Newsletter Februar 2023: Krieg im Osten und neuer Antiamerikanismus von rechts

Während ich diesen Newsletter zu verfassen begann, wurde überall des Jahrestages des russischen Überfalls auf die Ukraine gedacht. In der Wiener Hofburg, unweit von dem Haus, in dem ich wohne, tagte die parlamentarische Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Die Flaggen der Mitgliedsstaaten, auch die ukrainische, wehten im Wind, als ich früh morgens mit dem Fahrrad über den Heldenplatz fuhr. Doch die Vertreter der Ukraine waren nicht anwesend. Dafür konnte man im zentral gelegenen „Graben“ eine Stellwand mit Fotos der Kriegsgräuel betrachten neben denen unter ukrainischen Flaggen ein Aufruf zu Demonstrationen und die Worte zu lesen waren: „Die Ukraine wird standhalten und siegen!“

Bild: Austrian Institute / MR

Natürlich wäre es wichtig, miteinander zu reden. Aber russische Diplomatie beruht auf Lüge und Täuschung – und die Ukrainer wissen das. Deutlich wird das an den neuesten Vorwürfen Russlands, die Ukraine plane eine Invasion in Transnistrien – jenen Teil der Republik Moldau also, in dem russische Soldaten und russischfreundliche paramilitärische Einheiten stationiert sind und sich eine von Russland abhängige Pseudoregierung ohne internationale Anerkennung installiert hat. Die ukrainische Armee plane, diese Invasion in russischen Uniformen durchzuführen – so verkündet es nun die russische Propaganda in bester KGB-Manier! Da werden Erinnerungen an die grünen Männchen ohne Hoheitszeichen in der Krim wach.

Während Russland mit seiner Propaganda offenbar nicht wenige Europäer zu überzeugen oder mindestens zu verunsichern vermag, feiert der einstmals der Linken vorbehaltene Antiamerikanismus Urständ. Dies oft gerade unter konservativ denkenden Liberalen oder besser: Libertären, deren Abneigung gegen die Staatsgewalt sich im Moment eigenartigerweise allein, aber umso heftiger, gegen die USA, nicht aber gegen das extrem etatistische, nationalistisch-militaristische und autoritäre – manche sagen nicht ganz zu Unrecht: neofaschistische – russische Regime richtet. Es ist erstaunlich, in welcher Zahl sich jetzt „liberal“ nennende Zeitgenossen – allem Anschein nach aus purer Abneigung gegenüber den USA, die man ja weiß Gott nicht für einen Waisenknaben halten muss –, um Verständnis für die russischen „Sicherheitsinteressen“ bemühen und bedenkenlos russische Narrative übernehmen.

Russlands Neoimperialismus ist eine Neuauflage des sowjetischen Hegemonialstrebens, das selbst wiederum seine Wurzeln im Zarenreich hatte. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat es nicht nur die Welt durch den Kalten Krieg geteilt, sondern durch Stellvertreterkriege in allen Teilen der Welt eine Blutspur hinterlassen. Davon unterscheiden sich jedoch – freilich nicht zu leugnende – amerikanische Missgriffe, Gewalttätigkeiten und Fehler der Vergangenheit. Sie unterscheiden sich nicht nur in quantitativer, sondern vor allem in qualitativer Hinsicht von ihrem sowjetrussischen Pendant: Sie waren nicht System, sondern Auswüchse, Missbräuche und oft Frucht von Fehleinschätzungen der bisher einzigen globalen Supermacht – zuweilen auch eines Sendungsbewusstseins, das der Kaschierung handfester nationaler Interessen diente.

Im Unterschied zur Sowjetunion und zum jetzigen Russland sind die USA trotz oft nicht zimperlichen Methoden kein menschenverachtendes und unterdrückerisches Regime. Die USA sind ein Staat, in dem es letztlich auch eine, wenn auch nicht immer in jeder Hinsicht vollkommene, öffentliche Kontrolle durch die Medien, die Justiz und schließlich das wählende Staatsvolk gibt. Die USA sind und bleiben gerade als Hegemonialmacht Hort und Garant der Freiheit für jene, die sich unter seinem Einfluss befinden. Das gilt vornehmlich für Europa, das unfähig ist, auf sicherheitspolitisch eigenen Füßen zu stehen, nun von Worten wie Zeitenwende lebt, aber an Taten arm ist und ohne die USA nicht nur eine traurige Figur machen, sondern wohl auch traurig enden würde.

Niemand weiß, wie das Ringen zwischen Russland und der Ukraine ausgehen wird. Im Zweiten Weltkrieg war es Russland gewesen, das angegriffen wurde; der Aggressor Deutschland verlor sich in den Weiten des gewaltigen Landes und hatte, wie schon Napoleon vor ihm, keine Chance. Heute hingegen scheint Russland – nun als Aggressor – gerade wegen seiner Größe unerschöpfliche Reserven an Soldaten und Material zu haben. Zudem kämpft es in einem Land, das im Vergleich zu ihm ein Zwerg ist. Deshalb, so liest man allenthalben, sei gegen Russland kein Krieg zu gewinnen, schon gar nicht von der Ukraine, selbst mit westlicher Hilfe nicht.

