Dass Wörter wie „Finanzen“, „Bankwesen“, „Gewinn“, „Kapital“ und sogar „Geld“ mit dem Begriff „Gemeinwohl“ in Verbindung gebracht werden, ist ungewöhnlich. Warum es aber keineswegs abwegig ist, sie miteinander zu verknüpfen, ja warum gerade das Finanzwesen einen entscheidenden Beitrag zur Schaffung der Bedingungen für menschliche Entfaltung und damit zum Gemeinwohl leistet, erörterte Samuel Gregg Ende Mai in zwei Vorträgen in Wien. Der Forschungsdirektor des Acton Institute mit Sitz in Grand Rapids (Michigan, USA) war auf Einladung des Austrian Institute und mit großzügiger Unterstützung des Acton Institute nach Wien angereist.
Die wichtige Rolle des Finanz- und Bankwesens wurde schon im Mittelalter erkannt und ethisch reflektiert.
Indem sich Unternehmer bemühen, Verbrauchern möglichst gute Waren und Dienstleistungen anzubieten, schaffen sie Wohlstand. Darin sieht Gregg ihren spezifischen Beitrag zum Gemeinwohl. Jedoch benötigen Unternehmer auch Kapital – und genau hier kommt das Finanzwesen ins Spiel, dessen Relevanz bereits im Mittelalter erkannt und von Theologen und Juristen ethisch reflektiert wurde. Als im 12. und 13. Jahrhundert die ersten Finanzinstitutionen entstanden, wurde der nach dem Ende des Römischen Reiches bestehende „Teufelskreis aus geringer Produktion, geringem Konsum und Bevölkerungsrückgang durchbrochen“. Nun konnte Kapital für neue Investitionen wesentlich effektiver zur Verfügung gestellt werden. Theologen und Prediger wie der Franziskaner Petrus Olivi (1248 – 1298) oder der hl. Bernhardin von Siena (1380 – 1444) erläuterten ausführlich, warum es legitim ist, dass Gläubiger Zinsen auf Darlehen erheben, um für ihren Verzicht auf die Möglichkeit, ihr Geld anderswo anzulegen, entschädigt zu werden. Petrus Olivi hielt fest, dass Geld, das im Hinblick auf einen künftigen wahrscheinlichen Gewinn investiert wird, nicht nur die schlichte Eigenschaft von Geld hat, sondern „darüber hinaus eine gewisse samenhafte Eigenschaft, Profit zu erbringen, die wir für gewöhnlich Kapital nennen“. Die Theologen erkannten: „Geld kann produktiv werden, kann zu Kapital werden.“ Ab dem 14. Jahrhundert gründeten die Franziskaner mit Hilfe wohltätiger Spenden Kreditgesellschaften – im Volksmund „montes pietatis“, „Berge der Barmherzigkeit“ genannt – um den Armen den Zugang zu Krediten zu erleichtern, allerdings gegen einen bescheidenen Zins.
Ein wichtiger Bereich, in dem das Finanzwesen zum Gemeinwohl beiträgt, ist Gregg zufolge die Allokation von Kapital: Banken tragen zur Verteilung von Kapitalressourcen auf Einzelpersonen oder Unternehmen bei. Damit helfen sie das verfügbare Kapital in den Dienst Anderer zu stellen. Gleichzeitig erlangen die Menschen dadurch eine höhere Freiheit: Sie können selbst bestimmen, wann sie Geld wofür ausgeben. Kurz: Die Finanzindustrie „erweitert den Spielraum für das Gedeihen des Menschen“. Darüber hinaus steigert sie auch die Produktivität des Kapitals. Geld verschafft „Macht über materielle und menschliche Ressourcen“, und mit dieser Macht kann man Menschen beschäftigen, Krankenhäuser bauen, Unternehmen gründen und anderes mehr. „Geld produktiv zu machen ist somit einer der wesentlichen sozialen Beiträge der Finanzwirtschaft zum Gemeinwohl.“
Schließlich trägt das Finanzwesen auch dazu bei, „Vertrauen und Beziehungen zwischen den Menschen und über die Zeit hinweg aufzubauen“. Es schafft Verbindungen zwischen der wirtschaftlichen Gegenwart und der wirtschaftlichen Zukunft. Entscheidend ist, ob die Banker an den künftigen Erfolg einer Unternehmensidee glauben und dem Unternehmer daher Kapital anvertrauen. Auf diese Weise wird gerade nicht egoistischer Individualismus gefördert. Vielmehr wachsen so wechselseitige Abhängigkeiten und Kooperation.
Zuletzt räumte Gregg ein, dass in dynamischen Finanzmärkten „viele potenzielle Risiken“ bestehen. So wie überall sind auch hier fehlbare Menschen tätig, was sich täglich in Millionen von täglichen Entscheidungen widerspiegelt. Und: „Geld, Kapital und Reichtum sind instrumentale Güter; sie sind gut, aber sie sind Mittel zum Zweck.“
Über Spekulation gibt es viele Missverständnisse
Die anschließende, von dem amerikanischen Journalisten und Publizisten Alvino-Mario Fantini moderierte Diskussion kreiste um praktische Probleme aus dem unternehmerischen Alltag, aber auch um ethische Fragen. So fragte etwa eine evangelische Theologin den Referenten nach seiner Einschätzung von Spekulation, da diese doch ein wesentliches Element der Finanzindustrie ist. Gregg unterstrich: Spekulation ist grundsätzlich nicht schlecht. Ausführlicher war er auf dieses Thema aber am Vortag eingegangen, in einem Referat, das er an der Wirtschaftsuniversität vor mehreren Studenten hielt. Moderiert wurde diese Veranstaltung von WU-Professor Hansjörg Klausinger, dessen Departement die Veranstaltung zusammen mit dem Austrian Institute organisiert hatte.
