Blockchain eröffnet Chancen auch abseits anarchokapitalistischer Träume

Viele Liberale setzen hohe Erwartungen in die Blockchain-Technologie. In gar nicht so ferner Zukunft könnte sie in sämtlichen Bereichen zur Anwendung kommen. Möglicherweise stehen wir gerade vor einem entscheidenden Entwicklungsschritt im Internetzeitalter. Doch den Blockchain-Anhängern geht es oft um mehr, als „nur“ eine Weiterentwicklung des Internets: Sie hoffen auf das Ende bisheriger Monopole und denken dabei an Banken, Zentralbanken und den Staat selbst.

Solche Erwartungen könnten sich als trügerisch erweisen. Es ist zwar durchaus möglich, dass einige Monopole im Internet schon bald in Bedrängnis geraten werden. Ebenso dürften aber bisherige Branchengrößen – auch in der Finanz – mit Hilfe von Blockchain ihre dominante Marktstellung sogar noch ausbauen.

Ein Blick auf die jüngsten Entwicklungen und die Funktionsweise der Blockchain-Technologie zeigt: Manche Hoffnungen sind begründet, andere nicht. Zweifelsohne bietet Blockchain aber spannende Perspektiven.

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Ein System, das die meisten noch nicht verstehen

Ähnlich wie zu Beginn des Internets können sich viele Menschen noch nichts unter Blockchain vorstellen. In ein paar Jahren, wenn bereits sämtliche Programme und Dienste auf Blockchain basieren, wird das nicht anders sein, meint Tomislav Matic, Gründer und CEO der Crypto Future GmbH in Wien: „99 Prozent der Bevölkerung werden die Blockchain nicht als solche erkennen; man wird einfach Applikationen und Services nutzen, die auf der Blockchain basieren.“

Auf der Blockchain basierende Produkte werden schließlich nicht wegen ihrer Technologie verwendet, sondern wegen des besseren Services und der Vorteile, die sie bieten. Um diese Vorteile besser zu verstehen, muss man sich allerdings mit der Technologie befassen.

Die Grundidee des dezentralen Systems

Blockchain – auf Deutsch „Block-Kette“ – ist eine dezentralisierte Datenbank, deren Daten besonders sicher verwaltet und geschützt werden, da sie auf verschiedene Server verteilt sind. Manipulationen kann man deshalb zwar nicht grundsätzlich ausschließen, nur sind sie extrem unwahrscheinlich, weil die Informationen auf allen beteiligten Rechnern verändert werden müssten, und nicht nur auf einem.

Dem Bitcoin-Gründer und Entwickler der Blockchain-Technologie Satoshi Nakomoto – bis heute ist unbekannt, wer hinter dem Pseudonym steckt – ging es ausschließlich um den Geldverkehr und darum, die Monopolstellung des Bankensystems und der Zentralbanken zu brechen. Er bemängelte in seinem am 1. November 2008 erschienenen Whitepaper „Bitcoin: A Peer-to-Peer Electronic Cash System“ das „Ausmaß an Vertrauen“, das nötig sei, damit „konventionelle Währungen“ funktionieren. Zentralbank und Banken hätten dieses Vertrauen oft gebrochen. Um diese Monopole zu umgehen entwickelte er die Blockchain-Technologie, auf der Bitcoin und viele weitere Kryptowährungen basieren.

Über die dezentralisierte Blockchain-Datenbank entsteht ein Peer-to-Peer-Netzwerk (Rechner-Rechner-Verbindung), in dem alle Computer gleichberechtigt sind: Sie können Dienste sowohl in Anspruch nehmen, als auch solche zur Verfügung stellen. Überweisungen und Transfers sind ohne eine Zentrale möglich und können direkt von A nach B wandern, ganz ohne Bank.

Neue Blockchain-Produkte

Zurzeit sprießen weltweit Blockchain-Startups wie Pilze aus dem Boden. Neue soziale Medien wie die Plattform Steemit sind entstanden: Hier kann man Artikel, Fotos oder Videos posten, kommentieren und bewerten und für gut bewertete Inhalte Cryptocoins erhalten. Im Gegensatz zu Reddit können die Inhalte nicht zensiert werden, anders als bei Facebook werden sie auch nicht durch Algorithmen manipuliert. Indorse und Kin sind zwei weitere Social Media Neuigkeiten auf Blockchain-Basis.

