Japan und die heimtückischen Carry Trades

Am ersten Augustwochenende 2024 gingen Schockwellen durch das internationale Finanzsystem. Die Aktienkurse in Frankfurt, New York und Tokyo brachen ein. Der mexikanische Peso und die indische Rupie stürzten ab. Der Kurs des KI-Giganten Nvidia rauschte nach unten.

Schnell waren die Gründe identifiziert. Die Bank von Japan hatte am 31. Juli angekündigt den Leitzins von einer Spanne von 0 bis 0,1 % auf 0,25 % zu erhöhen sowie ihre monatlichen Anleihekäufe zu halbieren. Darüber hinaus verfestigten sich in den USA Erwartungen, dass die US-Zentralbank Fed nun endlich die Zinsen senken würde.

„Carry Trades“ sind eine Handelsstrategie, bei der zu niedrigen Zinsen aufgenommenes Kapital nach Umtausch in eine andere Währung in höherverzinsliche Anlagen auf einem anderen Markt investiert wird. Der Trader zielt auf die entsprechenden Arbitragegewinne, wofür er sich entsprechenden Risiken (Zinsänderungsrisiko, Wechselkursrisiko) aussetzt. (Gabler Banklexikon)

Nachdem lange Zeit steigende Zinsen in den USA relativ zu Japan eine Abwertung des Yen begünstigt hatten, wertete der Yen deutlich auf. Das zwang viele sogenannte Carry-Trader hastig Positionen aufzulösen, was die Weltfinanzmärkte schockte. Als ein prominenter japanischer Zentralbankvertreter ankündigte, die Zinsen nicht weiter zu erhöhen, wenn die Finanzmärkte turbulent blieben, beruhigte sich der Markt. Was hat es mit den heimtückischen Carry Trades auf sich?

Beliebte Carry Trades, plötzlicher Schock und Asienkrise 1997

Die Carry Trades erfreuten sich seit den 1990er Jahren ausgehend von Japan großer Beliebtheit. Nach dem Platzen einer Spekulationsblase Ende der 1980er Jahre hatte die Bank von Japan den Leitzins immer weiter gesenkt, so dass dieser 1995 0,5 Prozent erreichte (Abbildung 1). Spekulanten nahmen billige Kredite in Japan auf und investierten in Regionen, wo die Zinsen deutlich höher waren, insbesondere in Thailand, Südkorea und Malaysia.

Zwar ermöglichte das große Zinsgewinne, aber nur mit einem Wechselkursrisiko. Nach der Theorie der offenen Zinsparität signalisierte das höhere Zinsniveau bereits eine Abwertung der südostasiatischen Währungen in der Zukunft. Spekulanten konnten danach nur einen Gewinn machen, wenn sie vor der möglichen Abwertung in Dollar oder Yen zurücktauschten. Der Schock kam im Mai 1997, als der thailändische Baht gefolgt von anderen Währungen der Region abstürzte. Die dadurch ausgelöste Asienkrise (1997) zog auch einige japanische Banken nach unten, die viele Kredite in der Region vergeben hatten. Seit der daraus hervorgegangenen japanischen Finanzmarktkrise (1998) liegt der Leitzins Japans nahe null. Alle Versuche, den Zins anzuheben, bleiben kraftlos und waren nicht von Dauer. Japan etablierte sich als wichtiges Ursprungsland der Carry Trades.

Abbildung 1: Leitzinsen in Japan, USA, Deutschland/Euroraum

Quelle: Reuters. Thailand bis 2006 Geldmarktzins, danach Leitzins.

Nicht nur Hedgefonds wurden Carry-Trader. Auch ganz normale Japaner – im Finanzmarktjargon „Frau Watanabe“ genannt  – machten mit, da es in Japan aufgrund der nicht endenden Nullzinspolitik kaum mehr Zinsen gab. Ab 2015 drückten die sogenannten Abenomics die Zinsen auf 10jährige Staatsanleihen auf null (Abbildung 2). Weil in der nicht endenden Wirtschaftskrise die Bankeinlagen wuchsen und die Kreditnachfrage stockte, weiteten japanische Banken ihre Kredite im Ausland aus.

Auch Nippons Lebensversicherungen und Pensionskassen haben große Vermögensbestände im Ausland angehäuft, insbesondere in den USA. Der Government Pension Investment Fund (GPIF) verfügt über ein Vermögen von rund 246 Billionen Yen (ca. 1.700 Milliarden Dollar), das er zu rund 50 Prozent im Ausland angelegt hat. Die Wechselkursrisiken sind bestenfalls teilweise abgesichert, weil das teuer ist.

