Eine freie, das heißt eine liberal geordnete Gesellschaft gedeiht am besten unter stabilen, von staatlicher Willkür freien Bedingungen. Sie nimmt Schaden an Ausnahmezuständen wie Kriegen, Naturkatastrophen und Seuchen, weil deren Abwehr Einschränkungen der Freiheit nach sich ziehen, die den liberalen Grundsätzen widersprechen. Das klassische Beispiel dafür war der „Kriegssozialismus“. Während des Ersten Weltkriegs war die Fesselung des Kapitalismus durch Planung, Regulierung und andere staatliche Interventionen an die Stelle der liberalen Ordnung getreten. Das Ende des „Goldenen Zeitalters des Liberalismus“ bereitete dem Sozialismus den Weg, der als internationalistischer zuerst in Russland, unter nationalistischen und rassistischen Vorzeichen dann in Italien und in Deutschland an die Macht kam.
Der Ausbruch der COV-19-Seuche war kein „schwarzer Schwan“. Dass sie sich so rasch und wirksam verbreiten konnte, ist nicht zuletzt auf Staatsversagen zurückzuführen.
Der von Emmanuel Macron angestellte Vergleich der Seuche mit einem Krieg hat einen wahren Kern. Wie ein Krieg durchdringt und verändert Covid-19 unser Leben in einem Ausmaß, das vielleicht erst nach Jahren in vollem Umfang erfasst werden wird. Wie der „Kriegssozialismus“ stellt der „Seuchensozialismus“ die Weichen für einen radikalen Umbau. Ökosozialistische Utopien, die von verantwortungsbewussten Politikern noch vor wenigen Jahren als unsinnig und unrealistisch abgetan worden wären, dominieren jetzt die Tagespolitik. Allen Ernstes wird die Frage gestellt, warum so weitreichende Einschränkungen der Freiheit, wie sie wegen der Pandemie verhängt wurden, nicht gleich auch zu dem Zweck genützt werden sollten, um den Planeten vor einem Klimakollaps zu retten. Der „teleokratische Staat“ (Michael Oakeshott), der eineinhalb Jahre lang als „therapeutischer Staat“ (Thomas Szasz) erprobt wurde, zeigt eine Eigendynamik, die eine einfache Rückkehr zum Status quo vor dem Ausbruch der Virus ausschließt.
Dilemma der Liberalen, Leugnungsstrategie der Libertären und Versagen der staatlichen Institutionen
Klassische Liberale und Libertäre waren im Frühjahr 2020 plötzlich mit der Frage konfrontiert, ob und in welchem Umfang die Eindämmung der Pandemie kollektives Handeln erfordere, und wie dieses unter möglichst weitgehendem Schutz der Freiheit zu organisieren sei. Einige Libertäre umgingen das Problem, indem sie die Gefahren relativierten oder schlicht leugneten und als Ausgeburten einer staatlichen Propagandamaschinerie denunzierten. Auf der entgegengesetzten Seite des Spektrums wiederholte sich das schon 2008/2009 beobachtete Phänomen, dass sich Liberale angesichts plötzlich auftretender großer Gefahren in stramme Konservative verwandeln und den Staat um Hilfe rufen.
Virologen und Epidemiologen hatten eine Pandemie schon lange erwartet, sie hatten sogar vermutet, dass ihr Erreger ein Corona-Virus sein würde.
Der Ausbruch der COV-19-Seuche war kein „schwarzer Schwan“. Dass sie sich so rasch und wirksam verbreiten konnte, ist nicht zuletzt auf Staatsversagen zurückzuführen. Da war nichts, womit man nicht rechnen konnte und auf das man sich nicht hätte vorbereiten können. Virologen und Epidemiologen hatten eine Pandemie schon lange erwartet, sie hatten sogar vermutet, dass ihr Erreger ein Corona-Virus sein würde. Wieder drängt sich der Vergleich mit der Finanzkrise von 2008-2009 auf. Auch damals wusste jeder, der es wissen wollte, dass die amerikanische Immobilienblase früher oder später zusammenbrechen würde. Man wusste nur nicht, wann.
Unter vielen anderen hatte der Mathematiker Nassim Nicholas Taleb, auf den das Bild vom „schwarzen Schwan“ zurückgeht, die Verbreitung eines neuen Virus als quasi unvermeidlichen Kollateralschaden der Globalisierung vorausgesagt. Dem deutschen Bundestag lag seit 2012 eine Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz vor. Sie liest sich in manchen Passagen wie das Drehbuch der Reality Horror Show, die im Februar 2020 die Welt „überraschen“ sollte.
