Bis heute lösen die bedrückenden Unterschiede zwischen dem Lebensstandard im Westen und jenem in den sogenannten Entwicklungsländern Unbehagen aus. Viele Menschen fordern daher mehr Entwicklungshilfegelder für ärmere Länder. Doch jene Länder, die sich weiterentwickelt und den Lebensstandard ihrer Bevölkerung massiv erhöhen konnten, haben das auf einem anderen Weg – ohne Entwicklungshilfe – geschafft.
„Der Lebensstandard ist in den sogenannten Entwicklungsländern niedriger, weil das Durchschnittseinkommen für die gleiche Arbeit in diesen Ländern niedriger ist als in einigen Ländern Westeuropas, in Kanada, Japan und besonders in den Vereinigten Staaten.“
Der Grund für diesen Unterschied liegt weder in den Fähigkeiten der Arbeiter noch in jenen der Unternehmer. Welchen Lohn ein Unternehmer seinen Arbeitern zahlen kann, hängt viel mehr von den „allgemeinen Bedingungen“ im Land ab.
Die Grenzproduktivität der Arbeit legt die Höhe der Löhne fest
„Ein Unternehmer kann einem Arbeiter nicht mehr zahlen als dieser mit seiner Arbeit dem Wert des Produkts hinzufügt. Er kann ihm nicht mehr zahlen als das, was der Kunde bereit ist, ihm für die zusätzliche Arbeit dieses einzelnen Arbeiters zu zahlen.“ Andernfalls macht der Unternehmer Verluste.
„In der Terminologie der Wirtschaftswissenschaftler heißt dies, ‚die Löhne werden durch die Grenzproduktivität der Arbeit bestimmt’.“ Die Lohnhöhe wird also festgelegt durch den Betrag, den die geleistete Arbeit zum Wert der Erzeugnisse beiträgt. Dieser Wert ist in ärmeren Ländern geringer. Warum?
Es ist der „Unterschied im Angebot an Kapital, in der Menge an verfügbaren Kapitalgütern“, der entscheidend ist: „Der Betrag an investiertem Kapital ist pro Kopf der Bevölkerung in den sogenannten entwickelten Ländern größer als in den Entwicklungsländern.“
Das hat konkrete Folgen für die Arbeitsbedingungen: „Wenn ein Arbeiter bessere und leistungsfähigere Werkzeuge zur Verfügung hat, dann kann er in einer Stunde mehr schaffen als einer, der eine Stunde lang mit weniger guten Werkzeugen arbeitet. […] Die Unternehmer in den Entwicklungsländern wissen sehr wohl, dass bessere Werkzeuge ihren Unternehmen mehr Gewinn bringen würden. Sie würden gern mehr und bessere Fabriken bauen, aber der Mangel an Kapital hindert sie daran.“
Der Mangel an Kapital ist der Grund für niedrige Löhne
Die Menge an investiertem Kapital hat somit unmittelbare Folgen für die Höhe der Reallöhne: „Wenn man das Kapital erhöht, erhöht man auch die Grenzproduktivität der Arbeit und als Folge davon werden die Reallöhne steigen.“ Daraus folgt: „Ein Land, das seinen Lebensstandard verbessern will, muss seine gesamte Politik darauf ausrichten, das investierte Kapital pro Kopf zu erhöhen.“
Dies war der Weg, der Länder bisher aus der Armut geführt hat, als erstes Großbritannien, wo der Kapitalismus entstand: „Was dem Fortschritt in Großbritannien tatsächlich zugrunde lag, war die Zunahme der Kapitalinvestition pro Kopf.“
Entwickelte Länder haben gegenüber ärmeren einen zeitlichen Vorsprung
Im Jahr 1750 waren die Briten weit weniger entwickelt, als es Indien heute ist, jedoch haben sie sich selbst nicht als unterentwickelt bezeichnet, denn ihnen fehlten die Vergleichsmöglichkeiten. Dank der frühen Entwicklung des Kapitalismus in Großbritannien hatten die Engländer einen Vorsprung, den heute die sogenannte westliche Welt gegenüber ärmeren Nationen hat.
„Der Unterschied zwischen den weniger entwickelten und den höher entwickelten Ländern ist eine Funktion der Zeit. Die Engländer haben früher als alle anderen Nationen begonnen zu sparen. Sie waren auch die ersten, die Kapital ansammelten und es in Unternehmen investierten. Weil sie früher damit begonnen haben, war ihr Lebensstandard schon zu einer Zeit viel höher, als er in allen anderen europäischen Ländern noch sehr niedrig war.“
Die anderen europäischen Länder begannen schließlich damit „die englischen Geschäftsmethoden nachzuahmen“, nur blieb ihr Lebensstandard zunächst nach wie vor hinter jenem der Engländer.
