Sind Marktwirtschaft und Kapitalismus Feinde der sozialen Gerechtigkeit?

Es ist ein historische Tatsache, dass das kapitalistische Wirtschaftssystem, wie es sich seit der Industrialisierung in Europa entwickelt hat – zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit – für die breiten Massen Befreiung von Hunger und Elend, ja die ‚Demokratisierung‘ des Wohlstands gebracht hat. Was die grundlegenden materiellen Bedürfnisse anbelangt wie sanitäre Einrichtungen, elektrische Haushaltsgeräte, Kommunikations- und Transportmöglichkeiten, medizinische Versorgung, Zugang zu Informationsmedien usw. besteht heute zwischen dem Leben des Fabrikarbeiters Franz Huber und des Multimilliardärs Warren Buffet nur ein unwesentlicher Unterschied. Der Unterschied besteht außer Jachten, Privatjet und Luxusvilla vor allem darin, dass Warren Buffet mehr Stunden in der Woche arbeitet und mehr verlieren kann, als Franz Huber.

Die Wirtschaftsform des Gebens

Dass Warren Buffet ein riesiges Privatvermögen besitzt, ist für Franz Huber von Vorteil. Denn Warren Buffet hat – wie andere Multimilliardäre – dieses Vermögen investiert und deshalb hat Franz Huber Arbeit und einen sicheren Lohn – und vielleicht existiert deshalb auch Franz‘ Lieblings-Fußballklub weiter. Würde man Warren Buffet aus Gründen der ‚sozialen Gerechtigkeit‘ eine hohe Reichtumssteuer auferlegen, dann würde sich an seinem Lebensstandard nichts ändern, aber Franz Huber und viele seiner Kollegen würden vielleicht ihre Arbeit verlieren. Der Staat würde dann das weggesteuerte Geld zur Unterstützung des arbeitslosen Franz Huber und seiner Kollegen verwenden.

Das ist etwas vereinfacht gesagt die Weise, wie der Kapitalismus funktioniert bzw. wie man seine Effizienz durch den Versuch, mehr ‚soziale Gerechtigkeit‘ herzustellen, behindern kann. Dank dem vielgeschmähten Kapitalismus wird zum ersten Mal in der Geschichte der Reichtum der Reichen nicht wie in früheren Zeiten zum Konsum der Reichen verwendet, sondern produktiv zur Schaffung von Reichtum und Wohlstand für alle eingesetzt. Selbst die großen Vermögenskonzentrationen sind Folge der Anhebung des allgemeinen Wohlstandes und zugleich Ursache einer weiteren Anhebung desselben. Das und nur das ist das Geheimnis des Kapitalismus.

Wie George Gilder in seinem einflussreichen Buch Wealth and Poverty (1981, dt. ‚Armut und Reichtum‘, 1981) gezeigt hat, ist Kapitalismus wesentlich die Wirtschaftsform des Gebens: Der Kapitalist investiert und stellt dafür seinen Reichtum zur Verfügung. Die allerersten, die davon profitieren sind diejenigen, die durch die dadurch geschaffenen Arbeitsplätze Löhne empfangen. So entsteht Nachfrage nach Gütern und durch Sparen können weitere Investitionen getätigt werden, die zu Innovationen und langfristigen Wohlstandgewinnen führen. Lohnempfänger können sich oder zumindest ihre Kinder weiterbilden. Dadurch steigt ihre Produktivität und damit auch ihr Lohn und ihr Lebensstandard. Die Kapitalisten – Unternehmer, Investoren – schließlich sind die letzten in der Kette, die einen Profit machen, wenn überhaupt; aber sie sind es, die das ganze Risiko tragen. Dieser Profit kann natürlich sehr hoch ausfallen, ist dann aber verdient. Auch wenn man nur aus Streben nach Gewinn investiert hat: Es war zum Nutzen aller. Das ist die vielgeschmähte und oft falsch verstandene ‚trickle-down‘-Theorie: Sie ist durch die historische Erfahrung tausendfach erhärtet.

