Dankbarkeit ist eine Tugend, keine Pflicht: Altenbetreuung aus liberaler Sicht

Die Fernsehmoderatorin und Philosophin Barbara Bleisch hat sich mit der steilen These, Kinder würden ihren Eltern, bloß weil sie ihre Kinder sind, nichts schulden, in die Schlagzeilen geschrieben. Zwar sei Dankbarkeit der Kinder wunderbar, aber es gebe keine Pflicht zur Dankbarkeit, unter anderem, weil die Eltern sich freiwillig für Kinder entschieden hätten und die Kinder weder in ihre Existenz noch in die Fürsorge einwilligen konnten. Abgesehen davon, dass dies ein merkwürdig restriktives Verständnis von Dankbarkeit wäre (man darf, ja soll auch für freiwillig erbrachte und ungefragte Wohltaten dankbar sein), sollte man Dankbarkeit ohnehin mehr als Tugend verstehen, obwohl es bei Kant «Dankbarkeit ist Pflicht» heißt oder Schiller über die «Dankesschuld gegenüber den Vorfahren» schreibt.

Auch Ausdruck von Demut

Dankbarkeit ist im Alten und Neuen Testament wie bei Philosophen der Antike und der Aufklärung ein zentraler Gedanke. Cicero etwa wird die Aussage zugeschrieben, Dankbarkeit sei die grösste aller Tugenden und die Mutter aller anderen. Dankbarkeit bedeutet, das Gute, das einem erwiesen wurde, zu erkennen, anzuerkennen und zu erwidern. Das ist auch Ausdruck von Demut. Es geht nicht um Bezahlung oder Rückzahlung, sondern um einen Gegenpol zum Vergessen. Schließlich hat das Wort gleiche sprachliche Wurzeln wie «denken» und «gedenken».

Und da selbst den meisten Erwachsenen, die ihre Kindheit nicht in rosiger Erinnerung haben, vermutlich von wenigen Menschen so viel Gutes widerfahren ist wie von den Eltern, besteht Grund für Dankbarkeit. Das Empfinden der Kinder ist dafür keine zuverlässige Richtschnur, denn es gibt ja auch Undankbarkeit.

Doch geht es bei diesem Thema keineswegs nur um moralische Appelle. Moral ist in der Regel zugleich geronnene Erfahrung über das vernünftige Zusammenleben der Menschen. So regeln im Dekalog die ersten drei (oder vier) Gebote die Beziehung der Menschen zu Gott. Alle restlichen Gebote (die bis auf eine Ausnahme Verbote sind) dienen dagegen dem inneren Frieden der Gesellschaft: der Schutz des Privateigentums und der Wahrheit, die Regelung der Beziehung der Geschlechter, das explizite Neidverbot und eben der Appell, Vater und Mutter zu ehren. Dass diese Forderung unter den sozialen Geboten an erster Stelle steht und ähnlich in praktisch allen Religionen und Kulturen erhoben wird, kann kaum etwas anderes bedeuten als eine besondere Verpflichtung allein aufgrund des Umstands, dass man Kind ist, eine Verpflichtung, die über jene gegenüber allen anderen Mitmenschen hinausgeht. Friedrich August von Hayek sah nicht umsonst in Privateigentum, Familie und Ehrlichkeit die Pfeiler jeder erfolgreichen Zivilisation.

Betonung der familiären Bande

Aus ordnungspolitischer Sicht stellt sich die Frage, wer sich denn sonst um die Eltern kümmern sollte, wenn nicht die eigenen Kinder. Gewiss, für Liberale steht an erster Stelle die eigene Verantwortung. Aber was tun, wenn ältere Menschen Hilfe brauchen, und man sie nicht einfach ihrem Schicksal überlassen möchte? Wenn es dafür Zeit und Geld braucht? Wäre dann nicht eine Gesellschaft vorzuziehen, in der die moralische Überzeugung tief verwurzelt ist, die Kinder stünden in der moralischen Pflicht, «nur» weil sie Kinder sind?

Die Alternativen lauten, die Kinder mittels Gesetz zu zwingen, gegenüber den Eltern Verantwortung zu übernehmen, oder die anonyme Gesellschaft, sprich: wildfremde Menschen, zu zwingen, sich zumindest finanziell an dieser Aufgabe zu beteiligen, «nur» weil sie im gleichen Staat leben. Da bleibt die Betonung der familiären Bande und der daraus erwachsenden Verantwortung allemal die freiheitlichere Lösung.

Dieser Artikel ist unter dem Titel „Dankbarkeit statt Zwang“ zuerst in der Neuen Zürcher Zeitung vom 3. März 2018, S. 11 erschienen, und  online hier. Mit freundlicher Genehmigung.

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