Albert Einstein stellte einmal lapidar fest: „Die Definition von Wahnsinn ist es, immer wieder das Gleiche zu tun und dann ein anderes Ergebnis zu erwarten.“ Die Europäische Bankenaufsicht EBA, zuständig für Methodik und Durchführung der Stresstests systemrelevanter Banken, hat es anscheinend nicht so mit Einstein, noch weniger mit Physik oder den Regeln der Logik. Wäre es anders, hätte sie jetzt nicht den fünften Stresstest in Folge mit dem Beharren auf einer schon viermal gescheiterten Vorgehensweise durchgeführt. Die ersten vier wurden von der Realität und den Ergebnissen, aber auch von der Kritik aus den bewerteten Banken und der Wissenschaft schon gründlich ad absurdum geführt, aber die EBA macht weiter, als wäre nichts gewesen.
Regelmäßig führt die Europäische Bankenaufsicht EBA sogenannte Stresstests durch, um die Krisenanfälligkeit bzw. die Krisenresistenz der Banken und damit die Robustheit des Finanzsektors zu überprüfen und daraus Konsequenzen für nötige Verbesserungen zu ziehen. Unser Autor Dr. Markus Krall, ein international renommierter Experte für Risikomanagement, legt im Folgenden exklusiv für das AUSTRIAN INSTITUTE eine Bewertung des diesjährigen, eben beendeten Stresstests vor. Eine ausführliche, ebenso wenig schmeichelhafte Beurteilung der letzten Tests von 2014 und 2016 findet sich in Markus Kralls Buch Der Draghi-Crash. Warum uns die entfesselte Geldpolitik in die finanzielle Katastrophe führt, FinanzBuch Verlag München 2017. Siehe auch die Rezension des Buches auf unserer Website.
Das neueste Buch von Markus Krall erscheint im Dezember 2018 ebenfalls im FinanzBuch Verlag: Wenn schwarze Schwäne Junge kriegen. Warum wir unsere Gesellschaft neu organisieren müssen.
Nach jedem dieser Übungen, die in Summe bereits Milliarden an Kosten verschlungen haben, stellte sich nach kurzer Zeit heraus, dass der Test die eigentlichen Problemkandidaten unter den geprüften Banken nicht erkannt hatte und dass er – wie das Beispiel der griechischen Banken schon 2013 zeigte – selbst solche Banken durchgewunken hat, deren Portfolien mit einer Offensichtlichkeit unter Wasser waren, dass man sich fragen musste, ob Arroganz oder die Lust am intellektuellen Scheitern die Ursache für dieses Verhalten ist.
Seinerzeit hatte man den vier größten griechischen Banken bei einem Eigenkapital von insgesamt 26 Milliarden Euro (davon 17 Milliarden Steuergutschriften des griechischen Staates) und ausgefallenen, nicht mehr performanten Krediten von über 100 Milliarden Euro perfekte finanzielle Gesundheit bescheinigt und zwar auch dann noch, wenn man die Wirtschaft des Landes einem zusätzlichen ökonomischen Schock ausgesetzt hätte. Wahr ist daran immerhin gewesen, dass man ein Auto, das schon von einem Unfall zerknautscht und auf einen Meter Länge verkürzt ist, durch einen zweiten Unfall nicht nochmals zu Schrott machen kann, weil es das schon ist. Die Präsidentin des Single Supervisory Mechanism (SSM) – die Aufsicht über die 125 größten Banken Europas unter dem Dach der Europäischen Zentralbank –, Madame Nouy, beschied damals die schriftliche Anfrage wie denn diese Zahlen mit einem Bestehen des Stresstests zusammengehen können mit der schlichten Antwort: „Wir sind überzeugt, dass die griechischen Banken solvent sind.“ Fertig aus.
Bereits die alten Tests krankten daran, dass die zuständigen Aufsichtsbehörden SSM und European Banking Authority (EBA) – die noch in London, nach dem Brexit in Paris angesiedelte Aufsichtsinstitution der Europäischen Union – nicht über die methodischen Instrumente verfügen, um die Risiken der Banken, insbesondere ihre Kreditrisiken, auf einer einheitlichen Grundlage und nach einheitlichen Maßstäben zu bewerten.
Stattdessen kann man auf Seite elf des Berichts der EBA zum wiederholten Male nachlesen, dass „die Banken ihre eigenen Modelle und Daten zur Projektion der Ergebnisse bereitstellen und diese dann nach den Vorgaben von „in der Methodik definierten Definitionen, Begrenzungen, Höchst- und Mindestwerten“ adjustieren müssen, um „ein Minimum an Konservatismus, Konsistenz und Vergleichbarkeit der Projektionen sowie ein gleichmäßiges Spielfeld sicherzustellen.“
Außerdem lernen wir da, dass die „Kompetenten Autoritäten einen extensiven Qualitätssicherungsprozess durchgeführt haben, der die Verlässlichkeit und Robustheit der Ergebnisse sicherstellt.“
So hört sich Gesundbeten an. Wir, die „kompetenten Autoritäten“, attestieren uns die nicht vorhandene Kompetenz jetzt quasi als Namensbestandteil unserer juristischen Amtsbezeichnung.
