Bedingungsloses Grundeinkommen: Patentrezept oder falsches Versprechen?

Vorbemerkung

Der nachfolgende Text wurde in einem Essaywettbewerb im Rahmen des „Austrian Economics Colloquium“ des Austrian Institute im Sommersemester 2025 mit 500 Euro prämiert. Die zu beantwortende Frage lautete: „Erklären Sie, welche sozialen Folgen die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens hätte! Reflektieren Sie dabei, ob Ihre Erklärungen die Anforderungen des strikten methodologischen Individualismus erfüllen und inwiefern dies relevant ist!“

Abstract: Dieser Essay befasst sich mit den sozialen Folgen einer Einführung des Bedingungslosen Grundeinkommens und stellt die Gedanken in einen erkenntnistheoretischen Kontext. Konsequent stellt er hierbei dem Ansatz des methodologischen Individualismus folgend das Handeln Einzelner und dessen soziale Folgen ins Zentrum der Betrachtung. Da Vorschläge mit signifikant unterschiedlichen Ausprägungen unter dem Label BGE diskutiert werden und um eine gewisse Trennschärfe und Konkretisierung zu gewährleisten, wird hier eine konservative Ausprägung des BGE behandelt und Ausgabenneutralität angenommen.

Industrialisierung und Mechanisierung sind in unsere Welt gekommen, um zu bleiben. ChatGPT erobert die Gehirne der Schüler und Lehrer sowie die heiligsten akademischen Hallen. Selbstfahrende Autos sind kein Fiebertraum, sondern mancherorts bittersüße Realität. Und so wundert es nicht, dass ein altes Phänomen durch die Straßen geistert, welches schon zu Henry Fords Zeiten Anklang fand: die Sorge vor Massenarbeitslosigkeit, ausgelöst durch eine Ersetzung des Menschen durch die Maschine. Mit dieser begründeten, aber historisch gesehen nicht gerechtfertigten Sorge – jede bisherige industrielle Revolution brachte mehr Arbeitsplätze hervor als sie vernichtete[1] – geht der Gedanke des Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) einher. Eine flächendeckende Einführung käme einer historischen Zäsur gleich, die in der modernen Arbeitswelt ihresgleichen sucht.

1.     Eine einst als exotisch betrachtete Idee rückt in den Mittelpunkt

Über Jahrtausende hinweg galt Arbeiten als der selbstverständlichste aller Lebensentwürfe. Es repräsentierte die Norm, um sich den Lebensunterhalt zu sichern – eine eingefleischte Gepflogenheit, von der nur in Ausnahmefällen abgewichen und die kaum öffentlich hinterfragt wurde. Wie das Amen mit dem Gebet, war die Notwendigkeit der Leistungserbringung auf natürliche Weise mit einer entsprechenden Gegenleistung verknüpft.

Die letzten hundert Jahre mit ihren astronomischen gesellschaftlichen und technologischen Umwälzungen führten jedoch zum Bruch mit dieser gesellschaftlichen Konvention. Während der Siegeszug des Wohlfahrtsstaats begann, erste Risse im Wertefundament zu hinterlassen, zerbrach der Konsens durch die Ankunft der 4. Industriellen Revolution endgültig in tausend Stücke. Ein Ausblick auf höchste Effizienzsteigerungen und ganzheitliche Substitution von Menschen durch Roboter sowie künstliche Intelligenz war nun nicht mehr ausschließlich ein Hirngespinst einiger vermeintlicher Visionäre, sondern ein realistisches Szenario für die nächsten zwanzig Jahre, womit die Hoffnung einherging, das immer stärker werdende Anspruchsdenken tatsächlich befriedigen zu können.

Somit rückte auch eine einst als exotisch betrachtete Idee plötzlich in den Mittelpunkt – das sogenannte Bedingungslose Grundeinkommen (BGE). Pilotstudien poppten auf, Ökonomen und Redakteure befürworteten das Konzept und es erhielt sogar dort Unterstützung, wo die breite Masse es am wenigsten erwartete – in den Riegen der US-Milliardärsklasse. Selbst im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf 2020 spielte das Thema durch Andrew Yangs Teilnahme an den Vorwahlen der Demokraten eine zentrale Rolle[2].