Auch neue Prognosemärkte sind dank Blockchain entstanden. Auf Augur kann man Wetten auf den Ausgang von Ereignissen abschließen, wie etwa den Preis eines künftigen Produkts. Anders als bei herkömmlichen Prognosemärkten kommt Augur ohne eine zentrale Stelle aus, die am Ende beurteilt, wie ein Ereignis ausgefallen ist. Andere neue Blockchain-Prognosemärkte sind Gnosis und Wings.

Datenveränderungen sind einsehbar und transparent

Man kann Blockchain als digitales Kassenbuch bezeichnen, das Transaktionen in einer Kette von Datensätzen – den Blöcken – gleichzeitig auf viele Rechner verteilt. In diesen miteinander verketteten Datenblöcken sind dabei alle jemals getätigten Transaktionen verschlüsselt abgespeichert und öffentlich einsehbar und somit vollkommen transparent.

Ein Handel mit Bitcoins wird nicht wie bei herkömmlichen Überweisungen auf einem Bank-Server gespeichert, sondern direkt bei allen Teilnehmern in diesem Netz. Jeder neue Block fasst die neu abgeschlossenen Transaktionen zusammen, wird an die bisherige Blockkette angehängt und bei allen Teilnehmern gespeichert.

Dadurch, dass nicht der Datenstand gespeichert wird, sondern Datenveränderungen, löst die Blockchain ein zentrales Problem des Internets: Nun kann ohne zentrale Koordinationsstelle verhindert werden, dass Daten – im Falle von Bitcoin digitales Geld – vervielfacht werden. Daten sind im Internet beliebig oft kopierbar. Nur eine zentrale Stelle konnte bisher verhindern, dass ein Betrag mehrfach ausgegeben wird. Das änderte sich mit der Blockchain, die alle Veränderungen dezentral – überall – festhält.

Auch abseits von Währungen anwendbar

In diesem Netzen können nicht nur Währungen wie Bitcoin gespeichert werden, sondern die verschiedensten Arten von Daten – ob Handelstransaktionen, Grundbucheinträge, Verträge aller Art und anderes.

Dass Blockchain nicht nur für Kryptowährungen geeignet ist, zeigte bereits Ethereum, der im Gegensatz zu den Kryptowährungen nicht mit bestehenden Währungen konkurriert. Ethereum will nicht die Macht der Banken brechen, sondern die Macht von Serverfarmen und Plattformen wie Amazon und eBay. Ethereum schafft ein dezentrales Netzwerk, in dem jeder seinen eigenen App-Store haben, seine eigene Musik veröffentlichen oder sein eigenes Geschäft eröffnen kann. Er bietet das Anlegen und Ausführen sogenannter Smart Contracts in einer eigenen Blockchain an. Smart Contracts sind Computerprotokolle, die Verträge automatisch abbilden und ausführen. Zum Beispiel werden Zahlungen sofort ausgeführt, sobald bestimmte, im Vertrag festgelegte Bedingungen eintreten. IBM, Samsung und Microsoft sind mittlerweile Kooperationen mit Ethereum eingegangen. Viele neue Blockchain-Produkte bauen auf Ethereum auf.

Startups entstehen auch im deutschen Sprachraum

Viele Firmen haben ihren Hauptsitz in London, Gibraltar oder der Schweiz. Der Schweizer Kanton Zug gilt mittlerweile als „Crypto Valley“: Mehr als 50 Startups aus der Krypto- und Blockchain-Welt haben sich hier niedergelassen. Auch die ETH Zürich befasst sich intensiver mit Blockchain und veranstaltete kürzlich ein mehrtägiges Blockchain-Event, um die Schweiz zum internationalen Blockchain-Zentrum zu machen.

In Deutschland arbeiten heute sämtliche Unternehmen an Blockchain-Lösungen. Vor allem Berlin hat eine pulsierende Startup-Szene. Dort wurde auch die IOTA-Foundation gegründet, das bisher größte Projekt für das „Internet of Things“. IOTA ist ein digitales Bezahlsystem, das eine sichere Kommunikation und Zahlung zwischen zwei Maschinen gewährleisten soll.

Tomislav Matic, der Gründer und CEO des ambitionierten Wiener Startup „Crypto Future GmbH“ ist von dem Potenzial von Blockchain überzeugt: „In fünf Jahren wird die Blockchain-Technologie state of the art sein“, meint er gegenüber dem „Austrian Institute“. „Genauso wie das Internet mittlerweile aus allen Lebensbereichen nicht mehr wegzudenken ist, genauso wird es mit der Blockchain-Technologie sein.“ Matic hat Großes vor. Sein Unternehmen soll in den kommenden Jahren stark wachsen. Crypto Future bietet Beratungsdienste für Unternehmen an und baut eine Plattform auf, über die Business-to-Customer-Apps die Blockchain-Technologie nutzen können. Auch eigene Apps will man herausbringen.

