Neue Technologien: Der Weg zur Knechtschaft ist nicht alternativlos

Derzeit kommt es auch in der sogenannten «freien Welt» zu einer Beschleunigung jener Entwicklungen, die aus liberaler Warte Skepsis hervorrufen: Die Umwandlung wesentlicher Grundrechte wie die Bewegungs-, Wirtschafts- und Versammlungsfreiheit in Privilegien, eine Ausweitung der staatlichen Macht, Überwachung und Kontrolle, die damit einhergehende Verletzung der Privatsphäre und des persönlichen Eigentums, eine explodierende Regulierung und Verschuldung sowie eine ultralockere Geldpolitik, welche die Ersparnisse der Bürger bedroht. Höchste Zeit also, sich Gedanken darüber zu machen, wie wir von diesem «Weg zur Knechtschaft» (Friedrich August von Hayek) abkommen und verhindern können, dass Freiheit für künftige Generationen zu einem Fremdwort verkommt.

Geld ist das Blut in den Adern des Wirtschaftskreislaufs. Genau wie ein menschlicher Körper gesunde Blutkörperchen benötigt, braucht auch die Wirtschaft gesundes Geld, um einwandfrei funktionieren zu können.

Die Standardstrategie, die von den meisten Freiheitsaktivisten und liberalen Politikern verfolgt wird, ist das Schaffen von Mehrheiten für vernünftige Reformen. Mittels öffentlicher Bildungs- und Aufklärungsarbeit, liberalen Polit-Kampagnen und weiteren Instrumenten wird versucht, die Entscheidungsträger für spezifische Anliegen zu gewinnen, indem die Vorzüge und Erfolge liberaler Ansätze aufgezeigt werden.

Freiheit von unten her aufbauen

Die grosse Herausforderung hierbei sind die Eigeninteressen von Politikern und Verwaltungsfunktionären sowie der mächtigen Lobbys, die jene vertreten, die vom Staat weiterhin grosszügig subventioniert und gesetzlich privilegiert werden wollen. Anstatt eine gemeinwohlorientierte Ordnung anzustreben, die allen dient, werden die gesetzlichen Pfründen von wenigen sehr effektiv verteidigt. Es ist daher wenig verwunderlich, dass liberale Reformen oftmals an Sonderinteressen-Koalitionen scheitern. So zeigt die generelle Entwicklung in Industrieländern ausnahmslos in Richtung Staatswachstum, höhere Steuern und detailversessene Überregulierung – wenn auch mit seltenen Unterbrüchen und vereinzelten Erfolgen, die meist aber nur temporären Charakter aufweisen.

Wenig Beachtung findet bislang ein alternativer Ansatz, mit welchem die bedrohten und teilweise bereits verloren gegangenen Freiheiten verteidigt oder zurückerobert werden könnten. Diese Strategie hat den grossen Vorteil, dass man gegenüber politischen Entscheidungsträgern nicht in die Position des Bittstellers gerät: Die Umsetzung steht und fällt nämlich nicht mit der Zustimmung der Politik. Denn es handelt sich um einen unpolitischen Weg, der ohne Mehrheiten auskommt.

Dieser unternehmerische Ansatz macht sich einer Kombination von Technologien wie etwa Blockchain, Kryptografie und künstliche Intelligenz zunutze, um die Privatautonomie auszuweiten, die individuelle Freiheit zu stärken, persönliche Daten und die Privatsphäre besser zu schützen sowie das Eigentum vor unberechtigtem Zugriff zu sichern. Freiheit kann man sich also nicht nur erkämpfen, sondern auch aufbauen. Der Krypto-Unternehmer Joseph Lubin formulierte es so: «Statt wie andere Zeit darauf zu verschwenden, mit Transparenten auf die Strasse zu gehen, konnten wir uns zusammentun, um an den neuen Lö­sungen für die gescheiterte Wirtschaft und Gesellschaft zu arbeiten.»[1]

