Die europäischen Klassiker gehören zum festen Bühnenprogramm. Schiller, Goethe, Danton, Shakespeare etc. werden in immer neuen Interpretationen rauf und runter gespielt. Auch Max Frisch ist dabei. Am liebsten jedoch führt man auf deutschen Bühnen mit Dürrenmatts „Der Besuch der alten Dame“ das Bürgertum als gierige Geizhälse vor. Merkwürdig ist: Ein wichtiges Werk des Schweizer Dramatikers Max Frisch, das 1958 am Schauspielhaus Zürich uraufgeführt wurde, fehlt heute weitgehend. „Biedermann und die Brandstifter“ wird gemieden. Aus gutem Grund. Nicht wenige Theatergänger könnten ins Grübeln kommen und sich fragen, ob sie auch diejenigen sind, die den Brandstiftern noch die Streichhölzer reichen. Ob die „geistigen Brandstifter“, die stets nur rechts vermutet werden, nicht auch im grünen oder tiefroten Gewandt die Benzinfässer ins Gesellschaftshaus schaffen.
Wer der woken Umgestaltung der Gesellschaft nicht klar widerspricht, macht sich indirekt mit ihr gemein. Irgendwie nur „Mitte“ sein zu wollen, führt erst zu Profillosigkeit – und dann zum politischen Schleudertrauma.
Die neue Demokratie; Herrschaft der Minderheit
Dieses deutsche Haus muss man sich als Wohnblock vorstellen, in dem sich klassische Mittelstandsfamilien gemütlich eingerichtet haben. Doch einer der Eigentümer vermietet die kleine Dachgeschosswohnung an eine Wohngemeinschaft, die sich nach und nach von den frohgemuten Links-Alternativ zu autoritären Bevormundern wandeln. Immer offensiver stellen die Langzeitstudenten ihre Haltung nicht nur zur Schau, sondern wollen das ganze Haus in ein diverses Welcome-Center umfunktionieren. Die Regenbogenfahne hängt groß vom Balkon und verdeckt sogar die Solarplatten, die das schöne Holzgeländer verschandeln.
Gartentor und Eingangstüre sind entriegelt. Stattdessen ist dort in großen bunten Lettern zu lesen: „Refugees wellcome“. Im Garten, für den das Bauamt die dringend notwendige Erweiterung verweigert hat, wird über Nacht ein Container für Flüchtlinge aufgestellt und von der Polizei geschützt. Die Bismarck-Straße soll nach einem afrikanischen Asylbewerber umbenannt werden. Wer sich dagegen wehrt, wird als Rassist, Ausländerfeind oder gleich als Nazi beschimpft. Die Meiers und Müllers, wo sich die Mütter „nur“ um die Familie kümmern und die Töchter gesittet zur Schule gehen, stehen ohnehin unter Rechts-Verdacht. Denn „Nazi“ ist in Deutschland mittlerweile alles, was sich dem woken Zeitgeist verweigert.
Der Rest des Hauses ist zwar in der Mehrheit, murrt vernehmlich und wählt im Geheimen zunehmend Rechts. Letztlich aber kuscht sie vor der moralischen Überheblichkeit der Minderheit, die mittlerweile wortgewaltige Unterstützer gefunden hat. Plötzlich hat man den Eindruck, nichts sei den Menschen wichtiger als Klimaschutz, Flüchtlingsaufnahme und die bunte LBGT*-Community. Kirchen, Naturschutzvereine, Stiftungen und sogar die Stadtverwaltung stellen Räume und Geld zur Verfügung. So wird aus der kleinen WG nach und nach eine machtvolle Gruppierung, deren woke Lebensauffassung sich mit jedem Tag ein Stückchen weiter in die Dorfgemeinschaft frisst. Die Minderheit erklärt sich zur Mehrheit und nennt dies Demokratie. Also ist, wer gegen die Bevormundung aufmuckt, ein Anti-Demokrat, der insgeheim mit den „Nazis der AfD sympathisiert“. Die Faschismuskeule wirkt und macht gefügig.
Linke Diskurshoheit und bürgerliches Duckmäusertum
Elisabeth Noelle-Neumann, die Begründerin der deutschen Meinungsforschung, hat diese Phänomen bereits 1976 als „Schweigespirale“ entschlüsselt. Danach zählt die Gefallsucht zur Tugend der bürgerlichen Mitte. Nur ja nicht anecken und dem Zeitgeist widersprechen. Vor fünfzig Jahren erklärte die „Seherin vom Bodensee“ damit, warum Helmut Kohl bei Wahlen zwar klare Mehrheiten gewann, in der medialen Wahrnehmung aber meist nur als „Pfälzer Birne“ verspottet wurde und irgendwie als illegitimer Kanzler galt: Seine Anhänger trauten sich bald nicht mehr, sich offen zu ihm zu bekennen. Eine linke Minderheit setzte die Themen und verteilte Haltungsnoten. Vor allem in den Medien.
An diesem Duckmäusertum leidet die sogenannte bürgerliche Mitte bis heute. Abzulesen an Christdemokraten, die bei Bedarf auch gerne mit den Grünen koalieren. Hendrik Wüst in Nordrhein-Westfalen etwa, der zusammen mit seinem Ministerpräsidenten-Kollegen in Kiel am liebsten alles Konservative aus der CDU-Programmatik ächten möchte, um Parteichef Friedrich Merz zu schwächen. Der unbeliebte Sauerländer sollte sich zum nächsten Parteitag mit einer Sondervorstellung von „Biedermann und die Brandstifter“ revanchieren.
