In wohl allen Ländern klagen die Bürger über die staatliche Bürokratie: zu langsam, zu kompliziert, undurchsichtig, schikanös, korrupt … Die „Bösen“ sind die pflichtbewussten, korrekten Beamten. Es sind aber die Bürger, auch Bürokratiekritiker, die stets nach neuen Vorschriften und Regeln rufen für alles, das nicht ist, wie es angeblich sein sollte.
Mehr Vorschriften, mehr Beamte
Nimmt man die Zahl der Angestellten des Staates oder die in Kraft gesetzten Gesetze und Verordnungen als Maßstab, ist das Ausmaß der Regulierung zweifellos sehr groß. In der Schweiz wächst der Umfang der systematischen Rechtssammlung des Bundes ständig. Im Jahr 2004 hat sie 53‘958 Seiten gefüllt. Zehn Jahre später waren es 68‘286 Seiten (+26%), und allein im Jahr 2015 legte das Parlament noch einmal 5‘078 Seiten drauf. Die Anzahl der Mitarbeiter der Schweizerischen Bundesverwaltung (ohne die sogenannten Regiebetriebe wie Post und Bundesbahnen) betrug 1849 nur 489 Personen, im Jahr 2000 waren es 31‘914. 2016 waren es 38‘689 Angestellte (entspricht 34’914 Vollzeitstellen), dazu kamen 1644 Ausbildungsstellen für Lernende und Hochschulpraktikantinnen und -praktikanten. Im Vergleich dazu hat sich die Wohnbevölkerung von rund 2,4 Mio. im Jahr 1850 auf ca. 7,2 Mio. im Jahr 2000 verdreifacht. Heute leben rund 8,5 Mio. Menschen in der Schweiz.
Im Falle der Schweiz darf dabei nicht vergessen werden, dass die Kantone und Gemeinden ebenfalls eine wachsende Zahl von Mitarbeitern beschäftigen. Ihre Zahl hat angeblich noch stärker zugenommen als beim Bund. Im europäischen Vergleich ist in der Schweiz allerdings die Zahl der im öffentlichen Sektor Beschäftigten in Prozent der Gesamtbeschäftigung oder der Wohnbevölkerung wohl wesentlich geringer als in anderen Staaten.
Gewinnorientiertes und bürokratisches Wirtschaften
Bei diesem Wehklagen über die Bürokratie wird aber übersehen, dass die Ursache dieser Bürokratisierung nicht das bürokratische Wirtschaften ist, sondern die sich stark vermehrenden Aufgaben der öffentlichen Hand. Vor allem ist das bürokratische Wirtschaften vom gewinnorientierten Wirtschaften grundsätzlich verschieden. Das gewinnorientierte Wirtschaften benötigt keine bürokratischen Regeln. Es muss gewinnbringend sein. Bringt es keinen Gewinn mehr, wird es liquidiert. Ein Konzern oder eine Firma mit Zweigniederlassungen kann also sehr dezentralisiert funktionieren. Jede Zweigniederlassung oder Tochtergesellschaft muss gewinnbringend operieren, sonst muss sie über kurz oder lang reorganisiert oder gar liquidiert werden. Dies setzt natürlich bei den einzelnen Gliedern eine saubere Kostenrechnung voraus. Jeder Leiter einer Tochtergesellschaft oder Zweigniederlassung hat einen relativ großen Handlungsspielraum, solange er genügend Gewinn generiert.
Bürokratisches Wirtschaften, wie es Ludwig von Mises in seinem Werk „Bureaucracy“ (1944, dt. „Die Bürokratie“ 3. Aufl. 2013) treffend definiert hat, „ist die Methode zur Führung von Verwaltungsgeschäften, welche keinen Geldwert auf dem Markt haben.“ Das bedeutet nicht, dass diese Verwaltungsgeschäfte keinen Wert haben. Es sagt nur, dass der Wert derartiger Geschäfte nicht durch Markttransaktionen mit Geldwert ermittelt werden kann. Bei einer Behörde fehlt die ordnende Hand des Gewinnzwangs, weil dies unmöglich ist. Aus diesem Grund und weil Staatsaufgaben nicht mit Gewinnen, sondern mit Steuergeldern finanziert werden, muss die Tätigkeit der Beschäftigten einer erheblichen Zahl von Regeln und Vorschriften unterworfen sein. Sie dienen nicht nur der Sicherung der Bürgerrechte und der Freiheit, sondern sie sollen auch die Ausführung des Willens der Exekutive garantieren. Wo keine solchen Regeln bestehen, können Beamte verschiedener Behörden ihre Macht für ihr eigenes Wohl zu Lasten der Bürger missbrauchen und langfristig bewirken, dass auch die Steuerbelastung zunimmt. In allen Ländern existieren zwar solche Regeln, aber ihre Missachtung wird zu oft nicht sanktioniert. Amtlicher Willkür wird so Tür und Tor geöffnet.