Enormes Risiko für Finanzstabilität und Volkswirtschaft

Die Bank von Japan hat mit ihrer anhaltenden Niedrigzinspolitik ein riesiges Währungsrisiko für die japanische Volkswirtschaft geschaffen, weil sie auch das langfristige Zinsniveau immer unter dem Zinsniveau der USA gehalten hat (Abbildung 2). Japan hat deshalb seit Beginn der 1980er Jahre kontinuierlich Kapital exportiert, sodass das Bruttoauslandsvermögen auf gut 10.000 Milliarden Dollar angestiegen ist. Das Nettoauslandsvermögen lag Ende 2023 bei rund 3.300 Milliarden Dollar. Weil das immense Auslandsvermögen repatriiert werden kann, signalisiert es eine zukünftige Aufwertung des Yen. Jede Aufwertung des Yen reduziert den Wert der überwiegend in Auslandswährung denominierten Auslandsanlagen von Banken, Lebensversicherungen, Pensionsfonds und Privatpersonen gerechnet in Yen.

Abbildung 2: Langfristige Zinsen in Japan und den USA

Quelle: Refinitiv.

So ist ein Risiko für Japans Finanzstabilität (Schürmann und Schnabl 2024) entstanden. Denn sobald einige Akteure ihre Auslandsvermögen in Yen zurücktauschen, erleiden andere daraus Bewertungsverluste. Verfestigen sich die Yen-Aufwertungs-Erwartungen, kann es schnell zu einem „Run“ in den Yen kommen: Jeder versucht vor dem anderen bei der Wechselstube zu sein. Das war schon einmal ab September 1985 der Fall, nachdem die fünf großen Industriestaaten mit dem sogenannten Plaza-Abkommen eine Aufwertung des Yen gegenüber dem Dollar angekündigt hatten. In Erwartung großer Spekulationsgewinne tauschten viele Dollar in Yen. Die unkontrollierte Aufwertung (siehe Abbildung 3) warf Japan in eine tiefe Krise, weil sie die Exportwirtschaft traf.

Abbildung 3: Yen pro Dollar

Quelle: Refinitv.

Bei den aufwertungsbedingten Turbulenzen Anfang August 2021 wurde deutlich, dass inzwischen nicht nur der Exportsektor stark gegen Aufwertungen verwundbar ist, sondern auch der Finanzsektor. Abbildung 4 zeigt die Aktienkurse des Autobauers Toyota, der Lebensversicherung Dai-ichi und des Finanzkonglomerats Mitsubishi UFJ zusammen mit dem Wechselkurs des Yen gegenüber dem Dollar. Alle drei Werte haben sehr sensibel auf die Aufwertung des Yen reagiert. Die Finanzstabilität in Japan ist aber nicht zuletzt aufgrund der Größe des Landes auch ein globales Problem. Im August 2024 haben auch die US-amerikanischen Aktienindizes auf die Aufwertung reagiert. Wenn die japanischen Anleger ihr Kapital in großem Stil aus den USA abziehen, dürfte das Zinsniveau dort spürbar ansteigen. Die Carry Trader können einen Aufwertungsdruck schnell verstärken,

Abbildung 4: Yen-Dollar-Kurs und Aktienkurse

Quelle: Refinitv.

Das schränkt die Entscheidungsfreiheit der Bank von Japan stark ein. Die Bank von Japan musste in der Vergangenheit Zinssenkungen der USA folgen, um eine zu starke Aufwertung des Yen zu verhindern. Wenn die US-amerikanische Fed die Zinsen erhöhte, konnte die Bank von Japan zuletzt die Zinsen unverändert lassen (Abbildung 1), weil eine Yen-Abwertung dem Export und den Finanzinstituten unter die Arme greift. Doch so hat sich die japanische Wirtschaft an das niedrige Zinsniveau gewöhnt und ist träge geworden. In der stark alternden Gesellschaft ist eine Yenaufwertung zu einer Bedrohung für die Alterssicherung geworden.

In der Zwickmühle

Die Bank von Japan sitzt also in der Zwickmühle. Da die Inflation zuletzt auf 2,8% (Juli 2024) angestiegen ist, hat sich Unzufriedenheit über die Kaufkraftverluste breit gemacht. Die Bank von Japan müsste die Geldpolitik eigentlich straffen. Doch das könnte zu einer erneuten Aufwertung führen. Darüber hinaus drohen nun Zinssenkungen in den USA, die den Yen erneut unter Aufwertungsdruck bringen könnten. Eine Yen-Aufwertung dürfte dann nur zu verhindern sein, wenn die Bank von Japan ihre in der Vergangenheit bereits sehr umfangreichen Anleihekäufe wieder forciert.

Auf die längere Frist könnte das auf höhere Inflation hindeuten, die den Yen auf einen dauerhaften Abwertungspfad bringen könnte. Der Wert der japanischen Währung würde dann in Einklang mit der seit langem schwächelnden japanischen Wirtschaft gebracht. Deutschland, wo die Niedrigzinspolitik der EZB ebenso viel Kapital ins Ausland getrieben hat, könnte daraus Lehren ziehen.

 

Literatur:

Schürmann, Christof / Schnabl, Gunther 2024: Zinserhöhungen und Stabilitätsrisiken: Japans geldpolitische Handlungsfähigkeit ist begrenzt. Flossbach von Storch Research Institut, 20.8.2024.

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