Japans und Deutschlands Zombieunternehmen – willenlos und wohlgenährt

Kurzarbeitergeld, Hilfszahlungen, Staatskredite sowie Anleihekäufe und Kredite der Europäischen Zentralbank (EZB) – mit den umfangreichen Rettungsmaßnahmen im Zuge der Corona-Krise haben 2020 die Insolvenzen in Deutschland einen neuen Tiefstand erreicht (Abbildung 1). Gleichzeitig wächst die Sorge, dass eine große Anzahl von sogenannten Zombie-Unternehmen heranwachsen könnte (Herok und Schnabl 2018). Zombies sind lebende Tote, die ihrer Seele beraubt willenlos herumgeistern. Verlassen sich inzwischen viele Unternehmen nur noch auf Rettung durch den Staat, anstatt nach mehr Effizienz und Innovationen zu streben? Japan läuft in der Entwicklung voraus, Deutschland scheint aufzuholen.

Abbildung 1: Anzahl der Unternehmensinsolvenzen in Japan und Deutschland

Quelle: Tokyo Shoko Research, Statistisches Bundesamt.

Eine wichtige Triebfeder für die Zombifizierung in Japan war und ist die schrittweise Aufweichung der Finanzierungsbedingungen seit dem Platzen der japanischen Aktien- und Immobilienblase im Dezember 1989. Die Bank von Japan hat seit den frühen 1990er Jahren durch ihre zunehmend expansive Geldpolitik das Zinsniveau immer weiter gedrückt. Im Verlauf der Abenomics – einem wirtschaftspolitischen Programm mit sehr expansiver Geld- und Finanzpolitik – half die Bank von Japan ab 2013 vor allem den großen Unternehmen, indem sie die langfristigen Zinsen drückte, Aktien kaufte und den Yen abwertete. Die japanische Regierung hat seit der japanischen Finanzkrise (1998) immer neue Sondergesetze auf den Weg gebracht, die Klein- und Mittelunternehmen mit Kreditgarantien der staatlichen Credit Guarantee Corporations vor der Insolvenz bewahrten (Schnabl 2020). Das kam auch den Banken entgegen, die bei Bankrotten einen Anstieg der notleidenden Kredite befürchteten.

Die Kosten der wohlgenährten Zombies fallen in Form von Wohlstandsverlusten auf die Gesellschaft zurück. Die Bemühungen vieler Unternehmen, die Effizienz zu erhöhen und Innovationen voranzubringen, nehmen ab.

Im Zuge der Corona-Krise hat die Bank von Japan die Zinsen am kurzem und am langen Ende der Zinsstrukturkurve bei null gehalten und erneut im großem Umfang Vermögenswerte gekauft. Im Krisen-Jahr 2020 hat sie Unternehmensanleihen im Umfang von 5,4 Billionen Yen erworben, so dass sich der Bestand auf 10,8 Billionen Yen (ca. 85 Milliarden Euro) verdoppelt hat. Seit März 2020 vergibt die Bank von Japan zum Nullzins Kredite an Geschäftsbanken und zahlt eine Prämie in Höhe von 0,1%, wenn diese an die Unternehmen weitergereicht werden. Der Bestand ist von 49 Billionen Yen (ca. 380 Milliarden Euro) im Jahr 2019 ist auf 112 Billionen Yen (872 Milliarden Euro) 2020 sprunghaft angeschwollen. Am 19. März 2021 hat die Bank von Japan die Zinsprämie auf maximal 0,2% ausgeweitet.

Japan geht voran – und Europa folgt

Die neue japanische Regierung unter Premierminister Yoshihide Suga hat über die staatliche Development Bank of Japan sowie die halbstaatliche Shoko Chukin Bank den Klein- und Mittelunternehmen zinslose Kredite ohne Sicherheiten gewährt. Die Obergrenze für Staatskredite an Großunternehmen wurde abgeschafft. Von März 2020 bis Februar 2021 betrugen die ausgereichten Staatskredite an Großunternehmen 2,2 Billionen Yen, ca. 17 Milliarden Euro. Das ausstehende Volumen im Februar 2021 liegt damit bei 12,8 Billionen Yen, ca. 100 Milliarden Euro. Eine Trendwende ist nicht in Sicht.

