Am letzten Ostersonntag erstaunte Papst Franziskus die Öffentlichkeit mit einem ungewohnten Vorschlag: In einem Schreiben an die von ihm so genannten „Volksbewegungen“, die jene repräsentieren, die „von den Vorteilen der Globalisierung ausgeschlossen wurden“, rät er, „über ein universales Grundeinkommen“ – zu gut Deutsch „bedingungsloses Grundeinkommen“ – nachzudenken. Eine erstaunliche Forderung für diesen Papst, versteht man darunter doch ein Einkommen, das unterschiedslos allen, den Reichsten wie auch den Ärmsten, ausgezahlt wird, und zwar ohne Gegenleistung.
Hilfe für Marginalisierte, kein neues gesellschaftspolitisches Modell
Papst Franziskus jedoch versteht ein solches „universales Grundeinkommen“, wie es in der offiziellen vatikanischen Übersetzung genannt wird, als Hilfe für „Straßenhändler, die Müllsortierer, die Verkäufer auf den Märkten, die Kleinbauern, die Bauarbeiter, die Näherinnen, alle jene, die eine Aufgabe haben, mit der sie Sorge für andere tragen“, für jene also, die – wie er schreibt – „eine inoffizielle, unabhängige oder der Volkswirtschaft zuzurechnende Arbeit tun“, dabei aber „kein sicheres Einkommen, mit dem sie durch diese Zeit kommen könnten“ haben und für die insbesondere „die Zeit der Quarantäne (…) eine unerträgliche Belastung“ ist. Ist es aber so gemeint, kann es sich nicht um ein bedingungsloses Grundeinkommen handeln. Wer die päpstliche Autorität für diese Idee ins Feld führt, hat Papst Franziskus nicht verstanden oder verfolgt seine eigene politische Agenda.
Eine Marktwirtschaft funktioniert zum Vorteil aller nur in einem Rechtsstaat, wenn der Staat Eigentumsrechte und andere Grundrechte schützt und dafür sorgt, dass Verträge durchgesetzt werden.
Franziskus geht es offensichtlich nicht um ein neues gesellschaftspolitisches Modell, sondern allein um die sozial und wirtschaftlich Marginalisierten, für die er ein besonderes Herz hat – damit steht er in bester christlicher und kirchlicher Tradition. Wenn er sich mit diesem Herzen an die „Volksbewegungen“ der Ärmsten und Ausgegrenzten wendet, dann tut er dies in der Überzeugung, dass die von diesen Bewegungen vertretenen Marginalisierten Opfer der Tatsache sind, dass die „Lösungen der Marktwirtschaft“ diese am „Rand der Gesellschaft“ Stehenden nicht erreichen können und sie eben auch von den „Vorteilen der Globalisierung“ ausgeschlossen bleiben. Dies auch deshalb, weil dort, wo sie leben und arbeiten, „Hilfe und Schutz durch den Staat … nur spärlich vorhanden sind“.
Marktwirtschaft und Globalisierung: die Lösung für das Problem der Armut
Damit trifft der Papst eigentlich den Nagel auf den Kopf. Genau die Marktwirtschaft ist die Lösung, um Armut zu überwinden, und die Vorteile der Globalisierung sind es, die in den letzten Jahrzehnten diesen Prozess enorm beschleunigt haben – nur gelangen diese Segnungen offenbar nicht zu allen. Denn dies ist nur dort möglich, wo es „Hilfe und Schutz durch den Staat“ gibt.
Eine Marktwirtschaft funktioniert zum Vorteil aller nur in einem Rechtsstaat, wenn der Staat Eigentumsrechte und andere Grundrechte schützt und dafür sorgt, dass Verträge durchgesetzt werden. Nur dann kann auch die Globalisierung allen zum Vorteil gereichen und nach und nach für alle Gesellschaftsschichten zu einem Motor der Entwicklung und des wachsenden Wohlstands werden. Allerdings darf man fragen, ob Franziskus es so gemeint hat.
Die Erfolge der letzten Jahrzehnte in der globalen Verringerung der Armut sind frappant und müssten eigentlich optimistisch stimmen.
Die „Volksbewegungen“, an die er sich bereits bei mehreren Treffen gerichtet hat, sind ein Sammelbecken der populistischen Linken – also nicht der Freunde von Marktwirtschaft und Globalisierung. Und Franziskus selbst hat wiederholt Marktwirtschaft und Globalisierung als Ursachen der Marginalisierung der Ärmsten und einer „Wegwerfkultur“ angeprangert, die selbst aus Menschen Abfall mache.
Kirchliche Scheu vor Optimismus
Wäre es so gemeint, käme Franziskus allerdings mit den Fakten in Konflikt. Genau dort sind nämlich Menschen der Armut entkommen und ist der Wohlstand gewachsen, wo ihnen die Früchte einer Öffnung ihres Landes zur Marktwirtschaft und zum internationalen Handel zuteilwurden, dort, wo der Staat Recht und Eigentum schützte und damit ermöglichte, dass das private Unternehmertum, auch das der Armen, florieren konnte. Die Erfolge der letzten Jahrzehnte in der globalen Verringerung der Armut sind frappant und müssten eigentlich optimistisch stimmen.
