„Wir brauchen eine Reform des Wohlfahrtsstaates und mehr Steuerwettbewerb“ – Interview mit Dan Mitchell

Seit Jahren fordert der Ökonom Daniel J. Mitchell von der US-Politik eine Senkung der Steuern und eine Reform des zunehmend aufgeblähten Wohlfahrtsstaats. Auf Dauer wird das Pensions- und Sozialsystem wegen der sich ändernden Bevölkerungsstruktur – immer mehr ältere Menschen und immer weniger junge – nicht finanzierbar sein. Deshalb rechnet Mitchell mit harten künftigen Auseinandersetzungen zwischen jenen, die mehr Steuern fordern, und jenen, die so wie Mitchell den Wohlfahrtsstaat reformieren wollen.

Das Austrian Institute sprach mit Daniel J. Mitchell am Rande eines Vortrags, den er am 30. Januar 2018 im Friedrich A. v. Hayek Institut in Wien hielt. Das von Stefan Beig auf Englisch geführte Gespräch kreiste um sinnvolle Steuerkürzungen, Möglichkeiten zur Reform des Wohlfahrtsstaats, US-Präsident Donald Trump und die derzeitige weltweite Geldpolitik.

Prof. Dan Mitchell während seines Vortrags im Hayek Institut, Wien (Bild: Austrian Institute / Stefan Beig)

Daniel J. „Dan“ Mitchell, geboren 1958 in New York, ist ein bekannter liberaler Ökonom in den USA, der an der University of Georgia und der George Mason University studiert hat. 1990 begann er an der Heritage Foundation zu arbeiten und widmete sich dort vor allem der Steuerpolitik. Später wurde er leitender Wissenschaftler beim Cato Institute und war darüber hinaus Mitbegründer des Center for Freedom and Prosperity. Mitchell verfasst auf seinem Blog täglich neue Kommentare über die Wirtschaftspolitik und ihre Folgen für Freiheit und Wohlstand. Er hat mehrere Bücher verfasst und befürwortet die Flat Tax sowie einen Steuerwettbewerb.

Austrian Institute: Wenn Sie als Liberaler auf die gegenwärtigen Steuern in den USA blicken: Welche würden Sie als erstes streichen, welche halten Sie für berechtigt?

Dan Mitchell: Es gibt intensive Debatten, ob jede Form von Besteuerung Diebstahl ist. Ich bin kein Philosoph. Ich blicke auf die praktischen Dinge. Die öffentliche Hand ist zurzeit übermächtig. Ich würde alle Gelder, die an den Staat fließen, reduzieren. Zurzeit wird diskutiert, ob die Senkung der Steuern langfristig auch die Größe der Regierung reduzieren wird. Ich denke eher schon. Im Übrigen ist meine Antwort auf Ihre Frage: Ich würde all jene Steuern als erstes streichen, die den größten Schaden anrichten. Im US-amerikanischen Steuersystem würde ich zunächst die Erbschaftssteuer abschaffen. Jeder einzelne durch sie eingenommene Dollar fügt der Wirtschaft vermutlich den größten Schaden zu. Den Spitzensteuersatz sollte man ebenfalls senken, und ebenso die Körperschaftssteuer. Auch die steuerlichen Nachteile für neue Investitionen gehören abgeschafft. Es gibt also eine Reihe spezifischer Steuern in den USA, die ich für schädlich halte und daher kürzen würde. Kurz: Man sollte das Geld, das an die Regierung fließt, reduzieren, und gleichzeitig das Wirtschaftswachstum fördern, sodass mehr Möglichkeiten entstehen neue Arbeitsplätze zu schaffen.

Die Staatsausgaben steigen. Müsste man die nicht ebenso reduzieren? Eine deutliche Steuersenkung lässt sich ohne eine Reform des Wohlfahrtsstaats kaum verwirklichen.

Genau eine solche Reform des Wohlfahrtsstaats wünsche ich mir auch. Dabei sollte der Wohlfahrtsstaat von der Zentralregierung entfernt werden. Wir hatten eine sehr erfolgreiche Reform des Wohlfahrtsstaats in den 1990er Jahren unter US-Präsident Bill Clinton. Wir nennen das „Block grant“ („pauschale Zuweisung“). Damals beseitigten wir die meisten Bundesregelungen, gaben das Geld den Bundesstaaten und sagten ihnen: Versucht mit diesem Geld den armen Menschen zu helfen. Möglicherweise werden die Republikaner im Jahr 2018 ebenfalls ein solches Reformpaket für den Wohlfahrtsstaat beschließen und die Sozialprogramme den Bundesstaaten zuweisen. Ich möchte freilich, dass es nicht dabei bleibt. Mit der Zeit sollte „Block grant“ verschwinden, sodass die Bundesstaaten das Geld nicht nur ausgeben, sondern es auch selber einheben. Wir haben 50 verschiedene Bundesstaaten mit 50 verschiedenen Zugangsweisen, mit Innovation und Vielfalt. Wenn die Bundesstaaten für ihre Sozialprogramme selber zuständig sind, würden wir herausfinden, wie wir den Menschen auf die kosteneffizienteste Weise helfen. Ich möchte die Zentralregierung aus dem Wohlfahrtsstaat hinaus holen, und das beinhaltet auch eine Reform der Sozialversicherungsprogramme – darunter das staatliche Pensionssystem „Social Security“ und unsere bundesstaatliche Krankenversicherung „Medicare“. Wir sollten unser Pensionssystem so reformieren, wie es Australien, die Niederlande und Chile getan haben.