Ost- und südastasiatische Staaten – Südkorea, Taiwan, Hongkong, Singapur, dann auch Vietnam, Malaysia und Indonesien – waren auf die drohende Gefahr allerdings sehr wohl vorbereitet gewesen. Sie verfügten über Katastrophenpläne, die auf dem neuesten Stand gehalten wurden, und in den Gesundheitsämtern und Spitälern standen für die Bekämpfung von Infektionskrankheiten ausgebildete Ärzte und Pfleger bereit. Schutzbekleidung und Gesichtsmasken waren vorhanden, auch die technischen Voraussetzungen für massenhafte Tests. Die Behörden durften auf die Smartphone- und Kreditkartendaten der positiv Getesteten zugreifen, um ihre Kontaktpersonen ermitteln, die Infektionsketten aufdecken und die Krankheitsverläufe erfassen zu können. In Europa hingegen wurden der Datenschutz und das Recht auf Privatsphäre höher bewertet als die unbestreitbaren Vorteile der digitalen Überwachung und der Auswertung von Standortdaten bei der Bekämpfung einer Seuche.
Kurzsichtigkeit und Fehleinschätzungen der politischen Klasse – Rettung durch die Privatwirtschaft
Wie kam es zu diesen eklatanten Versäumnissen der europäischen Regierungen? Ein Grund ist vielleicht, dass die politische Klasse in demokratischen Staaten kaum weiter als von einer Wahl zur nächsten denkt; ein anderer, dass sie sich auf supra- und multinationale Institutionen verlässt, die in der Krise spektakulär versagten. Anfangs hieß es noch, nicht das Corona-Virus, sondern die Grippe sei das „prioritäre Thema“ (so der damalige grüne österreichische Gesundheitsminister Rudi Anschober). Aus einer Umfrage, die am 7. Feber 2020 veröffentlicht wurde, ging hervor, dass 78 Prozent der Österreicher im Coronavirus „keine Bedrohung“ sahen. Wer damals darauf aufmerksam machte, dass „weltweit mit den schlimmsten Folgen gerechnet werden“ müsse (siehe meine Glosse in „Die Presse“ vom 19.2.2020), handelte sich den Vorwurf ein, Panik erzeugen zu wollen. Eine akute Bedrohung der Sicherheit der Bevölkerung durch eine Seuche lag einfach noch jenseits des Vorstellungsvermögens.
Nicht Ministerien und Gesundheitsämter haben die zur Eindämmung und Ausrottung der Seuche nötigen Mittel verschafft, sondern der Erfindungsgeist, die Innovationsbereitschaft und die unternehmerische Initiative in der Privatwirtschaft.
Man war auch nicht darauf vorbereitet gewesen, dass in einer wirtschaftlich globalisierten und politisch globalistisch konzipierten Welt plötzlich Kämpfe über die Lieferung von billigen Schutzmasken und Medikamenten ausbrechen würden, die die Versorgung der Bevölkerung gefährden könnten. Es galt als ausgemacht, dass die internationalen Lieferketten jeden externen Schock bewältigen würden. Erst allmählich begann man zu verstehen, wie kurzsichtig und gefährlich es gewesen war, die Spitalsbetten zu reduzieren, auf Bevorratung zu verzichten und nichts gegen den Niedergang des Systems der Versorgung durch Allgemeinmediziner zu unternehmen.
Doch mitten in dieser tiefen Krise erwies sich die Überlegenheit des global vernetzten Kapitalismus. Ohne enge wissenschaftliche und ökonomische Zusammenarbeit quer über alle Grenzen, ohne ein dichtes Netz von marktwirtschaftlich agierenden, also profitorientierten Unternehmen der Pharmazeutik und der Biotechnologie wäre es nicht gelungen, in weniger als einem Jahr effektive Impfstoffe zur Verfügung zu stellen.
Nicht Ministerien und Gesundheitsämter haben die zur Eindämmung und Ausrottung der Seuche nötigen Mittel verschafft, sondern der Erfindungsgeist, die Innovationsbereitschaft und die unternehmerische Initiative von Millionen produktiven Arbeitgebern und Arbeitnehmern in der Privatwirtschaft. Wenn von Staatshilfen, neuen Schulden und Billionen Zentralbankgeld die Rede ist, sollten die Folgen solcher Interventionen bedacht werden. Mehr denn je sind jetzt freie Unternehmen gefragt, denn ein von fiskalischen und bürokratischen Fesseln befreiter Kapitalismus bringt der Gesellschaft den größten Nutzen.
Dezentrale und subsidiäre Alternativen zur Lockdown-Politik
Um die Zahl der Opfer einer Seuche gering zu halten, gibt es bewährte Mittel. An erster Stelle steht die Isolierung der Infizierten und ihrer Kontaktpersonen, dann die strikte Überwachung der Grenzen. Die Schließung der Schulen gehört dazu und die Maskenpflicht, die schon während der Spanischen Grippe erprobt wurde. Am wichtigsten aber ist die Aufklärung der Bevölkerung. Wer weiß, wie hoch das Risiko ist, hält von selber Abstand und muss nicht erst von der Polizei dazu gezwungen werden. Freie Bürger werden sich künftig ganz sicher nicht mit einem Leben „am Rande des demokratischen Modells“ abfinden, wie es ihnen Antonella Mei-Pochtler empfahl, eine Beraterin des österreichischen Bundeskanzlers (Kurier, 5. Mai 2020).
