Für 52 D-Mark bewohnte ich als Student 1971 ein sehr großes Zimmer in Berlin, in einem der seinerzeit repräsentativen Bürgerhäuser der Jahrhundertwende 1900. Eine Kochgelegenheit war auch drin, und vor allem schwebte darüber schon damals ein Mietendeckel. Denn im Studium in Genf hatte ich 160 Schweizerfranken für ein Zimmer eines Viertels jener Fläche bezahlt, in der städtischen Studentensiedlung, wohlverstanden. Doch die Wohnungspolitiker Berlins drückten die Mieten auf ein Niveau, das sie offenbar nach der Währungsreform hatten. Zu erhöhen wagten sie ganz offensichtlich nie, denn, wenn einmal etwas reguliert ist, dann bricht das Geheul gegen jede Änderung los. Wenn deswegen niemand mehr bauen will, rechtfertigt die Knappheit den Politikern erst recht jeden noch schärferen Deckel – die schiefe Ebene dreht in den Abgrund.
Mietendeckel und Kündigungsschutz sind unnötig, ja bewirken das Gegenteil. Sie bringen zu wenig Wohnungen, schäbige Wohnungen
Aus Neugier stieg ich mal das ganze Treppenhaus hoch, wohl fünf Stockwerke – und sah das Dachgeschoss: noch eingestürzt wie wohl 1944, und mit Dachpappe notdürftig gedeckt. Ein Vierteljahrhundert später also hatte der Eigentümer, ein älterer Herr, ganz offensichtlich kein Geld, um das Haus richtig instand setzen zu lassen. In seiner Wohnung selbst, im Erdgeschoss, bröckelte die Decke, wie ich beim Bezahlen der Miete jeweils sah. Eine Zentralheizung gab es auch nicht mehr, mein Zimmer hatte einen notdürftig eingebauten Ölofen, jenes eines Kollegen nebenan einen kleinen Kohleofen. Dazu übrigens erhielt er als Student einen Kohlegutschein, für den er sich anstellen musste, und den er in einem städtischen Kohlekeller jeweils einlöste. Ich half gelegentlich auch, einen Kohleeimer zu schleppen.
Das also war die Folge des Mietendeckels. Vernachlässigtes Wohnsubstrat, ein wohl ziemlich verzweifelter Hausbesitzer, und Flächenpreise, die auf wohl nur ein Zehntel jener im öffentlichen Wohnungsbau Genfs gedrückt blieben.
Eine Folge des Mietendeckels von damals aber stellt sich auch heute bereits wieder ein, in Berlin: die Wohnungen sind knapp, begehrt, und wenn der Besitzer den Preis dazu nicht mehr lösen darf, dann macht es der Mieter: es wird wieder, wie damals, „Abstand“ bezahlt. Ein alter Teppich, ein abgewetzter Küchentisch wird drin gelassen, und beim Wechsel, für die Empfehlung bei der Hausverwaltung, kassiert der Vormieter mal ein paar Hundert, ein paar Tausend. Der Markt dringt eben immer durch alle Ritzen, doch der verregulierte Markt belohnt die Falschen.
Die Familie meiner Frau, meine eigenen Vorfahren auch, hatten immer in eigenen Wohnungen, Häusern gelebt. Die Großmutter meiner Frau, Gattin eines Chemie-Arbeiters, führte einen Mittagstisch für andere, ledige Arbeiter und mit diesem Geld bauten die Großeltern ein Dreifamilienhaus in den Zwanzigerjahren. Mein Urgroßvater, Faktotum in einer kleinen Kantonalbank, sparte und baute damals ein Zweifamilienhaus. Der Ertrag aus den vermieteten Wohnungen war die spätere Pension. Vor allem aber: sie alle schufen Wohnraum, Wohnraum für sich und andere auch – weil sie daraus Erträge erwarten durften.
Das führte mein Vater weiter, ein fleißiger Gewerbetreibender, vergrößerte das Haus, kaufte zwei weitere. Ökonomisch gesprochen, vergrößerte auch er das Flächenangebot im Lande – und unterhielt es gut. Denn da sah ich schon als Heranwachsender, wie sorgfältig der Eigentümer dabei sein musste. Damit man auch entsprechende Mieten verlangen konnte, waren die Wohnungen gut zu unterhalten. Der Eigentümer kümmerte sich selbst um einen hervorragenden Standard, und das alles ohne Gebote und Verbote. Und wechselte ein Mieter, musste mein Vater zwei, drei Abende opfern, um die neuen Interessenten zu empfangen. Jedes Mal auch waren Renovationen fällig, und es war schwierig, einen Mieter nachträglich für kleine und mittlere Schäden zu belangen. Ein Mieterwechsel war also abträglich, entgegen der impliziten Annahme der Mieterorganisationen und der Mietenpolitiker, dass der Eigentümer freventlich und aus bloßer Lust die Mieter schikaniert oder hinauswirft.
Aber wer plant eigentlich das gesamtwirtschaftliche Raumangebot? Niemand, das ist nicht nötig. Denn die einzelnen Investoren – mein Urgroßvater, mein Vater, große Baugesellschaften – schätzen den Wohnungsmarkt selbst ein, dessen Leerstände, Knappheiten. Der Wohnungsbau ist ein träger Produktefluss – wenn einmal zu viel gebaut wird, stehen die Häuser jahrelang leer. Oder wenn eine Gegend aufblüht, kann man ohne großes Risiko mal mit Bauen einsteigen. Dieser „Schweinezyklus“ eines wenig mobilen, trägen Wirtschaftsgutes ist allen Bauherren und Eigentümern wohlbekannt, Hunderte, Tausende von ihnen schätzen das laufend ab. Wenn sie irren, tragen sie die Folgen. Und das Ganze verläuft recht lokal, gesamtnationale Wohnraumpolitiken sind Politikerphantasien.
Daher sind Mietendeckel und Kündigungsschutz unnötig, ja bewirken das Gegenteil. Sie bringen zu wenig Wohnungen, schäbige Wohnungen, allenfalls sogar Dachpappe, sie verleiden den Eigentümern das Angebot.