Nicht jeder Beschluss, den ein Verfassungsorgan fällt, wird morgen in ein Gesetz gegossen. Aber die Basis ist dafür gelegt. Wenn Bundestag oder Bundesrat daher etwas beschließen, ist das nicht zu vernachlässigen. Jetzt hat der deutsche Bundesrat in einem Beschluss die EU-Kommission aufgefordert, „die bisherigen Steuer- und Abgabenpraktiken der Mitgliedstaaten auf ihre Wirksamkeit hinsichtlich der Förderung emissionsfreier Mobilität auszuwerten …, damit spätestens ab dem Jahr 2030 unionsweit nur noch emissionsfreie Pkw zugelassen werden“. Wahrscheinlich ist in der EU, erst recht in Deutschland, kein Wirtschaftszweig für die Wertschöpfung und die Beschäftigungssituation so wichtig wie die Automobilindustrie und ihre Zulieferer. In Deutschland arbeitet jeder siebte Arbeitnehmer direkt oder mittelbar in der Automobilindustrie. Auch Spanien hat eine starke Autoindustrie. Der derzeitige Aufschwung wird alleine von ihr getragen. Italien und Frankreich wären längst ökonomisch implodiert ohne Fiat, Renault, Peugeot und Citroën. In der Slowakei, Tschechien und Polen hat die Automobilindustrie eine dominierende Rolle. Dabei sind es nicht nur die OEMs wie VW, Mercedes oder BMW, die von Bedeutung sind, sondern deren unzählige Zulieferer, die Kolben, Nockenwellen, Zündkerzen, Einspritzdüsen, Zylinder, Ölwannen, Kurbelwellen oder Auspuffe produzieren.
Es ist daher erschreckend, zu welchen Weichenstellungen die Politik willens und in der Lage ist. Dabei ist es nicht der Punkt, dass Unternehmen keine Garantie für ihre künftige wirtschaftliche Entwicklung haben. In einer Marktwirtschaft kann es das nicht geben. Will ein Unternehmen dauerhaft überleben, muss es sich an die veränderten Wünsche seiner Kunden anpassen, sonst verschwindet es vom Markt. Dafür gibt es historisch viele Beispiele. Quelle und Neckermann gibt es heute nicht mehr, weil sie den Online-Handel verschlafen haben. Nokia hat den Trend zum Smartphone nicht rechtzeitig vollzogen. AEG und Dresdner Bank existieren heute ebenfalls nicht mehr. Es ist der Lauf der Zeit, doch diese Kapitalvernichtungen sind durch unternehmerische Fehlentscheidungen und Versagen verursacht und nicht durch staatliche Intervention. Jetzt schickt sich der Staat an, zu wissen welche Autos in 14 Jahren (!) hergestellt werden. Es ist die Einführung einer zentralen Planwirtschaft durch die Hintertür. Es wird grandios scheitern, weil kein Regierender wissen kann, welche Technologie sich in der Automobilindustrie durchsetzt. Ohne Wettbewerbsprozess werden gigantische Fehlinvestitionen ausgelöst, die Europa auf Jahrzehnte zurückwerfen werden.
Doch das eigentlich Erschreckende ist, dass sich in der Automobilindustrie und in den sich anschließenden Industrien kein Widerstand regt. Deren Vorstände und Eigentümer nehmen diese Beschlüsse hin, grummeln und empören sich in den Hinterzimmern, aber suchen nach wie vor die Nähe zu den Handelnden in der Politik. Sie freuen sich, wenn die Bundeskanzlerin, der Wirtschaftsminister oder der Ministerpräsident sie zu Auslandsreisen mitnimmt und sie zum vertraulichen Abendessen eingeladen werden. Daimler-Benz spendet den Grünen sogar einen sechsstelligen Betrag, obwohl diese Partei ihre Lebensgrundlage zerstören wird. Das ist nur die Spitze des Eisbergs. Es gibt unzählige Beispiele dafür wie Unternehmen Parteien, Umweltverbände und Aktionsplattformen unterstützen, die eigentlich diesen Unternehmen schaden. Sie glauben wohl, dass durch eine Art Ablasshandel ihr Schaden minimiert werden kann.
Die Folge ist, dass der Staat sich immer mehr einmischt. Die wenigen Freiheitsgrade in der Wirtschaft sollten die Unternehmer eigentlich mit Zähnen und Klauen verteidigen. Im Verlauf geschieht dies sicherlich auch. Wahrscheinlich werden Unternehmen, Unternehmensverbände und Gewerkschaften durch einen intensiven Lobbyingprozess erreichen, dass der verbindliche Umstieg auf Elektroautos nicht schon 2030 erfolgt, sondern erst 2032, 2035 oder vielleicht auch erst 2040. Das lässt die Übergangsphase verträglicher werden. Das Ergebnis ist aber letztlich das Gleiche.