Die neu gewonnene Publicity und das Gewicht in der öffentlichen Debatte werfen die Frage auf, was die Folgen einer Einführung des BGE wären. Genau dieser Frage nimmt sich dieser Text an. Von besonderer Bedeutung wird hierbei der Blick durch die Anreiz-Brille sein. Ein Fokus wird also auf die sich entwickelnden Situationen einzelner Individuen, die dazugehörigen Wertvorstellungen und entsprechende Anreizstrukturen gelegt.

2.     Gewähltes Szenario: Nicht radikal, eher konservativ

Zur Schaffung von Klarheit und da es verschiedenste Ausprägungen der Idee des BGE gibt, wurde ein spezifisches Szenario gewählt. Es orientiert sich im Wesentlichen am Existenzminimum und ist damit in der Tendenz eine konservative und weniger radikale Variante. Überdies werden nur Detailaspekte betrachtet, um den Rahmen nicht zu sprengen – insbesondere werden die Kosten der Maßnahme und potenzielle Folgen nicht im Detail thematisiert.

  • Erklärtes Ziel hinter der gewählten Ausgestaltungsvariante des Grundeinkommens ist die Deckung der Grundbedürfnisse aller Bürger. Es soll garantiert werden, dass jedem Staatsbürger das Existenzminimum ermöglicht wird. Man könnte auch von der Befriedigung der Bedürfnisse der untersten Stufe der Maslowschen Pyramide sprechen – genügend zu essen, ausreichend zu trinken, eine Bleibe in nicht überlebensfeindlichem Terrain und ein Minimum an Kleidung. Die Zahlung hierfür soll automatisch monatlich und unabhängig von den Kriterien Alter, Vermögen oder Einkommen erfolgen, mit der einzigen Einschränkung, dass diese nur für Personen mit Staatsbürgerschaft gilt – eine potenzielle Gleichbehandlungspflicht, wie sie zum Beispiel das EU-Recht erfordert, wird in diesem Gedankenexperiment unberücksichtigt gelassen, um es möglichst vollumfänglich auch auf Länder oder Szenarien umlegen zu können, in denen keine solche juristischen Zwänge existieren. Zudem ist das BGE im hier betrachteten Szenario nicht zu versteuern.
  • Notwendigerweise muss auch erwähnt werden, dass die Berechnung nicht die Wohnsituation des Individuums und auch keine Skaleneffekte berücksichtigt. Während für die Berechnung des Wohnraums nur ein Komfortminimum, also eine sehr geringe Fläche pro Person herangezogen wird, erfolgt diese für eine mittelgute Lage in der Bundeshauptstadt Wien. Außerdem wird als Wohnsituation angenommen, dass die betreffende Person alleine lebt oder aber in nicht unüblicher Intimität mit anderen, nicht verwandten Personen zusammenlebt – Familien, Paare oder Menschen, die am Land leben, könnten dementsprechend mehr Geldzuwendungen erhalten als für das Existenzminimum notwendig ist, da sie näher zusammenleben können beziehungsweise, da der Wohnraum in vielen ländlichen Gebieten billiger ist. Solche Unschärfen toleriert dieses Gesetz.
  • Die Einführung des Gesetzes würde zeitgleich mit staatlichen Ausgabenkürzungen einhergehen. Diese sind notwendigerweise durchzuführen, um dem Gedanken der Sicherung des Existenzminimums nachzukommen, ohne jedoch Personen doppelt mit Geldzuwendungen zu bedienen. Konkret beträfe das alle derzeitigen Geldzuwendungen des Staats. Schon erworbene Pensionsansprüche werden wegen ihres pseudo-vertraglichen Charakters und der Komplexität einer Lösungsfindung ausgeklammert, also bis zum letzten Atemzug des letzten übrig gebliebenen Anspruchsberechtigten ausgezahlt.
  • Während die Kosten bewusst nicht mit thematisiert werden und somit fiktiv ein Szenario der Ausgabenneutralität angenommen wird, scheint eine finanzielle Einordnung in prägnanter Form angebracht. Dabei hilft ein Blick auf das in Österreich für Pfändungsverfahren festgelegte Existenzminimum. Im Jahr 2025 liegt es bei rund €1.300 pro Monat[3]. Der Steuerzahler – das sind wir als Angehörige des betreffenden Staates alle – würde sich die Einführung des BGE stattliche €11,7 Mrd. pro Monat oder €140,4 Mrd. pro Jahr kosten lassen oder, anders gesagt, mehr als 50% der gesamten Staatsausgaben 2024 inklusive Länder, Gemeinden und Sozialversicherungen[4]. Entsprechende Schlüsse daraus zu ziehen, sei jedem selbst überlassen.

