Warum Marktwirtschaft, politische Freiheit und Demokratie zusammengehören – wenn auch nicht ohne Spannungen

Eine liberale Wirtschaftsordnung beruht auf freien Märkten, unternehmerischer Initiative und im Privateigentum gründender Eigenverantwortung. Die Voraussetzungen dazu wiederum sind Rechtssicherheit und vor allem wirtschaftliche Freiheit. Was die rein ökonomischen Aspekte einer Marktwirtschaft betrifft, kann – wie etwa im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Handelskapitalismus – Rechtssicherheit auch mit nichtstaatlichen Mitteln erlangt werden, und zwar durch vertragliche Regelwerke. So bildeten sich rechtliche Instrumente der Risikostreuung und Netze von Banken, die schon im Mittelalter ein internationales Kredit- und Zahlungswesen mit eigenen Sanktionsmechanismen ermöglichten, das aber auch mit großen Risiken verbunden war, vor allem wenn Banken die Kriege von Herrschern finanzierten und von deren Erfolg oder Misserfolg abhängig wurden.

Wirtschaftliche Freiheit als Königsweg zum Wohlstand des Massen

Als es noch keinen Staat im heutigen Sinne gab, der diese Instrumente von oben her mit Zwangsgewalt der Gesellschaft überzustülpen vermochte, waren die wirtschaftlich erfolgreichsten Regionen genau jene, in denen der Staat nicht – wie z.B. im Spanien Philipps II. – jede wirtschaftliche Initiative und Innovation durch Dirigismus von oben abwürgte, sondern jene – wie England und Holland –, in denen die Gesellschaft d.h. initiative Unternehmer die Organisation der Wirtschaft selbst in die Hand nahmen. England und Holland konnten gerade deshalb zu Handelsgroßmächten werden, weil ihnen der Staat die Freiheit ließ, Strukturen für Handel und Gewerbe zu entwickeln, die sich nach den Bedürfnissen des Marktes und nicht nach jenen der Politik richteten.

Allerdings war der wirtschaftlich erfolgreiche Handelskapitalismus der frühen Neuzeit keineswegs gänzlich „staatsfrei“. Am erfolgreichsten waren – insbesondere im Habsburgerreich – jene Akteure, denen es gelang, staatliche Regalien – etwa zum Abbau von Kupfer, Silber, oder Salz – exklusiv zu erwerben und dadurch zu Monopolisten zu werden. Solch staatlich erzeugten Monopolstellungen wurden von damaligen Moraltheologen, die sich intensiv mit Wirtschaftsfragen beschäftigten und damit zu Pionieren in der Ausbildung des Verständnisses einer marktwirtschaftlich-kapitalistischen Gesellschaft wurden, scharf als ungerecht kritisiert.

Sicher ist jedoch, dass der immense Erfolg des Industriekapitalismus des 19. Jahrhunderts der großen unternehmerischen Freiheit zu verdanken ist, die zu Innovation und Kapitalakkumulation führte und damit die Grundlagen für den modernen Massenwohlstand legte. Auch wenn es durch die Einwirkung der Politik – und von Politikern bewusst intendiert – gegen Ende des 19. Jahrhunderts sowohl in Europa wie auch in den USA zu mächtigen Konzentrationsprozessen und Kartellbildungen kam, blieb der eigentliche Motor der Entwicklung das freie und innovative Unternehmertum, das sich auf dem Boden staatlich gesicherter Eigentumsrechte entwickeln konnte.

Chinas Staatskapitalismus: Ein alternatives Erfolgsmodell?

Dagegen wird heute oft das Beispiel des chinesischen Staatskapitalismus angeführt. Dieser scheint der Ansicht, eine freie Wirtschaft – also Marktwirtschaft – und kapitalistisches Unternehmertum würden sich gegenseitig bedingen, Lügen zu strafen. Die großen Staatsunternehmen, die sogenannten state-owned enterprises (SOEs), scheinen hier zu dominieren und ein alternatives Modell zu bieten: Staatskapitalismus und kontrollierte Gesellschaft.

Allerdings sind, wie Arthur R. Kroeber in seinem Buch China’s Economy. What Everyone Needs to Know (2016) schreibt, für den Wirtschaftsaufschwung und vor allem den großen Produktivitätsfortschritt der letzten Jahrzehnte, gerade nicht der Sektor der SOE verantwortlich. Kroeber zeigt: Weil private chinesische Firmen dem Wettbewerbsdruck ungleich stärker ausgesetzt sind als Firmen im Staatsbesitz, arbeiteten sie bei weitem profitabler. In Wirklichkeit sind es also gerade die nicht staatskapitalistisch organisierten Sektoren der chinesischen Wirtschaft, die für das chinesische Wirtschaftswunder das Hauptverdienst tragen. Damit wäre klar: Chinas Staatskapitalismus ist kein alternatives Modell, sondern eher ein Beweis für die Überlegenheit des marktwirtschaftlichen Kapitalismus, der auf wirtschaftlicher Freiheit und Rechtssicherheit beruht.

