„Wir erleben die größte Umverteilung in Friedenszeiten in Europa“: Interview mit Thorsten Polleit

Während das Wirtschaftswachstum für Erleichterung an den Finanzmärkten und in der Politik sorgt, warnen einige Ökonomen schon vor der nächsten Krise. Der Grund: Die Zinsen sind nach wie vor niedrig und die Verschuldung wächst weiter. In der Euro-Zone sind vor allem die Südstaaten hochverschuldet. Die Europäische Zentralbank versucht die Finanz- und Schuldenkrise durch einen gigantischen Vermögenstransfer zulasten der Steuerzahler in den nördlichen Ländern in den Griff zu bekommen.

Das Austrian Institute hat mit dem deutschen Ökonomen und Buchautor Thorsten Polleit über die gegenwärtige Geldpolitik und ihre zu erwartenden Folgen gesprochen. Polleit macht im Gespräch auf die oft unbeachteten Konsequenzen des schuldenbasierten Wirtschaftswachstums, der Zinsmanipulation und der anhaltenden Geldemission aufmerksam. Gleichzeitig sieht Thorsten Polleit erste Anzeichen für einen Währungswettbewerb, den er als jahrelanger Kritiker des ungedeckten Staatsgeldes ausdrücklich befürwortet.

 

Austrian Institute: Folgt man den Medienberichten, so scheint rund zehn Jahre nach der Finanzkrise die Welt wieder in Ordnung zu sein: Die Wirtschaft läuft an, auf den Finanzmärkten ist Ruhe eingekehrt. Teilen Sie diese optimistische Einschätzung?

Thorsten Polleit: Gemäß den offiziellen Daten haben die Konjunkturen in den vergangenen Jahren wieder angezogen. Produktion und Beschäftigung haben zugenommen. Die USA waren Vorreiter, Japan und der Euro-Raum ziehen nun nach. Unzweifelhaft erleben wir eine Aufschwungsbewegung in der Weltwirtschaft. Nur wie ist die zustande gekommen? Die Zentralbanken haben die Zinsen auf den Kreditmärkten nach unten manipuliert. Dadurch sind nicht nur die Kreditkosten gesunken, sondern auch die Schuldenlage vieler Schuldner hat sich verbessert. Das Verschuldungskarussell dreht sich allerdings weltweit munter weiter. Zwei Zahlen hierzu: Ende 2007 lag die Verschuldung aller privaten und öffentlichen Haushalte bei 212 Prozent des Weltbruttoinlandsprodukts. Ende 2016 lag sie bei 265 Prozent. Es wurden also noch mehr Schulden gemacht. Das treibt zwar die Konjunkturen an, aber nur kurzfristig.

Ein schuldenbasiertes Wachstum kann aus Ihrer Sicht nicht nachhaltig sein?

Polleit: Das kann man mit Blick auf die Bauweise unseres Geldsystems so sagen. Dazu muss man wissen, dass das Geld im Wesentlichen durch die Vergabe von Bankkrediten geschafft wird. Zentralbanken senken die Zinsen künstlich ab. In der Folge entstehen übermäßige Verschuldungsanreize. Durch die Kreditvergabe wird „aus dem Nichts“ geschaffenes neues Geld in Umlauf gebracht. Anfangs entsteht dadurch in der Regel eine konjunkturelle Aufschwungsbewegung, die begleitet ist von Aktienkurs- und Häuserpreissteigerungen. Aber früher oder später folgt der Einbruch.

Künstliche niedrige Zinsen bewirken Fehlinvestitionen und Umverteilung

Nach der Einführung des Euro sanken die Zinssätze in vielen Südstaaten. Privatpersonen und Regierungen mussten nun weniger Zinsen für ihre Schulden bezahlen. Heute sieht man in Spanien, aber auch andernorts, zahlreiche leerstehende Siedlungen. Sind die Fehlinvestitionen in der Baubranche auf die niedrigen Zinsen zurückzuführen?

Polleit: Als der Euro eingeführt wurde, eröffnete sich für viele Länder ein neues Regime. In vielen Ländern gingen die Kreditkosten stark zurück. Ein Verschuldungsboom vor allem in den Euro-Südländern war die Folge. Gerade Unternehmen in der Baubranche wurden durch die künstlich niedrigen Zinsen zu Investitionen motiviert. Die verzerrten Zinsen ließen sie jedoch an der Nachfrage vorbei produzieren, teils auch ganz einfach zu viel produzieren. Am Ende sieht man überall Bauruinen, die Zeugen eines enormen Kapitalverzehrs.

Sie halten niedrige Zinsen für schädlich?