Ohne ausländisches Kapital wäre in fast allen Ländern keine Industrie entstanden
Die europäischen Länder hätten aus eigener Kraft viele Jahrzehnte gebraucht, bis sie „den technologischen Entwicklungsstand erlangt hätten, den Großbritannien bereits hundert oder gar mehr Jahre zuvor erreicht hatte.“ Doch es kam anders: Die Briten begannen im Ausland zu investieren.
„Es war das bedeutendste Ereignis in der Geschichte des 19. Jahrhunderts.“ Britische Kapitalbesitzer investierten britisches Kapital in anderen Teilen der Welt, zunächst vor allem in europäischen Ländern mit weniger Kapital. So wurden die Eisenbahnlinien der meisten europäischen Länder und auch der USA mit britischem Kapital gebaut. Ebenso waren die Gasgesellschaften in allen Großstädten Europas britisch. Bis in die 1890er Jahre exportierte Großbritannien Maschinen in die Vereinigten Staaten, die mit Anteilen an amerikanischen Gesellschaften bezahlt wurden.
„Ohne Kapitalinvestitionen hätten alle Nationen, die weit weniger entwickelt waren als Großbritannien, notgedrungen mit den Methoden und der Technologie beginnen müssen, die die Engländer zu Beginn und in der Mitte des 18. Jahrhunderts angewandt hatten.“ In allen Ländern außer England spielte ausländisches Kapital „eine beträchtliche Rolle bei der Entwicklung moderner Industrien“. Ohne Auslandsinvestitionen hätten „all die Eisenbahnen, Häfen, Fabriken und Bergwerke in Asien, der Suezkanal und viele andere Dinge in der westlichen Welt … nicht gebaut werden können.“ Teilweise geschahen die Auslandsinvestitionen nicht direkt in Form von Krediten an ausländische Unternehmer, sondern indirekt in Form von Krediten an ausländische Staaten.
Das hat auch Folgen für ärmere Länder: „Nur eines fehlt, um die Entwicklungsländer so wohlhabend wie die Vereinigten Staaten zu machen: Kapital– und natürlich die Freiheit, es gemäß den Signalen des Marktes zu verwenden.“
Man sieht: „Die Voraussetzung für eine größere wirtschaftliche Ausgeglichenheit in der Welt ist Industrialisierung. Und diese ist wiederum nur möglich durch erhöhte Kapitalbildung und mehr Kapitalinvestitionen. […] Um die Industrialisierung zu fördern, gibt es nur einen Weg: Man muss mehr Kapital haben.“
Durch ausländisches Kapital steigen die Löhne
Doch Kapitalinvestitionen haben noch andere Konsequenzen: „Kapitalgeber bevorzugen Länder mit einem großen Angebot billiger Arbeitskräfte. Und dadurch, dass sie Kapital in diese Länder bringen, bewirken sie, dass die Löhne steigen.“
Das geschah in den Ländern, in die britisches Kapital investiert wurde: Dort waren die Löhne zunächst viel niedriger als in Großbritannien, sind aber danach gestiegen. „Als beispielsweise die ‚United Fruit Company’ nach Guatemala kam, ergab sich sofort eine allgemeine Lohnsteigerung. Zunächst war es die United Fruit Company, die höhere Löhne zahlte. Dann mussten notgedrungen auch die anderen Arbeitgeber höhere Löhne zahlen.“
Manche fordern offene Grenzen statt freiem Kapitalverkehr. Ohne Zuwanderungsbeschränkungen würden Millionen von Menschen versuchen, in die USA (und nach Europa) zu gelangen, um dort höhere Löhne zu erhalten. „Dieser Zustrom ließe jedoch die Löhne in den Vereinigten Staaten sinken und in den anderen Ländern steigen.“
Der freie Kapitalverkehr ist, wie man sieht, ein anderer Weg zur Angleichung der Löhne weltweit.
Wer investiert, braucht Rechtssicherheit
„Wenn man Kapital im Ausland investiert, erwartet man, dass man nicht enteignet werden wird. Kein Mensch würde je etwas investieren, wüsste er im Voraus, dass jemand seine Investitionen enteignet. Im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als diese Auslandsinvestitionen durchgeführt wurden, war von Enteignungen keine Rede.“
Das änderte sich mit dem Ersten Weltkrieg: „Regierungen und politische Parteien fingen an, ausländische Investoren für Ausbeuter zu halten, die des Landes verwiesen werden sollten.“
Prinzipiell kann man keine Regierung daran hindern, investiertes Kapital zu enteignen. Nur hielten es die Kapitalgeber vor dem Ersten Weltkrieg nicht für möglich, „dass irgendein Land so unmoralisch handeln könnte, seine Schulden nicht zurückzuzahlen und Auslandskapital zu enteignen oder zu beschlagnahmen.“
Doch dann geschah es, zum Beispiel in Russland nach der Machtergreifung der Bolschewisten. Alle bedeutenden Unternehmungen – darunter ebenfalls die Eisenbahn – waren zuvor großteils mit Auslandskapitel errichtet worden.