Marx hatte Unrecht: Der Kapitalismus ist ein Wohlstandsgenerator

Obwohl die wirtschaftshistorischen Tatsachen eine deutliche Sprache sprechen, gibt es ganz besonders in christlichen Kreisen eine Tradition der Feindschaft gegenüber Kapitalismus und freier Marktwirtschaft. Sie stammt aus dem 19. Jahrhundert und beruht vor allem auf dem Unverständnis gegenüber elementaren wirtschaftlichen Grundtatsachen und Zusammenhängen sowie einer oft emotionalen, ja irrationalen Aversion gegenüber Markt und Wettbewerb. Gewiss: Eines ist Kapitalismus und Marktwirtschaft – sie sind der einzige Weg zum ‚Wohlstand der Nationen‘ –, das andere sind die konkreten historischen Bedingungen und das oftmalige menschliche Versagen, die konkrete Gestaltungsformen und die Entwicklung des modernen Kapitalismus begleitet haben. Die gänzlich neue und bisher unbekannte Dynamik der wirtschaftlichen Entwicklung im Zeitalter der Industrialisierung war ein Lernprozess, während dem Großes geleistet und viele Fehler gemacht wurden. Die Kluft zwischen Arm und Reich nahm dabei zuweilen nicht nur unerträgliche Ausmaße an; sie wurde durch menschliche Hartherzigkeit und Kleinmut oft auch zum Skandal.

So führte im 19. Jh. ökonomisches Unverständnis kombiniert mit einer verständlichen Sorge für das oft elende Los der damaligen Industriearbeiter und der Entrüstung über die oft gefühllose Gleichgültigkeit vieler Reichen dazu, dass einer der einflussreichsten Vorläufer der modernen katholischen Soziallehre, Bischof Ketteler von Mainz, die sozialistische Analyse des Kapitalismus, insbesondere Ferdinand Lassalles ‚ehernes Lohngesetz‘, für zutreffend hielt. Mit Marx und Lassalle prognostizierte Ketteler die zunehmende Verelendung der Arbeiter im aussichtslosen ‚Kampf gegen die Maschine‘.

Doch Diagnose und Prognose waren falsch. Der Kapitalismus und die mit ihm einhergehende Industrialisierung führten zu fortschreitender technischer Innovation. Die Maschine nahm den Arbeitern nicht etwa die Arbeit weg, sondern machte sie produktiver. Das führte zum Anstieg der Reallöhne. Vergessen wir nicht: Im 19. Jahrhundert gab es in den landwirtschaftlichen Gebieten einen unglaublichen Bevölkerungsdruck, das Land konnte die Bevölkerung nicht mehr ernähren, die Landbevölkerung verarmte (Pauperismus) und strömte massenweise in die Städte und Industriezentren. Es war der neue Industrie-Kapitalismus, der diese arbeitslosen Massen vor dem Verhungern rettete und ein weiteres Bevölkerungswachstum erst ermöglichte. Er schuf bis anhin unbekannte Arbeitsmöglichkeiten und hob beständig den Lebensstandard auch der untersten Gesellschaftsschichten. Durch den Kapitalismus wurde zum ersten Mal in der Geschichte Massenarmut nachhaltig überwunden, und das im Laufe von nur wenigen Generationen.

Die Menschheit ist von Natur aus arm. Armut und Bedrohung durch die Natur ist die natürliche Ausgangssituation des Menschen und die Ausgangslage aller Entwicklung. Nicht die Frage, welches die Ursachen von Armut sind und wie diese Ursachen zu bekämpfen sind, ist deshalb die Frage, sondern vielmehr wie Reichtum entsteht, und zwar Reichtum und Wohlstand für alle das heißt: Massenwohlstand, wie wir ihn heute in der entwickelten Welt kennen. Die Sprache der Geschichte ist klar: Reichtum und Wohlstand für alle entsteht durch Kapitalismus.

Der bekannte katholische Sozialethiker Johannes Messner, der im Jahre 1938 – in Anlehnung an Werner Sombart – den kapitalistischen Geist als typisch „jüdisch“ abgelehnt hatte, schrieb schließlich in der achten Auflage von 1964 seines Buches Die soziale Frage über England (er stützte sich dabei auf den österreichischen Ökonomen Joseph A. Schumpeter): „Von 1800 bis 1913 hat sich dort die Bevölkerung verfünffacht, das Gesamteinkommen verzehnfacht, die Preise sind auf die Hälfte gesunken, das durchschnittliche Realeinkommen des einzelnen hat sich vervierfacht; dabei ist die Dauer der Arbeit für den einzelnen fast auf die Hälfte gesunken, dazu außerdem die Kinderarbeit völlig ausgeschaltet und die Frauenarbeit sehr eingeschränkt worden.“ Für Deutschland, so Messner, gelte ähnliches, ja mehr noch: im 19. Jahrhundert sei in Deutschland die Bevölkerung um 44 Millionen angestiegen, dennoch hätten sich die Reallöhne mindestens verdoppelt und die Arbeitszeit um ein Drittel verringert. Und man kann hinzufügen: Henry Ford konnte, ohne die Existenz irgendeines staatlichen Gesetzes, dank Automatisierung und Massenproduktion, bereits 1914 in seinen Produktionsstätten für alle Arbeiter den Achtstundentag einführen.