Polleit: Über den Konjunkturzyklus hinweg führt eine Zinsmanipulation immer zu Kapitalfehlakkumulation. Die Volkswirtschaft prosperiert nicht in dem Maße, in dem sie könnte. Sie bleibt hinter ihren Möglichkeiten zurück. Das künstliche Herabdrücken des Zinses löst zudem Umverteilungswirkungen aus. Es gibt einige in der Volkswirtschaft, die davon profitieren, und andere, die dadurch schlechter gestellt werden.

Der europäische Zinssatz der Europäischen Zentralbank (EZB) beträgt null. Nun könnte man sagen: Heben wir den Leitzins doch wieder an! Trotz der besseren Wirtschaftsdaten schreckt die EZB aber davor zurück. Würde eine Anhebung des Zinses Staaten und Banken vor ernstzunehmende Probleme stellen?

Polleit: Genau. Das Ganze funktioniert nur, wenn der Zins immer weiter nach unten gedrückt wird, wie es zurzeit geschieht. Immer dann, wenn ein Boom, den die Zentralbanken angezettelt haben, in einen Bust umzuschlagen droht, werden Rufe nach weiteren Zinssenkungen der Zentralbanken laut. Durch den niedrigen Zins erleichtert man den Schuldendienst für die Kreditnehmer. Bei einer Anhebung des Zinses leidet natürlich die Konjunktur, viele Schuldner heben die Hand, und Pleiten und Zahlungsausfälle sind die Folge. Dagegen regt sich dann öffentlicher Widerstand.

„Der Kern des Problems ist das ungedeckte Geldsystem“

Dieses Problem betrifft nicht nur den Euro-Raum.

Polleit: Alle Währungen – ob US-Dollar, Euro, chinesischer Renminbi, Schweizer Franken, Britisches Pfund – stellen ungedecktes Papiergeld dar, manche bezeichnen es auch als Fiat-Geld*. Sie alle leiden unter denselben Problemen. Zurzeit heben die Amerikaner langsam den Zins an. Doch steigen dort die Zinsen zu stark, wird der Boom wieder in einen Bust umkippen. So wie 2007, als die Federal Reserve Bank den Zins in der Spitze auf 5,25 Prozent angehoben hat. Dann stoppte der Kreditstrom und der Kreditzyklus kollabierte.

*„Fiat-Geld“ (engl. „fiat money“): vom Englischen „fiat“ = „Dekret“, „Erlass“, „Befehl“, „Anordnung“. „Fiat-Geld“ ist also „dekretiertes Geld“, das durch den Willen des Staates bzw. durch Gesetz geschaffen wird. Es besitzt keinen inneren Wert. Fiat-Geld unterscheidet sich vom „Warengeld“, das auf realen Werten wie z.B. Edelmetallen (Gold, Silber) beruht. Auch hier kann es Papiergeld (Banknoten) geben, dieses ist dann aber durch reale Werte gedeckt und damit limitiert.

Eine wichtige Schlussfolgerung der Finanzkrise war ja: Banken brauchen mehr Eigenkapital. Darauf hat man mit der Finanzmarktregulierung Basel III reagiert. Hat das gefruchtet?

Polleit: Mit Basel III will man die Eigenkapital-Decke erhöhen. Den Banken soll zudem das Verhältnis zwischen Schulden und Eigenkapital und die Höhe der Liquiditätshaltung vorgegeben werden. Ich habe jedoch Zweifel, ob dadurch künftige Krisen abgewendet werden können. Man kann die Handlungsmöglichkeiten der Banken zwar einengen, aber den Kern des Problems – und das ist das ungedeckte Geldsystem – löst man damit nicht. Die Volkswirtschaften werden wieder in den Zyklus von Boom und Bust hineingezogen.

Im Euro-Raum findet eine riesige Schuldentwertung statt

Zur Verschuldung: Einige Ökonomen meinen, Griechenland und Italien können ihr Verschuldungsproblem nicht in den Griff bekommen, solange sie im Euro sind.

Polleit: Im Euro-Raum wird die Schuldenentwertung bereits durchgeführt. Die Zinsen liegen in vielen Laufzeitbereichen auf null, abzüglich der laufenden Inflation sind sie negativ. Das senkt die realen Schuldenlasten – auf Kosten der Gläubiger. Hie und da werden auch nachrangige Bankschuldverschreibungen gestrichen, wie jüngst bei den italienischen Banken Banca Popolare di Vicenza (BPVI) und Veneto Banca. Die Frage in vielen Ländern ist: Ist ihr Wirtschaftswachstum in den kommenden Jahren stark genug, um das Verhältnis zwischen Schulden und Wirtschaftsleistung abzubauen? Das ist gerade in Italien sehr unwahrscheinlich.