Europa folgt! Mit der europäischen Finanz- und Schuldenkrise (2008-2015) hat die EZB die Zinsen auf anhaltend null gesenkt und über umfangreiche Ankäufe von Staats- und Unternehmensanleihen die langfristigen Zinsen – in vielen Fällen auch unter null – gedrückt. Das Bilanzvolumen der EZB ist so von knapp 1.300 Milliarden Euro im Dezember 2007 auf knapp 4.700 Milliarden Euro im Dezember 2019 angewachsen. Auch das Kreditvolumen der Kreditanstalt für Wiederaufbau ist von 341 Mrd. Euro im Jahr 2007 auf 486 Mrd. Euro im Jahr 2019 gewachsen. Die auf Exportfinanzierung fokussierte IPEX-Bank hat ihre Kredite von 20,3 Mrd. Euro im Jahr 2007 auf 32,7 Mrd. Euro 2019 ausgeweitet.

Corona-„Wiederaufbaufonds“ – Subventionen für Klein- und Mittelbetriebe

In der Corona-Krise hat die EZB im Zuge des Pandemischen Notfallkaufprogramms (Umfang: 1850 Mrd. Euro) den Ankauf der Unternehmensanleihen nochmals aufgestockt. Der Bestand von Unternehmensanleihen ist so auf ca. 300 Mrd. Euro angeschwollen. Knapp ein Viertel entfällt auf deutsche Großunternehmen. Die Gezielten Längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte der EZB, deren Finanzierungsrahmen zu Beginn der Krise auf ca. 3000 Mrd. Euro gesetzt wurde, haben einen Umfang von über 2000 Milliarden Euro erreicht. Sie sind mit einem negativen Zins in Höhe von -0,5 bis -1% versehen, was einer Subvention für Klein- und Mittelunternehmen entspricht.

Abbildung 2: Kreditzinsen in Deutschland und Japan

Quelle: Deutsche Bundesbank (Neugeschäft, Durchschnitt), Bank von Japan (Neugeschäft, gewichteter Durchschnitt).

Die Kreditvergabe der KfW hat sich im Krisenjahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr verdreifacht. Das hat zusammen mit Rekapitalisierungen, Direktzahlungen, dem Aussetzen der Insolvenzantragspflicht sowie einem 130-Milliarden-Euro-Konjunkturprogramm einer großen Corona-Bankrottwelle vorgebeugt. Mit dem weiteren Anstieg der öffentlichen Haushaltsdefizite ist eine Trendwende bei den direkten und indirekten staatlichen Subventionen in Deutschland nicht in Sicht.

Rettungsgelder statt Restrukturierung und Investition von Unternehmensgewinnen

Die wirtschaftliche Lage der Zombies ist damit 2021 weder in Japan noch in Deutschland prekär. Sie profitieren mehr denn je von einer nachsichtigen Behandlung durch den Staat und ihre eigenen Arbeitnehmer. Die Kreditzinsen für Unternehmen wurden immer weiter absenkt und liegen auf einem historischen Tiefstand (Abbildung 2). Auch die Lohnabschlüsse sind seit langem zurückhaltend, weil die großen Finanz- und Hygienekrisen der letzten zwei Dekaden die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften geschwächt haben. In Japan fallen die realen Löhne seit der Finanzkrise im Jahr 1998 (Abbildung 3). In Deutschland war die Lohnentwicklung seit der Jahrtausendwende bis zum Jahr 2015 schwach. Dann folgte ein deutlicher Anstieg, der mit der Corona-Krise ein Ende gefunden hat.

Abbildung 3: Reallohnentwicklung in Deutschland und Japan

Quelle: OECD.

Im Ergebnis sind dank Staat und Arbeitnehmern die Gewinne der Unternehmen sowohl in Japan als auch in Deutschland im Wesentlichen trotz Krisen stabil geblieben  (Murai und Schnabl 2021). Sie wurden nicht investiert, weil – nicht zuletzt aufgrund der erratischen staatlichen Interventionen – die zukünftige wirtschaftlichen Entwicklung zunehmend unsicher ist. Die Gewinne werden zu großen Teilen von den Unternehmen einbehalten, so dass die Eigenkapitalquoten im Schnitt sowohl in Japan (seit 1998) als auch in Deutschland (seit 1994) stark angewachsen sind (Abbildung 4). Große Unternehmen haben vielfach ihre Aktien zurückgekauft oder Konkurrenten übernommen. Kleine und mittlere Unternehmen haben die Einlagen bei den Banken erhöht. Die Zombie-Unternehmen sind also wohlgenährt und damit ausreichend gerüstet für Restrukturierungen. Die unterbleiben aber, weil die Angst vor der Insolvenz der freudigen Erwartungen neuer Rettungsgelder und neuen Zugeständnissen der Gewerkschaften gewichen scheint.