In Chile wurde diese Reform von einem Diktator – Augusto Pinochet – durchgeführt.

Aber Australien tat es mit einem demokratisch gewählten Parlament, ebenso taten es bis zu einem gewissen Grad Schweden, die Schweiz und die Niederlande. Es gibt rund 30 Länder weltweit, die ein mehr oder weniger privates Pensionsvorsorgesystem eingeführt haben. 29 davon taten es im Rahmen einer Demokratie. Selbst in Chile war es ein großer Erfolg für die Bevölkerung, auch wenn ein schlechter Kerl dafür verantwortlich war. Wir sollten daher die Sozialversicherung reformieren und die staatliche Sozialhilfe reduzieren. Beides würde das Leben der Menschen verbessern.

In Österreich heben Bundesländer und Gemeinden nur 3,5 Prozent ihrer Ausgaben selbst ein, in Deutschland sind es 11,8 Prozent und in der Schweiz rund 56 Prozent (siehe den Bericht der Agenda Austria). Wie ist die Situation in den USA?

Wir hatten in den USA ein gutes System wie die Schweiz. Leider wuchs die zentrale Regierung immer mehr und begann Funktionen zu übernehmen, die zuvor auf der Landes- und Regionalebene verankert waren. Wir sollten uns in dieser Hinsicht wieder der Schweiz annähern.

Denken Sie, ein Steuerwettbewerb zwischen den Bundesstaaten könnte funktionieren?

Ja, das denke ich, denn er tut es.

Bei allen Steuerarten?

Die Auswirkungen werden sich je nach Steuerform unterscheiden. In den USA und in der Schweiz gibt es unter den regionalen Regierungen einen Wettbewerb bei der Einkommenssteuer, und ebenso haben wir in den USA einen Wettbewerb bei der Umsatzsteuer und bei der Vermögenssteuer. In dezentralen Systemen funktioniert dieser Wettbewerb sehr gut. Es ist übrigens sehr leicht mit den „eigenen Füßen zu wählen“, wenn man sich innerhalb eines Landes frei bewegen kann.

In den USA und in anderen westlichen Staaten hat sich die Bevölkerungspyramide verändert, weil die Menschen älter werden und weniger Kinder bekommen. Dies könnte ein Ansporn für eine Reform des Wohlfahrtsstaats sein, könnte aber andererseits auch zu neuen Steuern führen, um die Sozial- und Pensionssysteme weiterhin zu finanzieren.

Es wird einen harten Kampf in den USA geben, wie mit dieser Entwicklung umzugehen ist. Während die politische Linke eine Mehrwertsteuer fordern wird – denn das ist der einzige Weg, diesen explosiven Anstieg an Staatsausgaben zu finanzieren – werden jene, die an die ökonomische Freiheit glauben, sagen: Nein, wir wollen nicht die Steuern heben, sondern die Sozialprogramme reformieren.

Wie lange würde eine solche Reform dauern?

Als Barack Obama US-Präsident war, gab es dazu gute Reformvorschläge der Republikaner. Ich denke etwa an einige Punkte des sogenannten „Ryan Budgets“ (Anm.: benannt nach dem republikanischen Politiker Paul Ryan). Diese Reform hätte ältere Staatsbürger und Personen kurz vor dem Pensionsalter nicht berührt, denn schließlich hat die Regierung diesen Menschen eine Zusage gemacht. Diese Zusage mag nicht sehr klug gewesen sein, aber sie wurde gemacht. Die geplante Reform der Krankenversicherung hätte Menschen von bis zu 55 Jahren betroffen. Dies hätte nicht zu kurzfristigen Ersparnissen geführt, sehr wohl aber zu großen langfristigen. Die Reform der staatlichen Gesundheitsversorgung für arme Menschen wäre hingegen dezentralisiert worden und hätte sofortige Einsparungen gebracht.

Begrüßen Sie die letzte Steuerreform von US-Präsident Donald Trump – die Senkung der Körperschaftssteuern?