Vorteile der Blockchain-Technologie

Einer der Vorteile von Blockchain ist das Tempo: „Auf Grund der Blockchain kann man Transaktionen viel schneller abwickeln, in Sekundenschnelle“, sagt Tomislav Matic. „Eine Sepa-Transaktion etwa wird normalerweise innerhalb desselben Tages durchgeführt, bei einer Blockchain-Transaktion redet man von Sekunden.“ Doch das ist nicht der einzige Vorzug.

„Bei einem geteilten System habe ich die Garantie, dass es weiterhin funktioniert, selbst wenn eine zentrale Einheit ausfällt.“ Dieses System könnte sogar dabei helfen Apps zu entwickeln, die Menschenleben retten:  „Ein Beispiel: Auf der Autobahn geschieht ein Unfall. Wenn ein anderer Autofahrer einen Radiosender darüber informiert, wird diese Nachricht vom Radio weitergegeben. Bei einer verteilten Technologie können hingegen die Clients selbst – in diesem Fall die Autos – miteinander kommunizieren. So könnte man sicher auch Verkehrsunfälle und Todesfälle verhindern. Darin sehe ich einen Riesenvorteil.“

Solche Peer-to-Peer-Dienstleistungen könnten Uber und Airbnb überflüssig machen, meint Petra Augustyn, die gerade an der neuen Blockchain-App „ktschng“ arbeitet: „Jemand fliegt nach Hongkong und bestellt vorher einen Taxifahrer. Er kann jemanden ausfindig machen, sieht seine Dienstleistungen und Bewertungen, schreibt ihn direkt an, und bittet ihn um 15 Uhr beim Flughafen in Hongkong auf ihn zu warten. Vorher überweist er bereits einen Teil des Betrags. Beide – Taxifahrer und Kunde – müssen nicht mehr an Uber zahlen. Ebenso wäre eine Dienstleistungsblockchain möglich, die sämtliche Dienste – Flug, Hotel, Tour etc. – zusammenstellt.“

Ein weiterer wesentlicher Vorzug ist für Tomislav Matic „die Transparenz, die man bei IT-Lösungen bisher nicht hatte. Bisher gab es immer eine zentrale Organisation – einen Server, eine Cloud – und dem kam die Aufgabe zu, die Informationen unter den Benutzern weiterzugeben. Das könnte sich durch die Blockchain-Technologie ändern. Sie verteilt das System und sorgt für Transparenz. Garantie und Vertrauen gegenüber Kunden sind ganz entscheidend. Gerade deshalb ist es so wichtig, alles transparent abzuwickeln.“

Verspätete Dezentralisierung des Internets?

Manche hatten schon vor mehr als 20 Jahren erwartet, mit dem Internet würde ein dezentrales System entstehen, das bisherige Monopole ablöst. Diese Hoffnungen haben sich nicht erfüllt. Stattdessen entstand der gläserne Mensch, über den einzelne Netzunternehmen Unmengen an Informationen ansammeln. Der Verkehr im Internet verläuft nämlich bis heute über die Server großer Netzunternehmen. Auf solchen Serverfarmen werden Daten gespeichert und verwertet. Serverfarmen, Provider und Plattformen stellen die keineswegs immer durchsichtigen Regeln auf. Ihr Service ist darüber hinaus nicht gratis. Wenn man Pech hat, verweigern sie jemandem ihr Service, etwa weil er gegen die Regeln verstoßen hat – ob bewusst oder unbewusst. Darüber hinaus können solche Monopole die Informationen für ihre eigenen Zwecke verwenden, auch wenn man das nicht will. Kurz: Es sind neue Mächte entstanden – und gleichzeitig neue Mittel für die alten Mächte.

Heute teilen sich einige wenige Unternehmen wie Amazon, Google und Facebook die Macht im Internet. Massen an Daten von Milliarden Internetnutzern sind in ihren Händen. Der Wunsch, die Monopole wenig transparenter Firmen zu überwinden, ist verständlich: Sie verfügen über umfassendes Wissen, legen die Spielregeln fest und verdienen an ihrer dominanten Stellung. Darüber hinaus sind zentral gespeicherte Informationen auch schlechter abgesichert und leichter zu manipulieren. Die Kunden müssen diesem Monopol vertrauen, das Monopol kann dieses Vertrauen aber missbrauchen.

