Wettbewerbsorientierte Marktwirtschaft oder mehr Umverteilung? Ein Diskussionsabend in Wien

Der Diskurs um die katholische Soziallehre und ihre konkrete Umsetzung in Wirtschaft und Politik braucht eine stärkere Ausrichtung am Konzept der öko-sozialen Marktwirtschaft und den nüchternen Blick auf die Vorzüge der kapitalistischen Wirtschaftsweise. Dafür plädierten der Sozialphilosoph Martin Rhonheimer und der Wirtschaftsexperte Wilfried Stadler mit zugleich deutlich differierenden Akzentsetzungen bei einer Diskussionsveranstaltung des Dr. Karl Kummer Institutes und der Arbeitsgemeinschaft Katholischer Verbände (AKV) am Dienstagabend in Wien. Anlass dafür war die Publikation „Wohlstand für alle durch Marktwirtschaft – Illusion oder Wirklichkeit“, die als Dokumentation von zwei hochkarätig besetzten Symposien in der Schriftenreihe „Gesellschaft und Politik“ erschienen ist.

„Wohlstand für alle ist die moralische Legitimation des gegenwärtigen Wirtschaftssystems“, konstatierte AKV-Präsident Helmut Kukacka, der gleichzeitig forderte, dass dieser Anspruch immer kritisch auf seine tatsächliche Realisierung zu überprüfen sei. Die AKV wolle die Vorzüge einer wettbewerbsorientierten Marktwirtschaft wieder stärker in den innerkirchlichen Diskurs einbringen, der derzeit eher von Wirtschaftsfeindlichkeit und Umverteilungsdebatten geprägt sei.

Der Sozialphilosoph Rhonheimer ging in seinem Statement weiter und hielt fest, dass „Wohlstand für alle“ in erster Linie durch die kapitalistische Wirtschaftsweise in Verbindung mit einer rechtsstaatlichen Ordnung und dem Schutz des Eigentums bei möglichst geringen Eingriffen des Staates zu erreichen sei. Der in Rom an der Päpstlichen Hochschule Santa Croce lehrende Priester verwies dabei explizit auf das 19. Jahrhundert: Zwar sei in Folge des modernen Industriekapitalismus auch die Soziale Frage entstanden, aber „erst durch die kapitalistische Wirtschaftsweise konnte erstmals in der Menschheitsgeschichte der Teufelskreis von Armut und Subsistenzwirtschaft überwunden“ und ein bisher nie dagewesener Wohlstand für große Teile der Gesellschaft geschaffen werden und dies trotz einer seit rund 150 Jahren geradezu explosiv wachsenden Weltbevölkerung.

Kapitalakkumulation bei innovativen und risikobereiten Unternehmern in Verbindung mit technischem Fortschritt seien der „Motor für breiten Wohlstand“, so Rhonheimer. Der Präsident des in Wien ansässigen Austrian Institute of Economics and Social Philosophy sprach sich daher dezitiert für eine in diesem Sinn kapitalistische Marktwirtschaft aus. In der Kirche habe man sich lange schwer getan mit der modernen kapitalistischen Wirtschaftsweise und in der Zwischenkriegszeit einen „Dritte Weg“ zwischen Kapitalismus und Planwirtschaft im Sinne einer „Berufsständischen Ordnung“ gesucht. Das habe sich laut Rhonheimer aber als nicht zielführend erwiesen, der auch einer allein auf die rechte Gesinnung abgestellte Wirtschaftsethik wenig abgewinnen konnte.

Der Kapitalismus sei nicht gut wegen der Gesinnung der Kapitalisten, sondern weil das System gut sei. Kapitalismus nehme niemandem etwas weg, sondern durch gewinnbringende Investitionen und effiziente Produktion würden die Voraussetzungen für einen breiten Wohlstand geschaffen. Der Blick auf planwirtschaftliche Wirtschaftssystem im Sozialismus oder Kommunismus oder die gegenwärtige Situation in Venezuela und vielen afrikanischen Staaten zeigten, dass große Wirtschaftskrisen immer mit Staatseingriffen und dem Fehlen von Rechtsstaatlichkeit verbunden seien, so Rhonheimer, der seinen Ansatz im Einklang mit der kirchlichen Lehre sah, wie sie im „Sozialkompendium“ dargelegt ist.

Vor diesem Hintergrund wertete Rhonheimer die Ausführungen von Papst Franziskus im Dokument „Evangelii gaudium“, die in dem Satz „Diese Wirtschaft tötet“ gipfelten, als eine „Meinung“, jedoch nicht als einen expliziten Beitrag des Papstes zur kirchlichen Soziallehre. Schwierigkeiten mit den wirtschaftsbezogenen Aussagen von Papst Franziskus ortete auch der Ökonom Stadler. Der Papst kritisiere berechtigterweise Fehlentwicklungen des Kapitalismus, es fehle bei ihm aber eine ähnlich prononcierte Kritik an jenen Wirtschaftssystemen, in denen kein breiter Wohlstand geschaffen werde und „er gibt keine Richtung für eine erneuerte Wirtschaftsordnung vor“, bedauerte der „Furche“-Herausgeber. Es sei verwunderlich, dass der Papst beispielsweise nicht stärker die auf Ebene der UNO beschlossenen „Nachhaltigen Entwicklungsziele“ (SDG) unterstütze, die Ausdruck einer öko-sozialen Marktwirtschaft auf Weltebene seien. Nicht nur der Papst, auch die Kirche brauche derzeit insgesamt mehr marktwirtschaftliches Denken befanden Rhonheimer und Stadler.

Im Unterschied zu Rhonheimer plädierte Stadler deutlich für den Primat des Staates bei der Gestaltung des wirtschaftlichen Ordnungsrahmens, aber auch bei der sekundären Einkommensverteilung durch Sozialtransfers. Dadurch gebe es breite Kaufkraft, mehr Wohlstand für viele und positive Nachfrageimpulse für die Wirtschaft. Es brauche „so viel Marktwirtschaft wie möglich und so viel Staat wie nötig“, brachte Stadler das Konzept der öko-sozialen Marktwirtschaft auf den Punkt, das innerhalb der Europäischen Union weiterentwickelt werden sollte. Man könne dieses Wirtschaftsmodell auch als „sachgerecht, menschengerecht und umweltgerecht“ beschreiben, so Stadler unter Verweis auf den in Rom lange lehrenden und bereits verstorbenen Sozialethiker Johannes Schasching.

„Wohlstand für alle durch Marktwirtschaft – Illusion oder Wirklichkeit“ ist in der Schriftenreihe „Gesellschaft und Politik“ erschienen. Neben Beiträgen von Rhonheimer, Stadler und Kukacka sind darin auch Ausführungen von Bischof Alois Schwarz, Prof. Ingeborg Gabriel, den ÖVP-Politikern Reinhold Mitterlehner, Josef Riegler und Josef Taus sowie von Prof. Wolfgang Mazal und Franz Schellhorn enthalten. (KAP)

 

(Originalbeitrag erschienen bei : www.kathpress.at)

Zum erwähnten Beitrag von Martin Rhonheimer siehe hier.

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