3.     Soziale Folgen der BGE-Einführung

3.1. Methodologischer Individualismus und Anreizstruktur

Um abzuwägen, welche Folgen Staatshandlungen und Gesetze haben, ist es notwendig, das Individuum in den Mittelpunkt der Betrachtung zu stellen. Denn die Einzelperson denkt nicht als Gruppe oder Kollektiv, sondern für sich selbst. Entscheidungen werden, metaphorisch gesprochen, in Isolationshaft getroffen. Die bloße Betrachtung der Anreizsysteme, die sich dabei auftun, führt, verknüpft mit den Werten der Einzelperson, zu deren Entscheidungen. Anhand der Betrachtung dieser Entscheidungen von Einzelpersonen kann man schließlich in einem gewissen Rahmen erahnen, welche Auswirkungen sich daraus ergeben werden – oder, um einen Begriff aus der Makroökonomie zu bemühen, was die aggregierten Folgen sind. Es bedarf also eines Bottom-Up-Approachs, wobei man auch von methodologischem Individualismus sprechen könnte.[5]

Dieser Methodologie folgend, gelangt man unvermittelt zu der Frage, wie die neue Situation mit ihrem transformativen Charakter die Anreizsysteme der Menschen beeinflusst. Dabei ist zunächst ersichtlich, dass einer der wichtigsten menschlichen Triebe plötzlich an Bedeutung verliert. Gemeint ist der menschliche Selbsterhaltungstrieb. Er treibt uns dazu an, unsere fundamentalsten Bedürfnisse zu befriedigen, auch wenn dies mit einem Gefühl des Unbehagens einhergeht. Um nicht das Dach über dem Kopf zu verlieren, würden die meisten Menschen im „Grundzustand“, also zur bloßen Selbsterhaltung, einer Arbeit nachgehen, selbst, wenn sie diese verabscheuen. Bei Einführung des BGE fällt dieser Aversions-Aversions-Konflikt, der fast ausnahmslos zu Gunsten der Arbeit ausgeht, schlagartig weg. Man darf daher mutmaßen, dass infolge der Anreize eines BGE eine signifikante Anzahl an Menschen sich dafür entscheidet, sich in Zukunft dauerhaft aus der Arbeitswelt zu verabschieden.

3.2. Ambivalentes Ergebnis und drastische Folgen

Zweifellos beträfe dies nicht alle Personen. Viele Personen unserer Wohlstandsgesellschaft sind trotz all der Negativanreize von Ambitionen getrieben und würden sich nicht mit dem absoluten Minimum zufriedengeben. Sie streben nach Häusern, Autos, Konsummitteln usw., aber auch nach Prestige und besseren Chancen beim anderen Geschlecht, die zweifelsohne für Männer bei Einkommenszuwächsen steigen. Andere könnten den Hängemattenzugang schon allein mit ihren Werten nicht vereinbaren.

Gleichzeitig existiert eben jener Schlag von Menschen, der den erwähnten Zielen nicht anhängt oder sie zumindest nicht für so wünschenswert hält, dass er bereit wäre, dafür Lebenszeit aufzugeben. Dies ist keineswegs eine bloße plumpe Mutmaßung, sondern zeigt sich schon an der Tatsache, dass es auch im heutigen System Personen gibt, die sich trotz Arbeitsfähigkeit auf die Güte ihrer Mitmenschen und den Wohlfahrtstaat verlassen, anstatt zu arbeiten. Im BGE-System wären dies, ceteris paribus, zweifelsohne noch mehr Österreicher, da die Befriedigung der Grundbedürfnisse im alten System zumindest partiell Arbeit erforderte.

