der Pandemie unter die Arme griffen. Doch was ist denn nun die richtige Politik, wenn Risiken eintreten?

So wie im Alltag ist es auch oft bei Regierungen: Man hält sich nicht an das, was man sich vorgenommen hat – wie jemand, der sich eine Jahreskarte für das Fitnessstudio kauft und dann so gut wie nie trainieren geht.

Felbermayr hielt fest: Generell ist die Idee, uns von allen Risiken zu befreien, gefährlich. Sie setzt nach und nach fatale Anreize: Gewinne werden privatisiert, Verluste, für die der Staat aufkommt, sozialisiert. Wenn dies dauerhaft geschieht, prägt es die Erwartungshaltung der Akteure und höhlt die Marktwirtschaft zunehmend aus. Ein Beispiel dafür ist das Versagen privater Lieferketten, das in den vergangenen Jahren mehrfach zu Problemen geführt hat, die teilweise aber selbstverschuldet waren, weil manche private Lieferketten zu wenig diversifiziert waren. Nun kostet Diversifizierung aber Geld, und mittlerweile vertrauen die Akteure zunehmend darauf, dass der Staat bei Störungen einspringt, etwa mit Kurzarbeit oder Subventionen. Die Folge: Die Unternehmer sind auf weitere Schocks noch schlechter vorbereitet. Weil sie mit weiteren Hilfen rechnen, vernachlässigen sie erst recht die Diversifizierung.

Es fällt der Politik schwer, langfristige Versprechen einzuhalten

Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, müsste der Staat von vornherein ausschließen, im Krisenfall zu helfen. Daran scheitert er aber regelmäßig: „Diese Ankündigung ist nicht glaubwürdig, weil die kurzfristigen politischen Kosten der Nichtunterstützung zu hoch sind.“ Damit sind wir beim nächsten Problem, das Gabriel Felbermayr anführte, nämlich die Zeitinkonsistenz. So wie im Alltag ist es auch oft bei Regierungen: Man hält sich nicht an das, was man sich vorgenommen hat – wie jemand, der sich eine Jahreskarte für das Fitnessstudio kauft und dann so gut wie nie trainieren geht.

Da Politiker zudem stets die nächsten Wahlen im Blick haben, leiden Demokratien zunehmend unter einem „short termism“, der langfristige Ansätze untergräbt. Darüber hinaus sind bei ökonomischen Interventionen weitere Herausforderungen zu berücksichtigen, die in der öffentlichen Debatte oft ausgeblendet werden, z.B. die Diskrepanz zwischen Modell und Empirie, oder die wichtige Unterscheidung zwischen exogenen und endogenen Risiken, und ebenso jene zwischen Risiken und unkalkulierbaren Unsicherheiten, bei denen man sich auf den „black swan“ vorbereiten müsste, was aber nicht möglich ist. Generell verdrängen überdies Partialanalysen oft ganzheitliche Ansätze.

Interventionen dürfen die Wettbewerbsordnung nicht zerstören

Interventionspolitik erzeugt auf Dauer ständig neue Krisen. Um das zu verhindern, führt Gabriel Felbermayr die „3 Ts“ an, also jene Ziele, die Politiker bei der Entscheidung über wirtschaftspolitische Maßnahmen im Auge behalten sollten. Demnach sollten die politischen Eingriffe „timely“, „targeted“ und „temporary“ (effektiv, effizient, selbstdosierend) sein. Das ist allerdings leichter gesagt als getan. „Vielfältige Ziele erschweren das Vorgehen“. Der Versuch, alle drei Ziele zu befolgen, gleicht manchmal der Quadratur des Kreises.

Unverzichtbar für den freien Wettbewerb sind ein funktionierendes Preissystem, der Primat der Geldpolitik, der freie Zugang zu Märkten, das Privateigentum an Produktionsmitteln, die Vertragsfreiheit, die Konstanz der Wirtschaftspolitik und – ganz zentral – das Haftungsprinzip.

Entscheidend ist die Einhaltung der Wettbewerbsordnung, auf deren Grundlagen auch Felbermayr einging. Er stützt sich dabei auf den berühmten deutschen Ökonomen und Begründer der Freiburger Schule des Ordoliberalismus Walter Eucken (1891 bis 1950). Unverzichtbar für den freien Wettbewerb sind demnach ein funktionierendes Preissystem, der Primat der Geldpolitik, der freie Zugang zu Märkten, das Privateigentum an Produktionsmitteln, die Vertragsfreiheit, die Konstanz der Wirtschaftspolitik und – ganz zentral – das Haftungsprinzip: Wer Chancen auf Gewinn hat, muss im Verlustfall auch die Risiken seines Handelns tragen.

Institutionen und Regelungen mit Verfassungsrang können Interventionsspiralen vorbeugen

Für Felbermayr steht daher fest: „Ständiger Interventionismus ist nicht die Antwort. Was es braucht, sind vernünftige Rahmenbedingungen“. Doch wie sehen diese aus?

Bei der Corona-Förderung wären „einheitliche Kriterien über alle Branchen, Betriebsgrößen, Finanzierungsstrukturen und Rechtsformen hinweg“ sinnvoll gewesen. Darüber hinaus hätte es „keine Sozialisierung des allgemeinen unternehmerischen Risikos“ geben dürfen.