Perversionen des Kapitalismus: „Crony capitalism“

Viele Erfolge des Kapitalismus wurden durch den Ersten Weltkrieg und die darauffolgenden Jahre zunichte gemacht. Der Krieg hatte den Staat als hauptsächlichen wirtschaftlichen Akteur auf den Plan gerufen. Vielerorts begann damit die verhängnisvolle Koalition von ‚Big Government‘ und ‚Big Business‘: Der Staat mischte sich zunehmend ins Wirtschaftsleben ein. Das führte zu Vermischungen von Wirtschaft und Politik, zu Kartellbildung und insbesondere in Deutschland zu immer größerer staatlicher Kontrolle der Unternehmen und bürokratischen Eingriffen, die Hand in Hand gehen mit dem Versuch großer Konzerne Staat und Politik in ihren Dienst zu nehmen, um die Konkurrenz auszuschalten. Heute nennen wir diese Verbindung von Big Government und Big Business ‚Crony Capitalism‘, eine Perversion des Kapitalismus, die eine wesentliche Ursache des Börsencrashs von 1929, der ‚Großen Depression‘ und der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre war.

Dass die ‚Great Depression‘ der dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts eine Folge von laissez-faire, also der ungezügelten Marktkräfte und eines ungehemmten Kapitalismus gewesen sei, ist zwar die gängige Meinung; sie lässt sich aber nur schwer mit den historischen Tatsachen vereinbaren. Denn in den USA inflationierte in den Roaring Twenties das Fed – die US Zentralbank – in bisher noch nie dagewesener Weise die Geldmenge, was zu einer Kreditblase und entsprechenden Fehlinvestitionen führte, bis diese Blase im Oktober 1929 schließlich platzte. Die staatlichen Eingriffe in den Markt unter Präsident Hoover (Maßnahmen gegen angeblich schädliche Spekulanten, öffentliche Arbeiten wie der Hoover Damm, Verhinderung von Lohnsenkungen, weitere geldpolitische Fehlentscheidungen des Fed und die Einführung von hohen Schutzzöllen) verursachten eine Weltwirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit.

Bis heute hält sich die Legende, Kapitalismus und freier Markt seien Ursache des Übels gewesen. Auch die 1931 erschienene Enzyklika ‚Quadragesimo Anno‘ von Papst Pius XI. beruhte auf der Fehlannahme, Ursache der Weltwirtschaftskrise seien der freie Markt und der ‚ungezügelte Kapitalismus‘ gewesen; der Markt sei kein genügendes Regulationsprinzip, es brauche dazu die kontrollierenden und regulierenden Eingriffe des Staates. Zum ersten Mal erscheint in diesem Zusammenhang der unklare Terminus ‚soziale Gerechtigkeit‘ als Staatsaufgabe, zur Korrektur und Regulierung der Marktkräfte. Der Markt versage als Regulationsprinzip und der Staat müsse Gerechtigkeit schaffen, so sollte es fortan auf verhängnisvolle Weise heißen.

Die Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008: Kein Marktversagen

In Wirklichkeit ist jedoch normalerweise gerade der Markt die Lösung und der Staat das Problem (wobei immer ein Markt gemeint ist, der in eine funktionierende und von einem starken Staat auch durchgesetzte Rechts-, Eigentums- und Wettbewerbsordnung eingebettet ist). Das Problem ist nicht angebliches Marktversagen, sondern Staatsversagen, wofür es unzählige Beispiele gibt. Auch die Finanzkrise von 2008 ist nicht Folge eines Marktversagens. Sie wurde vom Staat und von der Politik verursacht: Um sich seine Wiederwahl zu sichern, versprach – wie bereits etliche seiner Vorgänger – Präsident G. W. Bush den Wählern, jeder US Bürger sollte nun endlich zu seinem Eigenheim kommen. Ein alter Traum der amerikanischen Politik. In den USA gibt es sogar seit 1965 ein eigenes Wohnungsbauministerium! Folge dieser Versprechungen der Politik war die allein politisch motivierte staatliche Förderung der Hypothekenvergabe an kreditunwürdige Hauskäufer, Staatsgarantien für Hypothekarbanken und gerichtlicher Zwang gegenüber Banken, Suprime-Hypotheken, also Billigkredite an Bürger zu vergeben, die sich unter normalen Marktbedingungen ein Eigenheim niemals hätten leisten können. Die Banken dankten es der Politik, denn mit der Staatsgarantie im Rücken machten sie phantastische Geschäfte, vermeintlich ganz ohne Risiko. Es entstand eine beispiellose Immobilienblase. Die staatlich abgesicherten Hypothekarbanken Freddie Mac und Fannie Mae verbrieften die wertlosen Hypothekarpapiere und schufen jene vergifteten Derivate, die, nachdem sie von den ebenfalls staatlich regulierten Ratingagenturen mit Triple A geratet worden waren, dann das internationale Finanzsystem tödlich infizieren sollten und eine globale Finanzkrise verursachten.