China provoziert uns auch zu der Frage, wie weit eine freie Wirtschaft auch politische Freiheit zur Voraussetzung hat. Ein politisches System, das vor allem die Kontrolle über die Gesellschaft und deshalb auch über die Wirtschaft behalten will, scheint nicht nur einer gesunden wirtschaftlichen Entwicklung entgegenzulaufen, sondern auf lange Sicht auch deren psychologische Voraussetzungen zu untergraben. Wie Daron Acemoglu und James Robinson in ihrem Buch Why Nations Fail: The Origins of Power, Prosperity and Poverty (2012) argumentieren, ist China, was sein politisches System anbelangt, Musterbeispiel eines „extraktiven“ Systems, das, sofern es eben gerade staatszentriert ist, durch seinen Mangel an freiheitlichen Institutionen eine staats- bzw. parteinahe Elite privilegiert, nicht integrativ wirkt und deshalb längerfristig sowohl politisch wie auch wirtschaftlich scheitern muss.

Wirtschaftliche und politische Freiheit gehören zusammen

Politisch-gesellschaftliche Freiheit und die auf wirtschaftlicher Freiheit beruhende Marktwirtschaft scheinen also untrennbar zusammenzugehören. Können dafür auch theoretische Gründe angeführt werden? Einer und vielleicht der wichtigste Grund besteht darin, dass freie Marktwirtschaft sich nicht in einem Top-down-Prozess, also von oben herab kontrollieren oder gar organisieren lässt. Ein solcher Konstruktivismus – wie er etwa von Friedrich August von Hayek kritisiert wurde – widerspricht der Logik unternehmerischen Handelns, auf dem der Erfolg jeglicher Marktwirtschaft und damit einer freien Wirtschaft beruht.

Zweitens bedarf es für Wertschöpfung und dauerhafte Innovation der Akkumulation großer Kapitalien, die privater Verfügungs- und Entscheidungsgewalt unterstehen. Solch akkumuliertes Kapital bildet naturgemäß eine Gegenmacht zum Staat und entzieht sich insofern auch seiner Kontrolle. Gegenmacht soll es nicht im Sinne politischer Einflussnahme sein, sondern als Limitierung der Politik, sprich: als Begrenzung staatlicher Verfügungsgewalt über die Gesellschaft und die Freiheit seiner Bürger sowie als Grenze für die Gestaltungsmöglichkeiten der Politik generell.

Der Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Freiheit und der Begrenzung staatlicher Regierungsmacht wird in der angelsächsischen Welt limited government genannt. Wir sprechen auch von Konstitutionalismus, von rule of law, und –weniger präzise – von Rechtsstaatlichkeit. Gemeint ist damit ein Programm, gemäß dem Regierungsgewalt, damit sie legitim ist, durch Recht und Gesetz begrenzt ist, ja jede staatliche Gewalt durch entsprechende rechtlich-institutionelle Gegengewalt kontrolliert und eingeschränkt wird.

Es scheint klar, dass eine freie Wirtschaft ohne limited government nicht bestehen kann. Die Frage ist nun aber: Braucht es dafür Demokratie?

Braucht es für wirtschaftliche und politische Freiheit Demokratie?

Historisch gesehen hat die den klassischen, politischen Liberalismus kennzeichnende Regierungsform des limited government nichts mit Demokratie zu tun. Und in einigen Fällen haben sich freie Marktwirtschaften auch in autoritären Staaten bzw. Diktaturen ausbilden können; falls sie allerdings erfolgreich und von Dauer waren, entwickelten sich diese Staaten zu Demokratien (wie beispielsweise Chile). Die Liberalen des 19. Jahrhunderts waren keine Verfechter von Demokratie, das waren damals die sogenannten Radikalen. Demokratie war in liberaler Sicht, klassisch formuliert von Alexis de Tocqueville, oft als Gegensatz zu Freiheit gesehen worden. Denn Demokratie selbst kennt die Gefahr der Diktatur der Mehrheit.

Die Frage ist, ob demokratische Willensbildung Grenzen kennt oder ihr im Interesse der Freiheit Grenzen gesetzt werden können. Eine weitere Frage ist, inwiefern politische Freiheit auf lange Sicht ohne Demokratie überhaupt erhalten werden kann, ohne zur Diktatur einer vermögenden und gebildeten Elite zu werden. Ist Demokratie vielleicht gar ein Mittel zur Begrenzung der Macht des Staates und damit der Freiheitssicherung?