Nutzung neuer Technologien

Viele Neuerungen im Blockchain-Bereich stützen sich auf andere neue Technologien. Das gilt etwa für die App „ktschng“, an der gerade Petra Augustyn in Wien arbeitet und die in Kürze als erste IOS Version im App Store erhältlich sein soll. Über diese App kann man in Supermärkten, Museen, sonstigen Geschäften oder auch als Tourist Informationen und Angebote erhalten, die direkt am POS einlösbar sind. Das funktioniert mit Hilfe von augmented reality. Für alles, was man in der App tut, erhält man ktschng coins. Wer eine Wallet hat, kann die ktschng coins dann in andere Währungen umwandeln. „Kein Mensch bezahlt heute mit Bitcoins“, sagt Augustyn. „Wir haben heute keine funktionierende Cryptocurrency für kleine Beträge. Hier sehe ich eine Chance für ktschng.“

Liberale Hoffnungen – libertäre Illusionen

Die Blockchain-Technologie könnte tatsächlich die herbeigesehnte Dezentralisierung des Internets einleiten. Das freut viele Liberale zu Recht. Nach Ansicht von Julio Alejandro, einem 29-jährigen Gründer von drei Blockchain-Organisationen in London, werden durch die Blockchain-Technologie drei zentrale Ideen des Wirtschaftsnobelpreisträgers Friedrich August von Hayek verwirklicht, nämlich: spontane Ordnung, verteiltes Wissen und Dezentralisierung – speziell für Information. „Hayek gab uns die philosophischen Grundlagen dafür.“

Die Träume mancher Liberaler – d.h. sogenannter Libertärer – reichen aber noch weiter. Staaten, Banken, Zentralbanken und bisherige IT-Großkonzerne könnten bald verschwinden, meinen sie. Abgesehen von der grundsätzlichen Fragwürdigkeit anarchokapitalistischer Utopien erscheinen diese Erwartungen als trügerisch.

Mehre Gründe sprechen dagegen, dass die Blockchain-Technologie zum Verschwinden von Staaten, Banken, Zentralbanken und Großkonzernen führen wird:

• Erstens: Großkonzerne und Banken entwickeln bereits eigene Blockchains

Die IT-Großkonzerne haben die Blockchain-Entwicklung nicht verschlafen. Der größte Anbieter von Blockchain-Technologie ist kein Startup, sondern ein rund hundert Jahre alter Konzern: IBM, gefolgt von Microsoft. Zu diesem Ergebnis kam eine Befragung unter Unternehmern von Juniper. IBM setzt aus gutem Grund auf Blockchain: Das Unternehmen hat mehr als 400 Kunden, für die es nun Blockchain-Lösungen implementieren soll.

Auch Banken und Zentralbanken haben schon längst begonnen, sich der Blockchain-Welt zu öffnen. Erst kürzlich bezeichnete der Präsident der Europäischen Zentralbank Mario Draghi die Blockchain-Technologie in einem Video-Interview als „recht vielversprechend“. Durch sie könnten Rechnungen gleich nach ihrem Erhalt automatisch und schneller beglichen werden. Allerdings sei noch weitere Forschung nötig, da die Technologie für die Verwendung im Zentralbankbereich noch nicht sicher genug sei. „Wir sind sehr zuversichtlich, dass die Blockchain-Technologie in Zukunft sehr nützlich sein wird“, hielt Draghi fest.

Im September 2015 startete neun namhafte Banken, darunter Barclays, Credit Suisse, Goldman Sachs und J.P. Morgan, das Konsortium R3, um eine eigene private Version der Blockchain zu entwickeln. Heute gehören mehr als 160 Banken, Finanzdienstleister, Technologieunternehmen, Zentralbanken, Regulatoren und Handelsverbände dem Konsortium an. Ende November 2017 trat auch die Raiffeisenbank International R3 bei. Manche Banken kehrten dem R3-Konsortium wieder den Rücken: J.P. Morgan und andere Banken haben sich in der Enterprise Ethereum Alliance (EEA) zusammengetan, Goldman Sachs und die American Investment Bank widmen sich der Blockchain-Technologie eigenständig. Ein weiterer Konkurrent ist das von IBM angeführte Hyperledger-Konsortium, dem sich die Deutsche Bank, HSBC, Unicredit und Société Générale angeschlossen haben, um ihre eigene Blockchain zu entwickeln.