„Die Enteignung ausländischen Kapitals erfolgt unter den heutigen Verhältnissen entweder direkt oder indirekt durch willkürliche Wechselkursänderungen oder diskriminierende Besteuerung. Es ist ein Problem, das hauptsächlich die Entwicklungsländer betrifft.“
„Man könnte internationale Konventionen beschließen – nicht nur bloße Vereinbarungen – um die Auslandsinvestitionen der nationalen Rechtsprechung zu entziehen. Das wäre eine Aufgabe für die Vereinten Nationen, aber die sind ja nur ein Ort nutzloser Diskussionen. … Es handelt sich dabei lediglich um eine technische Frage der Gesetzgebung, deshalb ist die Lage nicht aussichtslos.“ Das hilft auch ärmeren Ländern.
Die Besteuerung inländischer Kapitalbildung erzeugt ebenfalls Probleme
Eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass die Bevölkerung spart, ist ein stabiler Geldwert. Daraus folgt: „Jede Art von Inflation muss vermieden werden.“ Das ist aber nicht die einzige Voraussetzung für die Bildung von Kapital.
„In allen Ländern werden heute die Kapitalgesellschaften sehr hoch besteuert, und zwar auf doppelte Weise. Zunächst unterliegen die Gewinne der Gesellschaften einer hohen Besteuerung. Sodann werden die Dividenden, die die Gesellschaften an ihre Aktienbesitzer auszahlen, nochmals besteuert, und zwar progressiv. Eine progressive Besteuerung der Einkommen und der Gewinne bedeutet, dass gerade jene Teile des Einkommens, die die Leute sonst gespart und investiert hätten, weggesteuert werden.“
In dieser Hinsicht sind die USA kein gutes Vorbild: „Ich kann dazu nur sagen, dass sich ein reiches Land eher eine schlechte Politik leisten kann als ein armes.“ Gerade arme Länder aber „müssen sowohl die inländische Kapitalbildung als auch den Zufluss ausländischen Kapitals fördern.“
Protektionismus verhindert Kapitalimport
Noch andere staatliche Maßnahmen behindern Kapitalbildung und Industrialisierung: „Zölle und Devisenkontrollen sind gerade die Maßnahmen, die Kapitalimport und Industrialisierung in einem Lande verhindern. … Protektionismus bewirkt lediglich die Umlenkung der Investitionen von einem Industriezweig zu einem anderen.“
Man sieht: „Protektionismus verändert die wirtschaftliche Situation eines Landes nicht zum Besseren.“
Durch ausländisches Kapital steigt der Wohlstand
Die Geschichte zeigt: Ausländisches Kapital nützt dem Wirtschaftswachstum und dem Wohlstand. An Beispielen fehlt es nicht:
„Um 1840 sagte man im Südwesten Deutschlands – in Baden und Württemberg, die zu den am stärksten industrialisierten Regionen in der Welt gehörten –: ‚Wir werden das britische Niveau niemals erreichen. Die Engländer haben einen zu großen Vorsprung und sie werden ihn immer behalten.’ Doch dreißig Jahre später sagten die Engländer: ‚Wir können diesem deutschen Wettbewerb nicht standhalten. Wir müssen etwas dagegen tun.’ Zu dieser Zeit war der deutsche Lebensstandard bereits steil angestiegen und näherte sich schon damals dem britischen.“
Dieser Weg zur Steigerung des Wohlstands ist kein schneller, aber er funktioniert: „Weder Protektionismus, noch Interventionismus, noch Sozialismus und ganz bestimmt nicht die Macht der Gewerkschaften“ können hierzu etwas beitragen.
Die Schweiz wurde „von der Natur sehr karg bedacht“. Sie „hatte keine Kohlebergwerke, keine Bodenschätze und keine natürlichen Ressourcen. Aber seine Bürger haben über Jahrhunderte hin eine kapitalistische Politik betrieben. Sie haben den höchsten Lebensstandard in Kontinentaleuropa entwickelt“.
Die hier gebotene, exklusiv für die AUSTRIAN ESSENTIALS erstellte Kurzfassung von „Vom Wert der besseren Ideen“ erscheint mit Erlaubnis des Lau Verlags, bei dem auch die von Gerd Habermann und Gerhard Schwarz herausgegebene deutsche Edition des Originaltextes als Buch erhältlich ist.
Der englische Originaltext ist online zugänglich bei der Online Library of Liberty des Liberty Fund.