Die Finanzkrise von 2008 und ihre Folgen wären nie eingetreten, wenn allein die Marktkräfte gespielt und unternehmerisches Denken den Gang der Dinge bestimmt hätten. Die Gier der Banken und anderer Finanzakteure war nicht Ursache, sondern Folge fehlgeleiteter staatlicher Interventionen in das freie Spiel der Marktkräfte sowie einer Reihe von regulatorischen Fehlanreizen. Sie waren nicht Folge von Kapitalismus, Marktwirtschaft und unternehmerischem Geist, sondern das genaue Gegenteil: Folge eines gigantischen Politik- und Staatsversagens.

Massenarbeitslosigkeit in Europa: Keine Folge des freien Marktes

Dasselbe gilt für die grassierende Arbeitslosigkeit in Ländern wie Spanien, eine Arbeitslosigkeit, die immer noch anhält: Sie ist Folge einer Immobilienblase, die durch die Politik und den Staat verursacht wurde. Es waren Politiker, die – oft zur Förderung der eigenen Karriere – die spanischen Sparkassen dazu trieben, unverantwortliche Kredite für populäre Projekte zu vergeben. Verhängnisvoller Antrieb waren die durch die Schaffung des Euro-Währungsraumes viel zu tiefen Zinsen. Auch der Euro war ein rein politisches Projekt, das keiner marktwirtschaftlichen Logik folgte, und strukturell schwache und politisch unverantwortliche Länder wie Griechenland in den Abgrund trieb sowie Frankreich erlaubt, auch weiterhin übe seine Verhältnisse zu leben und die Lösung seiner Probleme in die Zukunft das heißt auf die nachfolgenden Generationen zu verschieben.

Mitschuldig an der hohen Arbeitslosigkeit in vielen Euro-Ländern – wie etwa Italien und Frankreich – sind auch die Gewerkschaften, die egoistisch und auf den Erhalt ihrer eigenen Macht versessen die Deregulierung des Arbeitsmarktes verhindern und damit sowie mit dem Ruf nach Mindestlöhnen, staatlichen Konjunkturprogrammen und vielen anderen staatlichen Eingriffen das freie Unternehmertum – den Kapitalismus eben – durch exorbitante Steuerbelastung daran hindern, seine reichtumsschaffende Dynamik zu entfalten.

Aber wie steht es denn mit der hohen Zahl der Armen in betont kapitalistischen Ländern wie den USA? Was ist mit den Armen und Hungernden weltweit? Was mit der großen Ungleichheit der Verteilung der Einkommen in kapitalistischen Ländern, aber auch auf globaler Ebene? Bräuchte es nicht mehr Solidarität, Umverteilung, sollte man nicht den Armen etwas von dem Reichtum der Reichsten geben?

Ungleichheit ist nicht an sich schon ungerecht

Die Wirtschaft ist kein Nullsummenspiel. ‚Nullsummenspiele‘ sind Interaktionen zwischen Menschen, in denen der eine nur auf Kosten des anderen gewinnen kann, so dass die Summe von Gewinn und Verlust am Ende gleich Null ist. Nullsummenspiele bewirken keine Wertschöpfung, sondern nur Umverteilung von Werten. Genau das ist in einer kapitalistischen Wirtschaft nicht der Fall. Der Reichtum der Reichen hat hier seine Ursache nicht darin, dass den Armen etwas weggenommen wurde. Wo kapitalistische, und nicht – wie in manchen Ländern Lateinamerikas – postkolonial-feudalistische Bedingungen herrschen, wurde der Reichtum der Reichen geschaffen, und zwar nicht auf Kosten der Armen. Gäbe es ihn nicht, wären alle, auch die Ärmsten, ärmer. Der Kapitalismus nimmt niemandem etwas weg – wie der Marxismus behauptet –, er schafft vielmehr neuen Reichtum.