Mit gesünderem Geld zu einer gesünderen Wirtschaft und Gesellschaft

Das Geldsystem ist ein Bereich, der von neuen Technologien stark betroffen ist. Geld ist das Blut in den Adern des Wirtschaftskreislaufs. Genau wie ein menschlicher Körper gesunde Blutkörperchen benötigt, braucht auch die Wirtschaft gesundes Geld, um einwandfrei funktionieren zu können. Gesund ist das Geld jedoch nur dann, wenn es nicht andauernd an Kaufkraft verliert. Vor dem Hintergrund der sorgenlosen Geldentwertungspolitik der Notenbanken erblickten Kryptowährungen das Licht der Welt. Bitcoin und diverse andere «Crypto-Coins» verfügen lediglich über eine limitierte Geldmenge und entziehen sich der Manipulation sowie der kalten Enteignung durch eine zentrale Stelle. Damit entsteht ein Wettbewerb um die Gunst der Nutzer im Bereich des Geldes, wobei die sich entwertenden staatlichen Währungen hier auf Dauer den Kürzeren ziehen könnten.

Im Gegensatz zum staatlich organisierten und lizenzierten Bankensystem gibt es für korrupte Staaten bei kryptografisch geschützten Geldbeuteln (sogenannten «Wallets») keine Möglichkeit, Vermögen von unliebsamen Persönlichkeiten einzufrieren. Denn die Guthaben befinden sich dort unter der uneingeschränkten Kontrolle der Eigentümer. Die Privatsphären und Anonymitätsfunktionen von Privacy-Coins ermöglichen zudem beispielsweise auch die relativ anonyme Unterstützung einer Opposition oder einer Freiheitsbewegung gegen den Willen der aktuellen politischen Machthaber. Dies schützt die Geldgeber vor Vergeltungsrepressionen und schafft zusätzliche Anreize zur Stärkung der Freiheit.

So wie die Industrielle Revolution mechanisierte Energie – aus der Dampfmaschine – hervorbrachte, könnte aus der Blockchain-Revolution mechanisiertes Vertrauen entste­hen.

Auf Blockchain basierende Smart Contracts ihrerseits ermöglichen es, viele Verträge ohne den Rückgriff auf das staatliche Rechtssystem durchzusetzen. Diverse Vertragsklauseln können damit teilweise oder vollständig automatisiert ausgeführt werden, sofern vorgängig einprogrammierte Bedingungen erfüllt werden. Dies verringert das Betrugspotenzial und könnte die entsprechenden Rechtsdurchsetzungsbehörden in einigen Bereichen überflüssig machen.

So wie die Industrielle Revolution mechanisierte Energie – aus der Dampfmaschine – hervorbrachte, könnte aus der Blockchain-Revolution mechanisiertes Vertrauen entste­hen. Es wird geschätzt, dass weltweit 29 Trillionen US-Dollar[2] pro Jahr dafür aufgewendet werden, Vertrauen zwischen Vertragspartnern herzustellen: Darunter fallen z. B. die Kosten für Anwälte, Gerichte, Gefängnisse und Revisionsstellen. Viele dieser Mittel könnten künftig produktiv zur Befriedigung anderer Bedürfnisse eingesetzt werden und damit einen enormen Wohlstandsschub auslösen.

Kontrolle durch dezentrale Netzwerke im Dienst der Freiheit

Die grossen Tech-Firmen üben heute (meist auch auf Druck der Politik hin) vermehrt Zensur auf den von ihnen betriebenen Social-Media-Plattformen aus. Die Blockchain-Tech­nologie ermöglicht nun jedoch den Aufbau zensurresistenter Publikationsplattformen, weil diese nicht mehr von einem zentralen Anbieter überwacht und zensiert werden können, sondern ein dezentrales Netzwerk die Kontrolle übernimmt. Entsprechend wird es für die Politik enorm schwierig, die Entscheidungsträger ausfindig zu machen und diesen ihren Willen aufzudrücken. Das sind hoffnungsvolle Aussichten für die Meinungsäusserungs- und die Medienfreiheit sowie den für freie Gesellschaften essenziellen offenen Diskurs.

Neue Technologien könnten ausserdem auch politische Systeme partizipativer, dynamischer und gerechter gestalten, sodass die Wahrscheinlichkeit von Amtsmissbrauch und Sonderinteressen-Politiken reduziert würde. Die Blockchain etwa ermöglicht fälschungssichere Abstimmungen, weil ihre Integrität durch ein dezentralisiertes Netzwerk sichergestellt wird. Manipulationen würden damit sofort auffliegen und für ungültig erklärt werden.