Ein solcher freiwilliger Rückzug aus der Arbeitswelt hätte mehrere drastische Folgen. Zum einen entzieht er dem Arbeitsmarkt Arbeitskräfte. Zum anderen dämpft er die Nachfrage an Gütern und Dienstleistungen. Diese beiden Aspekte wirken sich wiederum in gegensätzlichem Ausmaß auf die Löhne der Menschen aus. Einerseits werden weniger Arbeitskräfte benötigt, da weniger produziert werden muss, was sich auf Löhne deflationär auswirkt. Andererseits sinkt die Anzahl an tätigkeitswilligen Arbeitnehmern, was das Arbeitsangebot verknappt und somit einen inflationären Effekt auf die Löhne hat. Insgesamt ist anzunehmen, dass der letztgenannte Effekt stärker ist, da Unternehmer versuchen werden, die verkaufte Güter- und Dienstleistungsmenge hochzuhalten, beispielsweise durch einen stärkeren Fokus auf den Export

3.3  Opportunitätskosten und Falltiefe bei Arbeitsverzicht

Besonders faszinierend ist hierbei die Erkenntnis, dass vor allem Menschen im Niedriglohnsektor die Arbeit niederlegen oder reduzieren würden, da diese die niedrigsten Opportunitätskosten haben. Eine weitere Stunde nicht zu arbeiten, kostet sie viel weniger als einer Person mit einem sehr hohen Stundenlohn. Überdies ist die Falltiefe, die eine Person bei komplettem Arbeitsverzicht erfahren würde, für Personen im Niedriglohnsektor viel niedriger als für vermögende Personen, die für gewöhnlich ihren Lebensstandard dem Einkommen und Vermögen angepasst haben und sich an die Annehmlichkeiten ihres Lebens im Wohlstand gewöhnt haben. Dementsprechend wäre der Arbeitspreiseffekt, ceteris paribus, vor allem in der ersten Personengruppe gegeben.

Auch eine Differenzierung nach der Altersstruktur wäre unglaublich interessant, aber wiederum äußerst schwer einzuschätzen. Einerseits haben sich jüngere Personen vielleicht noch nicht an das Leben in Arbeit oder einen gewissen Lebensstandard gewöhnt, andererseits könnten ältere Personen ihre Arbeit satthaben und sie besitzen außerdem im Schnitt über mehr Substanz, also Assets abzüglich Verbindlichkeiten, von der sie zehren können.

3.4. Risikoaffinität und Entscheidung zu unternehmerischer Tätigkeit

Ein zusätzlich zu beachtender Aspekt des BGE ist die Möglichkeit, dass Personen bei der – im weiteren Sinne verstandenen – Berufswahl risikoaffiner werden. Es ist ihnen nunmehr möglich, mehr Risiko einzugehen, da ihr Existenzminimum in jedem Fall garantiert ist. Mehr Individuen könnten die Möglichkeit haben, sich selbst zu verwirklichen. Einige wenige außerordentlich begabte Menschen könnten somit einen kreativen Beruf finden – zum Beispiel den des Malers oder Erfinders – und somit einen großen Beitrag zum menschlichen Fortschritt und zur Bedürfnisbefriedigung anderer beitragen.

In besonderem Sinne ist dies für potenzielle Unternehmer der Fall. Menschen, die sich bisher wegen Verpflichtungen wie der Notwendigkeit, die eigene Familie zu ernähren, trotz Zuneigung zum Unternehmertum davon ferngehalten haben, könnten in Teilen die gewonnene Sicherheit dazu nutzen, Unternehmen zu gründen.

Nun ist dies im Falle erfolgreicher Gründungen zweifellos positiv, da Arbeitsplätze geschaffen und Kundenbedürfnisse befriedigt werden. Andererseits darf die Kehrseite nicht übersehen werden. Die neuen Vollzeitunternehmer sind ehemalige Arbeitnehmer, die in ihrer ehemaligen Rolle eine Leistung erbracht haben. Sollten diese Personen nun zu erfolglosen und unproduktiven Unternehmern werden, wird potenziell produktive Arbeit als Arbeitnehmer durch unproduktive oder im schlimmsten Fall sogar schädliche Arbeit als Unternehmer substituiert.