• Zweitens: Auch Staaten machen sich Blockchain zunutze

Manche Staaten setzen die neue Technologie bereits ein. In Kanada macht der nationale Forschungsrat die Vergabe von Fördermitteln durch die Ethereum-Blockchain transparenter. Auch die Identitätsprüfung von Flugpassagieren soll durch die Blockchain-Technologie verbessert werden. Dubai will bis 2020 alle Visum-Anträge, Zahlungen und Lizenz-Erneuerungen über eine Blockchain abwickeln.

„Banken und Staaten werden sich die Technologie zunutze machen: die Banken für die Finanztransaktionen, die Staaten für die Verwaltung“, sagt Tomislav Matic von Crypto Future. „Jede Bank, die es sich leisten kann, hat ein eigenes Team aufgestellt, das versucht, in der Blockchain-Technologie so schnell wie möglich einen Vorteil für die Bank zu generieren. Wer zu spät dran ist, wird von der Konkurrenz überholt werden und seine Kunden verlieren.“

• Drittens: Blockchain bietet auch Monopolen Vorteile

Bitcoin und sämtliche andere Blockchain-Produkte waren als offene und komplett dezentrale Datenbank angelegt. Das gilt für die genannten Blockchains von Banken und Staaten nicht: Hier handelt es sich um eine geschlossene Blockchain, bei der nicht jeder Zugriff hat, sondern nur ein beschränkter Teilnehmerkreis, der im Falle von Staaten von der öffentlichen Verwaltung festlegt wird. Somit besteht ein entscheidender Unterschied zum Grundgedanken der Blockchain. Utopisten, die von einer Welt aus offenen und dezentralen Systemen träumen, beäugen diese Anwendungen kritisch. Was manche nicht wahrhaben wollen: Auch für einen geschlossenen Teilnehmerkreis – und somit auch für Monopole – bietet die Blockchain Vorteile.

Mit Hilfe der Blockchain kann der Geldfluss zwischen Kreditinstituten und die Abrechnung der Transaktionen massiv vereinfacht, beschleunigt und sicherer gemacht werden. Das hilft den Banken Kosten einzusparen. Die bisherigen Branchengrößen dürften davon profitieren und könnten so ihre Machtposition noch ausbauen. Profitieren davon dürften wegen der sinkenden Transaktionsgebühren auch die Kunden.

Die Blockchain-Technologie bietet wegen ihrer Transparenz auch Vorteile in der Verwaltung. So lassen sich beispielsweise sämtliche Schritte im Bauprozess gemeinsam und übereinstimmend dokumentieren. Manipulationssichere Rechnungen könnten bald auch Finanzämtern die Arbeit erleichtern und die Steuereinnahmen sogar erhöhen, wie die Grazer Steuerberaterin Natalie Enzinger unterstreicht.

„Man kann die Technologie für Applikationen verwenden, die es größeren Unternehmen ermöglichen, die komplette Buchhaltung über die IT-Infrastruktur abzuwickeln “, sagt dazu Tomislav Matic. Gerade von der Sicherheit und Transparenz der Blockchain profitieren auch geschlossene Systeme. „Dort, wo sehr viele Daten anfallen, kann man diese sehr sicher und transparent speichern, sodass es zu keinen Manipulationen kommen kann“, unterstreicht Matic. „Das ist einer der ganz wesentlichen Vorteile und sowohl im Privatsektor, als auch im allgemeinen Sektor entscheidend. So gewinnt man das Vertrauen der Kunden und der Bevölkerung. “

Auch im Bereich des Supply-Chain-Management – also für die Organisation von Lieferketten – kann die Blockchain hilfreich sein. So könnte die Blockchain etwa in Kürze zur Vereinfachung von Abläufen in der Frachtbranche beitragen. A.P. Møller-Maersk, die größte Containerschiffsreederei der Welt, testet gerade gemeinsam mit IBM die Anwendung der Blockchain. 80 Prozent der Güter des täglichen Bedarfs kommen via Schifffracht. Ein Fünftel der gesamten Transportkosten entsteht durch die Vielzahl an benötigten Dokumenten und Mittelsmännern. Diese Kosten könnte man künftig mit Hilfe der Blockchain einsparen. Hersteller, Reedereien, Transportfirmen, Häfen, Terminals und Zollbehörden sollen mit an Bord geholt werden, um in dem Blockchain-System eine gemeinsame und unveränderliche Aufzeichnung aller Daten zu ermöglichen.