Das mag richtig sein – doch was heißt hier schon „gewinnen“? Was „Sieg“? Außer Acht wird gelassen, dass in Russland immer mehr Menschen sich der Tatsache bewusst werden, dass sie nicht – wie die staatliche Propaganda der Bevölkerung weismacht – die Verteidiger, sondern die Aggressoren sind und Schändliches tun. Sollte dieses Bewusstsein mehr und mehr um sich greifen und den von Putin genährten Mythos, das alles sei eine Neuauflage des „Großen Vaterländischen Krieges“, zerstören, sollten zudem die Folgen in der Form gefallener und verletzter Mitbürger nicht nur auf dem Land, sondern auch in den Städten ankommen: dann könnte sich das Blatt wenden.

Politische Opportunisten hätten die Möglichkeit, sich die Unzufriedenheit einer mit blanker Repression und Gewalt zum Schweigen gebrachten Volksmehrheit zu Nutzen machen und die Gelegenheit beim Schopf zu ergreifen – nicht um demokratische und rechtsstaatliche Verhältnisse in Russland einzurichten, wohl aber um das Land aus der Sackgasse der Kriegswirtschaft und internationaler Ächtung herauszuführen und sich mit einem Modus Vivendi mit einer unabhängigen, westlich orientierten Ukraine abzufinden. Zumindest vorläufig. Vielleicht würde sogar Putins Überlebenswille – der Wille, Macht und persönlichen Reichtum nicht zu verlieren, – ihn dazu führen, selbst so zu handeln und zunächst einmal seine imperialen Pläne aufs Eis zu legen.

Auf ein solches, meiner Ansicht nach durchaus realistisches Szenario sollte sich der Westen vorbereiten. Deshalb, so meine Meinung, ist es wichtig, dass die Ukraine aus einer starken Verhandlungsposition heraus ihre territoriale Integrität wiederherstellen und unter einem westlichen Schutzschirm auch ihre Souveränität gegenüber zukünftigen revanchistischen russischen Absichten, die jederzeit wieder aufleben können, so weit wie möglich zu sichern. Genau dafür ist die Ukraine – zumindest, was zunächst einmal von ihr übrigbleiben wird – weiter auf westliche Hilfe und die sicherheitspolitische und wirtschaftliche Integration in den Westen angewiesen.

So viel zur bedrückenden Aktualität des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine.

Der 24. Februar 2023 war für das Austrian Institute, insbesondere aber für das Team der Austrian Academy, auch von einem durchaus erfreulichen Ereignis geprägt: dem ersten Alumni-Treffen der Jahrgänge 2019-2022 unserer Austrian Academy, die bisher ja viermal stattgefunden hat. Das Treffen in Wien war der Startschuss für den Triple A Club: Ein exklusives Format für die Austrian Academy Alumni – die drei A stehen für Exzellenz, die ein Triple A-Rating verdient! Etwas über 30 Alumni der vier genannten Jahrgänge und damit rund ein Drittel der Gesamtzahl waren mit dabei, einige von ihnen reisten aus dem Ausland an. Wir werden darüber mehr berichten und auch die von mir – zu einem brisanten Thema – gehaltene Tischrede auf unserer Website veröffentlichen.

Bleibt mir noch, auf zwei sehr aktuelle Blogbeiträge hinzuweisen: Gunther Schnabl, Professor der Universität Leipzig, schreibt über die Gefahren der EU-Taxonomie, die uns in eine grüne Planwirtschaft führen wird. Beat Kappeler knüpft sich nicht nur die EU, sondern auch die USA vor: Denn beide versuchten sich durch industriepolitische Riesenprogramme und einen Subventionswettlauf in Allmachtsphantasien, die dann aber letztlich wieder nur in einer ineffizienten Kulissenschieberei enden wird. Beide Autoren kommen zum Schluss: Mit all dem ist weder der Umwelt und dem Klima noch dem Wohlstand gedient.

Gerne erinnere ich an den öffentlichen Vortrag von Peter J. Boettke am kommenden 8. Mai zum Thema Capitalism, Socialism and Our Future, zu dem das Austrian Institute herzlich einlädt! Prof. Boettke ist einer der führenden angelsächsischen Vertreter der Österreichischen Schule der Nationalökonomie und lehrt an der George Mason University in Fairfax (USA). Mehr Informationen und Link zur Anmeldung unten. Achtung: Das Platzangebot ist beschränkt!

Mit sehr herzlichen Grüßen

Ihr

Martin Rhonheimer

Präsident Austrian Institute

m.rhonheimer@austrian-institute.org

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