Der Schein der Erholung von der Krise in Europa trügt. Die Arbeitslosigkeit sinkt zwar stetig und immer weniger Unternehmen sind insolvent, doch die Europäische Zentralbank (EZB) zögert mit dem Ausstieg aus der Nullzinspolitik. Aus zwei Gründen. Zum einen konnten Zinssenkungen während der Krise zwar die Märkte stabilisieren, haben aber auch den Nährboden für neue Übertreibungen geschaffen. Ein plötzlicher Anstieg der Zinsen könnte die neuen Blasen auf den Immobilien- oder Aktienmärkten zum Platzen bringen. Zum anderen haben die niedrigen Zinsen eine steigende Verschuldung begünstigt. Würden die Zinsen angehoben, stiegen damit auch die Zinslasten für hoch verschuldete Unternehmen und Staaten. Doch auch wenn die Zinsen niedrig bleiben, wächst das Risiko. Denn die andauernde Flut des billigen Geldes schafft Zombie-Unternehmen, Zombie-Banken und Zombie-Staaten, das heißt: Unternehmen, Banken und Staaten, die unprofitabel, ja oft bankrott sind, nur dank dieser niedrigen Zinsen überleben können und deshalb die Dynamik der marktwirtschaftlichen Ordnung unterminieren.
Hier finden Sie die ausführliche und dokumentierte Studie „Europäische Geldpolitik und Zombiefizierung“ von David Herok und Gunther Schnabl zum Thema (Austrian Institute Paper Nr. 21 / 2018). Hier gehts‘ zum Download
Denn obwohl Zinssenkungen kurzfristig Investitionen begünstigen, wirkt ein anhaltendes Niedrigzinsumfeld lähmend. Unternehmen können alte, unrentable Investitionsprojekte durch billige Kredite am Leben halten, ohne Bankrott zu gehen. Ein Ende der Finanzierung solcher Zombie-Unternehmen ist politisch unerwünscht, da das Insolvenzen und Arbeitslosigkeit zur Folge hätte. Durch die niedrigen Zinsen sind die Kosten der Insolvenzverschleppung für Unternehmen gering. Die gesamtwirtschaftlichen Kosten sind jedoch weitaus größer, da Ressourcen in Zombie-Unternehmen gebunden bleiben und neuen, innovativen Firmen nicht zur Verfügung stehen.
Geschäftsbanken, die Kredite an Zombie-Unternehmen vergeben haben, häufen faule Kredite an und werden so zu Zombie-Banken. Der Abbau der faulen Kredite würde die tatsächliche Vermögenslage der Banken offenlegen, was die Banken fürchten. Solange sich Zombie-Banken bei der EZB zum Nulltarif Geld leihen können, bestehen keine Anreize zur Restrukturierung des Kreditportfolios. Neue Regulierungen und eine verstärkte europäische Bankenaufsicht sollen solche Entwicklungen in Zukunft vermeiden und Banken zur Aufdeckung fauler Kredite zwingen. Das würde aber die Finanzstabilität gefährden und ist daher ebenfalls politisch unerwünscht. Die europäische Bankenaufsicht drückt daher bei faulen Krediten in den Bilanzen der Zombie-Banken lieber zwei Augen zu.
Auch viele europäische Regierungen hängen inzwischen am Tropf der Zentralbank. Zwar fiele der unmittelbare Effekt eines Zinsanstiegs auf die Staatshaushalte zunächst gering aus, da die durchschnittliche Laufzeit von Staatsanleihen seit der Krise deutlich verlängert wurde. Doch würde ein Ende der Anleihekäufe durch die EZB (oder gar ein Abbau des Bestands) zu einer höheren Risikobewertung von Staatspapieren führen. Die Zinslasten von hoch verschuldeten Staaten wie Italien würden aufgebläht und die Staatshaushalte schwer belastet. Zu den Zombie-Unternehmen und Zombie-Banken gesellen sich nun auch Zombie-Staaten, die von der Fortsetzung der ultra-lockeren Geldpolitik abhängig sind.
Die sich schleichend ausbreitende Zombie-Epidemie spiegelt eine Abkehr von marktwirtschaftlichen Prinzipien wider. Die zentrale Allokations- und Signalfunktion des Zinses wird außer Kraft gesetzt: Zum einen werden Ressourcen in unrentablen Zombie-Unternehmen gebunden. Zum anderen wird die Bewertung von Risiko – wie etwa durch Risikoaufschläge auf die Zinsen auf Staatsanleihen – dramatisch verzerrt. Durch die indirekte Subventionierung von Zombie-Unternehmen und Zombie-Banken wird das Haftungsprinzip aufgeweicht. Anstatt Verlusten mit Effizienzsteigerungen zu begegnen, werden Löcher in den Bilanzen von Banken und Unternehmen mithilfe der Notenpresse gestopft. Strukturelle Bereinigungen und Innovationen werden behindert, Produktivitätsgewinne bleiben aus und der Wohlstand verfällt.
Ein Ausstieg aus der beispiellosen geldpolitischen Expansion ist ohne Frage schmerzhaft. Doch je länger er herausgezögert wird, desto größer werden diese Kosten und desto weiter rückt der Ausstieg in die Ferne. Die amerikanische Federal Reserve macht (wenn auch zögerlich) vor, dass eine Rückkehr zur geldpolitischen Normalität möglich ist. Es ist höchste Zeit, auch in Europa den geldpolitischen Ausstieg anzugehen, um eine noch weitergehende Zombiefizierung zu verhindern.
Hier die ausführliche Studie herunterladen (Austrian Institute Paper 21/2018)