Ganz entgegen dem beständigen Gerede von der wachsenden Kluft zwischen reichen und armen Ländern ist in Wirklichkeit die globale Armut in den letzten Jahrzehnten rapide zurückgegangen. Das Milleniumsziel der UNO, die extreme Armut in der Welt bis 2015 zu halbieren, ist bereits im Jahre 2010 erreicht worden, und zwar, wie die Weltbank feststellte, dank den Ländern, die das freie Unternehmertum, Freihandel und Marktwirtschaft gefördert haben. Das betrifft nicht nur, wenn auch in hohem Maße, Länder wie China und Indien, sondern auch afrikanische und lateinamerikanische Länder, ganz besonders Chile und nun auch Peru und Kolumbien. Neuerdings, nach dem Ende der Ära Kirchner, beginnt auch Argentinien wieder diesen Weg zu beschreiten, während in Brasilien eine interventionistische Wirtschaftspolitik, zunehmende Geldentwertung und eine korrupte Regierung frühere Erfolge in Frage stellen.

Die Einkommens- und Vermögensunterschiede sind zwar an manchem Orten angewachsen. Es gibt selbstverständlich ungerechte Ungleichheit, die auf dem systematischen Ausschluss von sozialen oder ethnischen Gruppen von den Möglichkeiten beruht, Zugang zu Bildung und Arbeit zu haben. Abgesehen von der moralischen Verwerflichkeit eines solchen Ausschlusses – er verstößt in fundamentaler Weise gegen das Prinzip der Rechtsgleichheit – wirkt diese Art von Ungleichheit auch wachstumshemmend, da ja enorme humane Ressourcen ungenutzt bleiben und hohe soziale Kosten entstehen. Doch ist Ungleichheit nicht an sich schon ungerecht, vielmehr ist sie gerade in einer dynamischen und wachsenden Wirtschaft unvermeidbar und, wie anfangs erklärt, für Wachstum sogar notwendig. Entscheidend ist nicht das Maß der Gleichheit, sondern das Anwachsen des effektiven und fühlbaren Wohlstandes aller, auch der untersten Gesellschaftsschichten. Nicht das Maß des relativen Wohlstands – im Vergleich zu den Reichsten – ist also zunächst einmal entscheidend, sondern jenes des absoluten Wohlstands der untersten Gesellschaftsschichten. Dieser aber ist, dank dem weltweit massiven Rückgang extremer Armut in den vergangenen Jahrzehnten, gestiegen – und zwar genau dort, wo es vermehrt Kapitalismus und freie Marktwirtschaft gab.

In einer dynamischen Volkswirtschaft steigt der Wohlstand der untersten Schichten, dabei wächst aber (durch die für die wirtschaftliche Entwicklung notwendige Kapitalakkumulation) anfänglich auch die Ungleichheit. Sonst würden keine Arbeitsplätze geschaffen und gäbe es keine Innovation. Es gäbe dann auch keine Anreize dazu: Wer investiert schon und nimmt Risiken auf sich ohne die Aussicht, dabei Gewinn zu erzielen und reicher zu werden? Genau dadurch wird der Kuchen grösser und alle erhalten einen größeren Anteil. Auch die Ärmsten werden dabei reicher, aber nicht, weil sie vom Staat Geld bekommen, sondern dadurch, dass sie Arbeit haben und einen Lohn beziehen. Genau darin liegt die Wahrheit der oft kritisierten ‚trickle down‘-Theorie.

Die Anhänger der Schaffung sozialer Gerechtigkeit durch staatliche Umverteilung meinen hingegen, die reichen Ländern sollten doch den Armen mehr von ihrem Reichtum geben, die Staaten sollten in diesem Sinne mehr zusammenarbeiten und dergleichen. Seit Jahrzehnten schon versorgen die reichen Staaten die Regierungen armer Länder mit Geld und Technologietransfers. Was sie damit erreicht haben, ist keine wirtschaftliche Entwicklung, sondern – anstelle einer Kultur des freien Unternehmertums – korrupte Regierungen und die Korruption ihrer Klienten. Und, wie der Entwicklungsökonom William Easterly in seinem Buch ‚The White Man’s Burden‘ zu Recht kritisiert, eine neue Form des Kolonialismus.

„Die Armen werden immer ärmer und die Reichen immer reicher“: Stimmt das?