Es braucht daher einen Mentalitätswechsel. Doch woher soll der Mentalitätswechsel kommen, wenn selbst die Unternehmer in diesem Land sich ihrem vermeintlichen Schicksal ergeben? Darüber hinaus ist ein Mentalitätswechsel viel schwieriger als die Begleitung eines Gesetzgebungsprozesses oder das Protegieren einer Regierung. Er erfordert ein viel früheres Eingreifen. Es muss in erster Linie die Erkenntnis reifen, dass eine gesellschaftliche Veränderung nicht vom Himmel fällt oder ein reiner Zufall ist, sondern Folge eines langfristigen gesellschaftlichen Trends. Auch die heutige Situation, die letztlich zum Bundesratsbeschluss geführt hat, ist Ergebnis eines Trends. Dieser Trend wurde in den 1960er Jahren begonnen. Es war der Kampf der Linken gegen den alten liberalen Begriff der Zivilgesellschaft. Deren Ziel war es, den liberalen Rechtsstaat in den allumfassenden Sozialstaat zu transformieren. Der liberale Rechtsstaat ist in seiner klassischen Version geprägt durch Institutionen wie Privateigentum, Vertrags- und Gewerbefreiheit, Niederlassungsfreiheit, aber auch durch die Autonomie der Familie und die Gewissenfreiheit. Diese Institutionen sind im liberalen Rechtsstaat von der Herrschaft anderer geschützt.
In unserer heutigen paternalistischen Scheinmoderne werden diese Institutionen jedoch fortwährend geschleift und zermürbt. In seiner Kurzform lautet dieser Angriff auf die Zivil- und Privatrechtsgesellschaft: Eigentum ist Diebstahl und Familie ist ein Unterdrückungsapparat. Jede Fehlentwicklung im Einzelnen, also im Unternehmen oder in der Familie wird dazu benutzt, dies mit für alle freiheitseinschränkenden Maßnahmen zu beantworten.
Dadurch weist der paternalistische Staat in der neuen Zivilgesellschaft dem Individuum Freiräume und Eigentumsrechte zu. Es ist eine Art Gutsherrenmentalität, die der Staat gegenüber seinen Bürgern hier zum Ausdruck bringt. Der Staat entscheidet nach öffentlicher Beratschlagung im angeblichen herrschaftsfreien Diskurs sogar über die künftige Entwicklung aller Individuen einer Gesellschaft, was dann als die Umsetzung emanzipatorischer gesellschaftlicher Projekte und als kollektiver Selbstbefreiungsprozess gefeiert wird. Unter der Tarnkappe „Demokratisierung aller Lebensbereiche“ werden so institutionelle Grundsäulen einer freien und offenen Gesellschaft angegriffen.
Auf diese Weise wird der Staat, der eigentlich die Aufgabe hat, das Individuum vor Willkür zu schützen, für gesellschaftliche Projekte sogenannter „Träger der Zivilgesellschaft“ missbraucht. Der demokratische Staat verliert so seinen Anspruch, freiheitlich-demokratischer Rechtsstaat zu sein. Recht und Freiheit werden so kampflos aufgegeben.
Wir haben es in unserer Gesellschaft inzwischen mit einer strukturellen Mehrheit zu tun, die ein antiliberales „mentales Modell“ verinnerlicht hat. Der Nobelpreisträger Douglass C. North spricht von „Shared Mental Models“, von „gemeinsamen mentalen Modellen“, um einen institutionellen Wandel in einer Gesellschaft zu analysieren. Neben einer Theorie der Eigentumsrechte und einer Theorie des Staates muss darin eine Theorie der Ideologie berücksichtigt werden. Diese gemeinsamen mentalen Modelle sind sehr langlebig und kurzfristig nicht veränderbar. Wenn man diese Entwicklung ändern will, dann setzt es einen Prozess kultureller Evolution voraus, in dem sich neue gemeinsame mentale Modelle bilden und behaupten müssen. Dieser Prozess muss von den verbliebenen und von neuen bürgerlich-liberalen Kulturträgern angestoßen werden. Davon gibt es noch einige. Prometheus gehört dazu. Aber ob dies zur Verschiebung der Verhältnisse führen wird, ist völlig offen und hängt davon ab, ob diese sich überall entwickelnden Freiheitsinseln überzeugend und anziehend genug sind, um im in der Auseinandersetzung mit den Gegnern des liberalen Rechtsstaates zu bestehen.
Es ist also unsere Aufgabe, starke Freiheitsinseln zu entwickeln. Nur wenn es gelingt, ein gemeinsames mentales Modell durchzusetzen, das den freiheitlichen Rechtsstaat zum Ziel hat, sind auch langfristig die Rechte des Einzelnen gesichert. Denn ohne Vertragsfreiheit und Eigentumsschutz werde die Eingriffe des Staates in das Wirtschaftsgeschehen unvermindert fortschreiten und die Marktwirtschaft unweigerlich in ein neuzeitliches Modell zentraler Planwirtschaft verwandeln. Dazu braucht es Mut, Entschlossenheit und eine langen Atem.
Dieser Artikel erschien zuerst unter dem Titel „Die Automobilindustrie ist in Gefahr und selbst schuld“ bei Prometheus – Das Freiheitsinstitut. Mit freundlicher Genehmigung.
Bildnachweis: fotolia / karepa