Die mRNA-Impfstoffhersteller wurden reich – aber nicht auf Kosten des Steuerzahlers

Der Patentschutz ist in der Corona-Krise unter Generalverdacht geraten. Selbst der amerikanische Präsident Joe Biden und sein französisches Pendant, Emmanuel Macron, sprachen sich dafür aus, im Fall der Covid-19-Impfstoffe den Patentschutz aufzuheben. Einflussreiche NGO und Ökonomen aus dem linken Spektrum fordern das schon länger. Zu ihnen gehört die bekannte Volkswirtschafterin Mariana Mazzucato, die die EU-Kommission und die Weltgesundheitsorganisation berät.

Ohne die Milliarden, die Investoren über rund ein Jahrzehnt eingeschossen hatten, hätte 2020 die mRNA-Plattform nicht zur Verfügung gestanden, die nun dazu beiträgt, dass wir unsere Freiheiten bald wieder haben werden.

Mazzucato sagt, als Sprungbrett für die Vakzine hätten jahrzehntelange, massive öffentliche Investitionen in Forschung und Entwicklung fungiert. Die deutsche Biontech habe 371 Millionen Euro, die amerikanische Moderna weit über 1 Milliarde Dollar erhalten. Impfstoffe müssten deshalb als globales öffentliches Gut gesehen werden. Auch die Entwicklungshilfeorganisation Oxfam geißelte die Pharmahersteller, weil sie ihr Know-how nicht teilten, obwohl sie Milliarden an öffentlicher Förderung erhalten hätten.

Aber stimmt dieses Bild? Beruht der Erfolg von Biontech und Moderna vor allem auf staatlichen Mitteln? Bezahlt die Öffentlichkeit damit für deren Erfindungen zweimal – einmal in Form von Steuergeldern für die Forschung und nun ein zweites Mal über den Kauf von Impfungen?

Eine schicksalshafte Begegnung am Kopierapparat

Von öffentlicher Förderung war in der Entwicklung der mRNA-Technologie, auf der die Impfstoffe von Moderna und Biontech beruhen, lange Zeit wenig zu sehen. Vielmehr muss man froh sein, dass es 1997 am Kopierapparat der medizinischen Fakultät an der University of Pennsylvania in Philadelphia zu einer schicksalshaften Begegnung kam. Am Kopierer erzählte die ungarischstämmige Biochemikerin Katalin Kariko dem Immunologen Drew Weissman von ihrer Forschung an der Messenger-RNA. Die mRNA leitet Zellen an, bestimmte Proteine zu produzieren.

Die heute 67-jährige Kariko schlug sich damals mehr schlecht als recht durch. Sie hatte keine Publikationen vorzuweisen und konnte kaum Fördergelder einwerben. Mit synthetischer mRNA, so Karikos Vision, könnte der Körper quasi zum eigenen Pharmaproduzenten werden. Zellen würden so programmiert, dass sie zum Beispiel HI-Viren oder Krebszellen abwehren würden.

Weissman sah das Potenzial in ihrem Ansatz und zweigte Geld aus einem anderen Projekt für sie ab. 2005 publizierten die beiden erste Ergebnisse. Kariko und Weissman gründeten sogar eine Firma, doch niemand mochte in sie investieren. Ein Problem war, dass mRNA zwar im Labor funktionierte, doch sobald man sie Versuchstieren injizierte, wehrte der Körper die Substanz ab.

Etablierte Pharmakonzerne winken ab: Zu risikoreich

Sowohl die Forschungsförderung als auch große Pharmakonzerne erachteten mRNA als zu risikoreich und als Ansatz ohne großes wirtschaftliches Potenzial. Dennoch ging es irgendwie weiter. Da war zum einen eine Gruppe um Derrick Rossi vom Massachusetts Institute of Technology und der Harvard Medical School, die sich von der Forschung von Kariko und Weissman inspirieren ließ. Sie machte sich ebenfalls daran, die Immunabwehr auszutricksen, und gründete 2010 Moderna – der Firmenname bedeutet so viel wie „modifizierte RNA“.

Geld besorgte sie sich beim Wagniskapitalgeber Flagship Pioneering, der sich ebenfalls im Bostoner Biotop angesiedelt hatte. Neben privatem Geld erhielt Moderna von der staatlichen Defense Advanced Research Projects Agency (Darpa) 2013 einen Zuschuss von 25 Millionen Dollar, um Vakzine zu erforschen.