Vielleicht dämmert dann dem ein oder anderen Christdemokraten, dass auch in der Politik die Kernthese des Sozialpsychologen Paul Watzlawick gilt: Es gibt keine Nicht-Kommunikation. Wer der woken Umgestaltung der Gesellschaft nicht klar widerspricht, macht sich indirekt mit ihr gemein. Irgendwie nur „Mitte“ sein zu wollen, führt erst zu Profillosigkeit – und dann zum politischen Schleudertrauma, wie es die CDU gerade erlebt. Kaum besinnt sich ein führendes Mitglied zu nationalen Interessen und fordert Leistung statt Hängematte, schon meldet sich ein Gottlieb Biedermann zu Wort, der von Gefallsucht getrieben getreu linker Losung enge Brandmauern gegen das Unsagbare zieht und das eigene Führungspersonal der rechten Abweichung bezichtigt. Anschauungsunterricht dafür bietet auch Markus Söder, der im Landtagswahlkampf zwar die grüne Wokeness in Dauerschleife verhöhnt hat; zugleich aber zum Christopher-Street-Day einen queeren Aktionsplan seiner CSU-geführten Staatsregierung ankündigt und Angela Merkel mit den Bayerischen Verdienstorden auszeichnet. Also die Kanzlerin, die sein Vorgänger Horst Seehofer in der Flüchtlingskrise 2015 indirekt noch als Herrscherin des Unrechts abgewatscht hatte. Trefflich ließe sich nach diesem Schauspiel debattieren, wer Biedermann und wer Brandstifter war und ist.
Woke Biedermänner im Verbund mit Islamisten
Geradezu zwingend aber wären Aufführungen im linken politischen Lager. Anlässe gibt es genug. Auch prominente, wie den Tagesschau-Sprecher Constantin Schreiber, der als profunder Islamkenner sich nicht mehr zum Islam äußern will, nachdem er massiv bedroht wurde. Oder Ahmad Mansour, der seit Jahren ebenfalls unerschrocken die Gefahren des politischen Islamismus benennt – und sich kürzlich mal wieder einer Rufmordkampagne ausgesetzt sah. Die aktuelle Diffamierung nahm ihren Ausgang in einem in Großbritannien erscheinenden muslimischen Magazin, das den in Berlin lebenden Psycholigen der Lüge und Täuschung bezichtigt. Was wiederum in Deutschland von den Verfechtern einer heilen Multi-Kulti-Welt mit der üblichen Häme aufgegriffen wird.
Die Süddeutschen Zeitung (SZ) hat sich die Mühe gemacht, die Spur des Geldes zu verfolgen – und sieht die Finanzierungsquelle des Magazins in Katar. Das heißt: Grüne, Teile der SPD und natürlich die Linkspartei, die Kritik am politischen Islamismus als Rassismus umdeuten und staatlich finanzierte Programme gegen „Islamphobie“ auflegen, geben sich als willige Handlanger eines Landes, das keines ihrer woken Positionen auch nur in Ansätzen teilt. Im Gegenteil: Katar verfolgt Homosexualität und finanziert einen antiliberalen, autoritären bis gewalttätigen Islamismus auch in Europa. Die selbst ernannten „Anti-Rassisten“, die jede Fehlentwicklung der offenen Migrationspolitik leugnen oder sogar gutheißen, weil sie alles Deutsche hassen, reichen den Brandstiftern also nicht nur die Streichhölzer, sondern helfen auch noch dabei, die Benzinfässer ins Haus zu schleppen und vor der Polizei zu verstecken.
Empfehlung zur Unterwerfung
Ihre politische Schizophrenie wird ihnen selbst dann nicht bewusst, „wenn Multikulti baden geht“, wie die FAZ die Gewaltexzesse in deutschen Freibädern in diesem Sommer kommentiert. Es sei bizarr: „Auf der einen Seite kämpfen vor allem linke Kreise für das Recht der Frauen, auch ohne oben zu baden, auf der anderen Seite verschließen sie die Augen vor den Problemen mit Milieus, in denen Frauen schon im Bikini als Freiwild gelten und es Mädchen verboten wird, schwimmen zu gehen.“ In der SZ wird um Verständnis dafür geworben, dass von konservativen Gesellschaften wie Syrern es als obszön empfunden werden könne, wenn Frauen am Eis schlecken, das phallisch geformt sei.
So weit reicht die Empfehlung zur Unterwerfung schon, die der französische Autor Michel Houellebecq in seinem gleichnamigen Roman 2015 vorhergesagt hat. Auch er wird auf deutschen Bühnen gemieden. Umso dringlicher wäre eine Renaissance für Max Frisch. Als Lehrstück, wie eine opportunistische Geisteshaltung und eine verdorbene Sprache der Technik des Totalitären zum Erfolg verhelfen. Vielleicht schafft es der Schweizer auf die Spielpläne, wenn nur der Titel gendergerecht aktualisiert wird: Von Biederpersonen und Brandstiftenden. Das müsste reichen.
Dieser Artikel ist unter dem Titel in einer kürzeren Fassung am 01.08.2023 in der Neuen Zürcher Zeitung erschienen.