3.5. Erhöhte Unternehmertätigkeit: Nicht unbedingt positiv zu werten

Der schlaue Leser wird nun entgegnen, dass genau diese Möglichkeit zu scheitern ein hinzunehmendes und notwendiges Übel im Schumpeterschen Prozess der „schöpferischen Zerstörung“ ist[6]. Hier liegt die Crux jedoch nicht im Einzelschicksal, sie liegt darin, dass aggregiert nun mehr voraussichtlich erfolglose Personen im System sind, die sich am Unternehmertum versuchen. So ist im Durchschnitt zu jedem Zeitpunkt eine höhere Anzahl an Personen dem Arbeitsmarkt als Angestellte entzogen, als dies im Alternativszenario der Fall wäre, selbst, wenn gescheiterte Unternehmer nach einer gewissen Zeit wieder die Seite wechseln.

Ob diese erhöhte Unternehmertätigkeit nunmehr im Saldo positiv ist, lässt sich nicht vorhersagen, wird jedoch maßgeblich an der Erfolgsquote der neuen Unternehmer liegen. Hierbei sei eine offene Frage als Denkanstoß erlaubt: Sind Personen, die sich unter den alten, nicht durch das BGE erleichterten Bedingungen das Unternehmerdasein nicht zugetraut haben, im Mittel anders gepolt bzw. haben sie ein anderes Wertegefüge und andere Fähigkeiten und sind deshalb bessere oder schlechtere Unternehmer als jene, die sich aufgrund der Absicherung und damit mit weniger Risiko durch das BGE zum Unternehmertum entscheiden?

3.6. Sozialleistungsfalle und Anreize zum Einstieg in den Arbeitsmarkt

Neben den gerade behandelten Folgen des BGE, welche alle aus dem Wegfall der Arbeitsnotwendigkeit des Individuums entspringen[7], bedarf eine Betrachtung dieser Idee ebenso des Mitbedenkens der Sozialleistungsfalle. Unter dem Begriff versteht man eine staatlich geschaffene Situation, in welcher Menschen bei Beginn einer legalen Arbeitstätigkeit kaum Einkommenszugewinne erfahren, da zeitgleich der Anspruch auf Sozialleistungen entfällt. Der effektive Einkommenszuwachs pro Stunde geleisteter Arbeit ist somit sehr gering und je nach System möglicherweise sogar negativ. Diese geringe Entlohnung ist ein Anreiz gegen das legale Arbeiten und für den Verbleib in der Arbeitslosigkeit. So bleiben einige Menschen, die fähig wären, einen Job zu finden, bewusst arbeitslos oder flüchten sich alternativ in Schwarzarbeit.

Österreich ist sicherlich ein Land, das von der Sozialleistungsfalle betroffen ist. So kann man beispielsweise durch die Wiener Mindestsicherung €1.209,01 erhalten (es sei angemerkt, dass das System theoretisch Arbeitsbereitschaft erfordert, was in der Praxis jedoch leicht umgangen werden kann[8]). Eine Einführung des BGE würde diesen Effekt erfreulicherweise außer Kraft setzen. Dies würde nicht nur mehr Menschen von der Schwarzarbeit ins gewöhnliche System bringen, sondern überdies mehr Menschen in den Arbeitsmarkt leiten. Dies wirkt sich langfristig besonders positiv auf jene Personen aus, da mit der Zeit auch das Gehalt steigen wird – ein Umstand, der in der kurzfristig orientierten Kalkulation der meisten Menschen unberücksichtigt gelassen wird. Meiner Einschätzung nach ist der Wegfall der Sozialleistungsfalle das stärkste Argument für ein BGE.

3.7. Kulturelle Effekte: Intensivere Wohnraumnutzung, Familiengründungen und Bildung

Anreize bestimmen nicht nur unsere Kaufentscheidungen. Daher wundert es nicht, dass die Maßnahme auch eine Vielzahl an kulturellen Effekten mit sich ziehen würde. Drei Punkte stechen hierbei besonders ins Auge.

Zuallererst schafft die Maßnahme einen Anreiz zum Zusammenzug. Schließlich kann man zusammen, vor allem, wenn dies mit einer intimen Beziehung einhergeht, relativ gesehen auf weniger Wohnraum pro Kopf leben. Dies würde Geld freischaufeln. Gleichfalls wage ich zu behaupten, dass dies die durchschnittliche Anzahl an Beziehungen eines Menschen über sein Leben gerechnet erhöhen würde, da ein Zusammenzug sicherlich eine Zäsur für eine Beziehung ist und viel neues Konfliktpotenzial nach sich zieht. Andererseits würde dies wohl auch im Durchschnitt zu früheren Eheschließungen und Schwangerschaften führen.