Vertreter der Kirche haben aus unerfindlichen Gründen oft Mühe, diesen Optimismus zu teilen. In der Tat gibt es Länder und Gesellschaften, in denen dieser Prozess sich nicht vollzieht – aber das sind Gesellschaften mit korrupten und diktatorischen Regierungen, Kriegsgebiete, oder Länder, in denen sozialistische Experimente gemacht wurden. Denken wir an Venezuela – und auch an Bolivien, wo Papst Franziskus 2015 beim „Welttreffen der Volksbewegungen“ seine programmatische Rede über eine gerechte Wirtschaftsform hielt. Warum prangerte er ausgerechnet in einem Land, das damals noch den „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ propagierte, daran aber, wie wir heute wissen, kläglich gescheitert ist, die Mängel von Marktwirtschaft und Globalisierung an?
Grundeinkommen würde eine florierende Wirtschaft erfordern
Wenn nun Franziskus heute ein „universales Grundeinkommen“ als mögliche Lösung sieht, ist das eigentlich ein Eingeständnis, dass sein an die „Volksbewegungen“ gerichtetes Konzept nicht umsetzbar ist.
Was er jetzt für jene fordert, die kein sicheres Einkommen haben und für die die Zeit der Quarantäne eine „unerträgliche Belastung“ ist, scheint aber geradezu die Quadratur des Kreises zu sein: Warum sollte es ausgerechnet dort, wo kein Rechtsstaat und auch kein sonstiger staatlicher Schutz existiert, möglich sein, ganzen Gesellschaftsschichten ein ausreichendes Grundeinkommen zu verschaffen? Das können sich doch, wenn überhaupt, nur Nationen mit einer einigermaßen funktionierenden öffentlichen Verwaltung und ansonsten florierenden Wirtschaft leisten!
Arbeit verleiht Würde, Almosen macht abhängig
Widersprüchliches zeigt sich auch darin, dass Franziskus immer ein erklärter Gegner einer öffentlichen Kultur des Almosens war. In seinem Interview-Buch „Mein Leben, mein Weg – El Jesuita“ sagte er – als damaliger Kardinal Bergoglio –, Regierungen sollten „eine Kultur der Arbeit fördern, nicht eine des Almosens“. Denn „Arbeit verleiht Würde“. Und in der Tat: Menschen, die ohne irgendwelche arbeitsrechtliche Erfassung und ohne Eigentumsgarantien arbeiten müssen, sind jetzt infolge der gegenwärtigen Pandemie besonders hart getroffen. Finanzielle Nothilfe, wie sie bei uns selbstverständlich ist, wäre hier sicherlich angebracht.
Mit Vorschlägen, die die politischen Gegebenheiten, rechtlichen Erfordernisse und ökonomischen Gesetzlichkeiten außer Acht lassen, kann man trotz bester Absichten keine sozialen Probleme auf nachhaltige Weise lösen.
Der Haken an der Sache ist nur: Genau in den Ländern, die der Papst anspricht, ist dies nicht möglich, und zwar aus dem gleichen Grund, aus dem sie der Segnungen der Marktwirtschaft und der Globalisierung nicht teilhaftig werden. Sie sind zu wenig rechtsstaatlich, oft zu sozialistisch, in vielen Fällen zu korrupt, eigentlich bankrott, die Machthaber und wuchernden Bürokratien arbeiten in die eigene Tasche. Der venezolanische Präsident Maduro klebt immer noch an seiner illegitimen Macht und bereichert sich und seine Machtclique, der Bolivianer Evo Morales wurde aufgrund grassierender Korruption, Misswirtschaft und autoritärem Gehabe von seinem Volk vertrieben und das Land ist im Krisenmodus. Damit fehlen in solchen Gesellschaften sämtliche Voraussetzungen für die Entrichtung eines vom Staat ausgezahlten Grundeinkommens im Sinn einer Nothilfe für Quarantänegeschädigte – das eigentliche Anliegen von Papst Franziskus.
Gesunde Marktwirtschaft ermöglichen
Mit Vorschlägen, die die politischen Gegebenheiten, rechtlichen Erfordernisse und ökonomischen Gesetzlichkeiten außer Acht lassen, kann man trotz bester Absichten keine sozialen Probleme auf nachhaltige Weise lösen. Notwendig wären Regierungen, die die rechtlichen Rahmenbedingungen für eine gesunde Marktwirtschaft, unternehmerische Initiative und eine Globalisierung schaffen, die es gerade auch den Ärmsten ermöglichen, sich und ihren Familien aus den Früchten ihrer Arbeit eine durch staatliche Eigentumsgarantien auch rechtlich gesicherte Existenz aufzubauen. Doch davon sind die Gesellschaften, die der Papst anspricht, oft noch weit entfernt.
Ursprünglich erschien dieser Artikel in der Tagespost vom 30. April 2020, S. 28. Hier die online Version.