Was aber ist mit der enormen Ungleichverteilung in Ländern wie die USA und der auch dort grassierende Armut, vor allem unter Schwarzen? Das ist doch ein Skandal! Nur der Kapitalismus, die Ideologie freier Märkte, fehlende Solidarität und das Fehlen staatlicher Wohlfahrtsprogramme können doch daran schuld sein!

Doch auch das ist falsch. Zunächst: Der statistische Reichtum der obersten wenigen Prozent ist zu einem erheblichen Teil der Ausdruck der ungeheuren Geldmengen, die die US Zentralbank in den letzten Jahren gedruckt hat – 50 Milliarden pro Monat! – und die nun in den Bankbilanzen schlummern oder auf der Suche nach rentablen Investitionsmöglichkeiten um die Welt kreisen und neue Blasen verursachen. Die Europäische Zentralbank tut nun seit Monaten desgleichen, angeblich, um die Konjunktur anzukurbeln. Der Effekt ist: Im Immobiliensektor und auf den Aktienmärkten vieler Länder ist eine enorme Preisinflation zu beobachten, die ein beträchtliches Risiko bedeutet und den Anschein erweckt, als ob die Reichen immer reicher würden. Dieses Geld, das nun die Reichtums-Statistiken verzerrt, ist aber nicht wirklicher Reichtum oder Kapital, sondern gleicht eher Luft, die morgen wieder verschwinden kann. Dieser Prozess hat ja mit den jüngsten Korrekturen in den Aktienmärkten bereits begonnen. Und sehr wahrscheinlich war das nur ein Vorspiel für noch viel dramatischere Erschütterungen.

Zum anderen hat in den letzten Jahrzehnten in den USA die Inflation – eine Folge staatlicher Geldpolitik, nicht des freien Marktes – zu einer Umverteilung von unten nach oben geführt (sogenannter Cantillon-Effekt) und die unteren Schichten und die Mittelschicht ärmer gemacht. Das wurde allerdings wiederum mehr als kompensiert durch gewaltige technologische Innovationen, so dass auch die untersten zwanzig Prozent der Amerikaner heute viel reicher sind – einen höheren Lebensstandard besitzen – als vor dreißig Jahren.

Dazu kommt die große Mobilität: Das reichste 1 Prozent der Amerikaner ist eine volatile Gruppe von kurzfristigen Aufsteigern, die morgen schon wieder abgestiegen sein können. Doch die meisten der untersten zwanzig Prozent steigen im Laufe ihres Lebens in den Mittelstand auf, oder noch höher. Die Quantile der Statistiken repräsentieren ja keine bestimmten und über die Zeit hinweg immer gleichen Personen. In der realen Welt ist alles in Bewegung, die Reichtumsverteilung hat auch viel mit der Altersstruktur zu tun: Ganz unten in der Statistik befinden sich die Jüngeren, eben erst ins Erwerbsleben Eingestiegenen und die vor kurzem Immigrierten: Sie haben in der Regel ein tiefes Einkommen und kein Vermögen. Weiter oben finden sich dann Ältere, diejenigen also, die im Laufe ihres Lebens voran gekommen sind, bereits höhere Löhne beziehen und sich ein Vermögen angespart haben, ja viele, die reich geworden sind. Diejenigen, die nur durch Erbschaft reich geworden sind, sind hingegen statistisch insignifikant.

Dazu kommt, dass etwa in den USA der Mittelstand währen der letzten dreißig Jahre wohlhabender geworden ist und deshalb beträchtliche Teile des Mittelstands statistisch nicht mehr als solcher erfasst werden. Das hat zu der falschen Behauptung etwa von Präsident Obama geführt, der Mittelstand schrumpfe. In Wirklichkeit müsste man infolge der Wohlstandsgewinne die statistischen Kriterien dafür, wer zum Mittelstand gehört, korrigieren.

