
Nicht weniger als ein „kleiner Bestseller“ könne der 146 Seiten umfassende Koalitionsvertrag werden, tönt Markus Söder gewohnt großspurig. Denn jeder Satz sei „Politik pur“ und daher von den Bürgern genau zu lesen. Wer sich also durch das Konvolut an teuren Versprechen und verschämter Reformverweigerung quält, stößt ab Zeile 3929 tatsächlich auf den Kern des Politikverständnisses, das CDU, CSU und SPD leitet und besorgt machen muss: „Die bewusste Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen ist durch die Meinungsfreiheit nicht gedeckt. Deshalb muss die staatsferne Medienaufsicht unter Wahrung der Meinungsfreiheit auf der Basis klarer gesetzlicher Vorgaben gegen Informationsmanipulationen sowie Hass und Hetze vorgehen können.“ Was harmlos klingt, kann man auch als Drohung verstehen: Seid vorsichtig mit Kritik!
Meinungsfreiheit kann sich nur entfalten, wo Informationsfreiheit herrscht. Nur mit umfassenden Informationen lässt sich Meinung vorurteilsfrei bilden. Das beinhaltet auch die zugespitzte Information in Form von Satire oder Polemik.
Schon fühlt man sich an die Trumps, Erdogans, Putins oder Orbans dieser Welt erinnert, die ebenso argumentieren. Was ihnen nicht passt, wird als „Fake News“ diffamiert. Wer deren Regierungsarbeit kritisiert, schürt angeblich Hass und Hetze. Noch werden in Deutschland Oppositionelle nicht eingesperrt und deren Organisationen verboten. Obwohl: Initiativen, die rechts-nationale AfD zu verbieten, gibt es bereits parteiübergreifend. Und das Amtsgericht Bamberg hat gerade den Chefredakteur des rechten „Deutschland Kurier“ zu sieben Monaten Haftstrafe auf Bewährung verurteilt, weil er eine Bildmontage der bisherigen Innenministerin Nancy Faeser (SPD) verbreitet hat mit der Aufschrift „Ich hasse die Meinungsfreiheit“. Die bayerischen Richter wollten darin keine erlaubte Satire, sondern unerlaubte Politikerbeleidigung erkennen.
Dieselben Juristen – Rolf Hochhuth würde sie wohl „furchtbar“ nennen – hatten bereits bei einem Rentner eine Hausdurchsuchung veranlasst, weil dieser den grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck plakativ als „Schwachkopf“ bezeichnet hat, was ihn wohl 6000 Euro Strafe kostet. In einer Reportage über die Online-Justiz in Deutschland dokumentiert der US-Sender CBS kürzlich, wie die Göttinger Zentralstelle zur Bekämpfung von Hasskriminalität Razzien mit bewaffneten Polizisten veranlasst und Beweismaterial (Handys, Computer) beschlagnahmt. Stolz verkünden die drei Staatsanwälte, dass sie 3500 Fälle pro Jahr verfolgen. Auch bloße Beleidigungen in der Öffentlichkeit würden natürlich entschlossen verfolgt. Die Strafe falle sogar tendenziell höher aus, wenn das in Sozialen Medien geschehe.
Freiheit des öffentlichen Diskurses unter Beschuss
Das alles lässt sich nicht als Provinzposse abtun. Es reiht sich vielmehr ein in eine ganze Reihe von Maßnahmen, die den Diskursraum einengen und das Recht auf freie Meinungsäußerung, wie sie im deutschen Verfassungsartikel 5 garantiert ist, untergraben:
- Angefangen hat es ab 2020 mit den rigiden Corona-Maßnahmen. Rasch wurden Kritiker als „Querdenker“ kriminalisiert, sobald sie dem rechten Lager zuzuordnen waren. Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken nannte sie öffentlich „Covidioten“. Unionsgranden wie Merz und Söder befürworteten Impfpflichten und strengste Ausgangssperren. Damals wurde die Erfahrung gemacht: Ist die Angst groß genug, akzeptiert die Mehrheit der Bürger nicht nur die Einschränkungen ihrer Freiheitsrechte. Sie fordert sie geradezu.
- Aus diesem Geist entwickelt die damalige Innenministerin Faeser das Delikt der „Delegitimierung des Staates“, um harsche Kritik an der Regierung auch dann zu unterbinden, wenn diese unterhalb der Strafbarkeitsschwelle liegt. Attestiert vom damaligen Präsidenten des Verfassungsschutzes. Thomas Haldenwang (CDU) fügte dieses Delikt ab 2021 zum „Phänomenbereich“ des Inlandsgeheimdienstes, woraus sich dann die spionage-ähnliche Beobachtung der AfD zum Verfassungsauftrag ableiten ließ.