Die EZB versucht Schulden auch durch das sogenannte „quantitative easing“ (QE) von den Südstaaten abzutragen.

Polleit: QE bedeutet mengenmäßige Lockerung der Geldpolitik. Die Zentralbank kauft Schuldverschreibungen und bezahlt die Verkäufer der Papiere mit aus dem Nichts geschaffenem Geld. Das ist eine Monetisierung der Staatsschulden. Mit den Anleihekäufen kontrolliert die EZB auch die Langzeitzinsen. Sie kann nunmehr jede Rendite, die sie als sinnvoll erachtet, im Kapitalmarkt festsetzen. Derzeit sind etwa 10.000 Milliarden Euro an Staatsschulden im Euro-Raum ausstehend. Die EZB kann – und wird wohl – diese Summe schrittweise aufkaufen. Wenn die Schulden fällig werden – beispielsweise italienische Staatsanleihen –, dann können sie zu einem Zins von nahe null Prozent refinanziert werden.

Die entstehenden Schuldenpapiere sind unverzinst und unbefristet. Was wären solche Schuldenpapiere in der Privatwirtschaft wert?

Polleit: Die Antwort liegt auf der Hand. Was würden Sie bevorzugen: 100 Euro in bar oder eine Staatsanleihe in Höhe von 100 Euro, die keinen Coupon hat und eine unendliche Laufzeit? Wer bei Sinnen ist, wird natürlich die 100 Euro bar wählen – und nicht den „Zero-Bond“ mit unendlicher Laufzeit.

Die Banco de España und andere saugen die Staatspapiere zurück, um sich gegenüber privaten Gläubigern zu entschulden. Doch diese Schulden – die sog. Target-2-Salden – übernimmt großteils die Deutsche Bundesbank.

Polleit: Letztlich der deutsche Steuerzahler.

„Ein privater Bankmanager müsste mit rechtlichen Konsequenzen rechnen“

Bis heute ist unklar wann und wie Deutschland das Geld je wieder zurückerhalten wird. Sollten Italien oder Spanien aus dem Euro fallen, dürfte Deutschland das Geld definitiv nicht mehr bekommen. Wird Deutschland mit der Zeit erpressbar?

Polleit: Target-2-Salden entstehen vor allem durch Kapitalflucht aus den Problemländern Spanien, Italien und anderen. Die Bankkunden dort überweisen ihr Geld auf Konten, die sie bei deutschen Banken halten. Weil die südlichen Banken nicht genug Geld für die Überweisungen haben, springt die EZB ein und schafft für sie neue Euro. Die Bundesbank weist sie als Forderung an das Euro-System aus – als sogenannte Target-2-Salden. Mittlerweile hat die Bundesbank rund 880 Milliarden Euro an Forderungen gegenüber den Südstaaten. Wenn diese Länder aus dem Euro aussteigen würden, stellt sich in der Tat die Frage: Welchen Wert haben diese Forderungen dann noch?

Wenn die Deutsche Bundesbank dieses Geld nicht mehr zurückbekommt, wird sie wohl für lange Zeit keine Gewinne mehr erzielen.

Polleit: Das gezeichnete Kapital der Bundesbank sind fünf Milliarden Euro. Hinzu kommt noch eine Gewinnrücklage in Höhe von knapp 115 Milliarden Euro. Sollte auch nur ein Teil der Rückzahlungen ausfallen, so ist die Bundesbank rasch auf Jahrzehnte nicht mehr in der Lage, Gewinne auszuschütten, die üblicherweise dem Bundeshaushalt zur Verfügung stehen. Fällt der Bundesbankgewinn aus, muss der deutsche Steuerbürger zahlen. Er ist es, der letztlich für die Target-2-Salden haftet.

Das sind bedenkliche Szenarien, gerade wenn man bedenkt, dass in 10 bis 15 Jahren die Babyboom-Generation in Pension gehen wird.

Polleit: Wenn sich ein privater Bankmanager so verhalten würde, wie die EZB, die Bundesbank oder die Politiker in Berlin, dann würde er vermutlich mit rechtlichen Konsequenzen zu rechnen haben. Würde man den Bürgern die Dinge unbeschönigt vor Augen führen, würde die jetzige Geldpolitik vermutlich keine Zustimmung finden: Der gewaltige Vermögenstransfer von Deutschland, den Niederlanden, Luxemburg, Finnland und Österreich in die Südländer ist eine heimliche Umverteilung, vermutlich die größte außerparlamentarische Umverteilung in Friedenszeiten in Europa.

