„Der Weg zur Knechtschaft“: Ein immer noch zeitgemäßes Plädoyer für Freiheit und Wahrheit

Vor achtzig Jahren, mitten im Zweiten Weltkrieg, veröffentlichte der österreichische Ökonom, Sozialphilosoph und spätere Wirtschaftsnobelpreisträger Friedrich August von Hayek den Bestseller „Der Weg zur Knechtschaft“. Das Buch trug die Widmung: „Den Sozialisten in allen Parteien“. Diese Warnung galt jenen – von links wie von rechts –, die schon vor dem Krieg fasziniert auf die sowjetische Industrialisierungsleistung und die Vollbeschäftigungspolitik des NS-Regimes geblickt hatten und seither meinten, die Zukunft gehöre der zentralen Lenkung und der staatlichen Planung von Wirtschaft und Gesellschaft.

Die kollektivistischen Aktivisten sitzen auch heute – in Zeiten klimapolitischer Erregung, sozialpolitischer Maßlosigkeit und industriepolitischer Hybris – mitten unter uns beziehungsweise über uns, in den Parlamenten und Regierungen. Wird in einer solchen Welt Hayek überhaupt noch verstanden?

Zu den Bewunderern der kollektivistischen Sowjetunion zählten auch die damals als progressivste Kräfte gefeierten Berater des amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt, die den etatistischen New Deal zur Überwindung der Großen Depression ausheckten. Dem italienischen Kollektivismus wiederum war nicht nur die Rechte verfallen, auch Linksliberale wie Roosevelt äußerten sich zuweilen anerkennend über den faschistischen Korporatismus.

Freiheits- und menschenfeindlichen Kollektivismus

Der wohl einflussreichste Ökonom des 20. Jahrhunderts, John Maynard Keynes, politisch ein Liberaler, hatte 1936 im Vorwort zur deutschen Ausgabe seiner „General Theory“ ein Bekenntnis formuliert: Seine „Theorie der Produktion als Ganzes“ könne „viel leichter den Verhältnissen eines totalen Staates angepasst werden als die Theorie der Erzeugung und Verteilung einer gegebenen, unter Bedingungen des freien Wettbewerbes und eines grossen Maßes von laissez-faire erstellten Produktion“. Treffender hätte sich der Begründer der staatlichen Globalsteuerung der Wirtschaft nicht als Kollektivist outen können.

Hayek selbst sollte es später als Fehler bereuen, Keynes geschont zu haben. 1944 wandte er sich jedenfalls gegen jene, die – wie der Historiker Edward H. Carr – die Zukunft in einer planmäßig gelenkten Wirtschaft und einem kollektivistisch durchorganisierten Wohlfahrtsstaat sahen. Er nannte sie die „Totalitären mitten unter uns“. Die Demaskierung eines freiheits- und menschenfeindlichen Kollektivismus war sein Anliegen.

Genau darin liegt die ungebrochene Aktualität des Buches. Denn die kollektivistischen Aktivisten sitzen auch heute – in Zeiten klimapolitischer Erregung, sozialpolitischer Maßlosigkeit und industriepolitischer Hybris – mitten unter uns beziehungsweise über uns, in den Parlamenten und Regierungen. Wird in einer solchen Welt Hayek überhaupt noch verstanden?

Bundeskanzler Olaf Scholz stellte an einer Gedenkveranstaltung in Berlin zum 80. Jahrestag von Hayeks Buch die Politik seiner Regierung als durchaus im Sinne von dessen Programm dar. In der Tat: Der Kanzler trat in seiner Rede vom letzten März für Marktwirtschaft und Freihandel ein. In der Praxis jedoch erscheint Scholz wie der Erfüllungsgehilfe neokollektivistischer Tendenzen. Deutlich wird das an der Leerstelle in seiner Berliner Rede: dem Eintreten für den Wettbewerb.