- Ebenfalls seit 2021 wird der Paragraph 188 verschärft angewendet, der Beleidigungen von Politikern härter ahndet als Beleidigungen gewöhnlicher Bürger. Vor allem grüne Politiker wie Habeck oder Außenministerin Baerbock haben dieses Instrument hundertfach genutzt und zahlreiche Strafen erwirkt. Die AfD-Vorsitzende Alice Weidel als „Nazi-Schlampe“ zu beleidigen, wird hingegen, obwohl pure Verleumdung und Ehrverletzung, mit Hinweis auf die Meinungsfreiheit gedeckt.
- Nun will die neue schwarz-rote Regierung zusätzlich das Delikt der Volksverhetzung ausweiten. Dabei wurde an der Journalistin Anabel Schunke gerade vorexerziert, wie sich so unliebsame Meinungsäußerungen bereits heute verfolgen lassen. Sie hatte sich in einem Internet-Post Der Kontrast zwischen (noch funktionierendem) Rechtsstaat und den politischen Absichten der Regierung sollte ein Alarmzeichen sein.
- Den Hebel der Volksverhetzung wollen Union und SPD nun auch nutzen, um Mehrfachtätern das passive Wahlrecht zu entziehen. Das zielt auf Politiker wie den AfD-Rechtsaußen Björn Höcke, der bei einer neuerlichen Verschärfung des Straftatbestandes nicht mehr Ministerpräsident in Thüringen werden könnte.
- Genannt wird im Koalitionsvertrag auch ein schärferes Vorgehen gegen „Terrorismus und Antisemitismus“. Derweil sich die SPD dagegen stemmt, dass die Zuwanderung von islamischen Antisemiten aus dem arabischen Raum konsequent beschränkt wird. Denn just darin sieht die politische Linke wiederum Rassismus und Anti-Islamismus. Die selbst ernannten Demokratie-Schützer ahnden dies über Meldeportale – und werden nun weiterhin vom Staat finanziell unterstützt. Kaum geahndet werden hingegen radikale Tierschützer, die in Ställe eindringen, oder Klimaschützer, die Recht brechen. Auch hier bleiben CDU und CSU weit hinter ihren Wahlversprechen zurück. Sie verkehren sie geradezu.
Stärkung der Demokratie durch linke NGOs und Zensur?
Das alles geschieht im Koalitionsvertrag unter der Hauptüberschrift „Demokratie leben und stärken“. Hier wird nahezu nahtlos die grün-rote Agenda der Ampelregierung fortgesetzt. Links ist nicht zu Ende, wie die Wahlkämpfer Merz und Söder vollmundig angekündigt haben, sondern wird mit Programmen wie „Demokratie fördern“ dauerhaft subventioniert. Die Union merkt nicht einmal, dass auf diese Weise Nichtregierungs-Organisationen (NGO) systematischen alimentiert werden, die mit ihrem „Kampf gegen Rechts“ auch alles Nicht-Linke und Konservative im Visier haben. Auf Druck der SPD werden selbst fragwürdige Organisationen und Vereine wie die Amadeu-Antonio-Stiftung zu gesellschaftlichen Stützen erklärt und von den künftigen SPD-Ministerien gut versorgt. Von kritischer Überprüfung der Geldflüsse und Absichten, wie von CDU/CSU vor der Wahl mit 551 Fragen angekündigt, ist nun keine Rede mehr.
Bedenklicher als der konservative Opportunismus ist allerdings, dass alle Einwände von sensiblen Staatsrechtlern in den Wind geschlagen werden. Nicht nur Tatjana Hörnle, Direktorin des Freiburger Max-Planck-Instituts für die Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht, fürchtet, dass die Balance in Schieflage gerät. Der Oldenburger Rechtsprofessor Volker Boehme-Neßler fürchtet „im Prinzip die Einführung der Zensur“. So sieht es auch der Strafrechtler Udo Vetter, weil es eine „staatsferne Medienaufsicht“ nicht gebe. Denn diese wird von Politikern bestimmt.
Von den Parteien der sogenannten bürgerlichen Mitte werden einzig aus den Reihen der liberalen FDP Bedenken geäußert. Die ehemalige Generalsekretärin Linda Teutenberg sieht die Koalitionspläne „hochproblematisch“ und fürchtet einen zunehmenden „Einschüchterungseffekt“. Der prominente Liberale Wolfgang Kubicki rechnet vor, dass sich die Zahl der Äußerungsdelikte allein in der Ampel-Zeit vervierfacht habe und warnt davor, dass das „Gift des Misstrauens und der Einschüchterung in unsere politische Debatte einsickert“. Aber liberale Stimmen wie diese werden in Deutschland kaum mehr gewählt.
Selbst das Bundesverfassungsgericht wird ignoriert. Karlsruhe hat 2011 festgeschrieben, dass Meinungen grundsätzlich unter den Schutz der Meinungsfreiheit fallen, „ohne dass es dabei darauf ankäme, ob sie sich als wahr oder unwahr erweisen, ob sie begründet oder grundlos, emotional oder rational sind, oder ob sie als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt werden“. Auch weil die Trennlinie zwischen Tatsachenbehauptung und Lüge nicht immer leicht zu ziehen sei.