Evolutionärer Fortschritt

Das in unserem neuen Buch «Liberalismus 2.0: Wie neue Technologien der Freiheit Auftrieb verleihen» vorgestellte Konzept, sich die Freiheit auch ohne politische Mehrheiten zurückzuholen, mag auf den ersten Blick radikal erscheinen. Doch im Grunde genommen steht es gänzlich in der klassisch liberalen Tradition: Im Zentrum steht der Schutz individueller Freiheitsrechte. Es geht um einen friedlichen, evolutionären Wandel, nicht um eine blutige Revolution. Veränderungen werden nicht etwa «top down» verordnet, sondern von autonomen Individuen «bottom up» getragen, indem diese auf neuen Technologien basierende Produkte und Dienstleistungen nutzen. Dieser Prozess läuft auf der Basis freiwillig eingegangener Verträge ab. Es geht um Fortschritt durch unternehmerisches Wirken. Die damit verbundene Entstehung von Alternativen und die Ausweitung der Angebotspalette führt zu mehr Wahlmöglichkeiten, grösserem Wettbewerb und damit einer intensiveren Orientierung an Kundenbedürfnissen, zu denen auch der Wunsch nach Privatautonomie gehören kann.

Es ist denkbar, dass wir gerade ein neues Zeitalter betreten, in welchem das Individuum eine wesentlich grössere Auswahl haben wird, unter welchen Regeln es leben will.

Es ist denkbar, dass wir gerade ein neues Zeitalter betreten, in welchem das Individuum eine wesentlich grössere Auswahl haben wird, unter welchen Regeln es leben will. Die Tage des territorialen Gesetzes- und Gewaltmonopolisten könnten schon bald gezählt sein, während an ihrer Stelle ein wünschenswerter politischer Wettbewerb aufgrund einer rasant wachsenden Governance-Vielfalt entsteht. Unter diesen wird es auch diverse dezentrale Modelle geben, in welchen das Problem des Machtmissbrauchs weniger stark ausgeprägt sein wird als bei den heute tendenziell immer stärker zentralisierten politischen Systemen. Gleichzeitig könnten die Bürger ihre Autonomie zurückerlangen, indem sie z. B. selbst entscheiden, mit wem sie welche konkreten persönlichen Daten teilen wollen und mit wem nicht.

Die Freiheit wird für viele Menschen weltweit durch neue Technologien greifbar und ist nicht mehr an Reformen oder politische Wahlzyklen innerhalb von Landesgrenzen gebunden. Es handelt sich also um das grösste globale Entwicklungshilfeprogramm, das im Gegensatz zu den wirkungslosen oder sogar schädlichen Umverteilungsübungen der letzten Jahrzehnte seinen Namen auch tatsächlich verdient.

Aufgrund des technologischen Fortschritts stehen demnach grosse Veränderungen an, die uns alle betreffen. In unserem Buch wollen wir aufzeigen, dass Furcht, Panik und Weltuntergangs-Dystopien fehl am Platz sind. Auch wenn die aktuellen politischen Umstände weltweit besorgniserregend sind, wollen wir unseren Blick auf die Zukunft richten und aufzeigen, wie es uns möglich werden könnte, viele verloren geglaubte Freiheiten wieder zurückzuerobern.

 


Anmerkungen

[1] Zit. in: Don Tapscott und Alex Tapscott (2. Auflage, 2016). Die Blockchain-Revolution – Wie die Technologie hinter Bitcoin nicht nur das Finanzsystem, sondern die ganze Welt verändert. Kulmbach: Plassen. S. 124.

[2] Sinclair Davidson, Mikayla Novak und Jason Potts (24. Juli 2018). The $29 Trillion Cost of Trust. Cryptoeconomics Australia.

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Der Sammelband enthält Beiträge von Darcy W. E. Allen, Fabio Andreotti, Chris Berg, Sinclair Davidson, Titus Gebel, Christian H. Hoffmann, Pascal Hügli, Olivier Kessler, Aaron Koenig, Fred C. Roeder und Rahim Taghizadegan.

Edition Liberales Institut, 2021, 231 S., CHF 24.80
(Freundeskreis CHF 15, Förderkreis / Studierende kostenlos)
ISBN 978-3-033-08602-9
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