Das kleptokratische Imperium: Warum Marktwirtschaft in Russland gescheitert ist

Obwohl Russland in den späten 1980er Jahren eine starke demokratische Bewegung hervorbrachte, ist die postkommunistische Transformation dort anders als in Ostmittel- und Südosteuropa und sogar in der Ukraine gescheitert, die zunächst stärker an sowjetischen Erbschaften zu kleben schien als Russland. Statt einer freiheitlichen Ordnung formierte sich ein russischer Neoimperialismus und eine autoritäre Kleptokratie.

Marktwirtschaft, Demokratie und Rechtsstaat setzen sich wechselseitig voraus. Eine freiheitliche Ordnung kann daher nur in einer Koevolution dieser drei Ordnungen entstehen.

In Ergänzung zu den Erklärungen, die Historiker und Politologen hierfür vorgetragen haben können dafür auch ökonomische und  ordnungstheoretischen Gründen angeführt werden, wie dies in dem neu erschienen Buch „Der Fluch des Imperiums“ des Verfassers dieser Zeilen getan wird.  Ausgangspunkt der Argumentation ist das Theorem von der Interdependenz der Ordnungen: Marktwirtschaft, Demokratie und Rechtsstaat setzen sich wechselseitig voraus. Eine freiheitliche Ordnung kann daher nur in einer Koevolution dieser drei Ordnungen entstehen.

Siedlungsstrukturen hemmen marktwirtschaftliche Entwicklung

Die Marktwirtschaft findet indes nur dort genügend Rückhalt, wo die meisten Erwerbstätigen die reale Chance haben, ihren Lebensunterhalt zu akzeptablen Konditionen am Markt zu verdienen. Die Industrialisierungs- und Regionalpolitik der Kommunisten hatte zur Folge, dass diese Möglichkeit einem sehr beträchtlichen Teil der russischen Erwerbstätigen nicht offen steht. Sie befinden sich an Standorten, die wenig Aussichten auf eine erfolgreiche marktwirtschaftliche Entwicklung bieten und an denen diese auch nicht mit vertretbarem Aufwand geschaffen werden können.

Überdies kommen sie von diesen Standorten kaum weg. Solange sie faktisch nicht oder jedenfalls nur ausnahmsweise an wärmere und verkehrsgünstigere Standorte umziehen können, geraten Demokratisierung und wirtschaftliche Liberalisierung in unvereinbaren Widerspruch. Die Koevolution der Ordnungen wird durch die russischen Siedlungsstrukturen effektiv blockiert.

Staatliche Arbeitskräftelenkung und Zwangsumsiedlungen

Dieses Dilemma wird oft verkannt, weil die Kosten der Kälte, des Verkehrswegebaus in kalten Regionen und der Entfernungsüberwindung meist stark unterschätzt werden. Welche Siedlungsstrukturen sich in einem extrem weitläufigen und zugleich kalten Land bei voller Freizügigkeit unter marktwirtschaftlichen Bedingungen herausbilden, zeigt Kanada. Der Unterschied zu Russland könnte nicht frappierender sein.

Die russischen Strukturen sind Resultat jahrzehntelang betriebener staatlicher Arbeitskräftelenkung, die auch zum Instrument der Zwangsumsiedlung griff. Die Anfänge dazu liegen in der Zarenzeit, aber erst das kommunistische Russland hat dies so stark forciert, dass die wirtschaftliche Existenz eines großen Teils der erwerbstätigen Bevölkerung von staatlichen Umverteilungsvorgängen abhängt und sie infolgedessen ein eminentes Interesse an der Fortsetzung dieser Umverteilung hat. Das ist mit Marktwirtschaft nicht zu vereinbaren.