Abbildung 4: Eigenkapitalquoten deutscher und japanischer Unternehmen

Quelle: Deutsche Bundesbank, Finanzministerium Japan.

Zombies bedrohen den Wohlstand

Die Kosten der wohlgenährten Zombies fallen in Form von Wohlstandsverlusten auf die Gesellschaft zurück. Die Bemühungen vieler Unternehmen, die Effizienz zu erhöhen und Innovationen voranzubringen, nehmen ab (siehe auch Leibenstein 1966). Abbildung 2 zeigt wie in Deutschland im Gegensatz zur europäischen Finanz- und Schuldenkrise die Zinsen im Boom vor und im Verlauf der Corona-Krise nicht mehr signifikant angestiegen sind. Der Reinigungsprozess der Krise, der nach Schumpeter (1934) Unternehmen mit nicht nachhaltigem Geschäftsmodell zur Restrukturierung oder zum Scheitern zwingt, ist außer Kraft gesetzt. Verzerrte Wirtschaftsstrukturen werden zementiert. Arbeit und Kapital werden in Unternehmen mit geringer Effizienz gebunden.

Langfristig droht das Abdriften in planwirtschaftliche Strukturen, weil staatlichen Hilfen längst zu einer Konstante geworden sind.

Gesamtwirtschaftlich sinken Produktivitätsgewinne und Wachstum. Schon in Folge der globalen Finanzkrise wurde trotz – bzw. aufgrund – der sehr lockeren Geldpolitiken weder in Deutschland noch in Japan das Output-Niveau der Vorkrisenzeit wieder erreicht (Mayer und Schnabl 2019). Ähnliches zeichnet sich nun mit der Corona-Krise ab. Langfristig droht das Abdriften in planwirtschaftliche Strukturen, weil staatlichen Hilfen längst zu einer Konstante geworden sind. Kornai (1986) sprach mit Blick auf die mittel- und osteuropäischen Planwirtschaften von weichen Budgetrestriktionen: Da Arbeitslosigkeit politisch unerwünscht war, wurden unproduktive Unternehmen durch nicht-verzinste Kredite der Staatsbanken und Geldschöpfung der Zentralbank am Leben erhalten. Die Geldmenge war reichlich, Güter und Dienstleistungen waren knapp.

Die Zombies bedrohen den Wohlstand. In Japan fällt seit 1998 das reale Lohnniveau. Die Ersparnisse werden nicht mehr verzinst und durch Inflation entwertet. Wenn Europa dem japanischen Abstieg nicht folgen will, muss es der schleichende Zombifizierung seiner Industrie entschlossen Einhalt gebieten. Der Schlüssel dazu liegt bei der Geld-, Finanz- und Lohnpolitik.

Literatur:

Kornai, Janos 1986: Soft Budget Constraint. Kyklos 39, 1, 3-30.

Herok, David / Schnabl, Gunther 2018: Europäische Geldpolitik, Zombifizierung und Wachstum in Europa. Wirtschaftspolitische Blätter 18, 463-478.

Leibenstein, Harvey 1966: Allocative Efficiency vs. X-Efficiency. American Economic Review 56, 3, 392-415.

Mayer, Thomas / Schnabl, Gunther 2019: Reasons for the Demise of the Interest: Savings Glut and Secular Stagnation or Central Bank Policy? CESifo Working Paper 7954.

Murai, Taiki / Schnabl, Gunther 2021: Was Europa von Japans Zombiewirtschaft lernen kann. Wirtschaftswoche 3, 15.01.2021, 40.

Schnabl, Gunther 2020: Japans Banken in der Krise. Wiesbaden: SpringerGabler.

Schumpeter, Joseph 1934: The Theory of Economic Development. Cambridge, Massachusetts: Harvard University Press.

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