Der Anreiz zur Familiengründung ist ebenso viel direkter durch das BGE gegeben. Schließlich gibt es derzeit eine Schar von Menschen, die sich gegen eine Familie entscheiden, da sie sich diese nicht leisten wollen oder können. Andererseits könnte man entgegnen, dass der höhere Freiraum, den viele Menschen im Szenario haben werden, dazu führen könnte, dass vermehrt ein längerer Bildungsweg eingeschlagen wird. Da ein höherer Bildungsgrad mit einer niedrigeren Fertilitätsrate einhergeht, wäre dies ein gegenläufiger Effekt[9]. Es darf angenommen werden, dass der erste Effekt wohl eher ausschlaggebend ist.

3.8. Anreiz zur Umstrukturierung des Immobilienmarktes

Zu guter Letzt darf man annehmen, dass das BGE zu einer Umstrukturierung des Immobilienmarktes führen würde, da die BGE-Einführung verschiedenste Umzüge incentiviert. Während derselbe Effekt derzeit in Wohlfahrtsstaaten wie Österreich durchaus schon besteht, ist er im BGE Szenario besonders stark ausgeprägt, da hier die Wohnkosten pauschal berechnet werden, anstatt tatsächliche Wohnkosten als relevanten Faktor anzusetzen. Die Incentivierung betrifft vor allem einen Umzug in die Peripherie, denn hier kann man billiger leben und wohnen. Das BGE reicht also weiter und deckt hier nicht mehr nur das Existenzminimum ab. Auch ist das BGE auf einen niedrigen Wohnraum pro Person ausgelegt, weswegen neue nicht arbeitswillige Individuen vermehrt auf kleinen Wohnraum setzen würden. Preise in diesen Lagen würden dem Naturgesetz des Angebots und der Nachfrage hier entsprechend anziehen.

Selbstredend folgen aus primären kulturellen Effekten wiederum etliche Sekundäreffekte, die wiederum weitere Effekte nach sich ziehen. Auch existiert keine sogenannte Chinese Wall zwischen Kultur und Markt. Wechselwirkungen sind daher garantiert. Eine Betrachtung derselben würde den Rahmen dieses Essays sprengen.

4.     Abschließende Gedanken zu Grundeinkommen, Individualismus und Eingriffen in hochkomplexe Systeme der spontanen Ordnung

Nach diesem Tauchgang in die Welt des BGE müssen die Gedanken nochmals kategorisiert und in den größeren Kontext gestellt werden. Der Start hierfür ist eine kurze Reflexion über hochkomplexe Systeme der spontanen Ordnung. Als solche begreife ich unter anderem unser Wirtschaftssystem sowie das System unseres Zusammenlebens, welches nicht etwa durch Gesetze, sondern durch einen informellen Verhaltenskodex geregelt wird.  Auch das kulturelle Gefüge, welches sich über Jahrtausende entwickelt hat, gehört dazu.

Solche Systeme sind, ganz dem ausgeprägten Individualismus der hundert Milliarden lebenden und verstorbenen Menschen folgend, extrem komplex und spiegeln Millionen von Variablen wider – klar erkennbare und unersichtliche. Ihre Funktionsweise lässt sich daher nicht durch menschengeschaffene Grenzen auf einzelne Wissenschaften beschränken, denn die Erklärungen sind regelmäßig durch ihren disziplinübergreifenden Charakter geprägt. Triebe, das Unbewusste oder Moralvorstellungen sind hier genauso abgebildet wie mathematische Gleichungen, Logistiküberlegungen oder Branchenkenntnisse.

Wie dem Leser spätestens nach diesen Zeilen klar sein sollte, folgt hieraus, dass Eingriffe, besonders solch drastische wie der vorgeschlagene, eine enorme Fülle an Primär- und Sekundärfolgen nach sich ziehen. Diese sind, wie meine Diskussion im Hauptteil verdeutlicht, regelmäßig extrem vernetzt. Was Friedrich August von Hayek schon vor langer Zeit hinsichtlich der Märkte und Preise als „Anmaßung von Wissen“ diagnostizierte, gilt auch in kultureller Hinsicht[10].