Verteidigung des Wettbewerbs, des Marktes

Der rote Faden, der sich durch Hayeks Schrift zieht, ist gerade die Verteidigung der grundlegenden Bedeutung des Wettbewerbs. Denn das für innovatives und damit wohlstandschaffendes Wirtschaften notwendige Wissen existiert nur dezentral, nämlich in den Köpfen der einzelnen Individuen, der Unternehmer und Konsumenten, die anhand dieses Wissens ihre subjektiven Präferenzen und individuellen Entscheidungen über den Markt koordinieren. Die dazu nötige Information ist allein über Marktpreise verfügbar.

Interventionen in Marktprozesse bedeuten Informationsverlust und -verzerrung. Die Folge sind wirtschaftliche Fehlallokationen mit hohen ökonomischen und sozialen Kosten und die bekannten Interventionsspiralen. Die Politik sucht von ihr selbst immer wieder neu geschaffene Probleme zu lösen und weitet dabei die Macht des Staates ständig aus.

Durch Wettbewerb in einem Umfeld freier Preisbildung werden hingegen wirtschaftlicher Fortschritt, Innovation und Wohlstand möglich. Verbunden mit einem System politischer Freiheit, in dem, nach Hayek, Ziele nicht von oben vorgegeben und die Wege und Mittel dazu nicht geplant werden, sondern jedes Individuum seine eigenen Ziele verfolgen kann. Damit wird gerade ermöglicht, dass auch andere ihre Ziele zu erreichen vermögen.

Doch läuft der Trend in Europa in die entgegengesetzte Richtung. Er scheint zwar im Moment durch den Einfluss antizentralistischer, oft zu Unrecht als „rechtspopulistisch“ verschriener politischer Kräfte etwas gebremst. Dominierend ist jedoch immer noch die Planung von oben, die Lenkung von sogenannten grünen Zukunftsinvestitionen durch milliardenschwere Subventionen, Industriepolitik, sei es nun zur Ankurbelung von Wachstum oder zur „Rettung des Klimas“. Im Namen eines „Green Deal“ schließlich wird die Wirtschaft bis auf die Betriebsebene durchreguliert, damit unternehmerischer Entscheidungsspielraum eingeschränkt und Innovation verhindert werden.

Hayeks Verteidigung des Wettbewerbs, des Marktes und der Koordination individuellen Handelns über das Preissystem war weder Marotte eines Ökonomen noch eine Nebensächlichkeit. Sie gehören zur DNA einer politisch freien Gesellschaft. Diese Einsicht wurde unter dem Stichwort „Interdependenz der Ordnungen“ auch von dem – allerdings nur teilweise – Geistesverwandten Walter Eucken, dem Begründer der ordoliberalen Freiburger Schule, formuliert. Denn viel mehr als bei Eucken ist bei Hayek nicht der regelsetzende Staat, sondern der Wettbewerb selbst das Ordnungsprinzip einer freien Gesellschaft.

„Anmaßung von Wissen“ anstelle des wettbewerblichen Entdeckungsverfahrens

Auf lange Sicht schädlich sind für ihn nicht private Monopole – auch sie sind potenziellen Wettbewerbern ausgesetzt –, sondern allein jene, die vom Staat errichtet oder geschützt werden. Versuche, mit „Wettbewerbspolitik“ und Kartellämtern den Wettbewerb zu „erhalten“ beziehungsweise zu steuern, machen sich – wie Hayek später formulieren wird – einer „Anmaßung von Wissen“ schuldig, begünstigen den Machtzuwachs des Staates und politisches Lobbying der finanzkräftigen Unternehmen, die dann Gesetzgebung und Regeln in ihrem Interesse beeinflussen.

Was genügt, sind formale – „abstrakte“ – Regeln der fairen Zusammenarbeit, die für alle gleich gelten und in der Rechtsordnung verankert sind. Keine Regel darf im Dienste eines bestimmten zu erreichenden wirtschafts- oder sozialpolitischen Zieles stehen und erlauben, in unternehmerische Entscheidungen und Marktprozesse einzugreifen.