Ganz unten befindet sich aber noch eine andere, relativ stabile Gruppe von Menschen: die Opfer der staatlichen Wohlfahrtspolitik. Gut gemeinte Sozialprogramme durch Umverteilung hatten den Effekt, vielen, vor allem Schwarzen, die Anreize zu Arbeit und Weiterbildung zu schwächen, sie förderten nachweislich die Kriminalität, zerstörten die Struktur der Familie, erhöhten die Scheidungsraten und die Zahl der unehelich geborenen Kinder und alleinerziehender Mütter – alles Ursachen von nur schwer überwindbarer Armut, weil sie den Arbeitswillen und das Vertrauen in die Zukunft schwächen. Die staatliche Wohlfahrtspolitik, durchgeführt mit dem Zweck soziale Gerechtigkeit zu realisieren, erwies sich in Wirklichkeit als eine Armutsfalle und brachte Millionen von US-Bürgern, vor allem Schwarze, in die Abhängigkeit vom Staat. Dort sind sie allerdings nicht, weil sie schwarz sind. Es stimmt zwar, dass die Mehrheit der Armen in den USA Schwarze sind. Ebenso stimmt aber auch, dass die Mehrheit der Schwarzen dem Mittelstand angehört oder gar zu den noch Reicheren zählt! Schwarze sind in höherer Zahl arm, nicht weil sie schwarz sind, sondern weil sie als Schwarze eine höhere Wahrscheinlichkeit besitzen, ‚Opfer‘ staatlicher Wohlfahrtspolitik und damit – in der Regel nicht ohne eigene Schuld – von dieser abhängig zu werden.

Dazu kommt in den USA die unselige Antidrogenpolitik, die unzählige Jugendliche auf Grund von Bagatelldelikten kriminalisiert, sie zu Vorbestraften macht und damit ihre Zukunftsaussichten zerstört. Durch all dies wird Armut erzeugt und perpetuiert, aber auf diese Weise wird auch die Wohlfahrtsbürokratie genährt, in der hunderttausende von Menschen auf Kosten des Steuerzahlers ihren Lebensunterhalt verdienen. Das System, das unter der Präsidentschaft Clintons durch Anreize zur Selbstverantwortung etwas verbessert wurde, ist, genau besehen, unmoralisch und zudem ökonomisch ineffizient.

Soziale Gerechtigkeit‘ durch den Staat?

Der Versuch, durch staatliche Maßnahmen soziale Gerechtigkeit herzustellen, hat sowohl in der Entwicklungspolitik wie auch in der Sozialpolitik der einzelnen Staaten mehr Unheil angerichtet, als genützt. Es war der ‚böse‘ Kapitalismus, der in Wirklichkeit den Reichtum geschaffen hat, den der Staat im Namen der sozialen Gerechtigkeit dann umverteilt. Doch der Wohlfahrtsstaat konsumiert Reichtum, er ist unproduktiv. Er hindert die Wirtschaft daran, mehr Reichtum zu schaffen, also den Kuchen zu vergrößern, so dass alle mehr davon haben. Gäbe es die horrende Umverteilung mit der daraus resultierenden Staatsverschuldung nicht, wären alle, auch die Ärmsten, reicher.

Ohne staatliche Wohlfahrts- und Umverteilungsbürokratie wäre die Gesellschaft auch solidarischer: Es gäbe weniger Arme, aber diejenigen, die es wären, könnten dann auch mit einem gewissen moralischen Recht an die Hilfe ihre Mitbürger appellieren. Wir könnten uns nicht mehr damit herausreden, wir hätten mit dem Zahlen unserer Steuern bereits unsere Schuldigkeit getan. Das Subsidiaritätsprinzip käme dann wirklich zum Zug, die Familie würde gestärkt, Kinder bekommen aufziehen würde sich auch aus ökonomischen Gründen wieder lohnen, es würde auch sozial anerkannt und man fühlte sich für die eigene Zukunft und diejenigen seiner Mitmenschen wieder selber verantwortlich. Die Zivilgesellschaft würde aktiv: und dies auf menschlichere und wirksamere Weise als der Staat und seine Bürokratien, durch unternehmerische und karitative Initiativen aller Art, die auf konkrete Bedürfnisse und Situationen zugeschnitten wären.

Die moralische Krise der Gegenwart und der grassierende Konsumismus sind nicht Folge des ‚individualistischen Kapitalismus‘, sondern Folge des geldverteilenden Wohlfahrtsstaates und seiner falschen, ja oft perversen Anreize. Vorausgesetzt der Staat setzt die für alle geltenden rechtlichen Regeln durch und schützt das Privateigentum, dann bestärken Kapitalismus, Unternehmertum, Wettbewerb vielmehr Selbstverantwortung, Initiativgeist und Solidarität. Eine solche Gesellschaft wäre mit Bestimmtheit auch christlicher oder hätte eine größere Chance, es zu sein.

