Wirtschaftsliberalismus ist kein Sozialdarwinismus: Von Adam Smith zu Charles Darwin

In einer liberalen Wirtschaftsordnung setzen sich die geschicktesten Arbeitskräfte und die produktivsten Unternehmen durch. Dies wird von Kritikern oft als „Sozialdarwinismus“ bezeichnet, in dem das Recht des Stärkeren dominiere. Das ist falsch. Schon hundert Jahre vor Darwin hat der schottische Ökonom und Philosoph Adam Smith entdeckt, dass sich dank der Arbeitsteilung die geschicktesten Arbeiter und Unternehmen durchsetzen, nicht einfach die brutal stärkeren. Charles Darwin (1809 – 1882) steht beim im Jahrhundert zuvor forschenden schottischen Philosophen und Ökonomen Adam Smith (1723 – 1790) in der Schuld!

Das System Volkswirtschaft besteht in einem kontinuierlichen Anpassungs- und Innovationsprozess, der sicherstellt, dass der Erfolgreichste überlebt – zum Nutzen des Gesamtsystems.

Der sogenannte Sozialdarwinismus überträgt Gedanken Darwins in vergröberter Form auf die menschliche Gesellschaft. Danach entwickelt sich die Gesellschaft durch einen Kampf ums Dasein, in dem das Recht des biologisch Stärkeren bzw. genetisch besser Ausgestatteten herrscht. Allgemein wird Herbert Spencer (1820-1903) als „Erfinder“ des Sozialdarwinismus angesehen, was allerdings nicht zutrifft, denn Spencer war ein klassischer Liberaler und dachte nicht in biologischen Kategorien. Er sprach auch nicht vom „Recht des Stärkeren“, sondern – genau gleich wie Darwin – vom „Überleben des am besten Angepassten“ („Survival of the fittest“). Dies spielt eine entscheidende Rolle in der Darwin’schen Theorie von der natürlichen Auslese, beruht aber nicht auf einem rücksichtslosen Verdrängungskampf, in dem der „Stärkere“ siegt, sondern in der optimalen Anpassung an neue Umweltbedingungen, die zum Überleben des in dieser Hinsicht Erfolgreichsten führt.

Analog dachte bereits ein Jahrhundert früher Adam Smith in seiner Beschreibung der Logik des wirtschaftlichen Erfolgs: der Arbeitsteilung. Auch sie ist ein Prozess, in dem der optimal Angepasste am erfolgreichsten ist.

Arbeitsteilung ermöglicht kontinuierliche Anpassung und Innovation

Schon im ersten Kapitel seines Hauptwerks „Der „Wohlstand der Nationen“ (erste Auflage 1776) nennt Smith drei wesentliche Ursachen der Arbeitsteilung: Erstens die größere Geschicklichkeit jedes einzelnen Arbeiters; zweitens die Zeitersparung, weil der Wechsel von einer Tätigkeit zur anderen entfällt; und schließlich drittens die Erfindung einer Reihe von Maschinen. Es ist evident, dass ein Arbeiter geschickter ist und wird, wenn er weniger einzelne Tätigkeiten ausführen muss und dass er Zeit spart, wenn er nicht dauernd zu einer anderen Tätigkeit wechseln muss, und dass er dabei auch Ideen entwickelt, wie eine Maschine gewisse Tätigkeiten schneller und genauer erledigen kann.

Nur die Arbeitsteilung ermöglicht dank ständiger Erhöhung der Produktivität die wirtschaftliche Prosperität. Das System Volkswirtschaft entwickelt sich also selbst ohne irgendwelche Anordnungen „von oben“. Es besteht in einem kontinuierlichen Anpassungs- und Innovationsprozess, der sicherstellt, dass der Erfolgreichste überlebt – zum Nutzen des Gesamtsystems.

Sobald irgendeine Instanz plant und bestimmt, wer was, wie und wieviel produzieren muss, funktioniert der Anpassungs- und Innovationsprozess nicht mehr.