Um sich also eines transformatorischen Vorschlags wie des BGE anzunehmen, sollte man zumindest die wesentlichsten und weitestreichenden Folgen betrachten – ausgehend vom Verhalten von Individuen und unter Berücksichtigung der jeweils bekannten Faktoren. Die Schwierigkeit, die den vielen unbekannten Faktoren, die oft auch das Ergebnis von Problemlösungen vorheriger Generationen sind wie auch der unermesslichen Zahl von Wechselwirkungen entspringt, besteht fort.

Angesichts dieser Komplikationen hat dieser Essay versucht, für ein bestimmtes Szenario und ohne Finanzierungsberücksichtigungen auf der Basis des methodologischen Individualismus die Folgen der Einführung eines BGE zu skizzieren Interessante Erkenntnisse wurden, so denke ich, vor allem im kulturellen Bereich identifiziert sowie in der unterschiedlichen Ausprägung der Effekte je nach den demographischen Rahmenbedingungen.

Die Bewertung des BGE und seiner Folgen überlasse ich dem Leser. Mitgeben möchte ich dazu allerdings Chestertons berühmte „Fence Parable“.

„Es gibt in einem solchen Fall eine bestimmte Einrichtung oder ein Gesetz; nehmen wir zur Vereinfachung an, es sei ein Zaun oder ein Tor, das quer über eine Straße errichtet wurde. Der modernere Reformer geht fröhlich darauf zu und sagt: „Ich sehe nicht, wozu das gut sein soll; schaffen wir es ab.“ Darauf sollte der intelligentere Reformer antworten: „Wenn du nicht siehst, wozu es gut ist, werde ich dich ganz bestimmt nicht daran lassen, es zu beseitigen. Geh fort und denke darüber nach. Wenn du dann zurückkommst und mir sagen kannst, dass du seinen Zweck erkannt hast, dann mag ich dir erlauben, es zu entfernen.“[11]

Anmerkungen

[1] Kaeser, J. (2018, 3 5). Tagesspiegel 05.03.2018: https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/die-4-industrielle-revolution-stellt-alles-in-den-schatten-6612619.html (Zugriff 16.10.2025).

[2] Why Andrew Yang’s push for a universal basic income is making a comeback, CNBC, 29. Juli 2020: https://www.cnbc.com/2020/07/29/why-andrew-yangs-push-for-a-universal-basic-income-is-making-a-comeback.html (Zugriff 17. 10. 2025).

[3] Schuldenberatung Wien: https://www.schuldenberatung.wien/user/documents/Berechnungen/Pfaendungstab.-14mal-2025.pdf (Zugriff 16.10.2025).

[4] Statistik Austria: https://www.statistik.at/statistiken/volkswirtschaft-und-oeffentliche-finanzen/oeffentliche-finanzen/oeffentliche-finanzen/einnahmen-und-ausgaben-des-staates (Zugriff 16.10.2025).

[5] „Methodologischer Individualismus“ wird in diesem Essay in einem weiten Sinn verwendet. Für die Unterscheidung zu striktem methodologischem Individualismus siehe z.B. Linsbichler, A., Philosophy of Austrian Economics – Extended Cut. Center for the History of Political Economy at Duke University Working Paper Series, CHOPE Working Paper No. 2021-24, December 2021: https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=3984295 (Zugriff 16.10.2025).

[6] Schumpeter, J., Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung (1911), Duncker & Humblot, Berlin. 8. Aufl. 1993.

[7] Linsbichler, A. & Vianna Franco, M.), Universal Basic Income in Viennese Late Enlightenment: rediscovering Josef Popper-Lynkeus and his in-kind social program. European Journal of the History of Economic Thought, 2025, 32 (3), 363-390.

[8] Arbeiterkammer Wien (2025): https://wien.arbeiterkammer.at/beratung/arbeitundrecht/arbeitslosigkeit/Mindestsicherung.html (Zugriff 19.10.2025).

[9] Oe24, 27.09.24: https://www.oe24.at/oesterreich/politik/akademiker-als-baby-bremser-laengeres-leben-weniger-kinder/607666125?utm_source=chatgpt.com (Zugriff 19.10.2025).

[10] Hayek, F. A.. The Use of Knowledge in Society. American Economic Review, Vol. 35, No. 4 (Sep., 1945), 519-530.

[11] Chesterton, G. K., The Thing. Methuen & Co. Ltd., London 1929.

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