Um uns dann alle noch ordentlich zu beeindrucken, befasst sich der Report erst mal mit der Frage, um wie viele Basispunkte die Kapitalausstattung der Banken buchtechnisch durch den Übergang von IAS 39 zu IFRS 9 reduziert worden ist. Und dann kommen auf knapp 60 Seiten die Ergebnisse, wie das Stress-Szenario sich auswirkt auf Kapitalausstattung, Leverage Ratio, Profitabilität der Banken und so weiter und so fort.
Ja, bei der EBA und beim SSM sind wir irre genau. Wenn wir schon falsch liegen mit den Ergebnissen, dann wollen wir wenigstens auf den Zentimeter genau falsch liegen.
Das Verrückte daran ist, dass die „kompetenten Autoritäten“ jetzt schon zehn Jahre Zeit gehabt hätten, die Instrumente zu entwickeln und zu bauen, die sie für eine einheitliche und konsistente Risikobetrachtung der Kreditportfolien europäischer Banken benötigen. Auch die Daten dafür wären leicht zu beschaffen. Sie müssten nur die beaufsichtigten Banken bitten, ihnen die Entwicklungsdaten ihrer internen Ratings zu liefern, diese zu konsolidieren und dann diesen empirischen Erfahrungsschatz in den Bau von Ratinginstrumenten umsetzen. Damit könnten sie nicht nur endlich einen Stresstest durchführen, der diesen Namen auch verdient, sondern würden einen Haufen Arbeit und Geld einsparen. Die Treffsicherheit würde wohl auch signifikant steigen und sie hätten ganz nebenbei ein Instrument, mit dem sie die Qualität der bankinternen Ratings und Verfahren bewerten und verbessern könnten. Eigentlich eine Win-Win-Situation. Das haben sie aber nicht gemacht. Deswegen müssen sie dauernd betonen, dass sie es auf Umwegen doch noch hinbekommen hätten mit Sätzen wie dem oben zitierten.
Dass sie das nicht machen, kann man eigentlich nur mit zwei Erklärungsansätzen versehen: Entweder sind die Herrschaften hinsichtlich der Verfahren der Risikomessung und des Risikomanagements inkompetent, oder sie wollen es gar nicht so genau wissen, weil ihnen dann der Stresstest als Instrument politischer Bankengängelung und Volks- und Marktberuhigung nicht mehr zur Verfügung steht.
Umso höher ist der Brustton der Überzeugung, in dem diese Ergebnisse uns jetzt zum fünften Mal als unumstößliche Wahrheit präsentiert werden. Das passiert nicht im Stande akademischer Unschuld nach dem Muster einer zur Prüfung vorgelegten wissenschaftlichen Hypothese, sondern es passiert mit drastischen Auswirkungen auf das politische Handeln in der Geldpolitik, in der Bankenaufsicht, in der Definition regulatorischer Vorgaben an die betroffenen Banken und in dem Wiegen der Märkte in falscher Sicherheit. Das ist die von Friedrich August von Hayek angeprangerte Anmaßung von Wissen in Reinform.
Früher habe ich in Diskussionsforen immer wieder betont, dass ich nicht an Verschwörungen glaube, sondern an die Inkompetenz, wenn es um unsere Regierenden und ihr bisweilen arrogant irregeleitetes Handeln geht. Ich muss allerdings zugeben, dass ich nach vier gescheiterten Stresstests in Folge und dem fünften, der genauso grottig wie die ersten vier aufgesetzt worden ist langsam in eine Glaubenskrise komme. Jedenfalls in dieser Sache.
Und noch etwas können wir hier lernen: die zweite Ableitung des Peter-Prinzips. Das Peter-Prinzip besagt, dass jemand auf der Karriereleiter so lange aufsteigt, bis er einen Job hat, für den er nicht kompetent ist.
Warum haben wir hier die zweite Ableitung?
Weil unsere Europäische Bankenaufsicht mit der wahrscheinlichen Beförderung des an seiner Aufgabe grosso modo gescheiterten EBA-Präsidenten Enria zum neuen Präsidenten des sehr viel größeren SSM in Frankfurt zeigt: Man kann auch dann noch mal aufsteigen und einen Job mit mehr Verantwortung bekommen, für den man noch inkompetenter ist, wenn man das Peter-Prinzip eigentlich schon abgearbeitet hat. Das geht wohl nur im Europa der EUROkraten.