Generell könne sich die Politik selbst binden, etwa durch institutionelle Vorkehrungen oder harte Budgetrestriktionen, insbesondere für den Krisenfall. Gabriel Felbermayr empfahlen die Einführung solcher Institutionen und dauerhafter Regelungen mit Verfassungsrang, um gefährliche Interventionsspiralen zu verhindern. Wichtig sei auch die Kommunikation mit den Bürgern. Diese müssten „den Zielkonflikt verstehen und durch kurzfristige Schocks hindurchsehen“. Selbstbehalte seien notwendig, „damit Anreize zur Schadensvermeidung und -regulierung erhalten bleiben“. Und schließlich lohne es sich, sich immer wieder an wegweisende Einsichten zur freien Marktwirtschaft zu erinnern, wie sie zum Beispiel Denker wie Eucken formuliert hätten.

Vollkasko-Mentalität: Nicht nur bei Unternehmen, sondern auch bei privaten Haushalten und Staaten

Die anschließende Diskussion wurde von Prof. Martin Feldkircher moderiert, der Volkswirtschaft an der Diplomatischen Akademie Wien (Vienna School of International Studies) lehrt und dessen „Department of International Economics“ vorsteht. In einem – den Fragen aus dem Publikum vorhergehenden – Gespräch mit dem Referenten fragte er seinen Kollegen Felbermayr, ob er die Gefahr einer Vollkasko-Mentalität in erster Linie bei Unternehmen sehe, was dieser umgehend verneinte: Man erlebe das auch im privaten Bereich, bei den Haushalten. Eine Vollkasko-Mentalität mache sich etwa aufgrund der Geldpolitik überdies bei Staaten breit, etwa in der Eurozone. Griechenland sei in der Eurozone gehalten und vor dem Bankrott gerettet worden, angeblich weil ansonsten der Euro zerbrochen wäre. „Das war falsch, würde ich sagen, aber der Gedanke hat bei Frau Merkel funktioniert.“ Wenn Staaten wissen, dass sie in der Krise gerettet werden, haben sie weniger Anreize, ihre Staatsfinanzen außerhalb der Krise in Ordnung zu bringen.

Um geldpolitische Fehlanreize zu vermeiden, haben sich viele Staaten in der Vergangenheit für die Unabhängigkeit der Zentralbanken entschieden. Man könne diese Selbstbindung der Politiker mit dem griechischen Sagenhelden Odysseus vergleichen, der sich an einen Schiffsmast binden ließ, um nicht dem Gesang der Sirenen zu folgen. „Das Problem ist Jahrtausende alt“.

Gesetze für freie Märkte seien allerdings notwendig, betonte Felbermayr. „Ich glaube nicht, dass Märkte spontan entstehen. Es braucht ein Rechtssystem und ordnungspolitische Grundlagen.“

Es gibt auch überraschende Erfolgsmeldungen – auf die man aber lange warten muss

Konfrontiert mit zahlreichen kritischen Fragen aus dem Publikum zur negativen Rolle der Politik entgegnete der WIFO-Chef: „Es gibt auch kleine Erfolgsmomente“. Ein überraschender habe sich in Österreich im Jahr 2022 ereignet. Es war die Abschaffung der kalten Progression. „Ein Finanzminister, der nur auf Machterhalt aus ist, hätte eigentlich kein Interesse an der Abschaffung gehabt. Denn diese versteckte Steuererhöhung ist sehr bequem. Deshalb haben die meisten Länder mit kalter Progression diese auch nicht abgeschafft. Ich halte das für einen großen Meilenstein“ – und für sehr gut für die Glaubwürdigkeit des Finanzsystems und für die Demokratie.

Die kalte Progression entsteht, wenn die Steuerklassen nicht an die Inflation angepasst werden. Die Folge: Wird der Lohn eines Arbeitnehmers an die Inflation angepasst, steigt zwar sein Gehalt, nicht aber seine Kaufkraft. Trotzdem rutscht er rasch in eine höhere Steuerklasse und muss mehr Steuern zahlen, obwohl er real nicht mehr verdient. So kam es auch in Österreich Jahr für Jahr zu einem versteckten und unbemerkten Anstieg der Steuereinnahmen, weil die Bürger bei stagnierender Kaufkraft und gleichbleibendem Reallohn aufgrund ihres höheren Nominallohns mehr Steuern zahlen müssen.

Das WIFO hatte die Abschaffung der kalten Progression erstmals in den 1950er Jahren gefordert. Somit hatte es 70 Jahre gedauert, bis dieser Schritt tatsächlich gesetzt wurde. Man sieht: Damit die Politik auch wichtige und richtige Reformen setzt, braucht es oft viel Geduld – und Beharrlichkeit.

Die vom Austrian Institute in Kooperation mit der Diplomatischen Akademie Wien organisierte Veranstaltung wurde von der Österreichischen Industriellenvereinigung (IV) unterstützt. Auch IV-Generalsekretär Christoph Neumayr war anwesend. Das anschließende Buffet, das weitere Begegnungen und Gespräche ermöglichte, wurde von der Schelhammer Capital Bank gesponsert.  Die Wiener Buchhandlung Herder sorgte für einen Büchertisch mit Gabriel Felbermayrs neuem Buch „Europa muss sich rechnen“ (Brandstätter, Wien 2024), wobei der Autor auch zum Signieren zur Verfügung stand.

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Fotogalerie

© Fotocredit alle Fotos: Johannes Rauscher / Austrian Institute

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