Zu viel Kontrolle führt zur staatlichen Ineffizienz
In funktionierenden Demokratien, wie sie etwa in Deutschland, Österreich und der Schweiz gegeben sind, lauert eine andere Gefahr. Bei größeren Projekten der öffentlichen Hand wollen die Behörden dessen Ausführung genau überwachen. Deshalb sind sie oft schon bei der Projektierung durch beauftragte private Firmen dabei. Damit erfahren die Projekte und Baupläne immer wieder Anpassungen und Änderungen, was oft zu massiven Kostenüberschreitungen führt. Spektakulärstes Beispiel ist hier wohl der neue Berliner Flughafen, dessen Kosten explodiert sind und der noch immer nicht fertiggestellt ist, weil aus Prestigegründen Politiker statt Unternehmer die Regie führen wollten. Andere Beispiele sind die Elbphilharmonie in Hamburg oder in Bern die neue Frauenklinik, die schon wenige Jahre nach der Eröffnung total saniert werden muss. Die Klinik wurde 2002 eingeweiht. Die Baukosten betrugen rund 120 Mio. Franken. Die Behörden wollten unbedingt das Siegerprojekt aus dem Architekturwettbewerb realisieren, obwohl private Ingenieure ernste Bedenken hatten. Heute ist klar, dass der Bau wegen Einsturzgefahr entweder abgerissen oder total saniert werden muss. Die Kosten der mit ungewissem Erfolg an die Hand zu nehmenden Sanierung werden auf ca. 100 Mio. veranschlagt. Diese Fehler treten typischerweise bei der Realisierung von Bauprojekten auf, bei denen die öffentliche Hand sich stark einmischt, was oft zu einer Vernebelung der Verantwortlichkeiten führt.
Klarer ist die Situation, wenn die Aufgabe einem Generalunternehmer übertragen wird. Der Staat, d.h. der Zentralstaat, ein Gliedstaat oder eine Gemeinde, könnte dann z.B. seine besonderen Bauabteilungen wesentlich verschlanken oder gar aufheben. Dem wird er sich in der Regel leider mit dem überhaupt nicht stichhaltigen Argument der Kontrolle widersetzen. In den USA werden kulturelle Einrichtungen und Bauten fast ausschließlich von privaten Mäzenen gestiftet. Diese wachen natürlich darüber, dass ihr Geld effizient eingesetzt wird. Auch diesseits des Atlantiks gibt es dafür Beispiele: Das Beyeler-Museum in Riehen bei Basel ist eine sehr erfolgreiche private Einrichtung, gestiftet vom reich gewordenen Galeristen Ernst Beyeler oder der Bau des Zentrums Paul Klee in Bern, das von einem auch wirtschaftlich erfolgreichen Medizinprofessor der Universität Bern bezahlt wurde.
Wuchernde Bürokratien bürokratisieren die Privatwirtschaft
Während staatliche Bürokratien, damit sie nicht von selbst wuchern und überhandnehmen, gesetzlich eingeschränkt und kontrolliert werden müssen, lauert für die Wirtschaft – die „Privatwirtschaft“ – eine andere Gefahr: die Gefahr der bürokratischen Überregulierung durch den Staat. Eine Wirtschaft, die der Logik der bürokratischen Kontrolle und Regulierung gemäß organisiert wird, kann sich nicht frei, produktiv und innovativ entfalten. Doch je mehr die Staatsaufgaben und damit staatliche Bürokratien anwachsen, desto stärker wird auch der Trend zur Überregulierung der Wirtschaft. Das geht auf Kosten von Wachstum und Wohlstand.
Eine nicht durch gesetzliche Kontrolle zurückgebundene Beamtenschaft versucht, sich ständig neue Aufgabenfelder zu ersinnen und den Gesetzgeber von ihrer Notwendigkeit zu überzeugen. Regulierer, die nicht ständig neue Regulierungen erfinden oder den Aufgabenbereich ihrer Behörde ausweiten, verlieren ihren Job oder kommen karrieremäßig nicht voran – sie werden also schon aus Eigeninteresse danach trachten, die bürokratische Kontrolle aller Wirtschaftszweige, auch der sogenannten Privatwirtschaft, ständig auszuweiten. Nur der Gesetzgeber kann sie daran hindern – doch dieser spielt das Spiel leider oft nur allzu gern mit, weil damit Wählerstimmen gewonnen werden können.
Schlanker Staat – weniger Bürokratie
Schon Adam Smith hat in seinem Hauptwerk Der Wohlstand der Nationen (1776) die öffentlichen Aufgaben definiert. Es sind jene Aufgaben, die niemals einen genügenden Ertrag abwerfen um von Privaten betrieben werden zu können. Es waren dies damals die Landesverteidigung, das Justizwesen und die Ausgaben für öffentliche Einrichtungen und Anlagen, d.h. vor allem Einrichtungen, die den Handel erleichtern und die Ausbildung der Bevölkerung fördern. Heute sind in den Budgets entwickelter Staaten nicht mehr die Ausgaben für die Landesverteidigung der größte Posten, sondern die Aufwendungen für das Sozialwesen und die Bildung. Eine Beschränkung der Staatsaufgaben im Sinne von Adam Smith wäre die wirksamste Maßnahme gegen die wuchernde Bürokratie und damit auch zugunsten einer Entfesselung jener wirtschaftlichen Kräfte, die zu mehr Wohlstand führen.