Erste Anzeichen für einen Währungswettbewerb

Nun könnte man sagen: Kehren wir doch in die Zeit vor dem Euro zurück. Die Deutsche Bundesbank war ja die disziplinierteste aller Nationalbanken, vermutlich weil Deutschland aus den Erfahrungen der Weimarer Republik gelernt hat. Wäre eine Rückkehr zum D-Mark-Raum das Beste?

Polleit: Man muss sagen: Rückblickend war das D-Mark-Regime eine Ausnahme von der Regel. Es war eine relativ stabile ungedeckte Papierwährung. Eine Rückkehr zu vielen staatlichen Fiat-Währungen wäre zwar schon eine Verbesserung gegenüber der Situation, in der es nur eine staatliche Fiat-Währung gibt. Aber wenn die Menschen gutes Geld wollen, darf und kann die Geldproduktion nicht dem Staat überlassen werden, beziehungsweise sie kann aus ökonomischen und ethischen Erwägungen nicht akzeptiert werden.

Gibt es auch realistische Ausstiegsszenarien?

Polleit: Man kann nicht hoffen, über den politischen Prozess zu besserem Geld zu gelangen. Das kann nur der freie Markt, ein Währungswettbewerb leisten – eine Idee, die von Friedrich August von Hayek popularisiert wurde. Erfreulicherweise gibt es bereist erste Anzeichen dafür: das Aufkommen der Kryptowährungen. Sie stellen das staatliche Geldangebotsmonopol in Frage. Japan und Australien haben den Bitcoin, die bekannteste Kryptoeinheit, mittlerweile als Tauschmittel zugelassen. Das heißt: Der Bitcoin ist zumindest steuerlich nicht mehr benachteiligt gegenüber dem japanischen Yen und dem Australischen Dollar. Das scheint mir der richtige Weg zu sein. Menschen müssen die Freiheit haben, die Währung zu wählen, die ihren Zwecken am dienlichsten ist.

Der Euro wäre dann nicht mehr das einzige vorgeschriebene Zahlungsmittel.

Polleit: Ein erster Schritt wäre, wenn beispielsweise der Bitcoin als privates Geld angesehen und steuerlich dem Euro gleichgestellt würde. Das Ziel muss sein, dass es kein gesetzliches Zahlungsmittel mehr gibt.

Wie soll das gehen? Kann man innerhalb eines Staates verschiedene Währungen verwenden? Bitcoin ist nicht die einzige auf der Blockchain-Technologie basierende Währung.

Polleit: Es werden nicht alle heutigen Geld-Wettbewerber das Rennen machen. Die optimale Anzahl an Geldarten in einer Volkswirtschaft und auf der Welt ist nämlich eins. Wird nur ein Geld verwendet, entfalten sich die produktiven Kräfte des Geldes bestmöglich. Es ist folglich zu erwarten, dass es am Ende eines Währungswettbewerbs nur ganz wenige Tauschmittel gibt, vielleicht nur eines.

Das dürfte aber Ihnen zufolge keine staatliche Währung sein.

Polleit: Richtig. Eine staatliche Währung könnte sich meiner Ansicht nach in einem freien Markt für Geld auch gar nicht durchsetzen.

„In einem Nullzins-Umfeld ist Gold der beste Ersatz für Spareinlagen“

Welche Erwartungen haben Sie bezüglich der Zukunft des Geldsystems?

Polleit: Mit der Blockchaintechnologie gibt es die Möglichkeit, Gold oder Silber oder andere Edelmetalle zu digitalisieren. Aus meiner Sicht ist Gold perfektes Geld. Es hat alle physischen und ökonomischen Eigenschaften, die gutes Geld braucht: Es ist knapp, homogen, teilbar, tauschbar, haltbar, allgemein wertgeschätzt und hat einen relativ hohen Wert pro Gewichtseinheit. In der Währungsgeschichte haben wir es gesehen: Alle Güter, die um die Währungsfunktion im Wettbewerb standen, müssen diese Eigenschaften erfüllen. Gold und Silber erfüllen sie besonders gut. Heutzutage lässt sich zudem das Edelmetallgeld digitalisieren und für Zahlungszwecke einsetzen – etwa auf Basis der „Blockchain“-Technologie.

Empfehlen Sie allen Sparern sich auf Gold zu stützen?

Polleit: Wer sein Geld anlegt, der sollte den folgenden Gedanken anstellen: Einen Teil des Vermögens investiert man, und einen anderen Teil des Vermögens hält man in Form von liquiden Mitteln. Zu den letzteren gehören Währungen, einschließlich der „Währung Gold“. Gerade in einem Nullzins-Umfeld ist Gold der beste Ersatz für Spareinlagen.