Hayek benutzte das Bild des „Gärtners, der eine Pflanze pflegt“ und deren Wachstumsbedingungen genau kennt, aber nicht in sie eingreift, sondern nur die Rahmenbedingungen verbessert. Sein Konzept verlangt wirtschaftspolitische Zurückhaltung zugunsten des wettbewerblichen Entdeckungsverfahrens, keinen staatlichen „Hüter des Wettbewerbs“, der ständig in die Eigendynamik marktwirtschaftlicher Prozesse eingreift und deren Anpassungsleistung behindert.

Politikern genügt jedoch das Gärtnerdasein nicht, sie wollen „gestalten“, konkrete Wählerwünsche erfüllen, Erfolge feiern, um dann auch wiedergewählt zu werden. So ziehen sie beispielsweise Klimanationalismus einer echten, global ausgerichteten Politik zur Eindämmung der menschengemachten Klimaerwärmung vor, die ja in Wirklichkeit ein globales und nicht ein nationales Problem ist.

Das „Ende der Wahrheit“ durch „Verdrehung der Sprache“

Politiker wollen konkret messbare Ergebnisse „ihrer“ Politik vorweisen können, wie etwa (nationale) „Klimaneutralität“. „Wir sind auf Kurs“, verkündete kürzlich der Klima-Kapitän Robert Habeck. Der CO2-Ausstoss der deutschen Wirtschaft war im letzten Jahr tatsächlich gesunken, aber nicht wegen zunehmender Klimaneutralität, sondern wegen der Abwanderung von Industrien und verringerten Wachstums – eine Folge der grünen Politik.

Solch ökonomischer Unsinn passt zum Kapitel „Das Ende der Wahrheit“, in dem Hayek 1944 die Macht totalitärer Regime anprangerte, „das Denken der Menschen zu bestimmen“. Das geschehe durch die „Verdrehung der Sprache“. In der Tat: Man feiert nationalstaatliche Klimaneutralität, bezeichnet neue Schulden als „Sondervermögen“ oder nennt, wie in der EU, eine schuldenfinanzierte und inflationstreibende Geldverteilungsmaschinerie Corona-“Wiederaufbaufonds“, obwohl gar nichts zerstört und auch nichts wiederaufzubauen war, weil die Pandemie ja kein Krieg war. An solchen Verrenkungen lässt sich erkennen, wie heute die Sprache auch in nichttotalitären Staaten ein manipulatives Machtmittel ist.

Wie jeder Kollektivismus, der sich der Sprache bemächtigt, wird jedoch auch die grüne Version zunehmend repressiv. Man sieht es in Deutschland, wo Menschen, die durch staatskritische Meinungsäußerung – mag sie nun sachlich gerechtfertigt sein oder nicht – vom Innenministerium mit Unterstützung des Verfassungsschutzes präventiv kriminalisiert werden. Obwohl nichts strafrechtlich Relevantes geäußert wurde, betrieben sie, so der Vorwurf, auf „verfassungsschutzrelevante“ Weise die „Delegitimierung des Staates“.

Die DDR lässt grüßen, der Rechtsstaat dankt ab. Zur „Verdrehung der Sprache“ als Mittel der Politik gehört auch der von der Ampelregierung proklamierte „Kampf gegen rechts“, der alles bekämpft, was nicht links und grün ist, angeblich, um dem Rechtsextremismus den Boden zu entziehen, in Wirklichkeit jedoch, um nicht die Macht zu verlieren. Auch das ist eine gefährliche Entwicklung, die eigentlich den Bürgerprotest hervorrufen sollte. Stattdessen befolgen die Bürger die Parolen der Regierung und demonstrieren massenhaft „gegen rechts“ – so wie Knechte eben.

 

Dieser Artikel ist zunächst in der Neuen Zürcher Zeitung vom 7. Juni 2024, S. 31 unter dem Titel „Ein mächtiges Mittel zur Manipulation“ erschienen. Online hier.

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