Rassismus: Vom bösen und vom guten Generalverdacht

Nach islamistischen Terroranschlägen wurden wir stets ausführlich belehrt, es sei falsch, Muslime unter „Generalverdacht“ zu stellen. Obwohl die pädagogische Belehrung oft sehr dick aufgetragen wurde, war der Hinweis an sich natürlich richtig. Doch scheinbar gibt es einen guten und einen bösen Generalverdacht. Böse ist der „Generalverdacht“ dann, wenn Minderheiten wie etwa Zuwanderer oder Asylbewerber davon betroffen sind. Vorsorglich wird meist nicht einmal die Nationalität genannt, damit kein Generalverdacht entstehen kann.

„Systemisch“ und „strukturell“

Protagonisten des guten Generalverdachtes verwenden in der aktuellen Diskussion in diesen Tagen gerne Begriffe wie „systemisch“ und „strukturell“. Keine Debatte über Rassismus in den USA – oder Rassismus in Deutschland –, wo diese vagen Begriffe nicht inflationär gebraucht würden. Bei der deutschen Polizei bleiben solche Anwürfe freilich nicht unwidersprochen, wie die Reaktionen auf die Äußerungen von SPD-Chefin Saskia Esken zeigen. Schließlich stehen Polizisten in Deutschland – zusammen mit Ärzten – laut aktuellen Umfragen an der Spitze der Berufsgruppen, denen die Menschen vertrauen. Bei US-Polizisten ist man sich indes ganz sicher, dass dort täglich Rassismus wütet – eben „struktureller“, „systemischer“ Rassismus. Die beiden Begriffe sind beliebt bei denjenigen, die ohnehin das ganze „System“ verdammen.

Böse ist der „Generalverdacht“ dann, wenn Minderheiten wie etwa Zuwanderer oder Asylbewerber davon betroffen sind. Der gute Generalverdacht richtet sich stets gegen Personengruppen, die das „System“ repräsentieren.

Der gute Generalverdacht richtet sich stets gegen Personengruppen, die das „System“ repräsentieren. Hinterzieht ein Reicher wie FC Bayern-Manager Uli Hoeneß oder Ex-Postvorstand Klaus Zumwinkel Steuern, dann warnt niemand vor Pauschalverdächtigungen und Generalverdacht, da man sich sicher wähnt: „Ja, so sind sie eben, die Reichen.“ Ein anderes Beispiel für den „guten“ Generalverdacht: Erhält ein Manager trotz Versagens eine – vertraglich zuvor vereinbarte – hohe Abfindung, dann wird das Versagen des Managers gerne als „typisch“ dargestellt und die hohe Abfindung erscheint als ungerechtfertigte Belohnung für Fehlverhalten. Ähnlich ist es bei Banker-Boni. Banker und Manager gehören bekanntlich zu den unbeliebtesten Berufsgruppen, und sie werden mit jeder medialen Skandalisierung, die den Generalverdacht zu bestätigen scheint, unbeliebter.

Der Mainzer Kommunikationswissenschaftler und Skandalforscher Mathias Kepplinger hat in seinem Standardwerk Die Mechanismen der Skandalisierung die „verbale Aufblähung der Größe von Schäden und das Verschweigen ihrer geringen Wahrscheinlichkeit” als Merkmale der Skandalisierung herausgestellt. Das „Weglassen” von Wahrscheinlichkeiten sei charakteristisch für viele Skandale. Der Sinn für Proportionen komme abhanden, Einzelereignisse würden als „Teil einer Serie von ähnlichen Fällen dargestellt, die den Eindruck eines großen Missstandes hervorrufen“. Bei der Skandalisierung von Politikern, Unternehmern und anderen Personen geschehe das durch die Darstellung von Ausnahmefällen als symptomatisch. Einzelne Verhaltensweisen erscheinen als typisch für einen Politiker, seine Partei, die politische Klasse oder das System.