Zum anderen verfolgte Kariko ihre Vision weiter. Im Juli 2013 hielt sie einen Vortrag, an dem auch Ugur Sahin zugegen war, der 2008 mit seiner Frau Özlem Türeci die deutsche Firma Biontech gegründet hatte. Sahin war interessiert, mit mRNA zu arbeiten, um eine Grippeimpfung zu entwickeln. Noch am selben Tag bot er Kariko eine Stelle an, womit sie für ihre Arbeit endlich die Stabilität erhielt, die ihr im öffentlichen Forschungsbetrieb verwehrt geblieben war.

Zur richtigen Zeit am richtigen Ort: die Impfung stand innert Stunden

Biontech und Moderna waren dank der jahrelangen Erfahrung mit der mRNA-Technologie zur richtigen Zeit am richtigen Ort, als die Corona-Pandemie ausbrach. Chinesische Wissenschaftler hatten den genetischen Code des neuen Coronavirus am 11. Januar 2020 veröffentlicht. Innert zwei Tagen hatte Moderna zusammen mit den National Institutes of Health (NIH), einer amerikanischen Behörde für biomedizinische Forschung, einen Impfstoff entworfen.

Biontech benötigte laut eigenen Angaben sogar nur wenige Stunden. Die ersten Dosen lieferte Moderna am 24. Februar 2020 zum Testen, und schon am 16. März wurde der Impfstoff dem ersten Probanden injiziert. In früheren Fällen hatte es bis zur Zulassung eines Impfstoffs stets mehrere Jahre gedauert.

Die Geschichte von Biontech und Moderna ist ein Paradebeispiel dafür, weshalb zumindest in der Biotechnologie Patente wichtig sind, um Investoren bei der Stange zu halten.

Die Geschichte von Biontech und Moderna ist ein Paradebeispiel dafür, weshalb zumindest in der Biotechnologie Patente wichtig sind, um Investoren bei der Stange zu halten. Die beiden Firmen hatten nämlich über Jahre hohe Verluste geschrieben, da sie bis zur Corona-Impfung über kein fertiges Produkt verfügten. Bei Moderna summierten sich die Verluste in den zweidreiviertel Jahren vor dem Börsengang 2018 – vorherige Zahlen sind nicht verfügbar – auf gewaltige 758 Millionen Dollar, bei Biontech in zweieinhalb Jahren vor der Kotierung auf 225 Millionen Euro.

Wagniskapitalgeber und andere Investoren, darunter auch die Genfer Privatbank Pictet, hatten bis zum Börsengang von Moderna denn auch 2,6 Milliarden Dollar in das Unternehmen eingeschossen.

Derweil profitierte die deutsche Biontech vom Risikoappetit der Zwillingsbrüder Andreas und Thomas Strüngmann, die mit dem Verkauf ihrer Generikafirma Hexal an Novartis zu Milliardären geworden waren. Sie statteten Biontech 2008 mit einem Startkapital von 150 Millionen Euro aus, das der Firma über die ersten Jahre half. Insgesamt warb Biontech bis zum Börsengang im Jahr 2019 Investorengelder über 1,3 Milliarden Dollar ein.

Universitäten sind nicht naiv – sie handeln mit ihren Patenten

Erfindungen bauen immer auch auf älteren Entdeckungen auf. Es gibt also nicht das eine Patent, das der mRNA-Technologie zugrunde liegt, sondern es sind ganze Patentfamilien. So bestand eine Schwierigkeit darin, das mRNA-Molekül heil in die Körperzellen zu bringen. Gelöst wurde dieses Problem mit einer Ummantelung mit Lipiden, einer Methode, die ebenfalls wieder patentgeschützt ist.

Wenn Firmen bestehende Patente nutzen, ist das nicht „gratis“, vielmehr müssen sie dafür Gebühren zahlen. Die University of Pennsylvania besitzt rund zehn Patente, die mit der Arbeit von Kariko und Weissman verbunden sind. Diese wurden von der Uni an eine Firma verkauft, an die Moderna schon vor 2019 mindestens 75 Millionen Dollar überwies. Auch in den ersten neun Monaten 2021 zahlte Moderna laut dem „Wall Street Journal“ 400 Millionen Dollar für Lizenzgebühren.

Biontech und Moderna hätten ihre Corona-Impfstoffe in Eigenregie weiterentwickeln und zu exorbitanten Preisen verkaufen können. Erst auf den letzten Metern stieg dann noch der Staat ein.