Ja, sie wird der US-Ökonomie kurzfristig helfen und könnte auch einen Steuerwettbewerb in anderen Staaten, etwa in Europa, entfachen. Ich mache mir aber Sorgen auf lange Sicht. Wird es auch nachhaltige Steuerreformen geben, speziell angesichts der wachsenden Staatsausgaben? Bisher sehen wir keine Budget-Disziplin bei den Republikanern. Wir müssen die Staatsausgaben kontrollieren. Das Beste wäre vermutlich so etwas wie die Schweizer Schuldenbremse.

Trump zeigte bisher kein Interesse an einer Reduktion der Staatsausgaben.

Nicht wirklich.

Was erwarten Sie sich von den kommenden drei Jahren seiner Präsidentschaft?

Es ist nie voraussagbar, was Trump als nächstes tun wird. Vielleicht weiß er es selber noch nicht. Trump kritisiert dauernd das Handelsdefizit der USA. „Handelsdefizit“ klingt schlecht, aber es ist in Wahrheit kein Problem. Jedes Jahr wächst mein Handelsdefizit mit meinem benachbarten Lebensmittelgeschäft: Ich kaufe bei ihm ein, doch er kauft nicht bei mir ein. Wo ist das Problem? Trump befürwortet leider auch Protektionismus, hielt sich aber bisher damit zurück. Wenn ich Optimist bin, würde ich sagen: Es besteht die Chance auf eine Reform des Wohlfahrtsstaats im Jahr 2018.

Der US-Wirtschaft geht es zurzeit gut, doch der US-Dollar ist schwach. Worauf führen Sie das zurück? Und: Halten Sie es für ein Problem?

Ich denke, die Geldpolitik auf der ganzen Welt ist zurzeit ein Problem. Zentralbanken verfolgen die Politik des billigen Geldes mit künstlich niedrigen Zinsen. Das führt zu Blasen, und wenn die platzen, zieht das negative Folgen nach sich, wie wir vor zehn Jahren gesehen haben. Ich hoffe, ich irre mich.

Wann die Blase platzen wird, lässt sich kaum prognostizieren.

Wenn ich das vorhersagen könnte, würde ich Milliardär.

Dass wir zurzeit trotz Wirtschaftswachstum einen schwachen Dollar haben, führen Sie auf jeden Fall auf die lockere Geldpolitik zurück?

Ja.

Freilich muss das für die USA noch kein Problem sein, denn die anderen Staaten verfolgen ebenfalls eine lockere Geldpolitik.

Ja, sie tun ähnliche Dinge. US-Finanzminister Steven Mnuchin sorgte für Kontroversen mit seinen Aussagen in Davos („Der schwache Dollar ist gut für uns“). Ich denke, die US-Geldpolitik wird sich voraussichtlich nicht ändern.

Viele blicken zurzeit besorgt auf die Euro-Zone und den schwachen Dollar. Gleichzeitig erleben wir eine Zunahme an Kryptowährungen wie Bitcoin. Ist das eine weitere Blase oder geben Sie diesen Kryptowährungen eine Chance?

Ich hoffe, Kryptowährungen werden siegen, aber ich fürchte, es ist nur eine Blase. Was für Währungen wie Bitcoin spricht, ist deren begrenzte Menge. Deshalb sollte Bitcoin eigentlich stabil sein. Wenn freilich die Menschen damit spekulieren und so den Wert in die Höhe treiben, können Kryptowährungen trotz ihrer beschränkten Menge stark überbewertet sein. So entsteht dann eine Blase: Menschen kaufen Bitcoins in der Erwartung, dass andere Menschen noch mehr für Bitcoins ausgeben werden, und dann behalten sie die Bitcoins für ein, zwei Jahre und verkaufen sie danach, um so Profit zu machen. In der Theorie sollte Bitcoin eigentlich stabiles Geld sein – das war auch intendiert –, doch zurzeit ist Bitcoin kaum ein Zahlungsmittel, sondern ein Spekulationsobjekt. Das heißt nicht, dass Bitcoin nicht eines Tages erfolgreich und ein Zahlungsmittel sein wird. Wegen seiner begrenzten Menge könnten Bitcoins und andere Kryptowährungen auf lange Sicht – hoffentlich – eine wichtige wirtschaftliche Rolle spielen, denn Regierungen haben immer wieder demonstriert, dass sie mit ihren Zentralbanken eine schlechte Geldpolitik betreiben. Bitcoin als Konkurrent würde da sicher sehr hilfreich und nützlich sein. Nur ich habe keine Ahnung, wie lange das dauern wird. Im Moment sehe ich nicht, dass Bitcoin zu einem alltäglichen Zahlungsmittel der Menschen wird. Erstens ist Bitcoin teuer und zweitens zu instabil.

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