Die soziale Gerechtigkeit – ein Begriff, der nur allzu oft verwendet wird, um gegen das Gemeinwohl gerichtete politische Maßnahmen zu rechtfertigen – besteht nicht darin, Ungleichheit zu verringern, indem man die Reichen ärmer macht. Diese Stoßrichtung verfolgt, auf falsche Theorien stützend, der französische Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty in seinem erfolgreichen Essay Das Kapital im 21. Jahrhundert. In Wirklichkeit besteht wahre soziale Gerechtigkeit darin, die Armen reicher zu machen. Dies geschieht aber nicht durch Umverteilung von Reichtum, sondern durch die Schaffung neuer und immer produktiverer und deshalb besser entlohnter Arbeitsmöglichkeiten. Bis anhin hat es allein der Kapitalismus geschafft, den Lebensstandard der breiten Massen nachhaltig zu erhöhen. Und dies wird er weiterhin tun, wenn man seine Dynamik nicht mit einer staatsgläubigen Politik lähmt, die uns im Namen angeblicher sozialer Gerechtigkeit in Wirklichkeit alle ärmer macht.

Der Sozialstaat: Ökonomisch untragbar, moralisch bedenklich

Das bisherige Modell des Sozialstaates hat ausgedient. Es ist nicht nur unbezahlbar geworden, sondern wir alle leiden heute unter den Folgen seiner ökonomischen und moralischen Fehlanreize. Dieses Modell kann überhaupt nur deshalb funktionieren, weil der Staat die Möglichkeit hat, mit seinem Geldmonopol die immer größere öffentliche Verschuldung durch stetige Inflationierung der Geldmenge, das Drücken der Zinsen und damit auch durch die Enteignung der Sparer zu bezahlen. Damit ermöglicht er auch den Politikern, immer wieder neue und teure Versprechungen zu machen. Gleichzeitig nimmt dieser Staat dem Bürger durch hohe Steuern immer mehr Geld weg, was eine eklatante Verletzung des Eigentumsrechts ist, und er gefährdet die Einlösung seiner eigenen Versprechen gegenüber den Rentnern. Der Staat kann ja nur verteilen, was er zuvor den Bürgern weggenommen hat. In einem solchen System lohnt sich Sparen nicht, nur Konsumieren lohnt sich. Selbstverantwortliche Vorsorge für die Zukunft ist weder nötig noch möglich und unter Missachtung des Subsidiaritätsprinzips wird die zentrale Stellung der Familie untergraben und werden die kommenden Generationen geschädigt, auf deren Kosten wir zunehmend leben.

Eine Gesellschaft, die nur konsumiert und nicht spart (= in die Zukunft investiert), wird mit der Zeit ärmer, sie verbraucht ihr Kapital. Der immer mehr Geld verschlingende Sozialstaat und die expansive staatliche Geldpolitik täuschen uns über diese Gefahr hinweg. Gleichzeitig verhindern der geldhungrige Wohlfahrtsstaat und die vielen Regulierungen der Märkte, die im Namen der ‚sozialen Gerechtigkeit‘ erfolgen, dass der Kapitalismus und das freie Unternehmertum ihre wirkliche Dynamik entfalten können.

Denn wer will schon Kredite, um sie zu investieren, wenn der Staat ständig und zunehmend die unternehmerische Freiheit und Kreativität behindert? Und wenn man nicht weiß, was die Politik und die Zentralbanken, von denen jetzt fast alles abhängt, morgen entscheiden werden? Auch hier stehen wir vor einem klaren Fall von Staatversagen. Die Finanz- und Wirtschaftskrise wird mit genau den Mitteln bekämpft, mit der sie verursacht wurde: mit billigem Geld, die den Staat und Private – Konsumenten – nur dazu verführt, sich auf leichtfertige Weise immer mehr zu verschulden. Wenn es dann wieder schiefgehen wird, wird man aber wie gewohnt dem Kapitalismus und dem (angeblich) allzu freien Markt, der angeblich den kreditfinanzierten Konsumismus fördere, die Schuld geben.

Aufklärung über die wahren Zusammenhänge tut deshalb not. Veraltete Schlagworte und Legenden über die Geschichte des Kapitalismus und seine wahre Natur sollten überwunden werden. Dies gerade im Interesse derjenigen, die sich sowohl weltweit wie auch in einzelnen Ländern am untersten Ende der Wohlstandsstatistik befinden. Denn sie profitieren absolut betrachtet, das heißt: hinsichtlich des Anwachsens ihres tatsächlichen Lebensstandards, am meisten von einer wirklich kapitalistischen und marktwirtschaftlichen Ordnung, die in klaren rechtlichen Regeln verankert ist, die niemanden bevorteilen oder ausschließen.

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