Kostenexplosion und „Ressourcensucht“

Staatswirtschaft zeigt generell wenig Interesse an Kostensenkung und -kontrolle. Die unermesslichen Weiten Russlands boten enorme Möglichkeiten für Kostenexplosionen und die Kommunisten haben diese ausgenutzt. Den Höhepunkt erreichte dies in den 1970er Jahren nach der Entdeckung riesiger Öl- und Gaslagerstätten in Westsibirien und der Vervielfachung der Ölpreise im Jahre 1972. Erst damals wurde die Erschließung kalter und entlegener Regionen so weit vorangetrieben, dass die Koevolution freiheitlicher Ordnungen effektiv blockiert wurde.

Weil es Gas und Öl waren, die dies ermöglichten, hat man auch von einer Ressourcensucht gesprochen. Damit sich die damals geschaffenen Strukturen reproduzieren und ihre Betriebskosten decken können, muss der Ölpreis pro Barrel mindestens bei 100 USD liegen. Die damalige Politik beruhte auf der Annahme, dass der Ölpreis niemals wieder auf längere Zeit sinken würde. Für diesen Fall wurde auch keine nennenswerte Vorsorge getrieben. Als er dennoch eintrat, reagierte die sowjetische Wirtschaftsführung viel zu spät und überdies völlig unzureichend.

Sowjetische Erblasten wurden nicht abgetragen

In Verbindung mit dem systembedingten Nichtfunktionieren des Marktmechanismus und dem staatlichen Autoritätszerfall führte dies 1990/91 zum wirtschaftlichen Zusammenbruch. Das Putinsche Russland profitierte ab 2004 von einem Wiederanstieg der Ölpreise. Anders als in der Sowjetunion führte ihr neuerlicher Rückgang ab 2012 nicht zum Zusammenbruch, sondern nur zu Stagnation und allmählichem Niedergang.

Die Siedlungs- und Standortstruktur hat sich seit 1991 nicht nennenswert verbessert. Diese sowjetischen Erblasten wurden nicht abgetragen. Vom russischen Privatunternehmertum ist keine Abhilfe zu erwarten, weil es schon seit fast 20 Jahren von einem zunehmend kleptokratischen Staat kleingehalten wird. Russland ist unter Putin mehr denn je ein Räuberstaat geworden.

Bruno Schönfelder

Der Fluch des Imperiums

Edition Europolis, Berlin 2022
ISBN 978-3-9820256-3-6
15,90 €

Die Invasion der Ukraine durch Russland hat die letzten Zweifel darüber ausgeräumt, dass sich die politischen Eliten der Russischen Föderation als eine Großmacht mit Weltgeltung ansehen. Schlagartig verlagerte sich die Diskussion von den Möglichkeiten wirtschaftlicher Zusammenarbeit, insbesondere bei Rohstoffen, auf die militärpolitische Problematik. Wie sehr muss man Russland als Militärmacht fürchten?

Der Ansatz von Bruno Schönfelder ist primär ökonomisch. Der bekannte Ordinarius für Allgemeine Volkswirtschaftslehre von der Technischen Universität Freiberg, der sich mit den Transformationen in Ostmitteleuropa so intensiv wie wenig andere befasst hat, sieht in der geographischen Größe Russlands und den hieraus folgenden Kosten der Industrialisierung von Großräumen mit hohen Kälte- und Entfernungskosten die Schwachstelle – ja den Fluch – des Putin’schen Imperiums. Er erklärt, wie seit jeher die kommunistische Nomenklatura in Unkenntnis jeglicher Kostenrechnung und unter Zugrundelegung des Primats der Politik Sibirien industriell erschlossen hat, ohne dass dort jemals die Chance bestanden hat, wirtschaftlich lebensfähige industrielle Cluster entstehen zu lassen.

Der Hayek-Anhänger Schönfelder stellt die ökonomische Boden- losigkeit der Industrialisierungskonzepte Russlands historisch dar und formuliert hieraus folgend Einsichten und Bedingungen für die Integration Russlands in die Weltwirtschaft und seine Kohabitation mit dem Westen. Die Lektüre dieses Buch sollte sich kein Stratege entgehen lassen.

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