Die „gelben Westen“ – und Millionen bescheiden lebender Franzosen – sind unzufrieden mit der Pariser Polit-Elite. Die hastigen Maßnahmen des Präsidenten Macron, im vergangenen Dezember am Fernsehen verkündet, warfen aber nur noch einen Scheinwerfer mehr auf dieses Regieren über die Köpfe hinweg. Verändert hat sich nichts.
Denn Macron versprach allen Bezügern des Mindestlohns 100 Euro mehr im Monat, auf Kosten des Staates, er befreite die geringen Renteneinkommen von einer Steuer, die eben erst 2018 erhöht worden war, und machte die erhöhte Benzin- und Dieselsteuer rückgängig. Abgesehen davon, dass jede Minute der Rede Macrons den Staat etwa 1 Milliarde Euro kostete, soll sie ihn und das Land in weiteren Illusionen wiegen und hätscheln.
Denn zum einen wollte sich Macron als Absolvent der Elite-Verwaltungsschule ENA rasch entschlossen und verwaltungstechnisch auf der Höhe zeigen. Doch das ging daneben. Denn er hatte die Maßnahmen mit praktisch niemandem besprochen, sondern am Pult entworfen, echt präsidial. Zum anderen stellte sich dann aber heraus, dass der Staat kein Register der Bezüger von Mindestlöhnen hat. Sondern die Firmen bezahlen diesen, die Arbeitsgerichte kontrollieren es im Klagefall. Nun versucht Premierminister Philippe mit allen Windungen, das Versprechen umzusetzen, einfachheitshalber zu Lasten der Firmen. Denn der Mindestlohn soll an sich erhöht werden, sowie die Zulage für die Aufnahme einfacher Arbeiten – für 5 Millionen Bezüger. Doch diese Zulage sinkt, je mehr die Haushaltseinkommen, etwa durch den höheren Mindestlohn, ansteigen. Es werden also lange nicht alle Tiefentlohnten saubere 100 Euro mehr in der Tasche haben.
Dann sprach der Premier den Rückzug der Benzinsteuer aus, senkte aber im gleichen Atemzug die frühere Zulage für gestiegene Energiekosten und für die Verschrottung alter Wagen. Riesengeheul, und sofort wurde dies wieder annulliert. Die Steuererleichterungen für Rentner schließlich können wohl erst nach einem halben Jahr eintreten, aus administrativen Gründen.
Man sieht, der französische Superstaat an Besteuerung und Verwaltungsritualen ist blockiert – jede Maßnahme zugunsten der Bürger läuft selbst wieder auf eine Sperre aus der Verwaltung auf. Das ist nicht nur ein französisches Problem, sondern jenes des überall in Europa wuchernden Superstaates mit seiner vermeintlichen Allzuständigkeit. Die Europäische Zentralbank hat soeben die italienische Bank Carige als Sanierungsfall bezeichnet. Nun rudern auch dort die Verwaltungen und die Regierung: einerseits verlangt die europäische Bankenabwicklung in solchen Fällen, dass die Aktionäre und die Obligationsinhaber der Bank bluten müssen. Doch solches hat die Regierung bisher den Betroffenen entschädigt, mit Staatsgeld. Die neue Regierung tobte dagegen, steht jetzt aber, andererseits, selbst vor dem Dilemma, die europäische Verwaltungsvorschrift anzuwenden, eine Riesenwut der betroffenen Aktionäre und Obligationäre auszusitzen, oder eben wiederum Staatsmittel an diese, oder in die Bank selbst zu deren Rettung, einzusetzen. Diese Variante scheint sie jetzt ergreifen zu wollen. Mit ein paar Milliarden weiteren Ausgaben rutscht Italiens bankrotter Staat aber selbst weiter in den Abgrund.
In Frankreich wiederum zeigen sich gegenseitig blockierende Gesetze auch im Fall der Ford-Fabrik in Blanquefort, die geschlossen werden soll. Da in solchen Fällen unermessliche Abgangszahlungen an die Angestellten auf Jahre hinaus drohen, verkauften früher solche in Konkurs gegangene Firmen sich für ein paar Francs oder Euro an einen windigen Abnehmer, der alles auffliegen ließ und nicht zahlen konnte. Daher machte der Staat ein Gesetz, wonach die Verkäuferfirma nachher doch wieder in die Pflichtzahlungen eintreten muss. Deshalb nun verkauft Ford die Fabrik nicht an einen Anbieter, der sie weiterführen will. Denn gelingt es ihm dann doch nicht, muss Ford zahlen. Es scheint, dass Ford nun lieber sofort schließt, ein Ende mit Schrecken für alle. Kurz, der allmächtige Staat hat gemeint, jedes Schlupfloch mit Autorität schließen zu können, und dennoch rinnt ihm die wirtschaftliche Substanz davon.
Die neusten, administrativ hinkenden Maßnahmen Macrons suggerieren nun einmal mehr, dass der Staat für alles geradesteht. In Wirklichkeit wirft er nur mit Geld, geliehenem Geld, um sich. Wenn künftig alle Unzufriedenen nur noch vor dem Élysée, auf den Champs-Élysées, fordern und randalieren, ist das sehr rational von deren Seite.
Qualitative Maßnahmen kommen diesen Technokraten in der Hast nicht in den Sinn. In Frankreich wie in Italien müssten die Staaten echt dezentralisiert werden, mit voller Steuer- und Ausgabenkompetenz der Regionen, der Städte. Es müssten die Steuern fürs Gewerbe massiv gesenkt werden – heute oft über 50% des kargen Gewinns – damit der ländliche Raum vital bleibt. Es müssten die Schulen verbessert, die Diplome an Leistungen gebunden werden. Eine echte Berufsbildung anstatt „Le Lycée“ für die Mehrheit gehört dazu. In diesen Ländern reden die Technokraten in den Hauptstädten seit Jahrzehnten bewundernd von Deutschland, Skandinavien, Österreich und der Schweiz, die dieses duale Bildungssystem haben und deshalb mit ihrer Wirtschaftskraft den anderen davonfahren. Doch sie schaffen es nicht.
Dumme, realitätsblinde, elitäre Technokraten! Und Emmanuel Macron führt sie an – und führt sie vor.