Anfangs, als über das Virus so gut wie nichts bekannt war und die Staaten in keiner Weise auf eine Seuche vorbereitet waren, gab es realistisch betrachtet keine Alternative zum Lockdown. Heute wissen wir, dass die Letalität des Virus damals grob überschätzt wurde. Die deutsche Bundesregierung hatte das Robert-Koch-Institut und andere Forschungseinrichtungen beauftragt, Unterlagen für die Erstellung eines Horror-Szenariums zu erarbeiten. Wie sich im Juni 2021 herausstellte, wurde bis zuletzt fälschlich eine Überlastung der Intensivstationen in den deutschen Krankenhäusern behauptet. Die Geschichte der Corona-Pandemie ist gespickt mit solchen Täuschungsmanövern. Es fällt schwer, den Verantwortlichen guten Glauben zugute zu halten.
Welche Alternativen hätte es gegeben?
Je mehr Subsidiarität gewagt wird, desto punktgenauer kann man Infektionsherde isolieren. Es widerstrebt jedoch den Ideologen des „starken Staats“, auf die Eigenverantwortung zu vertrauen.
Es wäre zweifellos besser gewesen, dezentral und marktwirtschaftlich vorzugehen statt zentral und mit planwirtschaftlichen Methoden. Beim Einkauf und der Verteilung der Impfstoffe hätte man auf die logistische Erfahrung großer Unternehmen und/oder des Militärs bauen sollen, statt sie Politikern und Ministerialbürokraten zu überlassen. Statt den wirtschaftlichen Stillstand zu subventionieren, hätte man die Unternehmen bei der Erstellung von Schutzmaßnahmen beraten und unterstützen sollten. Statt wie gebannt auf die Inzidenzzahlen zu starren, hätte man sich an den Zahlen der Erkrankten und Hospitalisierten orientieren müssen. Statt zentrale Anweisungen zu exekutieren, hätten die lokalen Körperschaften gemeinsam mit den Bürgern über die nötigen Maßnahmen gemäß den jeweiligen Bedingungen entscheiden sollen. Je mehr Subsidiarität gewagt wird, desto punktgenauer kann man Infektionsherde isolieren. Es widerstrebt jedoch den Ideologen des „starken Staats“, auf die Eigenverantwortung zu vertrauen.
Unter dem Druck der Seuche wurden Regulierungen, Belastungen und Umverteilungen aller Art möglich, deren Durchsetzung unter anderen Umständen undenkbar gewesen wäre. Das in Brüssel geschnürte Corona-Hilfspaket beschleunigt die weitere Umwandlung der EU in eine Schuldenunion, ohne dass die Bürger je gefragt worden wären, ob sie damit einverstanden sind.
Je länger ein Ausnahmezustand anhält, desto wahrscheinlicher wird es, dass er sich als „neue Normalität“ etabliert.
Die Politik, so Hans-Hermann Hoppe, habe entdeckt, dass die Gesundheitsstatistik ein noch weit größeres Einfallstor für staatliche Willkür bietet als alle Kennziffern der Wirtschaftspolitik. Nicht Corona habe die Welt verändert, sondern Corona werde von Politikern als Vorwand benutzt, „um die Welt zu ihrem Vorteil zu verändern“. In der Welt der Tatsachen gebe es aber keine Grundlage für die Rechtfertigung eines globalen „New Normal“ oder eines „Great Reset“. Die Gefahr, die von einer Epidemie ausgehe, sei an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeitpunkten unterschiedlich. Ganz generell gebe es hinsichtlich der Gefahreneinschätzung einer infektiösen Krankheit nicht nur eine einzige, endgültige und eindeutige wissenschaftliche Antwort. Es sei daher „geradezu selbstverständlich, dass die Entscheidungen über geeignete Abwehrmaßnahmen von lokalen, mit den jeweiligen örtlichen Verhältnissen vertrauten Entscheidungsträgern getroffen werden sollten“, und zwar von Leuten, die für die Kosten und die Folgen ihres Handelns haften und zur Verantwortung gezogen werden können. Tatsächlich aber würden diese Entscheidungen von einer Politikerklasse getroffen werden, „die für die Kosten und Nachfolgen ihres eigenen Handelns keinerlei Verantwortung oder Haftung übernehmen muss und die ihr Gutmenschentum darum bis hin zum Größenwahn steigern kann.“
Lockdowns mögen epidemiologisch betrachtet zeitweilig vorteilhaft sein, aber sie ziehen verheerende gesellschaftliche Folgen nach sich. Je länger ein Ausnahmezustand anhält, desto wahrscheinlicher wird es, dass er sich als „neue Normalität“ etabliert. In manchen Ländern sind heute noch Gesetze in Kraft, die in den 1970er Jahren zur Bekämpfung des Terrorismus erlassen wurden. In Deutschland verlängerte der Bundestag am 11. Juni gegen die Stimmen der FDP, der AfD und der Linken die Verlängerung der epidemischen Notlage bis zum 30. September – bei rasch sinkenden Inzidenzzahlen, stetigen Fortschritten beim Impfen und ohne dass sich irgendeine Überlastung des Gesundheitssystems abgezeichnet hätte. Regierungen gewöhnen sich rasch an autoritäre Methoden.