Hohe Inflation macht den Währungsumstieg attraktiver

Gesetzt der Euro als verpflichtendes Zahlungsmittel fällt weg, rechnen Sie dann mit einem Währungsumstieg?

Polleit: Ja. Weil ein freies Marktgeld attraktiver sein wird als ein Fiat-Euro. Wenn die Inflationsraten dabei relativ tief sind, würde ein Umstieg vermutlich zeitlich gestreckt ablaufen. Das könnte übrigens auch die unweigerlich auftretenden Anpassungs- und Umverteilungskosten in Grenzen halten.

In Venezuela und Argentinien werden Bitcoins bereits von vielen Menschen verwendet. Bei starker Inflation scheinen die Menschen eher auf alternative Zahlungsmittel umzusteigen.

Polleit: Der Umstieg auf eine neue Währung ist mit Kosten verbunden. Man muss sich neu informieren und orientieren. Wer meint, mit der jetzigen Fiat-Währung wenig Kosten zu erleiden, hat wenige Anreize, auf eine neue Währung umzusteigen. Wenn hingegen die Inflation hoch ist und hohe Kosten verursacht, ist man eher bereit die Umstellungskosten zu akzeptieren.

„Staatsgeld trägt die freie Gesellschaft zu Grabe“

In Ihrem Buch „Geldreform: Vom schlechten Staatsgeld zum guten Marktgeld“ kritisieren Sie das staatliche Geld, weil der Staat permanent Geld aus dem Nichts schafft und so insgeheim Umverteilung schafft. Bei einem Wettbewerb der Währungen würde das wegfallen?

Polleit: Ein freier, wettbewerblicher Markt für Geld käme einer Entpolitisierung des Geldes gleich. Der Wettbewerb ist das wirksamste Entmachtungsinstrument. Letztlich geht es hier vor allem auch um unsere Freiheit. Wenn der Staat immer finanzkräftiger wird durch ungedecktes Papiergeld, erkauft er sich seine Gefolgschaft, macht immer mehr Menschen vom ihm abhängig. So gesehen trägt das staatliche, ungedeckte Papiergeld die freie Gesellschaft zu Grabe.

Ludwig von Mises hält Steuern für die fairste Form der Geldbeschaffung durch den Staat.

Polleit: Papiergeldemission ist verdeckte Besteuerung. Das ist eine ganz zentrale Einsicht. Daraus folgen sowohl ökonomische als auch ethische Probleme. Die ökonomischen Defizite kann man erläutern und erklären. Aber die vermutlich kommt die Überzeugungskraft letztlich von ethischen Argumenten, die offenlegen, wie sozial ungerecht das ungedeckte Papiergeldsystem ist.

Sie halten das jetzige Geldsystem für instabil. Wie lange wird es halten? Sind Prognosen seriös?

Polleit: Solange es das Fiat-Geld gibt, wird es auch Geldentwertung, Spekulationsblasen, Boom-und-Bust und eine sozial ungerechte Verteilung von Einkommen und Vermögen geben. Vor allem der Staat wird ungehemmt anwachsen zu Lasten der Freiheiten von Bürgern und Unternehmern. Mittlerweile bin ich zur Auffassung gelangt, dass sich das Fiat-Geld nicht von selbst erledigt, dass es sich nicht selbst zerstört. Dafür hat es bereits zu viele Menschen in seine Abhängigkeit gebracht. Der Weg zu besserem Geld kann nur über Einsicht, oder noch besser: marktwirtschaftliche, disruptive Kräfte führen. Sie scheinen nun aber in Gang gekommen zu sein: Die disruptive Kraft heißt technologischer Fortschritt, heißt Blockchain.

 

Prof. Dr. Thorsten Polleit, geboren 1967 in Münster, ist seit 2012 Chefökonom der Degussa Goldhandel GmbH und Präsident des Ludwig von Mises Instituts Deutschland. Seit 2014 wirkt er als Honorarprofessor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bayreuth. Gemeinsam mit Matthias Riechert gründete er die Polleit & Riechert Investment Management LLP.

Thorsten Polleit publiziert in zahlreichen Zeitungen, vor allem zu Fragen der Finanz- und Geldpolitik. Er ist Autor mehrerer Bücher. 2014 erschien im FinanzBuch Verlag die dritte Auflage des Buchs „Geldreform: Vom schlechten Staatsgeld zum guten Marktgeld“, das Polleit gemeinsam mit Michael von Prollius verfasst hat.

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