• Viertens: Offene und dezentrale Blockchain-Systeme sind nicht für alle Anwendungen geeignet

Eine private Blockchain, wie sie im Supply-Chain-Management oder im Bankenbereich entwickelt wird, kann nur eine beschränkte Anzahl von Personen einsehen. Eine zentrale Einheit entscheidet, wer an den Schreib- oder Lesevorgängen der Blockchain teilnehmen darf. Das unterscheidet sie grundsätzlich von einer öffentlich zugänglichen Blockchain wie Bitcoin, die es jedem erlaubt, den Inhalt der Kette zu lesen und die Gültigkeit der gespeicherten Daten zu überprüfen.

Das Forschungspapier „Do you need a Blockchain?“ der ETH Zürich hält eine offene Blockchain nur dann für sinnvoll, wenn ein Status immer gespeichert werden muss, die Verwendung eines Drittanbieters unmöglich ist, und wenn es mehrere Beteiligte gibt, die aber nicht alle bekannt sind. Sie kann daher gut in dezentralisierten autonomen Organisationen (DAO) angewendet werden, die autonom mit der Hilfe von smart contracts funktionieren und ohne zentrale Kontrolle oder Verwaltung auskommen. Nützlich könnte eine offene Blockchain auch für den Nachweis von Eigentum sein und in weiteren Bereichen, in denen Smart Contracts verwendet werden und wo unter den Teilnehmern kein Vertrauensverhältnis besteht.

Das Papier der ETH Zürich kommt zum Schluss: Manchmal ist die Verwendung einer offenen Blockchain sinnvoll, in anderen Fällen kann eine offene, aber zugangsbeschränkte Blockchain nützlich sein. Schließlich gibt es noch jene Fälle, in denen eine private und zugangsbeschränkte Blockchain Sinn macht, und zuletzt jene, für die gar keine Blockchain nötig ist.

• Fünftens: Nicht alle Monopole und Intermediäre werden überflüssig

Für viele Vorgänge, Dienstleistungen oder Verträge wird man auch noch in Zukunft eine dritte Partei benötigen. Sollten beispielsweise künftig Grundbucheinträge über die Blockchain vorgenommen werden, würde dies die Funktion des Notars keineswegs überflüssig machen. Der Wiener Notar Alexander Winkler unterstreicht im Gespräch mit der Rechercheplattform addendum: Bei Grundbucheinträgen prüft der Notar ja auch die Geschäftsfähigkeit der beteiligten Personen, um zu verhindern, dass zum Beispiel ältere Menschen betrogen werden. Darüber hinaus kontrolliert er Testamente und Verträge auch inhaltlich. Nichts von all dem vermag eine Blockchain zu gewährleisten. Sie gewährleistet nur Datenintegrität, ohne dabei die Qualität der Daten selbst zu verbessern.

• Sechstens: Auch bedrohliche Szenarien sind möglich

Sobald der Staat die Blockchain verwendet, fällt etwas Entscheidendes weg, das offene Blockchain-Systeme auszeichnet: die Anonymität der Beteiligten. Behörden können auf diesem Weg noch mehr Einblick als bisher in die einzelnen alltäglichen Transaktionen ihrer Bürger erlangen. Im Hinblick auf autoritäre Regime ist hier Unbehagen tatsächlich angebracht. In „The Atlantic“ wurde ein düsteres Zukunftsszenario entworfen, das theoretisch durchaus möglich ist.

Somit gilt für die Blockchain, was für alle bisherigen technischen Errungenschaften der Menschheit gilt: Sie können zwar zum Fortschritt beitragen und Freiheit und Wohlstand fördern. Sie ermöglichen aber auch Diktaturen ein neues Ausmaß an Unterdrückung und Kontrolle, das vorher undenkbar war.

Man muss dazu allerdings eines ergänzen: Die öffentliche, unbeschränkt zugängliche Blockchain lässt sich von Staaten bisher nur schwer kontrollieren. Im Falle von korrupten Staaten mit ungenügender Verwaltung sind gewisse Hoffnungen also durchaus berechtigt. So können etwa Geldflüsse in diese Länder, auch von Hilfsorganisationen, vereinfacht werden. Bisher frisst die Korruption ungefähr ein Drittel der ausländischen Hilfszahlungen an ärmere Länder. Auch beim Transport von Waren konnte bisher nicht immer nachvollzogen werden, ob diese auch tatsächlich beim Betreffenden angekommen sind. Das könnte sich ändern. Korruptionsanfällige Behörden könnten mit Smart Contracts umgangen werden.