Was wir heute unter „Demokratie“ verstehen, bedeutet nicht einfach „Volksherrschaft“ oder „Herrschaft der Mehrheit“. Heutige westliche Demokratien sind komplexe Gebilde und Ergebnis einer ebenso komplexen historischen Evolution. Heutige Demokratien sind repräsentative, parlamentarische Regierungssysteme konstitutioneller Art, eingebunden in einen Rechtsstaat und noch mehr: sie gründen auf dem Schutz einklagbarer individueller Freiheitsrechte und Minderheitenschutz. Ein allgemeines Wahlrecht ist erst am Ende des geschichtlichen Prozesses hinzugekommen. Unsere Demokratien sind also zuerst einmal Verfassungsstaaten, d.h. rechtlich eingeschränkte Regierungsformen – im Sinne von limited government –, in denen das demokratische Prinzip nur bedingt und unter der Kontrolle der Herrschaft des Rechts und Teilung der Gewalten zur Wirkung gelangt. Sie sind Mischsysteme – gar nicht unähnlich dem, was man in Aristotelischer Tradition und im Mittelalter regimen conmixtum nannte.

Demokratie sichert den Rechtsstaat, kann aber auch zur Bedrohung für Freiheit und Wohlstand werden

Wenn wir eine solche Regierungsform als „Demokratie“ bezeichnen, dann scheint klar, dass sie für eine freie Wirtschaft förderlich, ja gerade notwendig ist, da diese Form von Demokratie jene Voraussetzungen garantiert, die wirtschaftliche Freiheit ermöglichen. Denn unter solchen Bedingungen sichert gerade das demokratische Prinzip wiederum die Aufrechterhaltung des Rechtsstaatsprinzips. Es schützt die Freiheit der Mehrheit gegenüber machtvollen Eliten und verhindert, dass das Recht zum Spielball einer gesellschaftlichen Gruppe wird.

Anderseits ist aber auch nicht zu leugnen, dass gerade das demokratische Mehrheitsprinzip mit dem Schutz von Minderheiten, und generell mit der Freiheit des Individuums, kleinerer gesellschaftlicher Gruppen und Subsysteme in Spannung steht und sie bedrohen kann. Insbesondere neigen Mehrheits- bzw. Volksentscheide aufgrund des oft dominanten Einflusses organisierter Gruppeninteressen dazu, die für wirtschaftliche Wertschöpfung und damit die Erzeugung von Wohlstand unabdingbare unternehmerische Freiheit zu behindern oder gar erheblich einzuschränken sowie für eine interventionistische Politik zu plädieren, die letztlich für alle schädlich ist. Wie Brian Kaplan in seinem Buch The Myth of the Rational Voter. Why Democracies Choose Bad Politics (2007) im Falle der USA gezeigt hat, entscheidet der Stimmbürger in ökonomischen Fragen in der Regel gegen seine Interessen, weil er die wirtschaftlichen Zusammenhänge nicht versteht und von ökonomisch unrealistischen Versprechungen von Politikern in die Irre geführt bzw. verführt wird.

Fazit: Demokratie, Rechtsstaat und eine freie Gesellschaft bedingen sich gegenseitig

Es scheint auf die Frage, ob für wirtschaftliche und politische Freiheit Demokratie nötig ist, keine eindeutige Antwort zu geben. Das Beste für eine liberale Wirtschaftsordnung und damit für die Erzeugung breiten Wohlstands und die Erhaltung bürgerlicher Freiheit ist ein System, das die Nachteile des demokratischen Prinzips minimiert, und zwar durch Dezentralisierung, Föderalismus, rechtsstaatliche Kontrolle, und vor allem: durch klare, verfassungsmäßige Beschränkung der Staatsaufgaben. Und das gleichzeitig die Legitimität demokratischer Institutionen und Prozesse durch deren klare Bindung an Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit stärkt, insbesondere im Bereich des Eigentumsschutzes und der Freiheitsrechte.

Ein auf die strikt notwendigen Staatsaufgaben sich beschränkender schlanker, aber in der Durchsetzung des Rechts starker Staat, ist die Grundvoraussetzung dafür, dass eine innovative freie Wirtschaft ihr ganzes wertschöpfendes Potential im Dienste des Gemeinwohls entfalten kann. Davon sind wir aber weit entfernt, ja es erscheint angesichts des heutigen Zeitgeistes geradezu als Utopie. Man darf aber auch darauf hoffen, dass einmal andere Zeiten anbrechen werde, in denen der Sinn für wirtschaftliche Freiheit, ohne die es letztlich auch keine politische Freiheit geben kann, wieder wach wird.

Dieser Text ist die leicht erweiterte Fassung eines Diskussionsstatements bei dem Symposium „Welche Zukunft hat die liberale Gesellschaftsordnung? Und was folgt geopolitisch daraus?“ des Flossbach von Storch Research Institute (Köln) vom 22. 11. 2018, in der Villa Rothschild, Königstein im Taunus.

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