Biontech ging direkt mit dem Labor von Drew Weissman an der University of Pennsylvania eine Partnerschaft ein. In einer Ankündigung des Unternehmens von 2018 liest man: Falls Technologie der Universität Teil von mRNA-basierten Vakzinen sei, die Biontech vermarkte, würden Zahlungen fällig.

Moderna arbeitet seit vier Jahren mit den NIH bei der Entwicklung einer HIV-Impfung zusammen. Diese Verbindung konnte genutzt werden, als es um die Suche nach einem Corona-Impfstoff ging. Allerdings ist mittlerweile ein Disput darüber entbrannt, welche Wissenschaftler auf einer Anmeldung für ein Patent stehen sollen, das für die Kreation der Corona-Impfung wichtig war. Moderna behauptet, seine Wissenschaftler hätten die entsprechende genetische Sequenz alleine gefunden, was die NIH anders sehen. Derzeit sucht man nach einer einvernehmlichen Lösung.

Milliarden fließen als Steuergelder aus Gewinnen zurück an den Staat

Biontech und Moderna hätten ihre Corona-Impfstoffe in Eigenregie weiterentwickeln und zu exorbitanten Preisen verkaufen können. Erst auf den letzten Metern stieg dann noch der Staat ein. Die USA sprachen 18 Milliarden Dollar, um Produktionskapazitäten und klinische Studien zu finanzieren sowie Impfdosen vorzubestellen. Damit ließ sich wertvolle Zeit gewinnen im Kampf gegen das Virus. Firmen können üblicherweise nicht beides gleichzeitig tun: Sie müssen die Ergebnisse aus den klinischen Studien abwarten, bevor sie auf eigene Rechnung Fabriken aufstellen.

Moderna und Biontech verdienen jetzt zwar viel Geld, aber den Erfolg gestohlen haben sie nicht. Über viele Jahre haben die Eigentümer auf den Durchbruch gewartet. Namhafte öffentliche Gelder kamen erst ab 2020 ins Spiel, als die mRNA-Technologie schon „reif“ war.

Es war richtig, dass der Staat aufs Tempo drückte und den Firmen Risiken abnahm. Den Nutzen der Impfung schätzt der Nobelpreisträger Michael Kremer auf 1400 Dollar pro Person, die Kosten einer mRNA-Impfstoff-Dosis betragen dagegen rund 20 bis 40 Dollar.

Moderna und Biontech verdienen jetzt zwar viel Geld, aber den Erfolg gestohlen haben sie nicht. Über viele Jahre haben die Eigentümer auf den Durchbruch gewartet. Namhafte öffentliche Gelder kamen erst ab 2020 ins Spiel, als die mRNA-Technologie schon „reif“ war – und als es galt, im Interesse der Öffentlichkeit alle Hebel in Bewegung zu setzen, damit vorhandene Impfstoffe auch rasch und in genügendem Ausmaß zur Verfügung standen.

Die Erfahrung von Kariko wirft indes die Frage auf, ob die etablierte Forschungsförderung zu sehr dem Status quo verhaftet ist. Öffentliche Unterstützung ist gerade in einer Frühphase gefragt, wenn man nicht weiß, ob die Forschung in etwas Zählbares mündet. Forschungsergebnisse in marktreife Produkte umzusetzen, sollte dagegen die Domäne privater Firmen sein.

Cluster aus Forschungseinrichtungen, Startups und Financiers erwiesen sich auch im Fall der mRNA-Impfstoffe als wichtig – aber „züchten“ lassen sich solche Ansammlungen kaum. Gewiss profitierten die Firmen von der Arbeit mit Universitäten und der Ausbildung von Forschern. Gleichzeitig machen Universitäten Patente heute vermehrt zu Geld. Die Gewinne der Firmen fließen zum Teil auch wieder zurück. So bezahlt Biontech 2021 rund 1 Milliarde Euro an Steuern allein am Hauptsitz Mainz – da sind die staatlichen 371 Millionen Euro schon mehr als amortisiert.

Die Geringschätzung privater Initiative ist im Fall der Corona-Impfungen somit unangebracht – im Gegenteil: Ohne die Milliarden, die Investoren über rund ein Jahrzehnt eingeschossen hatten, hätte 2020 die mRNA-Plattform nicht zur Verfügung gestanden, die nun dazu beiträgt, dass wir unsere Freiheiten bald wieder haben werden.

 

Dieser Artikel erschien ursprünglich unter dem Titel „Der Staat zahlt, Private kassieren – bei den Corona-Impfstoffen stimmt das nicht“ in der Neuen Zürcher Zeitung vom 8. Februar 2022, S. 23, online bei nzz.ch hier.

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