In Ländern mit ungenügend ausgebildeten Institutionen und fehlender öffentlicher Verwaltung könnten die Menschen mit Hilfe von Blockchain-basierten Technologien fehlende Institutionen ersetzen oder korrupte und ineffiziente Strukturen umgehen. Transparente und vor Manipulation geschützte Transaktionen, Grundbücher und Verträge würden dabei helfen, marktwirtschaftliche Strukturen zu entwickeln, ein wachstumsförderndes Investitionsklima zu schaffen, den Anschluss an die Globalisierung zu ermöglichen und damit nach und nach massenhafte Armut zu überwinden.

• Siebtens: Die Verwendung von Blockchain durch Monopole ist nicht a priori schlecht

Anarchokapitalisten erinnern zuweilen an marxistische Revolutionäre, die auf eine künftige, von jeglicher Herrschaft befreite klassenlose Gesellschaft hoffen. In dieser Weltsicht ist jede Form politischer Herrschaft Unrecht. In ihr fällt auch die Unterscheidung zwischen gerechter und ungerechter Herrschaft weg, ganz einfach deswegen, weil ihr jede staatliche Macht als schlecht oder zumindest schädlich gilt. Dort aber, wo es einen Rechtsstaat mit Gewaltmonopol gibt, der die Grundrechte seiner Bürger achtet und diese effektiv schützt, kann Unrecht deshalb nicht herrschen, weil ein solches gesetzlich klar definiert und jederzeit vor unabhängigen Gerichten einklagbar ist. Rechtsstaatlichkeit ist auch eine wichtige Bedingung für einen funktionierenden, freien Wettbewerb. Daher ist es zu begrüßen, wenn Staaten mit Hilfe der Blockchain ihre Dienstleistungen für die Bürger auch im Grundrechtsschutz verbessern. Hier könnte die Blockchain eine wirksame Hilfe für die Korruptionsbekämpfung werden, denn: Jede noch so kleine Manipulation bleibt einsehbar.

• Achtens: Neue Monopole entstehen

„Die Dezentralität ist für viele Crypto-Fans eine geradezu politische Mission“, schreibt Aaron König in seinem informativen Buch „Cryptocoins: Investieren in digitale Währungen“. Doch auch in offenen Blockchains können über kurz oder lang Monopole entstehen, wie die Geschichte von Bitcoin zeigt.

Bei Bitcoin – und bei den meisten anderen Cryptocoins – aktualisieren sogenannte „Miner“ die Blockchain. Sie überprüfen, ob eine Überweisung regelkonform ist und übernehmen damit die Funktion, die ansonsten Banken haben. Nachdem ein Miner eine Überweisung geprüft hat, schreibt er sie in einen „Block“ und wird mit neu „geschürften“ Coins belohnt. Nun kann zwar grundsätzlich jeder Miner werden, weil man dafür nur eine frei verfügbare Software herunterzuladen braucht, nur benötigt man dafür mittlerweile spezielle, sehr schnelle Computer: Tausende Miner stehen untereinander in einem Wettbewerb um als erster den nächsten gültigen Block zu erzeugen. Dafür müssen sie eine schwierige kryptographische Aufgabe lösen. Sobald das ein Miner geschafft hat und seine Lösung von den anderen Minern nachgeprüft und bestätigt wurde, wird der Blockchain ein Block angefügt. Das Verfahren heißt „Proof of Work“ und verbraucht viel Strom. Die Anforderungen steigen permanent: „Bei Bitcoin wird die Difficulty alle zwei Wochen neu an die gesamte Rechenleistung der Bitcoin schürfenden Computer angepasst“, erläutert König. „Sie hat sich von Januar 2014 bis Juli 2017 etwa um den Faktor 800 erhöht. Man braucht also heute einen achthundert Mal schnelleren Rechner, um die gleiche Menge an Bitcoins zu erzeugen wie damals.“ Das führt zu Problemen: „Nur die Miner haben Stimmrecht, doch ihre Interessen stimmen nicht unbedingt mit den Interessen der normalen Nutzer oder Betreiber von Bitcoin-Brösen und Bitcoin-Wallets überein.“ Aaron König hält fest: „Bitcoin ist längst nicht so dezentralisiert, wie sich das viele wünschen.“

Da das Proof-of-Work-Verfahren darüber hinaus viel Strom verbraucht, führten einige das Proof-of-Stake-Verfahren ein, bei dem über Los entschieden wird, wer den nächsten Block anfügt. Mit der Anzahl an Coins, die man besitzt, steigen die Chancen, gewählt zu werden. Dadurch werden jedoch erneut Machtverhältnisse zementiert.