Im zweiten Kapitel von Smiths bekanntestem Werk wird das noch deutlicher. Er fasst das Prinzip, das der Arbeitsteilung zugrunde liegt, bestechend einfach zusammen: „Jeder, der einem anderen irgendeinen Tausch anbietet, schlägt vor: Gib mir, was ich wünsche, und du bekommst, was du benötigst.“(…) „Nicht vom Wohlwollen des Metzgers, Brauers und Bäckers erwarten wir das, was wir zum Essen brauchen, sondern davon, dass sie ihre eigenen Interessen wahrnehmen.“

Sobald irgendeine Instanz plant und bestimmt, wer was, wie und wieviel produzieren muss, funktioniert der Anpassungs- und Innovationsprozess nicht mehr. Da wird zu viel von einer bestimmten Käsesorte, zu wenig Brot etc. hergestellt, oder gewisse Produkte werden verändert, so dass sich auch der Bedarf an den für die Herstellung notwendigen Halbfabrikaten stark ändern kann – und der Plan kommt durcheinander. Der Alltag in den inzwischen implodierten Planwirtschaften, in der Sowjetunion und ihren Satelliten, in Chile unter Allende, in China zur Zeit von Mao, die gelegentlich auch von wohlwollenden Politikern und Fachleuten gelenkt wurden, hat dies der ganzen Welt vor Augen geführt.

Darwin: “My studies consist in Adam Smith and Locke“

Der Glaube, dass die Idee der Evolution aufgrund eines kontinuierlichen Anpassungsprozesses mit Darwin plötzlich vom Himmel gefallen sei, ist mit Bestimmtheit falsch. Ganz abgesehen von früheren, von Darwin abgelehnten Evolutionstheorien, wie etwa derjenigen Lamarcks, war Darwin hinsichtlich seiner Auffassung, dass Ordnung aus einem ungeplanten Prozess entstehen könne, nachweislich auch von Adam Smith beeinflusst. Denn Darwin hatte Adam Smith bereits vor seiner Weltreise studiert, lange bevor er auf die Idee der Entwicklung der Arten durch natürliche Auslese kam und lange vor 1859, als er sein Hauptwerk über die „Entstehung der Arten“ veröffentlichte.

Nachdem Darwin einen Regenwald in Brasilien gesehen hatte, kam er auf die Idee, Adam Smiths Begriff der Arbeitsteilung auf spezialisierte Arten in einem Ökosystem anzuwenden.

Während seines Studiums in Cambridge hielt er 1829 fest, „My studies consist in Adam Smith and Locke“. Ende 1831 fuhr er dann auf der „Beagle“ in einer fast fünf Jahre dauernden Reise rund um die Welt. Kapitän Robert FitzRoy stellte ihn für seine Fahrt mit der „HMS Beagle“ als naturwissenschaftlich gebildeten Begleiter an. Nachdem Darwin einen Regenwald in Brasilien gesehen hatte, kam er auf die Idee, Adam Smiths Begriff der Arbeitsteilung auf spezialisierte Arten in einem Ökosystem anzuwenden – dies nachdem er auf der Beagle bei dem französischen Zoologen Henri Milne-Edwards gelesen hatte, man könne Adam Smiths Idee der Arbeitsteilung auf die Körperorgane anwenden:

„Der Vorteil der Diversifizierung bei den Bewohnern derselben Region ist in der Tat derselbe wie der der physiologischen Arbeitsteilung in den Organen desselben individuellen Körpers –ein Thema, das von Milne-Edwards so gut erläutert wurde“ (Darwin, Entstehung der Arten, 1859).

Der Evolutionsbiologe Stephen Jay Gould zitiert in seinem Werk “The Structure of Evolutionary Theory” (S. 230) eine Notiz Darwins vom 23. 9. 1856, in der dieser eine direkte Parallele zwischen der Diversifizierung in der Natur und dem ökonomischen Prinzip der Arbeitsteilung zieht: „Der Vorteil, dass jede Gruppe so unterschiedlich wie möglich wird, kann mit der Tatsache verglichen werden, dass durch Arbeitsteilung die meisten Menschen in jedem Land versorgt werden können“ („The advantage in each group becoming as different as possible, may be compared to the fact that by division of labour most people can be supported in each country“).