Das Wort Spekulation habe einen negativen Beigeschmack, räumte Gregg zunächst ein. Nur wisse man oft nicht, was darunter überhaupt zu verstehen ist: „Grundlegend besehen beinhaltet jegliche wirtschaftliche Aktivität auch Spekulation. Wir alle müssen Entscheidungen darüber treffen, wie wir unser Einkommen in einem sich wandelnden wirtschaftlichen Umfeld ausgeben und investieren, basierend auf unserem unvollkommenen Wissen über die Zukunft.“
Anders, als manche meinen, ist die Tätigkeit des professionellen Spekulanten äußerst arbeitsaufwändig. „Es gibt einen Grund, warum Hedgefonds eine große Anzahl von Prognostikern, Geschäftsleuten und mathematischen Modellierern beschäftigen, um eine möglichst genaue Schätzung vorzunehmen. Spekulation umfasst oft einen großen Arbeitsaufwand, der von kompetenten Menschen geleistet wird, die viel zu verlieren haben, wenn sie sich in ihrer Beurteilung irren.“
Spekulation fördert die Stabilität des Wirtschaftslebens
Gregg widersprach entschieden dem Vorwurf, „Spekulanten, die einen Anstieg des Rohstoffpreises erwarten und daher viele Terminkontrakte kaufen, würden den Preis von Waren, für die derzeit eine hohe Nachfrage besteht, nachhaltig in die Höhe treiben.“ Das kommt nur in Ausnahmefällen vor und ist von vorübergehender Wirkung. „Generell ist der Nachweis für einen Zusammenhang zwischen Preisbewegungen und spekulativen Aktivitäten schwach. Lang- und mittelfristig wird der Preis von Gütern durch den Grad ihrer Knappheit und die Kräfte von Angebot und Nachfrage bestimmt.“ Der Spekulant hat keine magischen Fähigkeiten. Er erzielt Gewinn, „weil er richtig eingeschätzt hat, dass die Nachfrage nach einem Gut irgendwann in der Zukunft größer sein wird als dessen Angebot.“
Darüber hinaus können Spekulationen auch „zur relativen Stabilität des Wirtschaftslebens beitragen, indem sie Angebot und Nachfrage vieler Güter über den kurzfristigen Bereich hinaus kalibrieren.“ Eine Änderung des Terminpreises für Öl zeigt zum Beispiel auf, wie eine kritische Masse von Menschen zukünftige Trends in der Ölindustrie einschätzt. Dies ist ein wichtiges Marktsignal für die Ölproduzenten. „Spekulationen erlauben es den Ölverbrauchern aber auch, sich vor plötzlichen Preiserhöhungen in der Zukunft zu schützen, indem sie sich auf einen ihrer Meinung nach niedrigeren zukünftigen Preis festlegen.“ Produzenten wie Konsumenten profitieren also von Spekulanten, und nicht nur die: „In dem Maße, wie Spekulationen mittel- und langfristig zur Stabilisierung der Preise beitragen, ermöglichen sie allen, wirtschaftliche Entscheidungen mit größerer Sicherheit zu treffen.“
Natürlich trifft man auch bei Spekulanten auf unmoralisches Verhalten. Betrug ist immer schlecht. Beim Spekulieren soll man darüber hinaus umsichtig und angesichts der Risiken verantwortungsvoll agieren. Problematisch sei ein „unüberlegtes Herdenverhalten, das sich aus der blinden Verfolgung von Marktindikatoren ergibt“.
Die Diskussion mit Studenten der WU war belebt durch pointierte Fragen diejenige der Veranstaltung in der Industriellenvereinigung am Tag danach wurde während des nachfolgenden, vom Wiener Bankhaus Schelhammer & Schattera gesponserten Buffets in kleinen Gruppen fortgesetzt. Beide Vorträge eröffneten ungewohnte Perspektiven, hatte der Referent doch zwei Bereiche, die vielen als einander entgegensetzt erscheinen – Finanzindustrie und Gemeinwohl – in eine positive Beziehung gesetzt. Sein Buch „Für Gott und den Profit“, das u.a. in der Neuen Zürcher< Zeitung ausführlich rezensiert wurde, stieß denn auch am Bücherstand der Herder Buchhandlung auf reges Interesse.
Rezension des Buches „Für Gott und den Profit“ in der Neuen Zürcher Zeitung.
Bericht über den Vortrag im Haus der Industrie in der „Tagespost“
Alle Fotos auf dieser Seite sind von Stanislav Jenis. © Austrian Institute of Economics and Social Philosophy, 2018; Stanislav Jenis, 2018.