Man sieht: Ein dezentrales System dauerhaft zu etablieren, ist nicht so einfach. An verschiedenen Lösungen wird zurzeit gearbeitet.

Machtverschiebungen im Internet sind wahrscheinlich

Durch die Blockchain werden manche Monopole in Bedrängnis geraten und möglicherweise verschwinden, neue werden hinzukommen, und manche etablierte Firmen dürften dank Blockchain ihre dominante Marktstellung sogar noch ausbauen, etwa indem sie in Allianzen ihre eigene private Blockchain erstellen, die auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten ist. Gerade die Wissensmonopole im Internet dürften aber ins Wanken geraten. Dies zeigt sich zum Beispiel in der Tourismus-Branche.

Im Sommer hat Tui, Deutschlands größter Reisekonzern, die Bettendankenbank auf Blockchain-Technologie umgestellt. Tui-Chef Fritz Joussen ist von Blockchain begeistert: „Mit Blockchain liegt das gesamte Wissen im Netz. Jeder kann alle Informationen einsehen und sicher Werte übertragen, also zum Beispiel direkt eine Ferienwohnung oder einen Fahrer bezahlen“, erzählte er dem Manager-Magazin. „Die Aggregatoren fallen als Mittelsmänner weg.“ Joussen meinte damit Internet-Plattformen wie Booking.com, AirBnB oder Uber: „Sie beruhen alle auf Quasi-Monopolen und kassieren deshalb gigantische ungerechtfertigte Margen. Diese unguten Strukturen wird die Blockchain aufbrechen.“ Somit bleibt die Macht im Internet „nicht mehr bei ein paar wenigen privilegierten Datenbanken, die sich riesige Margen einverleiben.“

Priceline und Expedia beherrschen etwa 95 Prozent des US-Online-Touristikmarkts. Das ermöglicht ihnen hohe Gebühren zu verlangen. Eine öffentliche, dezentrale Blockchain für den Tourismus-Markt könnte hier für eine vollkommene Markttransparenz sorgen.

„Bislang gab es im Netz Knotenpunkte, die über das gesamte Wissen verfügten, etwa Google oder auch die Flugbuchungsportale“, sagte Joussen auch der Welt am Sonntag. „Diese Unternehmen nutzen ihre privilegierte Stellung als Datensammelstelle dafür, monopolartige Gewinne zu machen. Die Blockchain löst diese asymmetrische Struktur auf. Jeder Rechner im Netz ist künftig gleichberechtigt. Jeder kann alle Daten haben. Zentrale Vermittlungsstellen werden damit überflüssig. Die heutigen Internetgiganten verlieren ihre Datenmonopole.“

Ausblick

In den meisten Bereichen hat sich die Blockchain-Technologie noch nicht durchgesetzt. Dafür gibt es mehrere Gründe:

  • Nach wie vor bestehen technische Schwierigkeiten bei der Umsetzung.
  • Die Umstellung kann in einigen Fällen – etwa bei Lieferketten – länger dauern, da alle Beteiligten umsteigen müssen.
  • Viele der neuen Blockchain-Produkte können erst dann sinnvoll verwendet werden, wenn sie von vielen Menschen benützt werden. Dasselbe war auch bei der Einführung

anderer Produkte so: Solange man der einzige Besitzer eines Telefons oder Facebook-Accounts ist, hat man nichts davon.

Möglicherweise werden viele Vorzüge der Blockchain-Technologie zuerst im Business-to-Business-Bereich spürbar sein, und erst später im Business-to-Consumer-Bereich.

Die Zukunft der Blockchain-Technologie ist offen. Sie hängt auch davon ab, was Unternehmer, Unternehmensgründer und Politiker daraus machen. Kreativität und Mut sind hierbei sicher hilfreich, und auch die Wertschätzung der Freiheit des Menschen. Tui-Chef Joussen ist vom Erfolg der Blockhain felsenfest überzeugt, wie er der „Welt“ mitteilte: „Blockchain ist nicht im Internet, es wird das Internet sein.“

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