Darwin war ein echter Naturforscher, mit breiter Allgemeinbildung, wie es sie heute kaum mehr gibt. Darwin folgerte offenbar, wenn ein so hochkomplexes Gebilde wie der Markt sich ohne einen Planer selbst organisieren kann, braucht auch das Leben, die Natur, keine Planung.

Komplexe Strukturen sind unbeabsichtigte Resultate evolutionärer Prozesse

Gemäß dem Ökonomen und Sozialphilosophen Friedrich August von Hayek geht die Vorstellung, dass die komplexen Strukturen im menschlichen Leben das Resultat eines Entwicklungsprozesses sind, schon bis auf das Altertum zurück. Römische Juristen und Sprachtheoretiker waren sich bereits bewusst, dass sie es mit komplexen Strukturen zu tun haben, die den Verstand des Menschen weit überschreiten. Diese Strukturen wurden nicht von Menschen bewusst geschaffen, sondern sind das Ergebnis eines Entwicklungsprozesses. Hayek unterscheidet zwischen kultureller und biologischer Entwicklung. Die kulturelle Entwicklung ist keine geplante Schöpfung des menschlichen Geistes, sondern das Ergebnis kontinuierlicher Versuche, denen kein Plan zugrunde liegt. Hayeks Theorie ist eine solche der evolutionären Entwicklung kollektiver Eigenschaften, d.h. der Eigenschaften von Gesellschaften und deren Institutionen.

Bemerkenswert ist auch, dass für Hayek die auf Privateigentum und Familie beruhende Gesellschaftsordnung von einem geradezu religiösen Glauben getragen wird. Sie hat sich offenbar durchgesetzt, weil sie erfolgreicher ist als andere Ordnungen. Beweisen lässt sich diese Hypothese nicht, aber sie wurde im Laufe der Geschichte immer wieder bestätigt. Basiert eine Gesellschaft auf dem Privateigentum und der Familie, entwickelt und verbreitet sie sich schneller als andere Formen, wie die Geschichte bis heute gezeigt hat.

Die wichtigste Gegenposition dazu ist heute die sozialistische Planwirtschaft, wobei keine solche Planwirtschaft lange Zeit lebte bzw. nur durch Gewaltanwendung und Freiheitsberaubung ihren Untergang hinauszögern konnte. Der Sowjetkommunismus zerfiel nach ziemlich genau siebzig Jahren. Die beiden Überbleibsel Kuba und Nordkorea sind auf die ständige Hilfe anderer Staaten angewiesen, und China wird seit den Reformen von Deng zunehmend kapitalistischer.

Eine von der Wirtschaftswissenschaft und der Politik ignorierte Lektion

Während Darwins Theorie heute fester Teil der biologischen Wissenschaft ist, kann dies von der Selbstorganisation als Grundsatz der Ökonomie nicht behauptet werden. Sie wird zumeist ignoriert. Smith ging, wie oben dargelegt, von der Idee aus, dass eine Volkswirtschaft dank der Arbeitsteilung sich selbst organisiert. Die Regierungen wohl aller Staaten sind offenbar überzeugt oder haben ein Interesse daran, dass die Wirtschaft irgendwie gelenkt werden muss. Deshalb erlassen sie immer mehr Regulierungen, erreichen aber damit nicht, was sie eigentlich wollten.

Die von der Corona Krise gebeutelten Branchen erhalten zwar viel Geld, aber gleichzeitig können sogenannte Zombie-Unternehmen nicht zuletzt dank dieser Corona Hilfsgelder weiter am Leben bleiben und so der Entstehung neuer oder der Weiterentwicklung produktiverer bereits bestehender Unternehmen im Wege stehen. Die heute tonangebenden Ökonomen, meistens Keynesianer, scheinen davon aber nichts wissen zu wollen. Auch sich liberal nennende Politiker und Parteien unterstützen leider diese fortschreitende Etatisierung.

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