Statuen „geköpft“, Filme verbannt, um sich greifende Hysterie

Dass mit zweierlei Maß gemessen wird, zeigt auch der Umgang mit historischen Persönlichkeiten. Denkmäler von Winston Churchill oder Christoph Kolumbus wurden mit Anti-Rassismus-Zitaten beschmiert oder geköpft – obwohl sicherlich kaum ein europäischer Politiker des 20. Jahrhunderts mehr gegen Rassismus getan hat als Churchill. Karl-Marx-Denkmäler (ein riesengroßes wurde erst kürzlich zum 200. Geburtstag von Marx in Trier aufgestellt) bleiben dagegen verschont, obwohl zahlreiche rassistische und antisemitische Zitate des kommunistischen Vordenkers über seinen Konkurrenten Ferdinand Lassalle, Mitbegründer des Arbeitervereins (der späteren SPD), überliefert sind, so etwa: „Der jüdische Nigger Lassalle, der glücklicherweise Ende dieser Woche abreist, hat glücklich wieder 5000 Taler in einer falschen Spekulation verloren. […] Dabei das wüste Fressen und die geile Brunst dieses Idealisten. Es ist mir jetzt völlig klar, dass er, wie auch seine Kopfbildung und sein Haarwuchs beweist, von den Negern abstammt. […] Nun, diese Verbindung von Judentum und Germanentum mit der negerhaften Grundsubstanz müssen ein sonderbares Produkt hervorbringen“ (Brief an Friedrich Engels vom 30. Juli 1862, MEW Bd. 30, S. 257-259).

Die aktuelle Debatte wird immer hysterischer. So forderte beispielsweise jüngst ein Hamburger Historiker im ARD-Frühstücksfernsehen, dass Denkmäler von Personen wie Bismarck „umgelegt“ werden sollten. Das preußische Schloss, das in Berlin neu aufgebaut wird, solle, so der Historiker, mit Stacheldraht aus den Konzentrationslagern „gebrochen“ werden, um „Sehgewohnheiten zu verändern“.

In den USA wurde der Filmklassiker „Vom Winde verweht“ wegen Rassismus vom führenden US-Streamingdienst HBO Max heruntergenommen – der Film solle zuerst mit politisch korrekten Kommentaren versehen werden. Ergebnis war übrigens ein riesiges Interesse an dem Film, der dadurch an die Spitzen der Orders bei Amazon kam. Würde man jeden Film, der gesellschaftliche Gruppen nicht realistisch zeigt, zensieren, bliebe kaum ein Hollywood-Film übrig, wie beispielhaft die Analyse des Framings von reichen Menschen in Hollywood-Filmen belegt,

Es liegt nicht alles am Rassismus

Rassismus gibt es leider überall auf Welt, aber die entscheidende Frage ist, wie sich die Situation der Afroamerikaner wirklich verbessert – bestimmt nicht durch Zensur von Filmen oder Beseitigung von Denkmälern. Wenn man ein Zwischenresümee zieht, hat sich leider die Situation der Afroamerikaner ökonomisch auch in der Obama-Zeit nicht verbessert. Dies weist der Autor Jason Riley, selbst ein Afroamerikaner, in seinem bemerkenswerten Buch Please stop helping us nach.

Seine zentrale These ist, dass der Wohlfahrtsstaat die Situation der Afroamerikaner nicht nur nicht verbessert, sondern sogar verschlechtert habe. Er fordert von den Afroamerikanern auch, selbstkritischer zu sein und die Schuld für nach wie vor bestehende Ungleichheiten nicht pauschal nur bei rassistischen Vorurteilen von Weißen oder in der Geschichte der Sklaverei zu suchen. Zustimmend zitiert er Martin Luther King: “We know there are many things wrong in the white world, but there are many things wrong in the black world, too. We can’t keep on blaming the white man. There are things we must do for ourselves.” (S. 47)

Es gibt großartige Beispiele, wie Afroamerikaner es trotz aller Widrigkeiten geschafft haben, nach oben zu kommen – so etwa die beeindruckende Geschichte von Oprah Winfrey, die die erste schwarze Selfmade-Milliardärin der Welt wurde (Vermögen ca. 2,7 Mrd. Dollar).

Solche Beispiele sind ermutigend, und Ermutigung bewirkt mehr, als den Menschen zu sagen: „Du bist ein Opfer, und bevor nicht das ganze System radikal geändert ist, brauchst du gar nicht versuchen, deine Situation zu ändern, denn du hast sowieso keine Chance.“

 

Zum Thema empfehlen wir auch das Interview von Peter Winkler (NZZ) mit dem schwarzen Ökonomieprofessor Glenn Loury (Brown University): „Rassismus existiert, aber er erklärt nicht, was hier passiert“

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