Keine Meinungsfreiheit ohne Informationsfreiheit
Meinungsfreiheit gibt es nur, wenn Informationsfreiheit herrscht. Doch nicht einmal die Ermahnung des obersten Gerichts motiviert die Mehrheit der deutschen Medien, das geplante „Lügen-Verbot“ kritisch zu beleuchten. Das hat vor allem damit zu tun, dass dem deutschen Journalismus die richtige Haltung (gegen Rechts und Rassismus und das Einstehen für mehr Klimaschutz und Umverteilung) wichtiger ist, als die Bürger umfassend zu informieren. Beispielhaft erfährt die junge NDR-Journalistin Julia Ruhs geballten Hass aus der eigenen Branche, weil sie es gewagt hat, in ihrer neuen TV-Reihe „Klar!“ die Missstände der Migration zu thematisieren. Denn wer dies tue, bediene nur „rechte Narrative“.
Wer nicht die grünen Erzählungen verbreitet, macht sich angreifbar und ist in den Redaktionen schnell sehr einsam, vor allem bei ZDF, ARD und DLF. Das ist ein zentraler Paradigmenwechsel: Denn wirkliche Meinungsfreiheit kann sich nur entfalten, wenn zuvor Informationsfreiheit herrscht. Die Pressefreiheit, der weltweit alljährlich der 3. Mai gewidmet ist, verlangt eben auch Pluralität nach innen. Nur mit umfassenden Informationen lässt sich Meinung vorurteilsfrei bilden. Das beinhaltet auch die zugespitzte Information in Form von Satire oder Polemik.
Sollen also staatliche Wahrheitswächter entscheiden, was als Hass und Hetze verboten ist? Und was, wenn wirkliche Demokratiefeinde derlei Instrumente, die einer Autokratie zur Ehre gereichen, in die Hände bekommen und damit wirklich Ernst machen? Denn kann nicht morgen als Wahrheit erkannt werden, was gestern noch als Lüge diffamiert wurde? Dass das Corona-Virus aus einem chinesischen Labor in Wuhan entsprang, gilt mittlerweile als nahezu gesicherte Erkenntnis – und wurde seinerzeit als bösartige Verschwörungstheorie verunglimpft und von den Regierungen Merkel und Scholz vertuscht.
Wer also beurteilt, was „systematische Desinformationskampagnen im Netz“ sind, die auf EU-Ebene im Rahmen des Gesetzes über digitale Dienste (DAS) unterbunden werden sollen? Auch hier drängt die schwarz-rote Koalition in Berlin auf eine weitere Verschärfung. Sie sollte sich wenigstens nicht davon ausnehmen. Denn die größten Desinformationsschleudern sind das Kanzleramt und die Ministerien, die Fakten und Statistiken nach Belieben interpretieren und verbreiten. Wird mit den geplanten Zensurgesetzen tatsächlich das Lügen bestraft, dann am besten rückwirkend: Nicht wenige Politiker müssten Höchststrafen fürchten.
Mehrheit der Deutschen getraut sich nicht mehr, die eigene Meinung zu sagen
(bok) Laut einer vom Institut für Demoskopie Allensbach zusammen mit dem Medienforschungszentrum Media Tenor im Dezember 2023 durchgeführten Umfrage – also lange bevor bekannt wurde, dass die neue schwarz-rote Koalition Zensurmaßnahmen einzuführen beabsichtigt –, trauen sechs von zehn Bundesbürgern sich nicht mehr, vom Recht auf freie Meinungsäußerung jederzeit Gebrauch zu machen, wie es in der deutschen Verfassung Artikel 5 gewährleistet ist. Nur noch 40 Prozent sind der Ansicht, dass man nicht vorsichtig sein muss, bei dem was man politisch sagt. Es sind vor allem Anhänger der Grünen, die formal über einen höheren Bildungsabschluss verfügen und natürlich auch weniger riskieren, mit dem Mainstream in Konflikt zu geraten.
Die Untersuchung deckt sich mit anderen Befragungen, die ein zunehmendes Duckmäusertum in Deutschland feststellen. Nicht nur bei den Anhängern der AfD, deren Positionen rasch als „rechtsextrem“ eingestuft werden, sondern auch beim liberalen Fankreis der FDP, die das freie Wort auch dann noch zu schätzen weiß, wenn es ihren Ansichten widerspricht. Aber diese Toleranz ist in Deutschland von der sterbenden Art. Kurz nach dem Mauerfall im November 1989 haben noch 78 Prozent der Befragten hohes Vertrauen in den Artikel 5 GG bezeugt, wie die Autoren der Studie feststellen. Mit der von der Regierung Merkel selbst erzeugten Flüchtlingskrise ab 2015 verkehrte sich dieser Trend ins Negative.
Dass „Jung und Links“ keine Probleme sehen, ihre Meinung frei zu äußern, verwundert nicht. Denn ihre Ängste (Klima, Faschismus etc.) zählen zu den guten, derweil die Sorge vor unkontrollierter Einwanderung, mangelnde Integration oder wirtschaftlichem Abstieg zu den „bösen Phobien“ zählt.